Frankfurter Zeit

„Ruhige Zustände beharrlichen Friedens,“ mit diesen Worten des Künstlers läßt sich seine Frankfurter Zeit, die von 1876 bis 1899 dauerte, bezeichnen — ihr Inhalt war ein künstlerisches Schaffen von unerhörter Fruchtbarkeit und Universalität. So viel von diesem zu sagen ist, so wenig von den äußeren Erlebnissen.

Wir haben den Freundeskreis, in dessen Mittelpunkt Otto Eiser und seine Gattin Sophie standen, schon kennen gelernt: Eduard und Elise Küchler (S. 408), die Witwe Viktor Müllers (S. 96), die Familien Philipp Haag, Alexander Gerlach, Hermann Fries (Bildnisse S. 112), Musikdirektor Kniese, Frau Anna Spier (S. 336); in der Ferne verbunden blieben die alten Freunde Schumm in Köln (S. 251,396). In den neunziger Jahren entstanden manche neue Bekanntschaften: damals waren es zuerst Eduard Speyer, Karl von Grunelius und Frau Karoline Keßler (jetzt Freifrau von Flotow), welche ihr Heim mit Werken des Meisters schmückten, auswärts Prinz Friedrich Karl von Hessen (S. 348), Gräfin Luisa Erdödy und Fürst und Fürstin von Oettingen-Wallerstein (Bildnis S. 428). Von Künstlern sind zu nennen: Albert Lang, Willi. Steinliausen, Peter Burnitz, Simon Ravenstein, in der letzten Zeit auch von Pidoll und W. Trübner, der als Professor an das Städelsche Kunstinstitut berufen ward, mit denen er näheren Umgang pflegte. Eine junge Baseler Künstlerin, Marie la Roche, die bei ihm studierte, und deren Schwester Elisabeth waren in den neunziger Jahren gerne gesehene Gäste des Hauses (Bildnisse S. 371). Im Jahre 1889 war es dem Verfasser dieser Zeilen (S. 332) zum ersten Male vergönnt, den überwältigenden Eindruck von des Meisters Kunst in dessen Atelier zu erhalten und eines Freundschaftsbundes gewürdigt zu werden, der ihm und seiner Gattin nicht allein für die zwei Jahre seiner Frankfurter Tätigkeit als Direktor des Städelschen Kunstinstitutes, sondern für alle folgende Zeit ein reicher Quell geistigen und seelischen Glückes ward.


Bis zum Jahre 1890 blieb die Kunst Hans Thomas eine verborgene. Das Frankfurter Kunstvereinspublikum verspottete seine Bilder, von auswärtigen Ausstellungen wurden sie zurückgewiesen. Hätte es nicht in Frankfurt jene wenigen treuen Freunde gegeben, wäre nicht in Charles Minoprio von Liverpool, der alljährlich in Frankfurt erschien und allmählich sechzig Bilder — freilich zu wie bescheidenen Preisen! — erwarb, ein Käufer erstanden, auch in einem andern Liverpooler, von Sobbe, der nur Blumenstücke erwarb, hätte Frau Cellas ungewöhnliches Talent als Blumenmalerin und Lehrerin nicht Würdigung und Gefallen gefunden — wie hätte es dann ausgesehen? Wo blieben die öffentlichen staatlichen Sammlungen, wo die Kunstmäzene? Noch in den Jahren 1890 und 1891 wurde der von mir dem Städelschen Institut vorgeschlagene Ankauf größter Schöpfungen des Meisters, wie der Pietä mit den zwei Engeln (die bald darauf Prinz Max von Baden in seinen Besitz brachte), und die große „Flucht nach Aegypten“ (jetzt bei Eduard Küchler), obgleich für jedes der Bilder ein Preis von nur 3000 Mark festgesetzt war, verweigert. Freilich, was will das besagen, wenn die Deutsche Nationalgalerie in Berlin, die jeder Mode des Impressionismus willig entgegenkam, bis in die neueste Zeit Werke von unserm Meister zu kaufen refüsierte! Wir andern haben nicht das Recht, diese Dinge von der hohen Warte eines milden Allverstehens herab zu entschuldigen und zu verschleiern, sondern, damit es zur Erkenntnis und zur Lehre gereiche, mit stärkstem Nachdruck zu betonen: auch dieser große Deutsche ist schmählich behandelt worden. Er mußte fünfzig Jahre werden, ehe man seinem Schaffen, das in seinem unvergleichlichen Reichtum doch jedem etwas hätte bieten müssen, überhaupt ernstliche Beachtung zuwandte. Und hat man sich dies unerbittlich zugestanden, dann erst darf man den versöhnlichen Worten lauschen, die von jener Höhe herab erklingen: „Ich möchte, dass die Meinung zutage tritt, dass der Künstler von Gott und Rechts wegen alle Bedingungen in sich trägt zum Bestehen und Ausreifen seines Wesens, dass vor dem Schaffensernste äußere Verhältnisse unbedeutend werden müssen und dass das sogenannte Kunstmärtyrertum nur dort Platz findet, wo mutloses Wollen vorherrscht, mit Ehrgeiz gemischt. Ein wirklicher Künstler kann gar kein Kunstmärtyrer sein — wenn auch die Lebensmisere, die er ja mit allen Sterblichen gemeinsam zu tragen hat, ihn verfolgt; gerade in seinem Schaffen ist ihm etwas gegeben, was ihn aus dem Zufall der Geschehnisse erhebt. Dadurch, dass ein Gott ihm gegeben, „zu sagen, was er leidet,“ aber auch zu sagen, wie er sich freut, zu offenbaren, was er schaut und hört, hat er schon seinen Lohn. — Durch die Gaben, die Gott oder die Natur ihm gegeben, wird er selber zum Gebenden.“ Aber freilich, so kann auch nur Einer sprechen, in dem die Harmonie des großen Weltganzen in reiner Wirksamkeit sich spiegelt, das Menschenideal Goethes sich wunderbar verwirklicht und alles Gegensätzliche bei dem gänzlichen Sichdurchdringen von Natur und Geist sich ausgleicht.

Seine erste Niederlassung begründete der Künstler in einem Hause der Lersnerstraße, von dem sich der Blick in den Holzhausenschen Park, die sogenannte „Oede“, eröffnete (siehe den Blick durchs Fenster S. 223). Im Jahre 1885 ward es ihm möglich, sich ein eignes kleines Haus in der Westlichen Wolfgangstraße (S. XXX) zu erwerben, dessen mit einem Efeu umwachsener Atelierraum wohl jedem, der dort geweilt hat, unvergeßlich bleiben wird. Hier sah man noch bis in den Anfang der neunziger Jahre in großen Regalen, ohne Rahmen wie Bücher aneinander gereiht, in unübersehbarer Zahl alle die Meisterwerke, die nun in öffentlichen und privaten Galerien aufgesucht sein wollen. Die entscheidende Wendung trat, nachdem Fritz Gurlitt (Bildnis S. 219) den vollständig misslungenen Versuch gemacht hatte, durch eine Ausstellung in Berlin das Verständnis zu wecken, im Mai 1890 ein, als sechsunddreißig Bilder im Kunstverein zu München ausgestellt wurden. Sie erregten das größte Aufsehen bei den Künstlern wie bei dem Publikum und fanden zum großen Teile Käufer. Das Auge für die Schönheit und Seele dieser Kunst war aufgegangen. Fortan erweiterte sich der kleine Kreis der Verehrer zu einem immer größeren. Zunächst und vor allem aber in Frankfurt selbst, wo noch heute die größte Anzahl seiner Werke im Privatbesitz zu finden ist.

Thomas Wohnhaus in Frankfurt

Teilansicht des Treppenhauses im Hause Ravenstein in Frankfurt a. M. mit den Nibelungenfresken Hans Thomas


Hier zogen nun auch öffentliche Wandgemälde, die bis dahin ganz unbeachtet geblieben, ja in einem Falle sogar verdeckt worden waren, die Aufmerksamkeit auf sich. Sie waren der Initiative des Architekten Simon Ravenstein verdankt worden. Dieser hatte schon 1882 im Treppenhause seines eignen Hauses fünf Fresken mit Darstellungen aus dem Ring des Nibelungen (S. 194 — 196) und im Eingangsraum über den Türen je eine aus Lohengrin, Tannhäuser und Parsifal von Thoma ausführen lassen (S. 196, 197). 1886 bat er ihn, indessen Steinhausen die Malereien an der Fassade zugewiesen erhielt, die zwei Hauptwände und die Decken, im Cafe Bauer mit Gemälden zu schmücken. An die ersteren kamen die figurenreichen Triumphzüge des Bacchus und des Gambrinus (S. 251 — 253), die aber, für anstößig befunden, durch andre Bilder dem Auge entzogen und erst 1900 wieder enthüllt wurden, in zwölf Abteilungen des Plafonds die entzückenden phantasievollen Monatsdarstellungen: die Tierzeichen in Schnörkeln nach Dürerscher Art und Putten, in zwei weitere die vier Winde, in das fünfzehnte das Glücksrad (S. 254— 257).

1887 folgten zwei Wandgemälde in dem Restaurant eines Hauses an der Ecke der Zeil und der Eschenheimer Straße: die Musikkapelle und die Familie auf der Terrasse (S. 267). Hier hatte Thoma als Mitarbeiter Albert Lang, der die andern Darstellungen schuf. An dem gleichen Hause außen, das daher den Namen Fratzeneck erhielt, bewährte sich unser Künstler, Böcklin nacheifernd, als Plastiker, indem er den Schlußsteinen die Form fratzenhafter, die Todsünden allegorisierender Köpfe verlieh (S. XXXIII).

Aufträge zu großen Wandgemälden, für die Thoma bei der klaren Bestimmtheit seiner Zeichnung und der Reinheit seiner Farben doch ganz besonders berufen erschien, sind ihm nur ganz ausnahmsweise zuteil geworden. So in den neunziger Jahren die Bilder für den Musiksaal des Prof. Pringsheim in München (S. 328—331). Man könnte es beklagen, wäre er nicht anderseits, wie kein zweiter, bestimmt gewesen, durch Staffeleibilder der intimen Häuslichkeit eine Auge und Phantasie beglückende Zierde zu geben — durch Bilder und in einer viel mehr sich verbreitenden Weise durch Steindrucke, auf die er seit 1892 einen großen Teil seiner künstlerischen Kraft verwendete und die, eine alte Technik in neuem Geiste verwertend, seiner Kunst die breitere volkstümliche Wirkung verschafften. Auch in diesen Arbeiten, zu denen, aber freilich in geringerer Zahl, Radierungen sich gesellten, pulsiert das frische Leben einer unerschöpfhchen Geberfreudigkeit. Zu allem, was er der Natur schon abgelauscht, kam beständig Neues. Wo immer er weilte, spendete ihm die Landschaft künstlerische Eindrücke. Jetzt war es der Taunus und die Mainebene. Aber doch nicht allein, denn das rastlose Frankfurter Arbeitsleben ward wiederhoh durch Reisen unterbrochen, von denen er, geistig erfrischt und angeregt, mit reicher Ausbeute heimkehrte.

Die erste fällt in das Jahr 1879 und führte ihn nach England, wo er nach einem Aufenthalt in London seinen Verehrer Minoprio in Liverpool besuchte. Erinnerungen an jene Tage sind in Bildern von der englischen Küste erhalten.

Ein Jahr später ging er zum zweiten Male nach Italien. Die Möglichkeit dieser „Geschäftsreise“ wurde einem Auftrage eben jenes Herrn Minoprio verdankt, der für sich und einige seiner Freunde etwa zehn italienische Ansichten aus den verschiedensten Gegenden bestellte. „Das erste Bild malte ich auch gleich in Frankfurt auf Rechnung der ersten italienischen Reise und fühlte mich schon dadurch etwas entlastet. — Diese zweite Reise war doch noch schöner für mich, denn ich konnte meine Frau mit mir nehmen und ihr alle die Herrlichkeiten zeigen. Im März reisten wir ab, über München, dann übernachteten wir in Bozen, wo wir mit dem Maler L. Eysen zusammenkamen — des andern Tages direkt nach Florenz. Da blieben wir aber nur acht Tage. Wie freute ich mich, die Florentiner Domkuppel wieder zu sehen! Ein Wiedersehen solcher Dinge ist fast eindringlicher als das erstmalige Sehen, das scheue Erstaunen fällt weg.“ Dann ging es direkt über Rom nach Neapel.

„Da ich diesmal bestimmte Aufträge auf Bilder, also einen Zweck bei dieser Reise hatte, so mußte ich zeichnen und malen und konnte nicht so gewaltsam, wie man es auf einer solchen Reise sonst tut, den Sehenswürdigkeiten nachlaufen. — Aber die Sehenswürdigkeiten kamen doch an mich heran — wie so vieles in der Welt, dem man nicht nachläuft. Ich setzte mich hin und zeichnete, das war gut, es kam dadurch eine schöne Ruhe und Behaglichkeit über mich — denn wenn man auch nur ein paar Striche zeichnet, so steht man den Dingen mit dem Gefühle einer Tätigkeit gleichsam berechtigter und beruhigter gegenüber. So kamen wir mit der Mappe unterm Arm in der Umgegend herum, in Pompeji, Pozzuoli u. s. w.“ Bald aber ließen sie sich in Sorrento nieder, wo fleißig gearbeitet ward.

Der zweite längere Aufenthalt wurde in Rom gemacht. „Wir nahmen eine Privatwohnung und zogen jeden Morgen froh hinaus — neue Schönheiten zu suchen. Bei schönem Wetter meist mit dem Zeichenapparate belastet in die Campagna nach Ponte Molle, Salara, Ponte Nomentano, Via Latina, Hain der Egeria. — Etwas zum Essen nahmen wir oft für alle Fälle mit oder aßen in einer abgelegenen Osteria. — Mit den Ziegenhirten verstanden wir uns sehr gut. — Die Ziegen sehen anders aus als die unsrigen; sie haben eine Art von ornamentaler Zierlichkeit. — In behaglicher Abendmüdigkeit kehrten wir dann in die Stadt zurück und stärkten uns in irgendeiner Restauration, oft mitten unter Italienern, denn wir hatten keine Zeit, deutsche Bekanntschaften zu machen; wenn wir dann in eine Art von Unterhaltung hineinkamen, so wunderten sich die Italiener nicht darüber, dass ich der Sprache nicht kundig sei — wohl aber waren sie verwundert, dass meine Frau die Sprache nicht könnte, denn sie sah aus wie eine Römerin.“

„Wir gingen auch nach Tivoli; ich hatte den Auftrag, dort die Wasserfälle zu malen. Dort nahmen wir viel Ärgernis an Tierquälereien, deren wir täglich Zeuge sein mußten — fast immer, wenn wir auf die Straße kamen, am Morgen schon, passierte eine solche immer ganz unnötige Roheit, und ich hatte oft zu wehren, dass meine Frau in der Lebhaftigkeit ihres Mitleides nicht tätlich dagegen einschritt. Wir flüchteten dann, und meist hatten wir unter den Olivenbäumen noch lange zu warten, bis die Stimmung wieder ins Gleichgewicht kam.“

Fratzen nach Entwürfen Hans Thomas am Hause zum Karlseck in Frankfurt a. M.

„Wie meine Mappen und Skizzenbücher sich füllten, so nahmen die Lire im Portemonnaie ab. Meine Aufträge lauteten auch noch auf die oberitalienischen Seen, und so kam die Notwendigkeit der Abreise aus dem römischen Gebiete. In Siena verweilten wir noch vierzehn Tage — ein alter Freund, Herr Huntziker, er ist nun auch schon tot, begleitete uns in der schönen Stadt und in den lieblichen Tälchen, die um Siena herumliegen. So ein kundiger Begleiter ist doch auch wieder etwas sehr Bequemes — freilich kam ich dadurch weniger zum Arbeiten als in Neapel und Rom. Aber der schon lange in Siena befindliche Freund beschäftigte sich mit Majolikamalerei, und er führte mich in eine primitive Töpferwerkstätte, wo noch in einfacher Art die alte italienische Majolika hergestellt wird — ich malte in der Geschwindigkeit auch ein paar Teller, die mehr oder weniger gut gerieten.“

„Am 24. Mai 1880 fuhren wir wieder nach Florenz; es lag Schnee auf den Bergen. — Ein paar Tage später fuhren wir nach Stresa am Lago-Maggiore — dort zeichnete ich die Isola Bella. — Wir machten an einem blauen Sonntagmorgen auch eine Kahnfahrt nach der schönen Insel unterwegs sahen wir auf den Wellen ein glänzendes Etwas treiben, die Ruderer fuhren nach ihm und fischten ein Blechkästlein heraus, das wir vorsichtig, begierig öffneten, da duftete uns ein Strauß der herrlichsten, frisch gepflückten Rosen entgegen, und da wir weit und breit kein Schiff sahen, so erklärte ich es als ein Geschenk des Sees, das er meiner Blumenmalerin gemacht habe. Nach den Herrlichkeiten der Isola Bella erfreuten wir uns noch sehr an der Isola dei Pescatori mit ihren kleinen Häuschen. Mitte Juni fuhren wir sodann direkt über den Gotthard nach Frankfurt, wo ich mich daran machte, die zwölf bestellten Bilder zu malen.“

Welche Rolle diese Reise in Thomas künstlerischer Tätigkeit spielt, wird wohl zuerst aus der vorliegenden Publikation ersichtlich: die italienische Landschaft gewinnt für ihn fast die gleiche Bedeutung wie die heimische, und sein deutsches Auge gewahrt und offenbart Schönheiten, die kein Maler bis dahin geschildert!

Zum dritten Male kam er 1886 nach Italien, diesmal von Adolf Hildebrand nach Florenz eingeladen. „Es war Aussicht vorhanden, dass ich in einem Florentiner Kreise Porträts zu malen bekomme. Das wäre mir damals recht lieb gewesen, und es wäre wohl auch gelungen, wenn ich mir in der Absicht, es klug anzufangen, die Sache nicht selber verdorben hätte. Ich nahm nämlich — in der Meinung, die Sache recht sicher zu machen, einige Porträtmuster mit, z. B. das Selbstporträt mit Frau (S. 264), welches sich jetzt in der Hamburger Kunsthalle befindet, dann ein Bild meiner Frau mit einem Kind in einem Bauerngärtchen (S. 233). Mein Freund freute sich freilich an meinen Mustern — aber die Porträtbesteller wurden durch dieselben gänzlich abgeschreckt, und da gerade eine Pastellengländerin eingetroffen war, unterlag ich der Konkurrenz, und sie pastellte den ganzen Kreis ab; — ich bekam keinen einzigen Auftrag auf Porträts.“

„Aber ich malte im Atelier meines Freundes einen Bogenschützen und andres, auch malte ich zwei ausgeführte Aquarelle, Ansicht von Florenz und Ansicht einer kleinen Villa. Dr. Konrad Fiedler war damals auch in Florenz, und da ist mir der Umgang mit diesem feinsinnigen Kunstfreund besonders lieb geworden — und die anregenden Unterhaltungen, die wir zu dritt in S. Francesco öfters führten, waren besonders, da sie in der Kunststadt Florenz stattfanden, auch von bleibendem Werte.“

Die zwei Bildnisse Hildebrands und Fiedlers (S. 221) lassen uns an diesem Dreiverein lebendig teilnehmen.

„Der Aufenthalt blieb diesmal auf Florenz beschränkt; ein schöner Ausflug nach Pisa zum Besuche seines Domes und seiner so wunderbaren, seltsamen Umgebung wurde unternommen; von Pisa sodann eine Fahrt an das Meer durch den herrlichen Pinienwald. Dort lachten und glänzten die Carraraberge wie in einem Silberschleier hinter dem dunklen Streifen der Meeresflut.“

Von Florenz kehrte Thoma direkt nach Frankfurt heim.

Des Dionysos Vortrab. Aus den „Federspielen“ von Hans Thoma und Henry Thode (Frankfurt a. M., Verlag von Heinrich Keller)

Von der vierten italienischen Reise, die im April 1892 (nicht 1893, wie es irrtümlich in den Erinnerungsblättern heißt) nach Venedig stattfand, hätten wohl auch die Freunde, die den geliebten Künstler und seine Frau dorthin gebeten, nämlich der Verfasser dieser Zeilen und seine Frau, manches Gute und Schöne dankbar zu erzählen, doch lasse ich auch hier Thoma das Wort:

„Mit diesen zusammen all die Schönheiten dieser einzigen Stadt genießen zu können, war nun gar schön, und wir eilten von Sammlung zu Sammlung, von Kirche zu Kirche, geführt von diesen kundigen Freunden, sogar der Baedeker verlor seinen Wert. So ein guter Freund hat dann selbst seine Freude an den steigenden Überraschungen, zu denen er einen führt — so z. B. führte mich der Freund in der Akademie, als ich schon fast müde zu werden anfing, zuletzt zu den kleinen Bildchen von Bellini, von denen er wußte, dass sie mir noch einen besonders intimen Eindruck machen würden, und er hat sich nicht getäuscht. — Die Sachen waren mir ganz neu, aber ich habe sie gut verstanden; — so gut, dass alle Müdigkeit weg war.“

Zierleiste Hans Thomas aus „Der Ring des Frangipani“ von Henry Thode

Vignette aus den „Federspielen“ von Hans Thoma und Henry Thode


„Wie schönfarbig, glatt und glänzend, wie in einer perlmutterfarbigen Riesenmuschel liegend, ist dann Venedig bei Sonnenschein. Das Schmuck- und Schatzkästchen S. Marco passt so gut hinein. Das farbige Dunkel in dem braungoldenen Räume ist einer der raffiniertesten Farbengegensatzgedanken, die es gibt — der beim Hereintreten aus dem Lichte des blauen Tages ebenso überrascht wie beim Heraustreten in die Luftfluten. — Großen Eindruck machten mir die antiken Löwen vor dem Arsenal, es ist wie gebändigtes Leben, das wieder zu erwachen scheint in diesen einfachen Steinkolossen; — das stammt doch aus einer andern Welt als die venezianischen Markuslöwen, die sich grimassenhaft eindringlich zu machen suchen.“ Von Venedig aus wurde gemeinsam Padua, der Giorgione in Castelfranco, die Villa Maser, Asolo, Bassano undVicenza besucht. Über Mailand, Lugano, Biasco, und im Wagen über den Gotthard kehrte Thoma heim. Damals entstand der Gedanke der „Federspiele“. Thoma sandte mir Zeichnungen, und ich beantwortete sie mit Versen. (Verlag von Heinrich Keller, Frankfurt a. M., I. Aufl. 1892, II. 1901.) S. Abb. S. XXXV, XXXVI, 518, 533. Die Zierleisten zu meinem „Ring des Frangipani“ wurden zwei Jahre später angefertigt. (Verlag Heinrich Keller, I. Aufl. 1905, IV. 1908.) (S. XXXVI, XLI, 521, 535.) Dann im Frühjahr 1897 besuchten sie uns in der Villa Cargnacco bei Gardone di sopra — diesmal begleitet von der Schwester Agathe und von Ella, einer Nichte der Frau Cella Thoma, die in der Wolfgangstraße ihre Heimat fand (Bildnisse S. 205, 219, 245, 370, 435).

„Die fünfte Reise erfolgte im Jahre 1897, nachdem meine Mutter am Vorabend ihres dreiundneunzigsten Geburtstages gestorben war. Es war die erste große Störung, welche der Schnitter Tod in unser stillruhiges Leben in der Frankfurter Wolfgangstraße gebracht hat. Die gute Mutter, die ja im Grunde daran schuld ist, dass ich Maler geworden bin, einige Herren Kritiker mögen ihr dies verzeihen, hat sich eigentlich im ganzen Leben nie von mir getrennt, und als ich schon lange einen grauen Bart hatte, war ich eigentlich immer noch ihr Bub, den sie mit ihrer ganzen Muttersorge umgab. — So etwas gibt einem doch ein Gefühl von Jungsein, das etwas ganz andres ist als ein gewaltsames Jungseinwollen. — Ich habe dies stark empfunden, denn als meine Mutter starb, hatte ich das erstemal das Gefühl, dass ich alt geworden sei.“

Vignette aus den „Federspielen“ von Hans Thoma und Henry Thode

„Gerne folgte ich der Einladung lieber Freunde, und die ganze Familie ging an den schönen Gardasee, — nach Gardone, wo mir in der Villa Cargnacco in der schönen Frühlingswelt neues Leben aufblühte, denn Gott sei Dank, der Frühling wiederholt sich auch gar oft im Menschenleben und über die Stürme hinaus, der die Blätter verweht — aus allem Dunkel heraus muß er immer wiederkehren — das ist ja Bedingung des Lebens.“

„Nach schweren Ereignissen findet gar oft eine ganz eigenartige Empfänglichkeit der Seele statt, und wir wurden dessen gewahr, als wir in der kleinen Bahn von Mori an den See hinüberfuhren. Das Landschaftsbild von den Höhen aus, wo der blaue See, von den steilen Höhen umgeben, sich hinausstreckt nach der Ebene hin, ist eine der großartigsten Landschaftsszenerien, die man sich denken kann, die ganze Schönheit der Erde scheint sich hier zu vereinigen — dazu der ganze Glanz der südlichen Sonne, die Abhänge mit Ölbäumen und ernst im Schnee der kalte Montebaldo.“

Hans Thoma mit seiner Mutter. Nach einer Phot., aufgenommen in Oberursel am 17. Juli 1894 von Sophie Küchler

„Am Gardasee zeichnete ich nun wieder viel nach der Natur, und eine ruhige Stimmung gewann die Oberhand. Wir gingen dann auch noch nach Venedig — besuchten das Armenierkloster, ein ganz zauberhaftes Ding in dieser Wasserflut. — Wir hielten uns in Padua auf, in Verona und Mailand. Dann über Basel zurück nach Frankfurt.“

Holland war das Ziel eines im nächsten Jahre unternommenen größeren Ausfluges. Von Scheveningen aus, wo er sich einige Sommerwochen aufhielt, besuchte Thoma den Haag, Haarlem und Amsterdam und mag vor den leidenschaftlich bewunderten Rembrandts wohl der einstigen Wanderungen durch die Münchner Pinakothek gedacht haben, auf denen er sich, um in Stille den großen Holländer verehren zu können, von Böcklin, der kein Verständnis für diesen hatte, entfernte. In eben jenen neunziger Jahren war es, dass Thoma, der zum ersten Male 1882 zu den Aufführungen des Parsifal in Bayreuth gewesen war, ein oft gesehener, teurer Gast im Festspielhaus und in Wahnfried ward. Auf dem tiefen Grunde gemeinsamer Anschauungen vom Wesen der Kunst näherte sich in verehrungsvoller inniger Freundschaft der Dichtermaler, dessen Schauenskraft in jenen Tiefen wurzelte, die wir nur mit dem Worte musikalisch bezeichnen können, der hohen Frau, die dort mit genialer Kraft des ihr hinterlassenen erhabenen Vermächtnisses waltete. (Bildnis S. 416.)

Im Jahre 1896 ließ er der szenischen Neugestaltung des Rings des Nibelungen seine Mitarbeiterschaft angedeihen, indem er in Skizzen, die in Wahnfried aufbewahrt werden (Beispiel S. XXXVIII), die Kostüme für den „Ring des Nibelungen“ entwarf. (Herausgegeben von H. Thode. Leipzig, Breitkopf & Härtel 1897.)

Die von Jahr zu Jahr wachsende Anerkennung und Bewunderung, die dem Künstler zuteil wurde, gewann in verschiedenartigen Erscheinungen ihren Ausdruck. Öffentliche Sammlungen erwarben Werke von ihm, eine große Ausstellung derselben ward im Sommer 1895 vom Kunstverein in Heidelberg veranstaltet, die Münchener Akademie der Künste ernannte ihn zu ihrem Ehrenmitglied. Sein sechzigster Geburtstag ward 1899 in Frankfurt mit einer festlichen Veranstaltung und einer wiederum sehr umfänglichen Ausstellung gefeiert, wie deren nunmehr in den verschiedensten Städten stattfanden. 1898 erhielt er den Titel, eines königlich preußischen Professors. Schon seit Jahren daran gewöhnt, die Sommermonate in einem der Taunusorte, vornehmlich in Oberursel, zu verbringen, erwarb er 1899 ein Grundstück in Cronberg und baute sich dort ein Häuschen, als ihn sein Großherzog Friedrich von Baden zum Direktor der Kunsthalle in Karlsruhe ernannte und ihm ein Meisteratelier an der Kunstakademie zuwies. Der Abschied von der langjährigen Heimat war ein schwerer — dennoch folgte er freudig dem Gefühle der Pflicht und der Dankbarkeit gegen den Fürsten, der einst dem Knaben geholfen hatte, sich der Kunst zu widmen. Und es ging damit eine Prophezeiung, die ihm 1859 „von einem sehr alten Manne“ gemacht worden war, in Erfüllung!

„Froh.“ Hellgrünes Gewand. Aus Hans Thomas Kostümentwürfen zu Richard Wagners Ring des Nibelungen

Trotz aller neuen Berufspflichten hat auch in Karlsruhe der Meister mit jugendlicher Kraft der Phantasie bis auf den heutigen Tag in immer neuen Werken sich ausgesprochen, deren Stil zu einer stetig wachsenden nun wieder vielfach nicht gewürdigten — Vereinfachung in souveräner Beherrschung aller Ausdrucksmittel sich erhob. Der Umgang mit jugendlichen, sich an ihn anschließenden Malern erfreute ihn, aber er blieb seiner alten Gewohnheit stiller emsiger Arbeit und zurückgezogenen Lebens treu, bei dem ihn die dankbar empfundene herzliche Teilnahme seines Fürstenpaares (Bildnis des Großherzogs S. 437), des Prinzen Max von Baden, des Präsidenten von Nicolai (Bildnis der Frau Nicolai S. 478), und mancher neu gegewonnener Verehrer seiner Kunst begleitete. Und drängt sich nun von allen Seiten aus ganz Deutschland die Welt mit ihren lauten Bezeugungen von Bewunderung und auch von Liebe zu dem berühmten Meister, und schenkt er auch den Wünschen und Fragen ein stets freundlich mildes Gehör, ja vermeidet er das Zusammentreffen mit weiteren Kreisen, wie vornehmlich bei den Versammlungen der rheinischen Kunstfreunde, nicht, so ist sein Leben doch ein einsames. Im Jahre 1901 wurde ihm seine geliebte Frau durch den Tod entrissen — was er mit ihr verlor, das wissen die Leser seiner Erinnerungsblätter „Im Herbste des Lebens“ aus mancher schwermütigen Zeile.

Eben diese leicht plaudernden und dabei doch immer in die Tiefe dringenden Aufsätze, die, auf den Wunsch der Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften, insonderheit der „Süddeutschen Monatshefte“ geschrieben, in einem Buche gesammelt Weihnachten 1908 erschienen und dem kleinen Töchterchen der mit Friedrich Blaue verheirateten Ella gewidmet wurden, haben, indem sie den Menschen in der schlichten Tiefe und reinen Harmonie seines Wesens kennen und lieben lehrten, das Verständnis auch für seine Kunst gefördert wie nichts andres. Wie in sein Leben, eröffneten sie den Einblick auch in seine Anschauungen von Kunst, Religion und Menschheit.

Die wachsende Anerkennung, deren er sich in diesem letzten Jahrzehnt zu erfreuen hatte, fand ihren öffentlichen Ausdruck in drei Ehrungen: in der Zuerkennung der Doktorwürde durch die philosophische Fakultät der Heidelberger Universität im Jahr 1903, in der Verleihung des Maximiliansordens (1904) und in seiner durch den Großherzog vollzogenen Ernennung zum Mitglied der Ersten Badischen Kammer, in welcher er bislang dreimal das Wort ausführlicher ergriffen hat: zur Abwehr des Unsittlichen in fälschlich so genannter Kunst, in dem Eintreten für den Schutz des Waldes und der Vögel, und zugunsten der Erhaltung des Ottheinrichbaues zu Heidelberg in nicht restauriertem Zustande und der Rettung von Naturschönheiten, welche durch Nutzensinteressen bedroht sind. (Alle drei Reden in den Erinnerungsblättern.)

Walküren. Nach einer Lithographie Hans Thomas (1898)

Von drei größeren Reisen, 1904 in die Schweiz, im Frühling 1905 wiederum an den Gardasee und im Sommer in das Engadin, trug namentlich die erstere in den großen Alpenbildern, die in Wengen und Luzern angeregt wurden, künstlerische Früchte bedeutendster Art. Immer, so gern er auch manche sich ihm nun bietende Gelegenheit, auch für das Kunstgewerbe sich zu betätigen, benutzte: so durch Entwürfe für die Stuhlschnitzereien der Holzindustrie in Bernau und für die von Prof. Wilhelm Süs ins Leben gerufene und ausgezeichnet geleitete Großherzogliche Majolikamanufaktur in Karlsruhe, mit der er sich selbst auch beschäftigte — immer blieb seine Kraft in ungeminderter Lebendigkeit der Malerei gewidmet, ja sie erhob sich zu der Verwirklichung eines seit alten Zeiten gehegten Planes: der Schöpfung eines Zyklus großer religiöser Darstellungen. Als monumentale Vorboten desselben entstanden 1902 die beiden großen Wandbilder für die Peterskirche in Heidelberg (S. 438 u. 439), 1905 gewannen die Gedanken eine bestimmtere Form. Sein fürstlicher Gönner eröffnete ihm die Aussicht eines mit jenem Zyklus zu schmückenden besonderen Baues, und in den folgenden Jahren wurde Bild auf Bild geschaffen. In dem Augenblick, da diese Publikation erscheinen wird, soll das der Karlsruher Kunsthalle angegliederte Thomamuseum, auch in seinem ornamentalen Schmuck von Majoliken, Glasfenstern und Holzschnitzereien nach Entwürfen des Künstlers ausgestattet, eröffnet und in dem Hauptsaale die in ihrer Art unvergleichliche Gabe des Meisters, in der sein ganzes bisheriges Schaffen gipfelt, dem Auge und dem Herzen seines Volkes zugänglich gemacht werden (S. 484-513).

Der Wanderer. Nach einer Lithographie Hans Thomas (1909)

Zierleiste Hans Thomas aus „Der Ring des Frangipani“ von Henry Thode



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hans Thoma (1839-1924)
Thomas Wohnhaus in Frankfurt

Thomas Wohnhaus in Frankfurt

Teilansicht des Treppenhauses im Hause Ravenstein in Frankfurt a. M. mit den Nibelungenfresken H. Thomas

Teilansicht des Treppenhauses im Hause Ravenstein in Frankfurt a. M. mit den Nibelungenfresken H. Thomas

Fratzen nach Entwürfen Hans Thomas am Hause zum Karlseck in Frankfurt a. M.

Fratzen nach Entwürfen Hans Thomas am Hause zum Karlseck in Frankfurt a. M.

Zierleiste Hans Thomas aus

Zierleiste Hans Thomas aus "Der Ring des Frangipani" von Henry Thode

Vignette aus den

Vignette aus den "Federspielen" von Hans Thoma und Henry Thode

Vignette aus den

Vignette aus den "Federspielen" von Hans Thoma und Henry Thode

Hans Thoma. Federwerk

Hans Thoma. Federwerk

Hans Thoma mit seiner Mutter 1894

Hans Thoma mit seiner Mutter 1894

Walküren. Nach einer Lithographie Hans Thomas (1898)

Walküren. Nach einer Lithographie Hans Thomas (1898)

Der Wanderer. H. Thomas (1909)

Der Wanderer. H. Thomas (1909)

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