Städtische Bündnisse

Diese norddeutschen Kaufleute sind allmählich aus ihren einzelnen Vereinen, die sich auf die Bürger und Kaufleute einzelner Hansa Städte bezogen, die auch ihre besonderen Freiheiten daneben beibehalten haben mögen, in einen gemeinschaftlichen zusammengeschmolzen, ohne jedoch ein bestimmtes Jahr deshalb angeben zu können. Dieser Verein deutscher Kaufleute erwirbt Freiheiten, Rechte und Besitzungen in London; er hat seinen Vorstand oder Aldermann; das Alles aber geschieht, wie es scheint, durch ihre eigene Kraft, ohne Vermittelung der Städte, aus welchen sie stammten. Im Jahre 1282 entscheidet die Erchequer einen Streit zwischen der Stadt London und den Kaufleuten der deutschen Hanse daselbst, bei welcher Gelegenheit ihr gemeinschaftlicher Verein als mehr ausgebildet erscheint. Ähnlich war die Sache in den Niederlanden, obwohl sich das nicht mit gleich alten Urkunden nachweisen lässt. — Was nun die Insel Gothland betrifft, so hat sich hier sehr früh, angelockt durch ihre glückliche Lage, die sie zu einem wünschenswerten Mittelpunkte bei der damaligen unvollkommenen Schifffahrt zwischen dem Osten und Westen machte, ein Verein von niederdeutschen Kaufleuten, namentlich aus Sachsen und Westfalen, gebildet, der durch das zwölfte und bis gegen das dreizehnte Jahrhundert vorherrschend in dem gesammten norddeutschen Verkehr, besonders in der Ostsee, doch auch in der West- (Nord-) see gewesen zu sein scheint, bis die Stadt Lübeck durch ihre glücklichen Fehden mit den benachbarten Mächten und andere glückliche Verhältnisse das Übergewicht erhielt. Aus einer Urkunde vom Jahre 1287 ersehen wir, dass diese Gesellschaft der Kaufleute unabhängig von ihren Städten Beschlüsse fasst, ja die Städte selbst diesen unterwirft; diejenige Stadt, welche die in der Urkunde ausgesprochenen Vorschriften nicht befolgen wolle, soll aus der Gemeinschaft der Kaufleute ausgestoßen werden aller Orten und auf allen Straßen, bis sie den Vorschriften Genüge geleistet habe. Von der Insel Gothland aus ward ohne Zweifel der unmittelbare Verkehr dieser Norddeutschen mit Russland eingeleitet, so wie von hier aus zuerst von ihnen, und namentlich von Bremen, die livländische Küste befahren wurde. Wahrscheinlich ist der Hof zu Nowgorod in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts gegründet worden. Wir finden die deutschen Kaufleute in dieser Zeit daselbst vollkommen eingerichtet mit ihren Alterleuten und Weisesten an der Spitze; sie haben Freiheiten und Besitztümer erworben, sie halten ihre gemeinschaftlichen Versammlungen. Aber nirgends ist hier im Nordosten die Benennung üblich, die im Westen von den einzelnen Vereinen deutscher Kaufleute und einzelner Städte zu Flandern und England vorkommt, oder mit welcher die sämtlich vereinten deutschen Kauffahrer in dem letzteren Lande bezeichnet werden; von einer Hanse oder einer Hansa der deutschen Kaufleute in dieser Zeit ist hier eben so wenig als in Dänemark, Schonen, Schweden und Norwegen die Rede. — Diese Vereine norddeutscher Kaufmannsgilden oder Hansen zum besseren Betriebe ihres Handels im Auslande sind der ältere Keim zur Entstehung der nachher vorzugsweise so genannten Hansa. Jünger ist der andere Keim, die Verbindungen einzelner, dann mehrerer niederdeutscher Städte zur Erhaltung ihrer Freiheit und ihres Rechtes im Innern. Die ältesten Verbindungen dieser Art, von denen wir wissen, wurden zwischen Lübeck und Hamburg geschlossen, die seit dem Jahre 1210 datieren. Merkwürdiger noch ist der Verein, den die vier ältesten westfälischen Städte Münster, Dortmund., Soest und Lippe im Jahre 1253 eingingen, des Inhalts, dass sie allen denen, die einen der Ihrigen sahen oder berauben. Alles versagen wollen, was zu deren Bestem gereichen könne, namentlich eine Anleihe bei ihnen zu machen. Seit dem Ausgange des 13. Jahrhunderts, seit den Zeiten des Interregnums, mehren sich die Bündnisse dieser Art, und die erhaltenen Dokumente beweisen zugleich, dass Streitigkeiten, die zwischen den Vereinten entstanden, von den anderen Mitverbundenen geschlichtet wurden. So gibt es eine Urkunde vom Jahre 1256, die den Keim zu der Verbindung der wendischen Städte zu enthalten scheint. Die Stadt Wismar erklärt, dass der bereits lange dauernde Streit zwischen Rostock und Lübeck auf dem Rathhause der letzteren Stadt im Beisein einiger Ratsmänner der drei Städte ausgeglichen worden sei. Diesen drei Städten schließen sich zunächst Stralsund und Greifswald an und nachher andere, welche sämtlich durch das gemeinsame kubische Recht ohnehin einander näher verwandt waren. Ein weiterer Schritt zur Bildung der späteren Hansa geschah durch den Vertrag, welchen Lübeck, Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald auf drei Jahre im Jahre 1293 abschlossen. Ihre Abgeordneten erklärten darin, kein Teil solle ohne Einwilligung und Rat der Mitverbundenen eine Fehde anfangen, vielmehr jeder seine Beschwerden den übrigen Genossen mitteilen, welche zuvörderst durch Schriften und Boten versuchen sollten, in Güte die Abstellung derselben zu bewirken; bleibt aber dieser Versuch fruchtlos, so sollen die übrigen Städte ihr beistehen in folgenden Verhältnissen: Lübeck stellt 100, Wismar 38, Rostock 70, Greifswald 38 und Stralsund 50 Reisige, um dem beschädigten Teile zum Ersatze seines erlittenen Schadens zu verhelfen. Sollte eine größere Hilfe erforderlich sein, so versprechen sie sich einander in gleichen Verhältnissen diese bis zur Beendigung der Sache zu stellen. Alsdann folgen Strafen, die diejenige Stadt treffen sollen, welche ihren Verpflichtungen nicht pünktlich nachkommt. — In den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts kommt der Name slawische oder wendische Städte zuerst vor und wird seitdem häufiger gebraucht. Jedenfalls sind darunter jene fünf bereits genannten zu verstehen, und die ihnen verwandten minder bedeutenderen kleineren pommerschen Städte, als Demmin, Stettin und Anklam. Jene fünf Städte aber werden vorzugsweise mit diesem Namen belegt, und sie sind seit dem Ende des 13. und im folgenden Jahrhunderte, ja noch in späteren Zeiten, die vorzüglichste und einflussreichste Abteilung in dem gesammten Verein norddeutscher Kaufleute und Städte geblieben, der erst in späterer Zeit Hamburg und Lüneburg beigezählt wurden. — Gleichzeitig mit den wendischen Städten findet sich noch eine andere Verbindung unter dem Namen Seestädte. Hierunter haben wir nicht nur jene wendischen, sondern auch die anderen an den Küsten der Nord- und Ostsee liegenden deutschen Städte zu verstehen. Außer den wendischen gehören hierzu die Deutschen auf Wisby, die Städte Riga, Elbing und die Nordseestädte Hamburg, Bremen, Campen, Stavern und Gröningen. Diese Seestädte haben zu jeder Zeit des Vereins niederdeutscher Kaufleute und Städte, besonders seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, den entschiedensten Einfluss auf denselben behauptet. Das Meer war eigentlich die Schaubühne der Größe des Vereins; über dasselbe hin konnte man, mit geringer Ausnahme, zu den gemeinsamen Handelsniederlagen in dem Auslände nur gelangen; auf diesen Meeren mit ihren Schiffen wurden die Fehden mit den fremden Mächten geführt. Mit der Ausdehnung der gemeinschaftlich zu verfolgenden Zwecke wuchs auch der Seestädte Ansehen, und das der größeren Landstädte, selbst derer, welche keinen erblichen Landesherrn anerkannten, trat mehr zurück. Bildeten die wendischen und die Seestädte auch die bedeutendsten Vereine, so gab es doch auch noch andere: so kommen in den Urkunden dieser Zeit auch sächsische, westfälische, preußische Städte vor, welche gewisse gemeinsame Beschlüsse fassten, die sich auf ihre besonderen Kreise beschränkten, doch auch wieder auf das Allgemeine ihren Einfluss hatten. Jetzt kam die Zeit, wo diese Städtebündnisse sich plötzlich zu einer staatsähnlichen Einheit gestalteten, welche dem skandinavischen und slawischen Norden Europas zum ersten Male das volle Gewicht einer waffenkundigen deutschen Handelsmacht entgegenstellen sollte. Die Veranlassung dazu gaben die Zerwürfnisse, welche um das Jahr 1283 zwischen den deutschen Ostseestädten und der norwegischen Krone eingetreten waren. Verschiedene deutsche Städte der Ostsee hatten in Bergen Handelsprivilegien erworben und hatten sich allmählich in der fremden Stadt vollkommen eingebürgert. Als König Erich von Norwegen den Deutschen den Zugang zu seinen Häfen verschloss und so mit einem Male das ganze norwegische Geschäft vernichtete, beunruhigten acht Ostseestädte, Lübeck an der Spitze, die norwegische Küste und durch das Verbot der Ausfuhr von Korn, Brot und Bier aus den Städten nach Norwegen zwangen sie den König Erich, sich ihrem Willen zu fügen. Im Frieden zu Kalmar 1285 erhielten sie für die erlittenen Verluste Entschädigungen und die Bestätigung ihrer alten Handelsfreiheiten. Der König erkannte sogar drei abgeordnete Städte und deren Ausspruch in allen seinen künftigen Streitigkeiten zwischen ihnen und Dänemark als stete Schiedsrichter an. — Aber nicht nur im Norden, auch im Osten wuchs die Macht der wendischen Städte zusehends. Um dies zu begreifen, vergegenwärtige man sich, dass das slawische Element von dem deutschen immer mehr und mehr verdrängt wurde und dass das schwarz-weiße Banner des deutschen Ordensstaates immer weiter siegreich nach Osten vordrang. Wahrend die Edlen und Herren das Land mit dem Schwerte eroberten, legte deutscher Bürgerfleiß den Grund zu zahlreichen Städten, von denen deutsche Gesittung sich verbreitete. Zuerst freilich hatte man hierbei nur den militärischen Gesichtspunkt im Auge, bald aber überwog die Richtung auf den Handel und überseeischen Verkehr. Ursprünglich befand sich der Handel nach diesen Gegenden hin in den Händen der sächsischen und westfälischen Städte, aber seitdem die Mündungen aller größeren baltischen Ströme in den Besitz deutscher Kolonisten gekommen waren, trat eine völlige Veränderung des Geschäftslebens ein. An der Trave, Warnow, Oder, Weichsel, Nogat, Memel, Düna waren feste Hafenplätze entstanden, welche durch die belebende Nähe des Meeres zu rascher Blüte gelangten und sich bald den Handelsstädten des inneren Deutschlands als die natürlichen Vermittler des ganzen baltischen Geschäfts darzubieten vermochten. Um nun den Handel nicht an diese neu entstandenen Städte allein kommen zu lassen, traten die niederdeutschen Städte mit jenen baltischen in Verbindung. In größeren Gesellschaften als zuvor unternahmen nun die deutschen Kaufleute alljährlich ihre Fahrten in die baltischen Gewässer, errangen bald auf den Märkten zu Wisby und Nowgorod Vorrechte und Handelsfreiheiten, wie die vereinzelten binnenländischen Städte sie bis dahin nicht hatten erlangen können, und verschafften so durch gegenseitiges Zusammenhalten ihrem Handel daheim wie in der Fremde neuen Schwung und neues Ansehen. An der Spitze der kriegerischen Unternehmungen zur See, welche von den wendischen Städten ausgingen, stand Lübeck, dessen Einfluss sich im Norden Deutschlands und an den Ostseeküsten immer mehr ausdehnte. Schon waren nahe an dreißig baltische Städte mit lübischem Rechte bewidmet, die sich alle dem lübischen Oberhofe unterordneten. Als sich um das Jahr 1292 die deutsche Kolonie zu Nowgorod nach einem Gerichtshofe im Mutterlande umsah, an den dort in streitigen Fällen appelliert werden könnte und dessen Urteile dann für alle Teile entscheidende Kraft haben sollten, vereinigten sich nebst Riga siebenundzwanzig sächsische, westfälische und rheinische Städte dahin, dass das Zugrecht vom Hofe zu Nowgorod fortan nur nach Lübeck stattfinden solle. Zu den dortigen Messen strömten die Fremden von nah und fern. Im Anfange des 14. Jahrhunderts muss die Stadt bereits über 50.000 Einwohner gezählt haben. Dort traten auch zumeist die Abgeordneten der Bundesstädte zur Tagfahrt zusammen, um ihre inneren und äußeren Angelegenheiten gemeinschaftlich zu regeln. Wenn dann Streitigkeiten mit fremden Mächten oder im Bunde selbst zu schlichten waren, so lag vornehmlich Lübeck die Sorge ob, aus seiner Mitte erprobte Unterhändler und rechtskundige Richter zu Vermittlern aufzustellen. Mit der wachsenden Macht Lübecks und der Seestädte gerieten auch die Vereine der Kaufleute im Auslande in größere Abhängigkeit von der Stadt. Die Selbstständigkeit dieser kaufmännischen Gesellschaften verschwand immer mehr, so wie der Verein unter den Städten sich vollkommener ausbildete. Diese Vereine dauerten fort, namentlich unter den wendischen und Seestädten. Aber noch immer nicht erscheint in den Urkunden der Ausdruck Hansestädte. Erst ein Protokoll aus dem Jahre 1358 lässt keinen Zweifel darüber, dass das hier vorkommende Wort „Hansestädte“ in dem Sinne genommen wird, wie wir es heutzutage gebrauchen, während der früher gebrauchte Ausdruck „Hansa“ nur die Gesamtheit der Kaufleute bezeichnet, die im Auslande Teil haben an den gemeinschaftlich erworbenen Handelsprivilegien. Hier haben wir es mit deutschen Hansestädten zu tun, die mit einander in Verbindung stehen, wie früher die deutschen Kaufleute in der Fremde gestanden hatten, von denen die alte Bezeichnung ihres Vereins und der Name Hansa oder Hanse nun auch auf den Verein der Städte übertragen ward. Von dem damaligen Umfange der Verbindung unter den Städten erhellt jedoch aus den Urkunden nichts Befriedigendes. Von nun ab kommen immer mehr Urkunden vor, welche die größere Ausbildung des Vereins bewahrheiten und bezeugen, dass die Macht von dem gemeinen Kaufmanne immer mehr in die Hände der verbundenen Städte übergegangen war, dass auch allgemeinere Versammlungen, unbeschadet der besonderen, dass Versammlungen der Abgeordneten der Hansestädte stattfanden. Gleich beim Beginne dieser allgemeinen Versammlungen ist es charakteristisch für den Geist der hier gefassten Beschlüsse, dass die Freiheit jeder Stadt oder der näher vereinten Städte soviel als möglich geschont wurde; es hat nur ganz allmählich und erst in späteren Zeiten die Gewalt der Hansetage und deren Beschlüsse auf alle Städte mehr Kraft erhalten können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hansa - Hanse