Matthias Scheits (1630-1700)

Vor einem Jahrzehnt war der bedeutendste und vielseitigste hamburgische Künstler des siebzehnten Jahrhunderts, und wohl zugleich der bedeutendste deutsche Maler seiner Zeit, in seiner Vaterstadt nur — oder kaum noch — durch ein großes Illustrationswerk bekannt, die sogenannte Lüneburger oder Sternsche Bibel.

Aus diesen biblischen Bildern, die nach Zeichnungen des Meisters von deutschen und holländischen Kupferstechern vervielfältigt waren, hatte ich die Vorstellung gewonnen, dass es sich bei Scheits um einen sehr geschickten Akademiker handle, der durch eine staunenswerte Beweglichkeit jeden Augenblick in der Lage war, Erinnerungen aus Dürer, Lionardo, Raffael, Rubens und Rembrandt neu zu formen oder zu verschmelzen.


Das war immerhin eine ansehnliche Leistung, und seine Bibel hatte ja in der Tat im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert über den ganzen Norden eine Volkstümlichkeit besessen, deren Dauer von keiner der Bibelillustrationen des achtzehnten oder neunzehnten Jahrhunderts erreicht war. Aber besondere Anziehungskraft üben Akademiker irgend welcher Art auf unser Gemüt nicht aus, und so erwartete ich von den Bildern des Künstlers nicht viel.

Eine Überraschung boten dagegen einige Handzeichnungen und Radierungen im Kupferstichkabinett, wo sie, kaum je zur Hand genommen, zum alten Bestände der Harzenschen Sammlung gehörten. Es waren lauter Bilder aus dem Volksleben, frisch, kräftig, bei aller Verwandtschaft mit Ostade und Rembrandt doch durchaus persönlich.

Wie reimten sich diese höchst anziehenden Blätter voll Keckheit und Humor mit dem Akademiker, der die Bibel illustriert hatte?

Ein Anhalt fand sich in der literarischen Überlieferung, die sich auf die eine Quelle des holländischen Künstlerbiographen Houbraken zurückführen Hess. Es wird berichtet, Scheits habe als Schüler von Ph. Wouwerman begonnen, habe sodann in der Art des David Teniers Bauernbilder gemalt und sich schließlich auf die Historienmalerei geworfen. Gemeint waren damit die Illustrationen der Sternschen Bibel.

Ein Bild von Scheits war 1888, als die Sammlung zur Geschichte der Malerei in Hamburg gegründet wurde, bei uns nicht bekannt, und es Hess sich auch kaum erwarten, dass sich die Lücke in unserer Sammlung so bald schließen würde.

Zum Glück hat sich dieses Misstrauen als völlig unbegründet erwiesen. Die Galerie besitzt heute mehr als ein Dutzend zweifelloser Gemälde seiner Hand.

Wir verdanken dies im wesentlichen Wilhelm Bode, der sich mit den Bildern des Meisters schon längere Zeit beschäftigt hatte und uns seine Erfahrungen in liebenswürdigster Weise zur Verfügung stellte.

In den Sammlungen Schubart, Thieme und auf Schloss Langenstein wies er uns 1888 eine Reihe seiner Bilder nach, Gesellschaftsstücke und Bauernbilder. Durch Bodes Vermittlung gelang es, diese Bilder für Hamburg im Auftrage von Kunstfreunden zu erwerben.

Bei einem späteren Besuch der Hamburger Sammlungen erkannte Bode in einem bis dahin rätselhaften Bilde der Johannes Amsinck-Stiftung, den Kindern mit dem Vogelnest, die Hand unseres Meisters.

Unterdes hatte ich Gelegenheit gehabt, den Meister in Sammlungen zu Braunschweig, Kassel und Schwerin zu verfolgen, fand in Hamburg noch drei Bilder von ihm, die jetzt ebenfalls der Kunsthalle gehören, und durch einen glücklichen Zufall Hess sich auf verschiedenen Auktionen eine große Zahl Handzeichnungen erwerben. Schließlich kamen die Bilder von Scheits aus den Galerien zu Kassel — auch hier mit besonderer Unterstützung Bodes — und Schwerin in den Besitz der Kunsthalle.

Das Bild, das unsere Sammlungen jetzt von diesem Meister bieten, hat Züge erhalten, die von meiner ersten Vermutung durchaus abweichen. Der Akademiker, der die Bibelbilder gezeichnet hat, tritt ganz zurück. An seiner Stelle erhebt sich im Vordergrunde der Schilderer des gesamten hamburgischen Lebens seiner Zeit. Wir haben aus keiner Periode unserer heimischen Entwickelung einen Künstler aufzuweisen, der wie Scheits sowohl die Formen der vornehmen Geselligkeit, die Wildheit der Kriegszeiten, das Leben auf der Landstrasse, das der Hirten und Bauern, kurz also den gesamten Inhalt des täglichen Lebens seines Zeitalters dargestellt hätte. Und da unter seinen Bildern und Zeichnungen auch biblische, mythologische und allegorische Stoffe nicht fehlen, und da er schließlich auch als Bildnismaler und, wenn man will, als Karikaturenzeichner tätig war, so haben wir in Scheits eine der seltenen Erscheinungen, die den gesamten stofflichen Inhalt der Kunst ihrer Zeit umspannen.

Nun kommt hinzu, dass er obendrein die seltene Gabe des selbständigen Humors besitzt, als Techniker sich, wenn er will, zu sehr hohem Range erhebt und zu den begabtesten Koloristen unserer deutschen Kunst gehört.

Das alles kann nur auf dem Boden einer selbständigen und eigenartigen Persönlichkeit gewachsen sein. Leider können wir sie nur ahnen oder durch Schlüsse erreichen.

Als ich Bode im Herbst 1899 mitteilte, dass ich das Ergebnis meiner Beschäftigung mit den Werken des Meisters, die sich in unserem Besitz befinden, für die Hamburger Kunstfreunde zusammengefasst hätte, sprach er mir seine Zustimmung aus und machte mir über das persönliche Verhältnis, das er zu unserem alten Hamburger Meister gewonnen hatte, einige Mitteilungen, die ich hier anzuführen mir nicht versagen möchte:

„Ich bin unter den Werken des Künstlers sozusagen aufgewachsen. Die drei Bilder bei meinem Onkel und Schwiegervater auf Langenstein und die Braunschweiger Bilder haben mich schon als Jungen beschäftigt, und meine ersten Studien in holländischer Quellengeschichte habe ich in Matthias Scheits' Exemplar des K. van Mander mit seinen interessanten, handschriftlichen Notizen gemacht. Es wurde mir später daher leicht, ihn unter allen möglichen Benennungen: von Rembrandt bis zu Wouwerman, Velasquez und Watteau herauszuerkennen und mir seine eigentümliche Stellung innerhalb der hamburgischen und der niederdeutschen Malerei klar zu machen.“

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Im siebzehnten Jahrhundert hatte der Maler bei uns in Hamburg noch nicht das Ansehen, das er heute beansprucht. Er gehörte äußerlich dem Handwerkerstande an, war Mitglied des Maleramts und allen den strengen Gesetzen dieser Genossenschaft unterworfen. Fremde Künstler, die aus Holland, wo es schon einen freien Künstlerstand gab, zu uns oder nach Lübeck kamen, wurden vom Maleramt eifersüchtig bewacht und sofort verklagt, wenn sie eines Übergriffs verdächtig schienen. Die häufigen Streitigkeiten pflegten damit zu endigen, dass der Fremde sich unterwarf und ins Maleramt eintrat. So ist es bei uns einem der bedeutendsten unserer Bildnismaler des siebzehnten Jahrhunderts, Joachim Luhn, gegangen. Äußerlich hielten sich die Zustände bis in unser Jahrhundert. Noch Georg Haeselich, der Landschafter, trat ins Maleramt ein.

Erst im achtzehnten Jahrhundert begann sich der Künstlerstand in Deutschland endgültig vom Handwerkerstand zu scheiden. Dies geschah vor allem durch die Gründung der Akademien und durch die Einordnung der Künstler unter die Hof- und Staatsbeamten. Es ist bekannt, dass dieser neue Zustand von den Malerämtern nicht ohne Widerstand gutgeheißen wurde, und dass es an vielen Orten heftige Kämpfe gesetzt hat, ehe die Amtsmaler sich darein ergaben, als Handwerker dazustehen.

Bei solcher Berührung mit dem Handwerkerstande ist es begreiflich, dass der Maler als Mensch im siebzehnten Jahrhundert bei uns noch nicht beachtet wurde. Über den Staatsmann, den Dichter, und namentlich über den Prediger, der damals bei uns zweifellos die wichtigste Rolle im öffentlichen Leben spielte, sind uns Aufzeichnungen von Zeitgenossen erhalten. Niemand dachte daran, der kommenden Zeit Nachrichten über die Maler zu hinterlassen. Der erste hamburgische Künstler, von dessen Wesen und Leben wir uns ein Bild machen können, gehört dem achtzehnten Jahrhundert an, und es ist ein Mann, dessen europäischer Ruf auf Hamburg zurückstrahlte. Es ist Balthasar Denner.

Von Matthias Scheits, den wir immerhin als einen der bedeutendsten Männer seiner Zeit betrachten dürfen, haben uns diese keinerlei Nachrichten hinterlassen. Was wir über ihn wissen, stammt aus der holländischen Quelle von Houbrakens Sammlung von Künstlerbiographien, und aus einer Eintragung von der Hand des Künstlers.

Was die Künstlerlexika des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts an biographischen Stoff bieten, geht auf Houbraken zurück. Ludwig Eckard, der Verfasser des ersten hamburgischen Künstlerlexikons, fügt 1789 einige Bemerkungen aus eigener Beobachtung hinzu.

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In der großen „Schouburgh“ berichtet Houbraken nebenbei, dass ihm Voorbout (ein holländischer Maler, um 1672 vorübergehend in Hamburg) erzählt hätte, er habe in Hamburg einen gewissen Bellevois gekannt, einen tüchtigen Seemaler. Außerdem sei er mit Matthias Scheits bekannt gewesen. Dieser sei von Geburt Hamburger, doch habe er zu Haarlem bei Philips Wouwerman seine Kunst gelernt. Einige Jahre hätte er in dessen Art gearbeitet. Dann habe er nach dem Vorbild des David Teniers Bauernstücke gemalt und sei schließlich zur Historienmalerei übergegangen. Wie weit er es auf diesem Gebiet gebracht, gehe aus den Illustrationen zum alten und neuen Testament hervor, die unter seinem Namen erschienen seien.

Diese beiläufige Nachricht Houbrakens enthält kein einziges Datum. Nur das geht daraus hervor, dass sie niedergeschrieben wurde, als die Lüneburger Bibel schon erschienen war, also nach 1672. Aber dieses Datum ist ohnehin bekannt. Dass er in den Niederlanden gewesen, beweisen seine Werke. Es bleibt also nur die eine Angabe, dass er ein Schüler Philips Wouwerman in Haarlem gewesen sei, und der unbestimmte Hinweis auf eine selbständige Entwickelung auf Hamburger Boden bis zum Jahre 1672. Aus seinen Bildern, Zeichnungen und Radierungen geht hervor, dass die Zeit, die uns am meisten interessiert, erst nach Vollendung des Bibelwerks anbrach, also der Beobachtung Voorbouts, der Hamburg schon um 1675 wieder verließ, sich entzog.

Für das Geburts- und Todesjahr des Künstlers gibt es mithin keine alte Angabe. Über seine Persönlichkeit erfahren wir in der kurzen Biographie keinen einzigen Zug. Wir würden nichts von ihm wissen, als was seine Werke aussagen, wenn nicht eine eigenhändige Eintragung des Künstlers in ein ihm gehöriges Buch sein geistiges Antlitz blitzartig erhellte. Bode berichtet darüber in seiner Studie über Frans Hals (1871):

„In einem Exemplar von van Manders „Schilderboeck“, welches ich auf der Auktion Weigel für mich erwerben ließ, findet sich am Schlusse ein kurzer handschriftlicher Nachtrag aus dem Jahre 1679, welcher mit dem Monogramme M. S. unterzeichnet ist. Dieselbe Bezeichnung nebst der Jahreszahl 1662, die wohl die Zeit der Erwerbung angibt, findet sich auch in dem Eingange desselben. Eine Beischrift von einer Hand des vorigen Jahrhunderts sagt: „Dieser M. S. ist sehr wahrscheinlich Matthias Scheits.“ Und in der Tat bestätigt sich jene Vermutung nicht nur aus dem Monogramme, welches genau mit den Bezeichnungen übereinstimmt, die sich auf den seltenen Bildern und auf den Radierungen jenes Hamburger Malers finden; sie erhält ihre innere Begründung aus dem Manuskript selbst. Dasselbe enthält nämlich Notizen über die Koryphäen der niederländischen Malerei nach Manders Zeit: über Rubens und Jordaens, über Rembrandt und Hals. Dass nun diesen Meistern als fünfter gerade noch Philip Wouwerman angereiht wird, dass über ihn und speziell über einen Aufenthalt desselben in Hamburg die detaillierteste Auskunft gegeben wird, werden wir von dem Hamburger Matthias Scheits erklärlich finden, der ein Schüler von Wouwerman war.

Die Nachrichten, welche das Manuskript enthält, sind freilich nur kurz und geben — ausgenommen für Philip Wouwerman — kaum etwas Neues; aber schon die Bestätigung der neuesten Forschungen durch das Zeugnis eines Zeitgenossen, schien mir die Publikation zu rechtfertigen, zumal, da er seine Angaben aus eigener Bekanntschaft mit den Künstlern selbst schöpft. Dieser Umstand erhöht auch den Wert seiner Urteile über die Person und die Kunst der Meister.

Die kurze Notiz über Rubens, welchen Scheits in seinem „Memorial“ voranstellt, ist ganz unbedeutend und um so weniger von Interesse, da Scheits (der um das Jahr 1640 zu Hamburg geboren wurde) mit demselben nicht mehr in persönlichem Verkehr gestanden haben kann.

Das Manuskript fährt danach wörtlich fort: „noch Eenige uytnemende Meesters deser Konst die ick M. S. gekent hebbe ende al verby sein, sein dese volgende: Jacob Jordaens is een Discipel geweest van Adam van Ohrt. Anno 1669 vont ick hem noch rustich schildern, doen ick t'Antwerpen wesende hem besocht. ick bevont hem seer frindelik ende beleeft, want hey my in sein Huys overal voerde ende al sein Kunst (des hei seer veel, so van sein eigen als ander, hadde) toonde. hei is gestorven Anno 1677 in de 80 Jahren out.

Rembrant, toe genamt van den Rein om dat hei in een Plaets aen den Ryn gelegen gebohren was, hadde geleert by Pitter Lastman. sein vader was een Molenar. hei hielt sein Wohning t' Amsterdam, wass achtbaer ende groht van aensien door sein Konst geworden, het welck doch in't lest mit hem wat verminderde. hey starf Anno 1669, in de Maent September.

Den Treffeliken Conterfeiter Frans Hals van Harlem heeft geleert by Carel Vermander van Molebeke. hei is in sein Jeugt wat lüstich van leven geweest, doen by out wass ende met sein Schildern (het welck nu nit meer wass als weleer) nit meer de Kost verdinen kon, heeft hey eenige Jaren tot dat hey starff, van de Ed: Ovricheit van Haerlem seker gelt tot sein onderhouding gehat, om de deugt seinder Konst. hei is omtrent Anno 65 off 1666 gesturven, ende na myn gissen wel 90 Jaren off niet veel minder out geworden.

Den geestigen Schilder Philip Wouwerman van Harlem, wiens Vader een schlecht Schilder was, qwam noch Jonck wesende vroeg tot vermaertheit. hei vreite tegen sein vaders wil, trock darom mit sein Breüt, die Paps van Relige wass, te Scheep naer Hamburg, alwaer sich dit Paer van een Papisten Paep trauen liet. daer schilderde hei noch enige weken by den konstreiken Evert Decker en keerden daer naer weder tot Harlem, alwaer hei al sein teit gewoont heeft, ende met sein Konst wel gevaren iss. hei soude naulicks 19 Jaeren out geweest sein doen hey Trouden, is gestorven Anno 1668 out omtrent 49 off 50 Jaeren. dit geschreven Anno 1679 den 23. Jüny. M. S.“

In deutscher Übersetzung: „Einige vorzügliche Meister dieser Kunst, die ich M. S. gekannt habe, und die jetzt schon tot sind, sind noch die folgenden: Jacob Jordaens ist ein Schüler von Adam van Ohrt gewesen. Im Jahre 1669 fand ich ihn noch rüstig malend, als ich bei meinem Aufenthalte zu Antwerpen ihn besuchte. Ich fand in ihm einen sehr freundlichen und höflichen Mann, indem er mich in seinem ganzen Hause umherführte und mir alle seine Kunstschätze zeigte (deren er in großer Menge, von seiner Hand wie von anderen Meistern, besaß). Er ist 1677, in die achtziger Jahre alt, gestorben.

Rembrandt, mit dem Beinamen van den Rein, weil er in einem Orte am Rhein geboren wurde, hatte bei Pitter Lastman gelernt. Sein Vater war ein Müller. Er hatte seinen Aufenthalt zu Amsterdam, war geachtet und zu großem Ansehen gekommen durch seine Kunst, welche jedoch schließlich weniger beliebt war. Er starb im Jahre 1669, im Monat September.

Der treffliche Bildnismaler Frans Hals von Haarlem hatte bei Carel Vermander aus Molebeke gelernt. Er hat in seiner Jugend ein etwas lustiges Leben geführt; als er alt war und mit seinem Malen, welches jetzt nicht mehr so (gut) war als früher, nicht mehr den Lebensunterhalt verdienen konnte, hat er einige Jahre bis zu seinem Tode von dem Magistrat der Stadt Haarlem eine feste Geldsumme zu seinem Unterhalt bekommen zum Lohn für die Meisterschaft seiner Kunst. Er starb um das Jahr 65 oder 1666, nach meiner Vermutung etwa 90 Jahre alt oder doch nicht viel weniger.

Der geistreiche Maler Philip Wouwerman von Haarlem, dessen Vater ein geringer Maler war, gelangte schon in früher Jugend zu großem Ruf. Er liebte gegen seines Vaters Willen, zog deshalb mit seiner Braut, die katholischer Religion war, zu Schiff nach Hamburg, wo sich dies Paar durch einen katholischen Priester trauen Hess. Dort malte er noch einige Wochen lang bei dem kunstreichen Evert Decker und kehrte darauf nach Haarlem zurück, wo er fortan stets gewohnt hat und mit seiner Kunst viel Glück machte. Er soll gerade 19 Jahre alt gewesen sein, als er heiratete; er ist gestorben im Jahre 1668, ungefähr 49 — 50 Jahre alt.

Geschrieben am 23. Juni 1679. M. S.“

Diese Angaben, die wohl nur aus dem Gedächtnis gemacht sind, enthalten freilich einige Ungenauigkeiten. Zunächst starb Jordaens nicht 1677, sondern erst 1678 am 18. Oktober im Alter von 85 Jahren; mit dem Ausdruck „in de 80 Jaeren out“ hat Scheits wohl sagen wollen, dass Jordaens „hoch in den Achtzigern“ starb. Die Zeit von Rembrandts Tode, welche so lange streitig gewesen ist, ist dagegen mit dem September 1669 fast ganz genau angegeben; seine Bestattung fand bekanntlich nach Scheltemas Entdeckung am 8. Oktober 1669 statt.

Die Angaben über Frans Hals und Philip Wouwerman bestätigen und vervollständigen in höchst interessanter Weise die neuesten Forschungen van der Willigens. Das Alter von Hals gibt Scheits mit 90 Jahren nach der gewöhnlichen Annahme, wonach derselbe im Jahre 1584 geboren sein soll, freilich um 8 Jahre zu hoch an; aber dieses Datum ist urkundlich noch nicht festgestellt. Mit Sicherheit lässt sich nur angeben, dass Hals nach 1579 geboren ist, in welchem Jahre seine Eltern nach Antwerpen übersiedelten. Todesjahr und Alter von Philip Wouwerman gibt Scheits richtig an; der Meister hatte eben das 49. Jahr vollendet, als er 1668 starb.

Die Notizen über die Heirat und über die Religion seiner Frau erklären es, weshalb van der Willigen bisher vergeblich in den Kirchenbüchern Haarlems nach Notizen über die Trauung und über die Taufen der Kinder geforscht hat; solche Register existierten für die katholische Kirche zu Haarlem nicht.

Am interessantesten sind wohl die kurzen Bemerkungen über die Persönlichkeit und die künstlerische Bedeutung der Meister, da sie von einem gleichzeitigen Künstler herrühren, welcher mit ihnen in persönliche Berührung gekommen war. Wenn wir von Rembrandt erfahren, dass er „wass achtbaer ende groht van aensien door sein Konst“, so bestätigt diese kurze Notiz die Vermutungen und Behauptungen, welche die neuesten Forscher, wie namentlich Vosmaer, über die Stellung Rembrandts als Künstler und als Mensch aufgestellt haben. Wenn Scheits uns weiter mitteilt, dass Rembrandts Kunst in der späteren Zeit aus der Mode gekommen sei, oder dass die Kunst des Frans Hals mit zunehmendem Alter abgenommen habe, so wird uns das bestätigt, was ich speziell für Hals anzuführen versucht habe, dass nämlich die veränderte Zeitströmung, die immer stärkere Betonung des Kleinen, ja des Kleinlichen in der Kunst das Verständnis jener großen Meister, deren Stil gerade mit zunehmendem Alter immer größer wurde, mehr und mehr verdunkelte. Nicht in einem Mangel an schöpferischer Kraft oder in Altersschwäche der Künstler, sondern in der Verbildung des Geschmackes im Publikum haben wir den Grund dafür zu suchen, dass die Zahl der Werke von Rembrandt wie von Hals aus dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens nur eine verhältnismäßig geringe ist.

Schließlich möchte ich noch mit einem Worte auf die Auswahl der Künstler, die Scheits für sein „Memorial“ getroffen hat, aufmerksam machen. Abgesehen von seinem eigenen Lehrer Philip Wouwerman wählt er sich aus der Menge der niederländischen Künstler des siebzehnten Jahrhunderts Rubens und Jordaens, Rembrandt und Hals — also gerade die Meister, welche erst jetzt wieder als die Altmeister der flämischen und der holländischen Malerei anerkannt werden, während kein anderes altes Zeugnis sie so klar und ausschließlich als die Spitzen jener beiden Schulen bezeichnet.“ —

Dies Bodes Bericht.

Leider ist dies Blatt verloren gegangen. Bode hatte es auf Bitten des holländischen Forschers A. van der Willigen aus dem Bande gelöst und ihm nach Haarlem gesandt. Als der bejahrte Forscher bald darauf starb, ist es mit seinem Nachlass versteigert worden.

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Der Überlieferung nach — es ist freilich eher eine spätere Schätzung zu nennen — soll Matthias Scheits um 1640 in Hamburg geboren und gegen 1700 in seiner Vaterstadt gestorben sein. Das Todesjahr mag ungefähr stimmen, aber das Geburtsjahr dürfte viel zu spät angesetzt sein. Wir sind auf die Prüfung seiner Werke angewiesen, um zu einer genauem Schätzung zu kommen.

Daten finden sich fast nur auf seinen Handzeichnungen und Radierungen.

Die Handzeichnungen tragen Jahreszahlen zwischen 1669 und 1683. Diese Handzeichnungen sind keine Naturstudien, sondern fertige Kompositionen, denen man sofort ansieht, dass sie für die Sammler oder als Vorlagen für Kupferstecher entstanden sind. Man wird an die zahllosen Federzeichnungen Hermann Kauffmanns erinnert. Solche Handzeichnungen konnten im Werke des Künstlers wohl erst auftreten, als er einen Namen erworben hatte, der sie dem Sammler begehrenswert machte. Sie gehören mithin schwerlich in eine frühe Entwickelungszeit.

Aus seinen Werken lassen sich noch einige weitere Anhaltspunkte gewinnen.

Im Jahre 1672 erschien im Sternschen Verlag in Lüneburg die berühmte Scheitssche Bibel, bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein eine der volkstümlichsten Bibelausgaben. Eine große Zahl namhafter holländischer und süddeutscher Stecher hatten seine zum Teil nur skizzenhaften Entwürfe mit gleichmäßiger Sorgfalt in Kupferstich ausgeführt. Der Auftrag muss also schon in den sechziger Jahren erteilt worden sein, was wiederum bezeugt, dass Matthias Scheits sich schon damals eines bedeutenden Rufes und großen Zutrauens erfreute. Bald nach 1672 richtete er einen Verlag für die nach seinen Zeichnungen hergestellten Radierungen ein. Auf dem Blatte von der Bäuerin mit dem Kruge steht zu lesen: Matthias Scheits inventor et excudit.

Bei diesen Radierungen tritt ein anderes Moment auf, das sie ebenfalls in ein vorgerückteres Alter des Künstlers verschiebt. Sein Sohn Andreas Scheits hat eine Anzahl davon nach seinen Zeichnungen geätzt. Soweit sie datiert sind, tragen sie die Jahreszahlen 1677 und 1678. Die undeutliche Jahreszahl auf dem „schlafenden Schäfer“, die N agier als 1657 liest, ist ebenfalls 1677. In diesen Jahren muss Andreas Scheits, der sich als Radierer sehr geschickt zeigt, wohl als mindestens zwanzigjährig angenommen werden. Ist er der älteste Sohn (es wird auch ein Heinrich Scheits genannt), so würde Matthias Scheits um die Mitte der fünfziger Jahre geheiratet haben. Da wir aus seiner sehr genauen Kenntnis der niederländischen Kunst — nicht nur der holländischen — anzunehmen berechtigt sind, dass er sich längere Zeit in Holland aufgehalten hat, so würde sein Geburtsjahr auf spätestens 1630, vielleicht noch in die zwanziger Jahre zurückzusetzen sein. Er hatte lange genug in Holland gelebt, um sich die Sprache auch für den schriftlichen Ausdruck zu eigen zu machen.

Die Daten auf seinen Zeichnungen und Radierungen liegen meistens zwischen 1672 und 1683. Das ist das Jahrzehnt nach der Vollendung der Lüneburger Bibel. Aus früherer Zeit besitzen wir nur die eine (eigenhändige) Radierung von 1660 und das Bildnis des Lubienitz von 1664. Die Datierung auf dem Ölgemälde mit dem trinkenden Elieser (1659) erscheint verdächtig.

In seiner Heimat war um 1890 Matthias Scheits seit mehr als einem Menschenalter so gut wie vergessen. Ältere Kunstfreunde, wie Hauptmann Gaedechens, wussten aus der Tradition, dass zur Zeit der großen Auktionen, also bis in die sechziger Jahre, seine Bilder gelegentlich vorgekommen und sehr geschätzt gewesen seien. Der Kunsthandel hatte sie mit dem übrigen alten Kunstbesitz aus Hamburg entführt. Wo sie außerhalb der von Bode beobachteten Sammlungen vorkamen, führten sie meist holländische Namen, wie etwa den des Benjamin Cuyp. Unter dieser Bezeichnung fand ich im Kunsthandel den Christus am Brunnen, und nach der Reinigung stellte sich heraus, dass das Monogramm des Scheits noch deutlich sichtbar war. Eins der Gesellschaftsstücke ging unter dem Namen Watteaus. Für das Gewerbemuseum war ein Hamburger Kachelofen des achtzehnten Jahrhunderts erworben, dessen Bilderschmuck Justus Brinckmann auf die Originale in der Lüneburger Bibel von Scheits zurückführen konnte.

Außer den mehr als zwölf sicheren Bildern, die jetzt zum Bestände unserer Galerie gehören, finden sich Gemälde von Scheits in Göttingen, Schleissheim und in Braunschweig. Die große Hirschjagd in der Galerie zu Pommersfelden, von der unser Künstlerlexikon berichtet, ist dort nach Auskunft der Verwaltung nicht mehr nachweisbar.

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Werden alle die zerstreut liegenden festen Punkte durch eine den Körper umschreibende Linie verbunden, so ergibt sich etwa folgender Umriss.

Matthias Scheits dürfte vor oder um 1630 in Hamburg geboren sein. In den vierziger Jahren — spätestens wohl um 1650 — wandte er sich zum Studium nach Holland, wo er in die Werkstatt des Philips Wouwerman in Haarlem eintrat. Dass er sich gerade zu Wouwerman wandte, mag einer persönlichen Neigung entsprungen sein. Doch darf daran erinnert werden, dass Philips Wouwerman als Neunzehnjähriger um 1638 nach Hamburg kam. Er war mit einer Haarlemerin katholischer Religion zu Schiff hierher geflüchtet, um sich hier — oder in Altona — trauen zu lassen.

Wouwermans Einfluss lässt sich in der Technik der Gesellschaftsbilder bei Scheits noch durchfühlen. In den Handzeichnungen blieb ihm als Erbstück seines ersten Lehrers vielleicht die dauernde Vorliebe für das Pferd und das mangelnde Interesse für das Rind. In den übrigen Stoffen klingt bei ihm nur selten ein Thema des Lehrers an.

Dagegen offenbaren die Bilder des Künstlers, dass er Frans Hals und Rembrandt auf sich wirken Hess und mit Ostade und den Schlachtenmalern genau bekannt war. Auch den etwa gleichaltrigen oder etwas älteren Jan Steen dürfte er gekannt haben. Dass Teniers ihn beeinflusst hat, sagt schon Houbraken.

Aus seinen Aufzeichnungen, die Bode der Nachwelt gerettet hat, geht hervor, dass er mit überraschender Klarheit die führenden Geister der holländischen und flämischen Kunst seines Zeitalters erkannt und hervorgehoben hat. Dies setzt nicht nur eine sehr innige Vertrautheit mit der gesamten Kunst seiner Zeit voraus, sondern einen sehr starken und unabhängigen Geist, denn der Besitz einer so außerordentlich seltenen Urteilskraft — nach Bode ist er der einzige Zeitgenosse der großen Meister, der das Urteil des neunzehnten Jahrhunderts in allem wesentlichen vorweg genommen hat — weist auf ungewöhnliche Eigenschaften des Verstandes und des Charakters hin, Unabhängigkeit, Stärke der Empfindung, klaren Verstand.

Für den Gang seiner Entwicklung in Hamburg gibt es wenig Anhaltspunkte. Houbrakens Angaben brechen bei der Erscheinung der Sternschen Bibel 1672 ab. Nach dem Bildnis von Lubienitz ist er spätestens 1664 wieder in Hamburg nachweisbar. 1669 hat er dann nach seiner Eintragung in das Schilderboeck Antwerpen besucht, also wohl auch Amsterdam und Haarlem.

Die Ölgemälde in unserer Sammlung sind nicht datiert, aber in Bezug auf die Farbe wie in den Verhältnissen und der Anordnung bilden sie zwei deutlich verschiedene Gruppen, die der Bauernbilder, die ich für die früheren halte, und die der Gesellschaftsszenen im Freien, die ich um das Jahr 1680 ansetzen möchte. Die Gründe werden bei der Besprechung der Bauernbilder dargelegt. Die biblischen Bilder stehen den Bauernbildern am nächsten.

Ist diese Verteilung richtig, so hat Matthias Scheits sich in Hamburg selbständig entwickelt. Von der Derbheit und koloristischen Stumpfheit der Bauernbilder ist er fortgeschritten zu einer in unserer Kunst sehr seltenen Vornehmheit und Eleganz und einer Feinheit, einem Reichtum, einem Schmelz der Farbe, die in der deutschen Malerei nicht häufig vorkommen.

Doch muss diese Entwickelung auf heimischem Boden vorläufig nur als eine Annahme betrachtet werden, die die Wahrscheinlichkeit für sich hat.

Nur das ist sicher, dass er sich nach der Rückkehr ganz und gar auf den Boden der Heimat gestellt und sich dem genius loci mit solcher Entschiedenheit angeschlossen hat, dass er bei seinen Radierungen und Handzeichnungen die Unterschriften nicht in der damals für den schriftlichen Gebrauch schon allgemein üblichen hochdeutschen Sprache, sondern in einem sehr kräftigen und schalkhaften Plattdeutsch abgefasst hat.

In seinen Bildern, Zeichnungen und Radierungen erkennen wir eine kräftig zupackende, originelle, von keinerlei Akademismus geknickte Natur, einen genialen Beobachter, eine sehr bedeutende formale Begabung. Wir können verfolgen, dass diese seltenen natürlichen Eigenschaften nicht verkümmern durch die mitten in die Entwickelung fallende gewaltige Aufgabe akademischen Charakters, die ihn mindestens einige Jahre lang ausschließlich in Anspruch genommen haben muss, die Bewältigung der Illustrationen der Sternschen Bibel. Nach Erledigung dieses Auftrags sehen wir ihn sich vielmehr erst ganz frei und unakademisch im Studium und der Darstellung des gesamten Volkslebens entfalten. Dass er dabei seine holländischen Meister, die er so hochschätzt, nicht als Plagiator ausnutzt, muss ihm als guter Punkt für seinen Charakter angerechnet werden. Denn er hätte es leicht gehabt, bei uns mit fremder Kalbe zu pflügen.

Aus seinen Werken und seinen Aufzeichnungen, nicht zum wenigsten aus der literarischen Qualität und dem Humor der doch wohl von ihm selber herrührenden plattdeutschen Beischriften der Zeichnungen und Radierungen, dürfen wir auf einen prächtigen Menschen schließen, der, gesund, vergnügt, unabhängig, in Gesinnung und Tat ein echter und tüchtiger Niedersachse gewesen ist. Er wird nun nicht wieder vergessen werden.

Hamburg wird sich seiner künstlerischen und menschlichen Persönlichkeit, soweit sie bisher bekannt geworden, mit Stolz erinnern und mit Spannung den Entdeckungen entgegensehen, die uns künftig noch mehr von seinem Wesen erschließen werden.

Wir haben mehr als andere Städte Ursache, bewusst das Andenken der bedeutenden und fruchtbaren Menschen zu pflegen, die uns das Geschick beschieden hat, und die durch unsere größten Untugenden, die Undankbarkeit und Gleichgültigkeit, der Vergessenheit anheim gefallen sind. Unsere Geschichte ist alt und schicksalsreich, wer aber weiß noch von den Männern, die ihren Inhalt bestimmt haben? Wo wird dafür gearbeitet, dass ihr Andenken lebendig bleibt? Das gilt nicht für die Kunst allein. Wie in der Kunst, sind wir auch auf allen anderen Gebieten dahin gekommen, uns selber zu misstrauen und mit Achselzucken von unserer Geschichte zu sprechen, weil wir nichts mehr von ihr wissen.

Eine Stadt, die ihre Geschichte vergisst, verdient es nicht, Geschichte zu erleben. Geschichte, die das Leben befruchtet, ist aber nicht eine Zahlentabelle mit angehängtem Verzeichnis der Ereignisse, sondern die Anschauung der wirkenden Kräfte, die von den Schicksalsmenschen ausgehen.

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Wären die Gemälde des Künstlers datiert, und könnten wir seine Entwickelung erkennen, so würde es sich von selbst verstehen, die einzelnen Werke an ihrem Ort bei der Übersicht seiner Entwickelung einzufügen. Aber das ist noch nicht möglich.

Es soll deshalb der Versuch gemacht werden, die Arbeiten nach den technischen und stofflichen Gruppen zu betrachten. Dies lässt sich auch dadurch rechtfertigen, dass die Gemälde, Handzeichnungen, Radierungen und Illustrationen auch in ihren Stoffen merklich verschiedene Gruppen bilden. Sodann aber dürfte es für den Besucher der Galerie und des Kupferstichkabinetts, der sich auf eine selbständige Aneignungsarbeit vorbereiten will, sehr viel bequemer sein, von Gruppe zu Gruppe fortzuschreiten.

So werden wir nun seine besonderen Fähigkeiten bei der Betrachtung der einzelnen Gruppen und Werke zu erkennen suchen.

Doch haben wir vorher zwei allgemeine Vorfragen zu erledigen, wie weit er nachweisbar hamburgisches Leben dargestellt hat und welche Stellung er zum Problem der Farbe einnahm.

Dass der Künstler wirklich seine Heimat studiert hat, dürfte aus den Szenen von der Straße und aus dem Bauernleben unwiderleglich hervorgehen. Auf den Bauernbildern kehrt ein Kostüm überall wieder, das mir von niederländischen Bildern nicht erinnerlich, das aber auf Hamburger Bildern aus Scheits' Umgebung vorkommt, der „Falkenbeize“ von Weier zum Beispiel, und bei den Bauern unserer Umgegend in den letzten Spuren heute noch nachweisbar ist: Die Männer pflegen zwei Beinkleider übereinander zu tragen, das obere aus leichtem Stoffe zum Schutz, wie die Schürze beim Kleid der Frau. Im übrigen ist die Tracht der Bauern altertümlicher als in den Niederlanden um dieselbe Zeit. Die älteren Männer tragen nach 1670 noch die getollte Halskrause. Auch dass der Vollbart noch nicht abgelegt ist, dürfte in den Niederlanden um dieselbe Zeit nicht mehr vorkommen. Ebenso ist die ländliche Architektur durchaus nicht niederländisch. Eine Szene vor dem Haustor auf der großen Diele, wie sie Scheits in einer Radierung schildert, hat durchaus hamburgischen Charakter. Unserer Gegend gehören auch die Typen der Bauernstühle und der Eimer und Trachten an, und nicht zum wenigsten der Menschen. Wer unsere Bauern kennt, wird die Typen der Mädchen und Burschen unserer Geest- und Marschdörfer bei Scheits sehr deutlich charakterisiert finden. In seinen Bauern ist nichts holländisches.

Diese Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass Scheits auch in seinen Gesellschaftsbildern sich an die Heimat gehalten habe. Unmittelbare Vorbilder dafür sind mir aus der holländischen oder flämischen Kunst nicht bekannt. Dagegen weisen allerlei Züge bestimmt auf den Zustand der Hamburger Gesellschaft jener Zeit, vor allem die Vorliebe für die Musik.

Auf allen seinen Gesellschaftsbildern wird Musik gemacht.

Bekanntlich war gerade die Zeit um 1680 eine Keimperiode nationaler Musik in Hamburg, wo die deutsche Oper, das erste von Bürgern und für Bürger bestimmte Opernhaus in Deutschland — und wohl überhaupt diesseits der Alpen — 1676 erbaut war.

Auch die Farbe weist bei den Gesellschaftsbildern von Scheits auf eine Umwelt, die außerhalb des engeren holländischen Kreises lag.

Wenn die Datierung seiner Bilder, wie sie mir erscheint, richtig ist, beginnt er in seinen Bauernbildern und den ebenfalls vor 1670 liegenden biblischen Gemälden ohne Abneigung gegen das Blau. Dann folgt eine Zeit, in der er diese in der koloristischen Bewegung der letzten drei Jahrhunderte ausschlaggebende Farbe gänzlich verschmäht, sogar alle verwandten kalten Töne des Grün.

Das „Duett“, der „Spaziergang“, das „Vogelnest“ würden diese Phase bezeichnen. Schließlich hat er dann in „Wein, Weib und Gesang“ sich dem Blau wieder bis zur Verwendung kalter Grün genähert.

Solche koloristische Wandlungen, die sich stets wiederholen — auch wir sind gerade von einem Zeitalter der Vorherrschaft warmer Farben unter Makart in die der kalten übergetreten — , gehen meist von einzelnen Künstlern oder Künstlergruppen aus, in denen sich zuerst die Empfindung für das Gegenteil des geltenden Geschmacks regt. Die Mode passt sehr scharf auf und folgt rasch.

Dieser Vorgang lässt sich bei Scheits sehr deutlich auf dem großen Gesellschaftsbilde „Wein, Weib und Gesang“ beobachten.

Die ältere Generation ist beim Schwarz stehen geblieben, das um die Mitte des Jahrhunderts selbst die Frauentracht beherrscht hatte. Bei der mittleren erscheinen schüchtern in dem Schwarz einige Töne und Farben. So trägt der Mann mit dem Federhut alles schwarz, nur die Strümpfe sind silbergrau und werden durch ein fleischfarbenes Knieband festgehalten.

Die jungen Leute aber haben das Schwarz vollkommen abgestreift, sie tragen Gelb, Rot und Grün, nur noch kein Blau.

Das ist die Unterlage der koloristischen Zeitstimmung, die Scheits vorfand.

Seine persönlichen Eigenschaften und Taten sind die Qualität der Farben und Töne, ihre Zusammenstellung als Nachbarn und ihre Einfügung in den Gesamteindruck des Bildes.

Auf allen diesen drei Gebieten ist er Meister. Er gehört zu unseren begabtesten Augen und hat sich offenbar eine sehr gediegene Erziehung gegeben. Wer sich einmal seine perligen Grau, seine emailartigen Grün, sein zartes Maulwurfschwarz und seine Mausfarben, seine Pfirsichfarben und seine Rostbraun, Altgold und Gelb genau angesehen hat, wird die Eigenart des Meisters überall wiedererkennen.

Was überlegene natürliche Begabung und erworbener Geschmack bedeuten, lässt sich ermessen, wenn man von einem der Gesellschaftsbilder von Scheits unvermittelt zu einem Bilde eines minder begabten und minder kultivierten Zeitgenossen übergeht, der „Falkenjagd“ von Weier in unserer Galerie.

Im einzelnen wird bei den Ölgemälden auf die koloristische Leistung zurückzukommen sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Künstler - Matthias Scheits
031 Matthias Scheits - Der blinde Bettler 1680

031 Matthias Scheits - Der blinde Bettler 1680

035 Matthias Scheits - Der Scherenschleifer

035 Matthias Scheits - Der Scherenschleifer

039 Matthias Scheits - Vor dem Stall 1671

039 Matthias Scheits - Vor dem Stall 1671

041 Matthias Scheits - Der Allverfechter 1683

041 Matthias Scheits - Der Allverfechter 1683

045 Matthias Scheits - Der Gernegroß 1683

045 Matthias Scheits - Der Gernegroß 1683

047 Matthias Scheits - Der Satyr bei den Bauern

047 Matthias Scheits - Der Satyr bei den Bauern

051 Matthias Scheits - Entwurf für ein Deckenbild 1673

051 Matthias Scheits - Entwurf für ein Deckenbild 1673

053 Matthias Scheits - Der Brillenhändler

053 Matthias Scheits - Der Brillenhändler

057 Matthias Scheits - Vor dem Scheunentor 1676

057 Matthias Scheits - Vor dem Scheunentor 1676

059 Matthias Scheits - Wandernde Musikanten 1672

059 Matthias Scheits - Wandernde Musikanten 1672

061 Matthias Scheits - Der Blinde 1672

061 Matthias Scheits - Der Blinde 1672

063 Matthias Scheits - Die Widerspenstige 1676

063 Matthias Scheits - Die Widerspenstige 1676

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