Erste Fortsetzung

In dem Nachlass von Leopold Zunz hat sich noch eine Reihe von Briefen Herzfelds aus jener Zeit vorgefunden, aus welchen das innige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler deutlich hervorgeht. Zunz nimmt herzlichen Anteil an der wissenschaftlichen Entwicklung seines hoffnungsvollen Jüngers; er gibt ihm bereitwillige Auskunft auf alle wissenschaftlichen Fragen. Er empfiehlt ihn auch gelegentlich für einen erledigten Rabbinatssitz. Und in jedem dieser Briefe findet sich noch eine Nachschrift an die „liebe Frau Doktorin“, d. i. an Adelheid Zunz, die geistvolle, hochstrebende Gattin des gefeierten Mannes. Ihr vertraut Herzfeld alle seine großen und kleinen Sorgen an und sie scheint in der Tat eine wahrhaft mütterliche Teilnahme für ihn zu empfinden.*)

*) Es sei mir gestattet, an dieser Stelle dem wohllöbl. Kuratorium der Zunz Stiftung zu Berlin für die gütige Bereitwilligkeit zu danken, mit der mir dasselbe die Durchsicht und Benutzung der Briefe Herzfelds für diesen Zweck gestattet hat.


Geradezu rührend ist der erste dieser Briefe an Frau Adelheid, denn er berichtet schon von getäuschten Hoffnungen und von Blütenträumen , die nicht reiften, aber er zeigt uns auch die Tiefe des Gemüts, die Stärke des Charakters und die Reinheit der Intentionen Herzfelds. Es hatte sich ihm die Aussicht eröffnet, auf ein Jahr nach Italien gehen zu können, das auch das Land seiner Sehnsucht war. Mit dieser Hoffnung kam er nach Braunschweig. Dort fand er aber seinen teuren Lehrer, den Rabbiner Eger, in einer traurigen Lage vor: der würdige Greis war fast erblindet und konnte den Pflichten seines Amtes nicht mehr genügen. Er bat seinen Schüler, in der Heimat zu bleiben und ihn zu vertreten. Und dieser zögert nicht einen Augenblick, dem Rufe des Lehrers zu folgen. Mit Wehmut begräbt er die schönen Hoffnungen, die großen Pläne, und wirkt sechs Jahre lang als Adjunkt seines greisen Lehrers mit unermüdlichem Eifer und mit einer Uneigennützigkeit, die heute wie ein Märchen erscheinen würde, und die nur durch Herzfelds, an die Art der alten Weisen erinnernde Bedürfnislosigkeit erklärt wird. Nur in den Briefen an die mütterliche Freundin spricht sich die Wehmut über die getäuschten Hoffnungen aus.

Herzfelds Briefe aus jener Zeit sind überhaupt menschliche Dokumente von einem weit über das Persönliche hinaus gehenden Interesse, und ich kann es mir nicht versagen, wenigstens einen aus dieser Periode, der mir für die Charakteristik des Mannes wie der Zeit gleich wertvoll erscheint, hier einzuschalten. Auch dieser Brief spricht ja von getäuschten Hoffnungen. Herzfeld hatte sich nämlich im Jahre 1834 um eine Preisarbeit der Berliner Universität beworben und — war abgewiesen worden. Darauf bezieht sich der folgende Brief.

Berlin, 6. November 1834.

. . . . . . . . . . . . . . . Welche Hoffnung mir fehlgeschlagen sei, fragen Sie so teilnehmend. Es kann sein, dass Sie den Kopf schütteln, wenn Sie das Folgende lesen, aber ich kenne Ihren richtigen Takt und darum schreibe ich offen. Jährlich wird von den Direktoren der hiesigen Universität eine Preisaufgabe gestellt, die mit einem versiegelten Briefchen, worin der Name des Verfassers steht, abgegeben, beurteilt und danach mit dem Preise gekrönt oder mit dem unerbrochenen Briefchen zurückgegeben wird. Die Aufgabe war theologisch; ich bearbeitete sie und — einmal lassen Sie mich gegen die Bescheidenheit fehlen — ich als eigener Richter sage: die Arbeit war gut; aber — es tut mir weh, hier ein Wort sagen zu müssen, das vielleicht in Ihre weiche fromme Seele schneidet; doch Gott weiß es, ich bin auch weich und fromm — ich sprach aus Überzeugung, wider eine dogmatische Satzung; ich griff, behutsam aber kühn, eine Meinung an, deren Angriff vor dreihundert Jahren unfehlbar auf den Scheiterhaufen geführt hätte — kurz ich fiel durch! Jetzt hatte ich ein halbes Jahr angestrengt gearbeitet, hatte meine Behauptung mit Beweisen aus hundert Büchern unterstützt und — oh, es schmerzt! — ein heuchlerischer Ignorant trug den Sieg davon! Tadeln Sie mich nicht, ich wollte wahrlich den Preis nicht, versuchen wollte ich bloß, ob ich Geschick hätte, für ein Häufchen Unglücklicher, Vaterlandsloser, denen das Schwert entwunden ist, einmal die Feder zu führen! Und mein erstes Wort hat solches Schicksal!! Drum war ich so mutlos, als ich vor Ihnen mir eine Klage erlaubt. Aber es ist dem nicht mehr so, es sollte ja nur eine Probe sein, und was ich prüfen sollte, fiel dennoch, fast unbewusst, zu meiner Zufriedenheit aus. Vor fünf Wochen erschien im Druck eine Rezension meiner namenlosen Arbeit, der pharisäische Christ sagt dem unbekannten Juden, „dass man seiner Schrift eine lichtvolle Anordnung, einen fließenden Stil nicht absprechen könne, dass sie Spuren nicht kleinen Scharfsinnes enthalte; aber“ — merken Sie auf — „der Verfasser sei so unverschämt, eine Erzählung der Bibel fabelhaft zu nennen; er habe auch keine Kenntnis der hebräischen Sprache.“ Das ist eine Lüge. 24 Jahr bin ich alt, aber zwanzig Jahre schon lerne ich die Sprache des Alten Testaments und — soll einmal gesprochen werden — was Kenntnis der hebräischen Sprache betrifft, so nehme ich es mit den hiesigen Professoren allesamt auf. Die Rezension ist noch nicht zu Ende, aber ich dürfte bitter werden gegen den dummen Stolz christlicher Professoren, die doch so unchristlich sind und darum höre ich auf. Also Ordnung, Stil, Scharfsinn will mein Gegner mir lassen, aber unverschämt bin ich? Nun gut, meine Probe ist gemacht, das zugestandene Lob aus der Feder eines fanatischen Gegners steht mir dafür, dass ich zu seiner Zeit einmal schreiben darf für meine Brüder, und ob ich unverschämt bin, darüber urteilen Sie! Als Motto habe ich auf das Schriftchen gesetzt die Worte, welche Goethe den Tasso sagen lässt: „Geendet habe ich mein Gedicht, es fehlt noch viel, dass ich es auch vollendet.“ Auch dieses Motto hat man begeifert — unbegreiflich! Ach, ich könnte wirklich über die heutige Unduldsamkeit Bogen füllen, doch Sie verständen mich nicht, denn Ihre Seele würde den boshaften Schlichen der Berliner Moralprediger nicht zu folgen vermögen. Werden Sie nur Ihrem jüdischen Freunde nicht abhold.“

Dieses Schreiben war an eine christliche Persönlichkeit gerichtet. Der Preisrichter und der Kritiker der Herzfeld'schen Arbeit waren eine Person — nämlich der bekannte zelotische Professor Hengstenberg in Berlin!

Aber das Schicksal seines ersten Wortes hat Herzfeld nicht entmutigt. Ja, man kann wohl sagen, dass in diesem Schreiben sein ganzes ferneres Leben, seine religiöse und wissenschaftliche Richtung vorgezeichnet liegen. Die sechs Jahre, welche Herzfeld in Braunschweig als Adjunkt seines Lehrers zubrachte, waren für ihn eine Zeit der Reife und der Sammlung für seinen Beruf.

Nach dem Hinscheiden Egers am 3. Dezember 1842 wurde er als dessen Nachfolger zum herzoglich Braunschweigischen Landesrabbiner ernannt. In dieser Stellung blieb Herzfeld bis zu seinem Tode am 11. März 1884. Was er in dieser Zeit geschaffen und erreicht, was er als Rabbiner wie als Forscher geleistet, davon soll auf den folgenden Blättern die Rede sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Handelsgeschichte der Juden des Altertums