Hans mit Gott

Hamburgische Geschichten und Sagen
Autor: Beneke, Otto (1812-1891) deutscher Archivar, Historiker und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1840
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Es war einmal vor vielen Jahren ein Bleidecker in Hamburg, der hieß Hans, ein ehrlicher frommer Gesell, der bei allen Dingen, die er tat oder ließ, die zwei guten Worte „mit Gott“ sagte, welche er sich wohl bei Verrichtung seines gefährlichen Handwerks angewöhnt hatte. Darum nannten ihn alle Leute nicht anders, als Haus mit Gott. Wie er nun einst oben am Petri-Turm arbeitet, fasst ihn der Schwindels denkt also eiligst an das schöne Gebet, welches für die vom Turm fallenden Bleidecker erfunden ist; aber ehe er sich daraus besinnt, fühlt er schon unter sich keinen Grund mehr, macht's also kürzer, schreit laut „mit Gott“ und fährt damit jählings hinunter in die entsetzliche Tiefe.

Grade in diesem Augenblick geht nun unten aus dem Kirchhofe ein Jude vorüber, dem fällt Hans mit Gott so unsanft auf den Kopf, daß der Jude niederstürzt und gleich todt bleibt, Hans aber gesunden Leibes aufsteht, seine Gliedmaßen befühlt und sich seines wundersam geretteten Daseins mit Gott freut. Aber war auch sein Körper äußerlich unverletzt geblieben, so hatte doch die gewaltige Erschütterung des Sturzes sein Gehirn angegriffen; er kam nicht wieder zu gesunden Verstandeskräften, sondern wurde, was man in Hamburg nennt: püttjerig; sprach auch hinnieden kein anderes Wort mehr, als sein altes treuherziges „mit Gott.“

Nun heißt es, daß die hiesigen Juden über den Tod ihres Genossen sehr verboßt geworden wären und durchaus Genugtuung dafür verlangt hätten. Sie verklagten also den ehrlichen Hans mit Gott beim Rate und forderten, da er kein Geld besaß, als Sühne seinen Tod. Der Rath fand den Casus sehr bedenklich und riet lange hin und her, wie er mit Ehren und Gerechtigkeit den schlimmen Handel schlichten möge. Endlich besann er sich aus Salomonis Urteil und erkannte darnach diesen ähnlichen Spruch: Vergeltung sei gerecht, der verstorbene könne sie aber nicht mehr üben, folglich müsse ein anderer Jude vom Petri-Turm heruntergestürzt werden auf Hans mit Gott, der unten stehen solle, also könne der Jude nach Belieben den armen Hans zu Tode fallen und die Sühne nehmen, darnach die Gemeinde verlange! Als nun die Juden diese Sentenz vernahmen, da verschraken sie sich sehr, jedem lief es eiskalt über den Rücken vor Schwindel und Gräfen, und Keinen gelüstete ferner nach der Sühne.

Und noch lange liebe Jahre ist Hans mit Gott still und bescheiden in Hamburg umhergegangen und hat sein täglich Brod in den guten Bürgerhäusern reichlich gefunden, denn alle Menschen, und sonderlich die Kinder, hatten ihn gern.