Die Sternsche Bibel

Es wäre sehr interessant, zu erfahren, wie die Sternsche Verlagsanstalt auf den Gedanken gekommen ist, sich gerade an Matthias Scheits zu wenden mit einem so umfangreichen Auftrage. War das Ansehen des Künstlers schon in den sechziger Jahren so groß, dass der Verleger es daraufhin wagte? Lagen persönliche Beziehungen vor, die das Vertrauen begründeten? Wie dem auch sein mag, jedenfalls müssen wir zu Gunsten des Künstlers die Tatsache anrechnen, dass bald nach 1665 ein großer Verleger in ihm die Kraft sah, einen solchen Riesenplan durchzuführen.

An den umgekehrten Weg zu denken, den wir heute als durchaus gangbar betrachten, dass der Künstler die Arbeit, oder doch den größeren Teil, vollendet und dann einen Verleger sucht, ist für das siebzehnte Jahrhundert nicht statthaft. Das Verlagsgeschäft war nicht derart entwickelt, dass ein Künstler solche Rechnung hätte aufstellen dürfen.


Und überdies: es ist schon ein Rätsel, dass ein Künstler vom Schlage des Matthias Scheits eine solche Aufgabe übernommen hat. Dass er sie selber hätte suchen können, scheint mir außerhalb der Möglichkeit. Musste doch der als Beobachter des Lebens in Bildern und Zeichnungen das Querformat bevorzugende Künstler sich beim Bibelbuch dazu verstehen, alle Kompositionen im Hochformat, dem eigentlichen Raumausschnitt des Idealisten, zu erdenken.

Vielleicht finden sich noch Spuren, dass er eine größere Anzahl von Bildern in der Art der Szene am Brunnen mit Rebekka und Elieser — gegen 1660 — geschaffen hat, und dass daraufhin der Verleger ihn erwählt hat.

Die Bibelillustrationen machten einen tiefen Einschnitt in die Entwicklung des Künstlers.

Jedoch sollte, was Houbrakens Gewährsmann Voorbout um 1672 als das Ziel der Entwickelung erscheinen musste, die Aneignung der klassizistischen Ausdrucksweise und Ausdrucksmittel, die für solch ein Werk unumgänglich waren, für Scheits nur eine Durchgangsstelle bedeuten.

Aus den Handzeichnungen und Radierungen, die nach der Fertigstellung der Bibelillustrationen, also etwa von 1670 ab entstehen, klingt es wie Befreiung, Jubel und Lebenslust. Es ist, als ob eine Last von seinen Schultern genommen wäre, als ob er wieder aufatmen dürfe.

Und soweit ich es verfolgen konnte, lässt er jetzt alle biblischen Stoffe hinter sich. Keine Zeichnung, kein Bild mit religiöser Darstellung ist nach 1670 datiert oder anzusetzen.

Nur eine Ausnahme ist mir bekannt, die Handzeichnung einer Landschaft mit dem barmherzigen Samariter.

Dagegen wendet er sich nun allen Erscheinungsformen des täglichen Lebens zu, das ihn umgab. In Zeichnungen und Radierungen schildert er die Bauern, die Bettler, Landstreicher und Charaktertypen und in sehr schönen, freudigen Bildern malt er das Leben der höheren Stände.

Wenn ihm etwas geblieben ist von der langen Gewöhnung, in edlen Formen und Verhältnissen zu denken, so ist es der keckere Wurf, die straffere Geschlossenheit der Komposition — , ein gewisser Schliff und eine rein formale Vollendung. —

Wer von diesen Bildern kommt, die Matthias Scheits aus dem Leben der eigenen Zeit geschöpft hat, den Bauern- und Gesellschaftsstücken, den Szenen von der Straße, den Tierstücken, und sich seines scharfen Blickes für die Wirklichkeit und seines derben Humors erinnert, wird wohl mit einer gewissen Neugier das Bibelbuch öffnen, das Scheits illustriert hat.

Wie wird sich gerade dieser Künstler mit der großen Aufgabe abgefunden haben? Hat er aus Eigenem geschöpft, hat er sich auf Rembrandt gestützt, den er so hoch verehrte? Ist er den Spuren von Rubens gefolgt oder hat er sich die Italiener zum Vorbild genommen?

Ein so umfangreiches kostspieliges Werk pflegt selten aus der Initiative des Künstlers zu entstehen. Je bedeutender und selbständiger er ist, desto weniger mag ihm der Gedanke behagen, ein ganzes Buch zu illustrieren, namentlich, wenn die Zeichnungen in gegebener Frist fertig sein sollen, wie ein Verleger es verlangen muss. Wer könnte sich Rembrandt als Bibelillustrator denken?

Geht die Initiative vom Verleger aus, so ist die Freiheit des Künstlers noch mehr eingeschränkt, denn der Verleger muss den Absatz im Auge behalten, oder er wäre ein schlechter Geschäftsmann. Ein volkstümliches Werk, wie eine illustrierte Bibel, muss er auf den zu seiner Zeit vorhandenen Durchschnittsgeschmack berechnen. Es ergibt sich also in der Verbindung zwischen Künstler, Verleger und Publikum das Resultat, dass das Publikum, die große, dunkle namenlose Masse, die sich über ihren Willen gar nicht klar wird, auf dem Umweg über den Verleger, der ihre guten und schwachen Seiten abschätzt, dem Künstler vorschreibt, wie er es machen soll.

Die ältesten Bilderfolgen, die als Buch erschienen, wie Dürers Apokalypse, sein Marienleben, seine Passionen, waren noch unter anderen Auspicien entstanden. Der Kunstverleger, der den Markt kannte und berechnete, sprach dabei nicht mit. Deshalb konnte auch das Publikum keinen Einfluss gewinnen. Dürer konnte machen, was er wollte und wie er es wollte. Der Künstler war noch frei.

Als Scheits den Auftrag der Sternschen Buchhandlung annahm, war ein bestimmter Geschmack in den Kreisen, die das teure Buch bezahlen konnten, bereits verbreitet. Es war der Klassizismus und Akademismus, der in letzter Linie von Raffael und der Antike stammt und über Giulio Romano, Parmegiano, Domenichino und Poussin der Welt vermittelt war. Auf diesen Boden musste sich unser derber Scheits stellen, als er das große Werk unternahm. Was er geleistet hat, entspricht diesen Bedingungen. Das Wesentliche gleicht allen den Bibelillustrationen, die bis auf Schnorr von Carolsfeld auf derselben klassizistisch-akademischen Grundlage geschaffen sind.

Nur hat sich Scheits doch nicht allzusehr einengen lassen. Er hat offenbar Alles gesehen ; Dürer und Lucas van Leyden, Lionardo, Raffael und Michelangelo, Titian, Poussin, Rubens. Aber er hat die Eindrücke von Rembrandts Wesen nicht ausgelöscht, als er an die Arbeit ging. Mehr als einmal bricht eine Innerlichkeit durch, die nicht von den großen Italienern stammt. Auch uralter deutscher Motive erinnert er sich wohl einmal. So ist bei der Himmelfahrt Christi der Körper des Herrn nur bis zu den Knien zu sehen.

Bei der Verspottung Christi kommt das Zungenausstrecken vor, und bei der Offenbarung Johannis treten allerlei Reminiszenzen an Dürer auf, in der Einzelbildung der sieben Leuchter zum Beispiel, und bei den Ungeheuern.

Aus der nächsten Umgebung kommt gelegentlich ein feiner Zug hinein. So sitzt auf der Hochzeit zu Kana die Braut, wie das in Norddeutschland Sitte war, steif aufrecht, die Hände übereinandergeschlagen, und über dem Kopf mit dem Brautkranz schwebt von der Decke eine Krone. In der Vision des himmlischen Jerusalems liegen die Häuser mit Giebeldächern an den krummen Strassen, als ob man von den Wällen oder Türmen Hamburgs auf die Stadt schaute.

Das Beste sind eigentlich immer die Nebenfiguren, die dem Leben entstammen, so auf dem Abendmahl die Gestalt des Hausmeisters, der einem Diener eine Anweisung gibt.

Es ist nicht schwer, an allen Ecken und Enden Reminiszenzen an Lionardo (beim Abendmahl, aber nur in einzelnen Gesten, die Anordnung ist altertümlicher, Johannes liegt im Schoss des Herrn, Judas sitzt ihm gegenüber), an Raffael (Spasimo, Grablegung), an Rembrandt (der verlorene Sohn, Austreibung der Hagar) zu entdecken. Aber Matthias Scheits hat diese Dinge doch meist nur aus dem Vorrat im Gedächtnis genommen. Man hat selten den Eindruck, er habe umkomponiert nach einer Vorlage.

Er gab dem Käufer des Buches sehr viel zu besehen. Oft bringt er im Hintergrund voraufgehende oder folgende Szenen der Handlung an. Wo das Thema es mit sich brachte, schwelgt er in üppiger Architektur und weiten Gartenanlagen (König David, König Salomo, Bathseba) und kühnen, nach Poussins Vorbild aufgebauten Landschaften. Auch Beleuchtungseffekte liebt er. Mit den reichen Hintergründen von Palästen und Gärten erfreute er das Auge einer Zeit, die dafür ein sehr lebendiges Gefühl hatte. In unseren Tagen würde das die Gemüter nicht so leicht packen, weil man nicht gewöhnt ist, sich durch die Architektur erheben und begeistern zu lassen.

Das Ganze ist eine gewaltige und einheitliche Leistung und steht unserm modernen Gefühl gar nicht so fern, wie man denken sollte. Wer den monumentalen Band durchblättert, hat es nicht schwer, sich vorzustellen, welchen Eindruck das Buch bei seinem Erscheinen gemacht haben muss, wie es im ganzen protestantischen Deutschland als Hausbuch willkommen gewesen und ein Jahrhundert hindurch als kostbarer Besitz gehütet worden ist. Generationen nacheinander, die durch illustrierte Zeitungen noch nicht übersättigt waren, haben an diesen inhaltreichen Bildern ihre Phantasie ergötzt, und Jahrzehnt um Jahrzehnt haben nacheinander Tausende von Kinderherzen geschmachtet, dass die Mutter dieses Buch aus der Verwahrung nehmen und vor ihren sehnsüchtigen Augen aufschlagen sollte.

Die Vervielfältigung musste, weil der volkstümliche Holzschnitt in dem Zeitalter fürstlicher Kultur ausgestorben war, in Kupferstich geschehen. Süddeutsche, hamburgische und holländische Stecher führten nach den Vorlagen des Erfinders die Blätter aus. Wer die Schwierigkeiten der Organisation künstlerischer Arbeit kennt und die Schwerfälligkeit des Brief- und Paketpostverkehrs jener Zeit in Anschlag bringt, bekommt Respekt auch vor der Tüchtigkeit der Verleger.

Die Sternsche Druckerei ist noch heute im Besitz der Herren von Stern, mecklenburgischer Standesherren, die ihr Geschlecht auf die berühmte Lüneburger Verlegerfamilie zurückführen. Als im Familienarchiv noch die Korrespondenz des siebzehnten Jahrhunderts aufbewahrt wurde, lag darin eine außerordentlich wichtige Fundgrube für die deutsche Kultur- und Kunstgeschichte. Seit einem Menschenalter scheint leider alles vernichtet oder zerstreut zu sein.

Unter den Stechern finden wir bekannte hamburgische, holländische und süddeutsche Namen der Zeit, Hensbergen, J. Sandrart, Bloteling, J. de Vischer, Wolffgang, Kilian u. s. w.

Von den Skizzen des Matthias Scheits hat die Kunsthalle eine ganze Reihe erworben. Einige sind wie seine Zeichnungen mit der Feder hingeworfen und leicht ausgetuscht. Hier fehlt alles Detail, das konnten die Stecher aus Eigenem hinzutun. Die meisten Vorlagen scheinen jedoch sehr sorgfältig in Grau mit Ölfarben auf Papier gemalt zu sein. Es ist nicht unmöglich, dass diese für die weniger zuverlässigen Stecher berechnet waren. Zwei davon, König David und König Salomo, sind unter Glas und Rahmen in unserer Galerie ausgestellt.

Auf dem Titel wird der Name des Künstlers nicht genannt, ein sehr lehrreiches Zeugnis für die Kulturzustände in Deutschland am Ende des siebzehnten Jahrhunderts. So wird das Werk auch heute noch in der Regel als die Sternsche oder die Lüneburger Bibel angeführt, während umgekehrt in unserem Jahrhundert niemand zu erfahren oder zu behalten pflegt, wer die Schnorrsche oder die Dorésche Bibel verlegt hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Künstler - Matthias Scheits
141 Matthias Scheits - Noahs Opfer vor 1672

141 Matthias Scheits - Noahs Opfer vor 1672

143 Matthias Scheits - König David vor 1672

143 Matthias Scheits - König David vor 1672

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