Handzeichnungen

Von keinem älteren Hamburger Künstler gibt es so viele Handzeichnungen wie von Scheits. Im letzten Jahrzehnt konnte die Kunsthalle eine große Anzahl erwerben, und in auswärtigen Sammlungen finden sich überall Ergänzungen.

Der Technik nach zerfallen sie in zwei Gruppen. Die einen sind ausgeführte reine Federzeichnungen meist auf grauem Papier. Sie tragen die Jahreszahlen: 1669 — 1683. Die anderen sind Umrissskizzen, mit der Feder hingeworfen und leicht mit Tusche weiter ausgeführt.


Naturstudien kommen darunter nicht vor. Es scheinen lauter Skizzen zu Bildern zu sein. Doch darf man sie als solche nicht auffassen, dazu ist ihre Zahl zu groß. Matthias Scheits muss mit einem Stamm von Sammlern haben rechnen können, die auf seine Handzeichnungen fahndeten, genau wie zweihundert Jahre später Hermann Kauffmann.

Aus dem Leben der Gesellschaft besitzt die Kunsthalle ein Blatt, das unsere Bilder sehr erfreulich ergänzt (Seite 15). Es trägt die Jahreszahl 1673. Die Szene ist wieder der Rand eines Waldes. Im geschlossenen Wagen, der im Hintergrund wartet, ist die Gesellschaft hinausgefahren. Vorn führt ein Jüngling in wallender Perücke, den Hut unter dem Arm, mit eleganter Bewegung eine junge Dame über die Waldwiese. Sie trägt in der Hand, die das Obergewand aufrafft, den Fächer. Neben ihnen streichelt ein Page einen Windhund. Weiter hinten sitzt unter den Bäumen ein Alter, der sich auf einen Stab stützt, eine Frau erhebt die Hand, um Blätter zu pflücken, ein Kind, das sich zwischen die Knie des Alten drängt, blickt fragend zu ihm auf.

Verwandt ist „Der Halt vor dem Wirtshaus“. Ein Herr in einer Art Uniform trinkt einer Gruppe von Reitern zu. Der Kellner entfernt sich mit dem Weinkrug, der dicke Wirt steht, die Hände auf die Hüften gestellt, unter dem Regendach der Tür. Über ihm hängt das Wirtshausschild mit der Brille. Ein Krüppel schleicht heran, demütig den Hut ziehend, von einem bellenden Hunde angefahren. Vorm Tor in der Mauer weiter hinten steht der Posten, ein Soldat macht es sich auf der Bank bequem, durch das Tor sieht man auf die Zugbrücke. Die Pferde der vornehmen Herren tragen den Schwanenhalstypus, der damals der edelste war. In den Satteltaschen stecken Pistolen (S. 19).

Man brauchte sie auf Reisen so nötig, wie heute den Regenschirm. Wie es auf der Landstraße damals zuging, schildert Scheits auf einem Blatt von 1675. Drei Räuber überfallen in einsamer Gegend einen Leiterwagen. Der vorderste fasst dem Leitpferd in die Zügel. Einer tauscht mit den entsetzten Insassen Begrüßungsschüsse aus, ein anderer sprengt den Weg herauf (S. 27). Dem Leben der Gesellschaft gehören auch noch Schilderungen einer Hetzjagd an — der vorn der Meute voraufsprengende Reiter trägt den Speer in der Rechten — und eine Art Reitschule mit der zierlichen Gruppe eines Pagen, der ein Pferd hält.

Sehr häufig sind Bilder aus dem Straßenleben. Ein Reiter lässt sich vor dem Dorfwirtshaus einen Trunk aufs Pferd reichen. Ein Scherenschleifer (S. 35) fährt rufend vorüber, ein Blinder, vom Hund geführt, sucht tastend seinen Weg (S. 31), während seine Frau, ein kleines Kind auf dem Rücken, das Almosen empfängt. Aus einer kleinen Stadt kehren die fahrenden Leute in ihrer Bajazzotracht vom Jahrmarkt heim (S. 23) und auf dem Leiterwagen jagen die johlenden Bauern nach Hause, von bezechten Fußgängern angerufen.

Dann kommen Szenen aus dem Bauernleben. Mit langen Bärten und Halskrausen sitzen die Alten zechend an der Wirtstafel, ein Dudelsackbläser spielt ihnen auf (S. 111), — Bauern belustigen sich unter grünen Bäumen. Im Hintergrunde sieht man die Dorfstraße mit den wühlenden Schweinen, die Matthias Scheits sehr oft als Staffage seiner Dorfstraßen verwendet, häufiger als die Holländer (S. 113).

Auffallend originell sind die Schilderungen aus dem Leben der Haustiere. Hier berührt sich Scheits über zwei Jahrhunderte weg mit Hermann Kauffmann.

Matthias Scheits müsste kein Niedersachse sein, wenn auf seinen Schilderungen des Lebens nicht das Tier mit liebendem Auge gesehen wäre. Man hat vermutet, und wohl mit Recht, dass die Tierfreundlichkeit des Niedersachsen zusammenhängt mit der Bauart seines großen Bauernhofes, der die Stallungen der Tiere mit unter das einzige Hausdach zieht. Sie sind seine Hausgenossen, er wächst mit ihnen auf und lernt ihr Wesen verstehen und muss auf ihr Wohlergehen mit zärtlicher Sorgfalt bedacht sein, wenn er nicht selber leiden will. Vom Niedersachsen und seinem Vetter, dem Engländer, ist in den letzten Jahrhunderten ein inniges Verhältnis des Menschen zum Tiere der Welt geschenkt. Das Tierbild in seiner Entwicklung zeugt davon. Die Holländer haben es geschaffen, von ihnen haben es die Engländer und Franzosen übernommen.

Beim Hunde hat er Blick für das reiche psychologische Leben. Auf der Zeichnung Seite 31 bildet der kleine Hund, der den Blinden führen soll und mit gehobener Pfote stillsteht, um wedelnd auf einen Vorgang zu sehen, wahrscheinlich einen herzulaufenden Kameraden, einen sehr feinen Gegensatz zu seinem vorwärts tappenden Herrn, und auf einem der Schäferstücke wird die Komödie des Kampfes zwischen Hund und Bock sehr lustig aufgeführt. — Die Katze, die auf den Bauernbildern hie und da im Fenster liegt, wirkt wie ein Symbol des häuslichen Behagens. Das alles sind sehr leise Züge, die aber in der Kunst des siebzehnten Jahrhunderts nicht so häufig sind, wie man denken sollte, und die, wie der Humor bei Scheits, einen Zug vom neunzehnten Jahrhundert haben.

Das innerlich und äußerlich am feinsten abgerundete Werk ist ein Abend im Bauernhof (Seite 39) — vor dem Stall — . Der Bauer hat seine Pferde abgeschirrt und schickt sie in den Stall. Das vorderste ist schon halb hinter der Tür verschwunden, müde und schwerfällig folgt das andere. Der Bauer, mit der Linken das Zaumzeug an sich pressend, schwingt rufend die Peitsche. Doch das Pferd geht darum nicht schneller. Eine Ziege neben dem Bauern erhebt witternd den Kopf: sie kennt die Peitsche nicht. — Auf einer Weide grast eine Gruppe von Pferden. Im Hintergrunde kommt vom Knick ein Knecht heran mit Zaumzeug und Peitsche. Eins der Pferde hat ihn gesehen und hebt den Kopf und den Fuß, als wollte es sich in Galopp setzen (S. 115). Man denkt an unser Gemälde von Hermann Kauffmann, wo aus der Ferne die Milcher kommen mit ihren roten Eimern, während die Kühe, die ihre vollen Euter fühlen, sich ihnen entgegen wenden.

Auch in diesen Zeichnungen hat Scheits wiederum eine Fülle sehr guter, sachlicher Motive aus dem Leben geholt und auf die Elemente zurückgeführt, so dass sie sofort verständlich sind.

Zwischen den Bildern aus dem Gesellschaftsleben und den Bauernszenen stehen die Charakterschilderungen und Volkstypen. Hier lässt Matthias Scheits seinem Humor freien Lauf. Der „Allvörfechter“ ist ein martialischer Herr mit federgeschmücktem Schlapphut. Er zieht den Degen, weil ein kleiner Hund ihn anbellt, den er kaum noch sieht (S. 41).

Woll (wer) alles wil vorfechten und nicks vordregen,
De holt nümmer in der Schede sinen Degen


lautet die Unterschrift. Im Hintergrund sieht man auf der Strasse zwei klatschende Weiber in Zank geraten. Das Straßenbild, obgleich nur flüchtig angedeutet, enthält in der Architektur beachtenswerte Züge. Vorn links lässt sich z. B. die althamburgische Form des Beischlags erkennen. — Der „Gerengroth“ ist ein kleiner Mann, der mit Hilfe eines übermäßig hohen Hutes und hoher Sohlen und Hacken sein Maß in die Höhe zu führen sucht. Ein proportionierter Begleiter giebt den Maßstab dazu. Sehr charakteristisch sind Miene und Haltung des Kleinen (S 45).

De lüttke wehr ok geren groth,
Dat wisen sine Schö und Hoth


sagt die Unterschrift.

Es scheint, als ob diese beiden Blätter die Reste einer für die Reproduktion bestimmten volkstümlichen Folge von Charakterstudien sind, und wir dürfen uns erinnern, dass in derselben Epoche Labruyere in Frankreich literarische Versuche anstellte, einen Charaktertypus zu schildern, indem er die zerstreut und einzeln beobachteten Züge addierte. Scheits' Verfahren ist verschieden. Er macht den Charakter in einer Handlung — der Allverfechter — oder durch einen Kontrast lebendig.

In diesen Charaktertypen und den wundervollen beiden Gestalten des Bänkelsängers und seiner Frau (S. 117 und 119), dann auch in den Radierungen, regt sich — abgesehen von den ersten Versuchen bei Schongauer, Dürer, Holbein und ihrer Umgebung wohl zuerst die moderne Karikatur als Charakterstudie großen Stils.

Auch der Hirt mit den jungen Wölfen im Hut, vom Sohn radiert, sieht aus, als gehörte er in eine Folge. Den beiden wandernden Musikanten, einem geigenden Bänkelsänger und seiner singenden Frau sieht man an, dass sie eine klägliche Geschichte vortragen. Es sind meisterhaft getroffene Typen, in Haltung und Bewegung durchaus überzeugend und sehr weit von bloßen Chargen entfernt. Man würde sich nicht wundern, wenn man ihnen oder dem „Allverfechter“ heute in einem Witzblatt begegnete. Sie haben in der Haltung etwas auffallend natürliches.

Den Reiz der gegensätzlichen Bewegung spürt man erst, wenn man die beiden Blätter, die als Seitenstücke gedacht sind, nebeneinander legt.

Scheits Allegorien haben ebenfalls einen sehr volkstümlichen Charakter. Sehr häufig formt er das alte Motiv der Jahreszeiten um. Unter den Radierungen kommen sie vor als Szenen aus dem Kinder- und Bauernleben. Unter seinen Handzeichnungen gibt es ebenfalls verschiedene Folgen. Auf denen in unserer Sammlung stellt er die Gestalten des Knaben, des Jünglings, des Mannes und des Greises in den Vordergrund. Jene tragen Idealkostüm, diese annähernd die Zeittracht. Ihre Abzeichen sind die üblichen Blumen, Ähren, Früchte, nur die Stechpalme beim Wintergreis dürfte, ebenso wie die Begleittiere, Glucke, Storch, eichelfressendes Schwein und Wolf, ein eigener Gedanke sein. Weit im Hintergrund sind Szenen aus dem Leben zu erkennen, beim Frühling spielende Kinder, beim Sommer ein Picknick am Waldrande, beim Herbst ein Markt, beim Winter ein Begräbnis.

So sucht der Künstler das Abstrakte der Allegorie durch den Anschluss an das alltägliche Leben der Erfahrung näher zu bringen, in demselben Sinne volkstümlich wie überall.

Ziemlich selten sind antike Stoffe. Doch würde es auffallen, wenn sie im siebzehnten Jahrhundert bei einem so vielseitigen Meister fehlten. Der Satyr bei den Bauern gehört mit der breiten Schilderung der Bauernfamilie ganz in das Lieblingsgebiet des Künstlers (S. 47). Sein Sohn Andreas hat diese Zeichnung radiert, ebenso wie den oben erwähnten Hirten mit dem Hut voll junger Wölfe. Beiden sind plattdeutsche Verse beigegeben. Beim Satyr, der den Bauern verlässt, weil er ihn hat kalt und warm blasen sehen, heißt es:

Ne Frünt, ick stah di nich, dien' un — ahrt is my kunt.
Du blasest Warm un Kolt un dat ut einer Munt.


Und der Hirt spricht mit schalkhaftem Blinzeln:

Hyr heb' ick junger Wülw' en Dehl in minen Hoot.
Wo Ein daer von wat döcht so sindse alle Goot.


Die Radierungen besitzt das Kupferstichkabinett zu Dresden.

Eine Ceres, auf Wolken lagernd, sieht aus wie der Entwurf zu einem Deckengemälde in der Art der aus den Bostelmannschen Zimmern im Museum für Kunst und Gewerbe (S. 51). Das Parisurteil erinnert in der Verteilung der Figuren an Wandteppiche (S. 125).

So ergeben die Handzeichnungen des alten Hamburger Meisters ein sehr klares, umfassendes Bild seiner vielseitigen Anlagen. Wer ihn kennen lernen will, darf sich so wenig wie bei Hermann Kauffmann auf die Betrachtung seiner Bildergalerie beschränken. Erst in den Handzeichnungen, den Radierungen und den Bibelillustrationen rundet sich sein Charakterbild ab.

Leider scheinen die Handzeichnungen seiner ersten Entwicklungszeit — vor dem Beginn der Arbeit an den Bibelillustrationen — sehr selten zu sein. Wir besitzen keine. Es sieht aus, als ob die Bibelbilder seinem Namen schnell ein hohes Ansehen gegeben hätten, denn die offenbar für Sammler bestimmten Handzeichnungen setzen etwa mit der Veröffentlichung der Sternschen Bibel ein, und ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr bis nach 1680. Die Jahreszahl 1700 auf einer unserer Zeichnungen rührt nicht vom Künstler her.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Künstler - Matthias Scheits
111 Matthias Scheits - Bauern im Wirtshaus 1674

111 Matthias Scheits - Bauern im Wirtshaus 1674

113 Matthias Scheits - Der Zudringliche

113 Matthias Scheits - Der Zudringliche

115 Matthias Scheits - Auf der Pferdekoppel 1678

115 Matthias Scheits - Auf der Pferdekoppel 1678

117 Matthias Scheits - Bänkelsänger 1674

117 Matthias Scheits - Bänkelsänger 1674

119 Matthias Scheits - Bänkelsängerin 1674

119 Matthias Scheits - Bänkelsängerin 1674

121 Matthias Scheits - Der Winter 1674

121 Matthias Scheits - Der Winter 1674

123 Matthias Scheits - Der Herbst 1674

123 Matthias Scheits - Der Herbst 1674

125 Matthias Scheits - Das Parisurteil 1678

125 Matthias Scheits - Das Parisurteil 1678

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