Schlusswort

Auch wer von Scheits weiter nichts kennen gelernt hat als die Abbildungen in dieser Einzelschrift, wird den Eindruck einer seltenen Ursprünglichkeit und einer üppigen Gestaltungskraft erhalten.

Die Selbständigkeit und Vielseitigkeit eines Künstlers, der, wie Scheits, von außen kommend Anschluss an die holländische Kunst suchte, dürfen als ganz persönliche Züge gelten. Bei keiner der anderen Begabungen, die aus dem Reich stammten, finden sich diese Eigenschaften so stark entwickelt, wie bei unserm alten Scheits. Alle andern suchten ihr Heil in einem mehr oder weniger begrenzten Spezialistentum, wurden holländische Stilllebenmaler, Schlachtenmaler, Tiermaler, Bildnismaler. Neben Scheits scheint unter den deutschen Schülern der Niederländer nur sein Hamburger Landsmann und Zeitgenosse Jurian Jacobs ein weiteres Gebiet bebaut zu haben. Aber als Illustrator, Zeichner und Radierer kennen wir auch ihn nicht.


Ein anderer Zug, der Scheits von Jacobs und von allen deutschen Malern seiner Zeit unter scheidet, ist das besonders stark entwickelte Heimatgefühl, das sein Schaffen geradezu beherrscht. Alle andern sind durch den Anschluss an die Niederländer ihrem Heimatboden entrückt worden. Er allein hat mit den Augen, die in Holland große Kunst kennen und verstehen gelernt hatten, die Eigenart des Lebens und der Landschaft seiner Heimat entdeckt und seine eigene Kunst darauf gebaut.

Und diese Kunst steht an Tiefe der Empfindung, an Reichtum und Größe der Anschauung hoch über allem, was die gleichzeitige Malerei in Deutschland sonst vermochte. Wäre Scheits Holländer, so würden ihn Radierungen, wie „die wandernden Musikanten" (S. 59), Handzeichnungen, wie die Szene vor dem Stalle (S. 39), Gemälde, wie das „Vogelnest“ und die Gesellschaftsstücke in die unmittelbare Nähe seiner großen Vorbilder Rembrandt, Frans Hals und Wouwerman rücken.

Dass diese Eigenschaften nicht nur dem Geschichtsforscher erkennbar sind, sondern heute noch unmittelbar auf jedes unbefangene Gemüt wirken, ist ein großer Gewinn für uns Hamburger, denn das macht uns aus Matthias Scheits einen Freund und Hausgenossen, der uns so nahe steht wie irgend einer unserer Zeitgenossen. Wir haben nichts Geschichtliches zu überwinden, wenn wir an ihn herantreten wollen und können ihm unmittelbar in sein tiefes und schalkhaftes Auge sehen. So wird er künftig im Hamburger Hause den heranwachsenden Geschlechtern mit die ersten künstlerischen Anschauungen des Lebens gewähren, und sie werden es gar nicht merken, dass er nicht ihre eigene Zeit gesehen, sondern Menschen und Zustände vor Augen gehabt hat, die durch viele Menschengeschlechter von uns getrennt sind.

Manchem wird dabei aus der eigenen Anschauung die Erkenntnis von der Wesensgleichheit aller Zeiten erwachsen.

Diese Unsterblichkeit dankt Matthias Scheits nicht nur seiner Begabung, sondern auch seinem Herzen. Er würde nicht so bedeutend und selbständig geworden sein, wenn er nicht in seinem Heimatboden die höchste Lebenskraft gefunden hätte.

Deshalb musste neben Meister Francke und neben Julius Oldach auch Matthias Scheits die Reihe der Einzelschriften über hamburgische Künstler eröffnen. In ihrem Geschick prägen sich die drei Entwicklungsmöglichkeiten aus, die es für die künstlerischen Begabungen bei uns gegeben hat. Meister Francke schuf zu einer Zeit, wo fremde Einflüsse die künstlerische Eigenart der Rasse nicht trübten. Frei und ohne Hemmung konnte er seine Kraft entfalten. Matthias Scheits wurde durch den Anschluss an die stammverwandte und im innersten Lebenskern unakademische Kunst der Holländer unter Hals und Rembrandt in keinerlei fremde Schablone gezwängt und konnte sogar die Gefahr, die in der akademischen Aufgabe der Bibelillustration lag, ohne Schaden für sein künstlerisches Wesen überwinden.

Julius Oldach gehörte dagegen in die Reihe der im neunzehnten Jahrhundert so häufigen Begabungen, die durch das auf dem Studium alter und fremder Kunst ruhende akademische Wesen aus ihrer Bahn geschleudert werden. Wir sehen ihn im Kampfe mit diesen vernichtenden Gewalten den Sieg erringen durch den bewussten Anschluss an seine Heimat und ihre künstlerische Überlieferung.

So bilden diese drei Meister in ihren wiedergewonnenen Werken für uns eine dauernde Mahnung an die Bedingungen, unter denen allein das Beste in uns gedeihen kann: Selbstbesinnung, Selbstbeschränkung, Hingabe an die Heimat und Abwehr des Akademismus, in welcher Gestalt er unsere Entwickelung bedrohen möge.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Künstler - Matthias Scheits