Überblick nach dem Gegenständlichen

Von Jahr zu Jahr das Schaffen des Künstlers zu verfolgen, wie wir es bei Betrachtung seiner Jugendzeit versucht, ist unmöglich. Den fast unübersehbaren Hervorbringungen gegenüber bleibt nichts andres übrig, als in einem Überblick, nach dem Gegenständlichen geordnet, die Gemälde, auf welche diese Publikation sich ja beschränkt, zusammenzufassen. Dies behält freilich immer sein Missliches. So bedeutungsvoll und so bestimmend für den Eindruck das Gegenständliche wird, ist es, um Thomas eignen Ausspruch zu zitieren, „nicht der Gegenstand, der dem Bilde künstlerischen Wert gibt, sondern die Anschauung, die Summe von anschaulicher Erkenntnis, die sich im Werke ausspricht“. Was in der photographischen Reproduktion übrigbleibt, das ist freilich das Gegenständliche, „das was die Dinge erzählen, man vergisst darüber oft gar zu leicht, daß den Künstler doch etwas andres geleitet haben kann als Grund seiner Darstellung, und darüber, über eine Raumanschauung, ein plastisches Gefühl, den Ausdruck feinfühliger Licht- und Farbenempfindung kann nur die Anschauung des Originales selber Auskunft geben. Da versteht man auch, daß der Künstler so gerne sagt: ich habe nicht erzählen wollen, ich will nur darstellen, und fast ärgerlich wird, wenn der Beschauer etwas andres hinter seinem Bilde sucht als Augenweide — das ist nämlich jedes gute Bild.“

Eine im höheren Sinne künstlerische Anordnung wäre also eine solche, die von der Art und Verwandtschaft der Anschauungen ausginge — wie aber wäre die, von ganz allgemeinen Grundsätzen abgesehen, mit Worten zu charakterisieren und noch dazu im Hinblick auf Schöpfungen eines Malers, der seine Universalität und Ursprünglichkeit auch in der immer neuen und unmittelbaren Anschauung bewährt und in herrlicher Mannigfaltigkeit fast jedem Werke einen nur diesem eignen Charakter aufprägt. Und gerade Thomas Kunst belehrt, im Gegensatze zum impressionistischen Naturalismus und im Sinne der Kunst aller großen vergangenen Epochen, darüber, daß freilich wohl alles auf das „Wie“ ankommt, daß aber das „Wie“ doch immer durch das „Was“ und umgekehrt bestimmt wird. In seinem Aufsatze: „Dürfen Bilder Geschichten erzählen?“ hat er, der als echter Künstler gegen alle „Begriffspoesie in der Malerei, Frühlingsseligkeit, Liebespärchenzauberei, Theaterhistorienpose und Stimmungsmache“ Protest einlegte, doch dem Natürlichen wieder zu seinem Rechte verholfen, indem er hervorhob, wie es eben im Wesen jedes Bildes liege, etwas zu erzählen.


So dürfen, ja müssen wir denn eine Übersicht der Werke auf Grund der Einteilung nach dem Gegenständlichen zu gewinnen suchen. Nur der Gemälde — nicht der Hunderte von Aquarellen, Steindrucken, Radierungen, ausgeführten Zeichnungen und kunstgewerblichen Entwürfen, die einen zweiten Band wie diesen füllen würden.

Und es ist zu bemerken, daß bei allem sorgfältigen Streben nach Vollständigkeit in der Wiedergabe wenigstens der Bilder diese, wie die Liste im Anhang erweist, doch nicht erreicht werden konnte, da die Besitzer einer großen Anzahl von Werken nicht festzustellen waren und manche Gemälde schon seit langem verschollen sind. Die Gesamtzahl dürfte sich auf etwa tausend belaufen; mehr als achthundert haben in unserm Bande Aufnahme gefunden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hans Thoma (1839-1924)