Die Gesellschaftsbilder und Verwandtes

Matthias Scheits hat uns aus seinem Zeitalter hinterlassen, was wir in Hamburg aus früheren und späteren Epochen kaum anders als in einem auf äußeren Anlass entstandenen Einzelbild besitzen: eine Schilderung des Gesellschaftslebens.

Freilich hat Scheits fast nur eine Form der Geselligkeit dargestellt: das Picknick, und angesichts der Bilder und Zeichnungen, die das Thema behandeln, darf die Frage aufgeworfen werden: warum fehlte die Versammlung im Opernhause, warum — mit einer Ausnahme — die häusliche Geselligkeit, warum das Leben in den Gärten, das Straßenleben, die Wasserfahrt?


Von einem Künstler wie Scheits, der an einem Ort an der Peripherie der Kulturwelt schafft — das war Hamburg im siebzehnten Jahrhundert — darf man nicht erwarten, dass er neue Formen findet. Wenn ihn Leben und Stimmung seiner Mitwelt künstlerisch reizten, so lag es am nächsten, eine alte, wohlbekannte Kunstform mit dem neuen Gehalt zu füllen.

In der Tat gehört die Gattung der Gesellschaftsstücke bei Matthias Scheits zu dem in Kunst und Dichtung seit uralten Zeiten immer wieder hervorgeholten Gemeingut der Menschheit. Es ist nichts anderes als der Liebesgarten, eine Schilderung seligen Daseins in schöner Landschaft, wie sie fünfzig Jahre später in Frankreich der von niederländischem Boden stammende Watteau noch einmal gestalten sollte in einer das ganze achtzehnte Jahrhundert beherrschenden Form.

Der holländischen Kunst des siebzehnten Jahrhunderts war dies Thema eigentlich nicht geläufig. Ihre Gesellschaftsstücke schildern meist das Leben im Hause und obendrein mit Vorliebe eine Welt, die man nicht als gute Gesellschaft bezeichnen kann. Die Ideallandschaften mit badenden Nymphen des Poelenburg fallen in ein anderes Gebiet. Das eigentliche Merkmal der Phantasie vom Liebesgarten ist die Einkleidung in das jeweils moderne Kostüm. Nur das Bildnis, dieser Proteus unter den von den Holländern behandelten Stoffen, streift bisweilen das Gebiet des Liebesgartens.

Bekannt ist dagegen das Motiv des Liebesgartens bei Rubens. Doch ist auch er nicht der Erfinder. In der Kunst des sechzehnten Jahrhunderts — Giorgione — ist es nicht unbekannt, und mischt sich mit dem Märchen vom Jungbrunnen, und im fünfzehnten Jahrhundert gibt es einen Kupferstecher, der nach seinem Lieblingsthema der Meister der Liebesgärten benannt wurde.

Zur Zeit der Unsicherheit und Unruhe flüchtete sich die Phantasie in den Schutz festummauerter schöner Gärten, in denen alle Fruchtbäume sprießen, alle Blumen blühen, Quellen rieseln und reichgekleidete jugendschöne Menschen sich im Sonnenschein an Musik, Spiel und Tanz und Tafelfreuden ergötzen. Auch die Träume vom seligen Leben im himmlischen Paradiese nehmen die äußere Gestalt dieses Liebesgartens an.

Eins der herrlichsten deutschen Bilder, das „Paradies“ im städtischen Museum zu Frankfurt, ist ein richtiger Liebesgarten trotz der Jungfrau und der Heiligen. Man pflegt es der Kölner Schule zuzurechnen, es dürfte jedoch frankfurtisch sein, oder der Frankfurter Lokalschule nahe stehen, wenn die Verwandtschaft mit einem gleichzeitigen und sicher frankfurtischen Bilde (in derselben Sammlung) nicht täuscht. Auch für uns Hamburger ist es wichtig, denn es stammt aus der Zeit unseres Meister Francke. In einer Ecke des durch eine feste Mauer eingehegten Paradiesgartens hat sich an der Quelle die Jungfrau mit ihren vertrautesten Heiligen niedergelassen. Sie sitzt auf einer Rasenbank und liest, auf dem Tisch neben ihr stehen Früchte. Alle Blumen — Aldenhoven hat sie von einem Botaniker bestimmen lassen — sprießen in tausend leuchtenden Farben aus dem grünen Rasen auf. Das Christkind zu Füssen der Madonna übt auf der von einer jungen Heiligen gehaltenen Zither, eine Dienerin pflückt Früchte von einem Baume, eine andere schöpft Wasser aus einem Quell. Aber das köstlichste ist die Gruppe rechts, wo der heilige Georg, in ritterlicher Hoftracht auf dem Rasen sitzend, verloren dem Gesänge seiner beiden Begleiter lauscht. Der eine ist sein Kamerad, der Erzengel Michael, der, den Kopf in die Hand gestützt, neben ihm am Boden sitzt und vor sich hin singt, der andere ist sein Knappe, der sich hinter ihm stehend mit der Brust gegen den Baum lehnt und den Kopf vorneigt. Das Bildchen erweckt eine traumhaft selige Stimmung. Wer sich hinein versenkt, erlebt eine glückliche Stunde, und in der Erinnerung erwacht ein Nachhall, so oft er an die über alle Vorstellung und durch nichts als Anmut ergreifende Gruppe des heiligen Georg mit seinen Kameraden denkt. Es ist ein Trost für uns, dass ein deutscher Künstler aus sich heraus soviel Adel und Anmut auszudrücken vermocht hat.

Ist es nötig, über diese Zeit hinaus an das Eingangsmotiv des Dekameron, an die Episode mit den Blumenmädchen im Herzog Ernst, und schließlich an die letzte Quelle, die Paradiesträume des Orients zu erinnern?

Wo seit dem Mittelalter das Motiv des Liebesgartens von der Literatur oder der Malerei aufgegriffen wird, pflegt der Grund jedesmal in einer sehnsüchtigen Zeitstimmung oder in einem Gefühl der Befreiung zu liegen. Beim Dekameron erklärt sich die Flucht ins Paradies aus den Schrecken der Pestzeit, bei Watteau aus dem Gefühl des Aufatmens nach langem Druck. Nach der Kasteiung stürzte man sich in den Genuss. In Hamburg dürfte nach dem dreißigjährigen Kriege die Stimmung ähnlich gewesen sein; die trübe Zeit war vorüber, der Himmel lachte wieder, die Erde erschien als ein neues Geschenk.

Hamburg hatte die furchtbare Zeit des dreißigjährigen Krieges glücklich überstanden. Der Festungsgürtel, der durch einen Akt höheren politischen Instinkts nicht wie in Bremen und Lübeck dem Körper der Stadt auf den Leib geschnitten, sondern im weiten Bogen herumgeführt war, hatte nicht nur Sicherheit gewährt, sondern sogar Wachstum gestattet. In dem Jahrhundert, das auf den Krieg folgte, war Hamburg die reichste und mächtigste deutsche Stadt und in allen Kulturdingen die lebendigste und am meisten deutsche. Alle Künste und Wissenschaften erblühten noch im siebzehnten Jahrhundert. Die deutsche Oper ging in diesem Jahrhundert von Hamburg aus, wie bei uns im achtzehnten Jahrhundert durch die Begründung des Nationaltheaters das deutsche Drama den kräftigen nationalen Antrieb erhielt. Unser akademisches Gymnasium hatte die Wirksamkeit einer Universität. Das Leben der oberen Stände entfaltete sich in fürstlichem Zuschnitt.

Aus dieser Stimmung des Aufatmens nach langem Elend, der Sicherheit nach dem Zustande dauernder Gefährdung, dürften Matthias Scheits Gesellschaftsstücke zu verstehen sein.

**********

Von den drei Gesellschaftsbildern des Meisters ist das unter dem Titel „Wein, Weib und Gesang“ in den Katalog aufgenommene, das reichste.

Eine Gesellschaft vornehmer Hamburger ist am Saume eines Waldes versammelt. In der Ferne steht die duftige Silhouette der Stadt am Horizont. Das Picknick ist vorüber. Einer der Jünglinge hat sich auf einen Vorratskorb gesetzt, und spielt die Laute, das linke Bein über das rechte schlagend. Er begleitet eine junge Dame, die neben ihm an der Erde sitzt und aus einem Notenbuch singt, ohne sich um den anderen Jüngling zu kümmern, der, an der Erde liegend, die Geige in der Rechten, sich in ihren Schoss lehnt und mit der Linken jubelnd einen Römer erhebt. Vor ihnen steht, der Musik lauschend, Hand in Hand ein etwas älteres Ehepaar, der Mann im Profil, die Frau vom Rücken gesehen. Eine ältere Dame — sie trägt noch Schwarz — blickt aus dem Hintergrunde scharf beobachtend, fast unwirsch, herüber. Links wartet, vom Rücken gesehen, neben dem Weinkühler ein Page, den silbernen Krug in der Rechten. Aus dem Hintergrunde kommen rechts ein Mann und eine Frau herzu. Der Mann trägt den Mantel auf der linken Schulter und stützt sich mit der Rechten weitauslangend auf seinen Stock. Die Frau greift mit der Linken rückwärts, um das Oberkleid aufzuraffen. Ihre Körper stehen in sehr schöner und überzeugend bewegter Silhouette gegen den Abendhimmel. Hinten warten die Pferde mit der Kutsche, die die Gesellschaft aus der Stadt hergebracht hat. In der Ebene am Horizont sieht man Türme, Giebel und eine Windmühle gegen den Himmel ragen. Über den dunstigen Himmel zieht ein Gewölk herauf.

Die Betonung liegt auf der musizierenden Gruppe. Hier ist alle Farbe auf einen Punkt vereinigt. Grün, Rot, Pfirsichfarben, Altgold werden durch glücklich verteilte Flecke Weiß und Schwarz gehoben und zusammengeschlossen. Die Ecke wirkt wie ein schöner Blumenstrauß.

Auch die Herren machten damals in Hamburg Toilette. Der Jüngling mit der Mandoline trägt auf dem graubraunen Hut eine rote Feder, dazu eine weiße Atlasjacke, über die seine langen blonden Locken herabfallen, rote weite Kniehosen und gelbe Strümpfe zu braunen Schuhen. Die blonde, singende Dame hat ein Kleid von lichter Malachitfarbe an und einen weißen Spitzenkragen über die Schulter geworfen. Der Anzug des Jünglings, der sich in ihren Schoss lehnt, steht in lichtem Braun und Weiß dagegen, während sich die Toilette der stehenden Dame, die vom Rücken gesehen wird, aus einem Kleid von pfirsichblütfarbener Seide, einem aufgenommenen Oberkleide in altgoldenem Atlas und einem Kragen in mausfarbenem Samt zusammensetzt. Ihr Mann, der ihre Hand hält, bildet mit seinem schwarzen Samtrock den ruhigen Rahmen für diese farbige Gruppe. Nur seine grauen Strümpfe und fleischfarbenen Kniebänder lassen noch Farbe anklingen. Köstlich sind auch die grünen Töne der Bäume am Waldrand.

Vor der Entstehungszeit dieses Bildes und nachher haben die Hamburger Jahrhunderte lang sich gut gekleidet, haben Feste im Garten und im Walde gefeiert, und weder vorher noch nachher hat ein Künstler bei uns aus diesem farbigen Leben solch ein Bild geholt.

Die beiden anderen Gesellschaftsstücke, „Der Spaziergang“ und „Das Fest am Waldrand“ stehen einander sehr nahe. Im Aufbau sind sie fast gleich: ein junges Paar in eleganter Tracht, das sich von einer rechts am Waldrand lagernden Gesellschaft loslöst.

Aber in allen Einzelheiten hat sie der Künstler dann doch ganz verschieden entwickelt. In der Farbe bilden sie einen Gegensatz und der farbige Aufbau eines Bildes ist ja eine mindestens ebenso große Leistung wie die Anordnung der Formen.

Auf dem „Spaziergang“ steht im Mittelpunkt der farbigen Anlage das gelbe Atlaskleid der schreitenden Dame. Durch das goldige Laub der Birken klingt dieser Ton, der sonst einsam geblieben wäre, in der herbstlichen Landschaft wieder an. Auch das Weiß des Kragens und der Ärmel im Anzug der Dame wird durch das Weiß der Birkenstämme in der Landschaft begleitet. Sehr zarte Töne gesellen sich im Anzug des Jünglings. Hut und Mantel sind mausgrau, aber von leichter Verschiedenheit des Tones. Zu einer Jacke aus weißem Atlas mit zartem Seladontone kommen weite schwarze Kniehosen, weiße Strümpfe und graubraune Schuhe. In der Gruppe der Lagernden beherrschen weißer und tabakfarbener Atlas das Kolorit, nur ein großes Gefäß, das die Dame auf dem Schosse hält, gibt einen Ton von Kupfer hinein.

Als Dokument für eine vorübergehende, aber sehr intensive koloristische Neigung ist dies Bild von großem Wert. In der Tracht kein Blau, kein Grün, ja nicht einmal ein Rot. — Weiß und Gelb, ein kaum fühlbarer Schimmer Grün in einem der Weiß, damit begnügte sich, als dies Bild entstand, das Auge eines der koloristisch am feinsten begabten deutschen Künstler.

Die Haltung des schreitenden Paares hat etwas sehr edles, fast pathetisches. Zu der höflichen Neigung des Jünglings, der seine Dame an der Hand führt und seinen Mantel zierlich auf der linken Schulter trägt, steht im Gegensatz die stolze, fast abwehrende Haltung und Geberde der Dame, die die rechte Hand mit dem Fächer schlaff herabhängen lässt.

Über der Gruppe der Lagernden erhebt sich der im Dunkel kaum erkennbare Schattenriss eines Jünglings, der aus einer silbernen Kanne mit langem Strahl in ein großes Kelchglas einschenkt.

Auch hier ist Musik gemacht worden. Hinter den Schreitenden liegt eine große Laute im grünen Gras. — Durch die liebliche Landschaft schreitet in der Ferne am Rand des Gehölzes eine Dame — nach der schwarzen Tracht und der hohen weißen Halskrause der älteren Generation angehörend — auf ein Landhaus zu, das mit seinen roten Mauern und Dächern sich über die dunklen Baumpartien gegen den Abendhimmel abhebt.

Das Ganze ist ein Meisterstück einheitlicher Farbenstimmung und wohltuender Massenverteilung. Menschenleben und Landschaft sind sehr fein gegeneinander abgewogen und zueinander gestimmt. —

Als der verstorbene Hauptpastor Dr. Glitza, dessen Familie uns zum Andenken an den heimgegangenen Sammler das „Fest am Waldrand“ stiftete, dies Bild erwarb, trug es den Namen Watteau. Doch erkannte er es selber bei genauerem Studium als Werk unseres alten Hamburger Matthias Scheits. Dass es der Kunsthandel unter der Flagge des großen französischen Meisters der Liebesgärten segeln Hess, war nicht so ungereimt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Die innere Verwandtschaft ist da.

Von dem „Spaziergang“ unterscheidet sich dieses Bild durch Stimmung und Farbe. Die lagernde Gesellschaft musiziert, das wegschreitende Paar hört ihnen noch zu. Man sieht es bei der Frau an der Art, wie sie den Kopf zu ihnen wendet, beim Manne an dem verlorenen, gleichsam horchenden Blick des Auges. Es scheint, als ob sie zu den Klängen der Musik sich zum Tanz anschicken.

In Farbe und Ton ist das Bild sehr reich und zart. Die schreitende Dame trägt ein Oberkleid aus weißem Atlas, dessen Schatten die kalten Luftlichter zurückwerfen, und wie sie es mit der Rechten, die den Fächer trägt, zierlich aufhebt, wird über dem Fuß das Untergewand von gelber Seide sichtbar, Perlen in den Ohren und um den Hals, ein Brustschmuck aus den damals so beliebten schwarzen Marquisiten. Der Jüngling hat sich in kräftige Farben gekleidet. Jacke und Kniehosen sind dunkelgrün, der Hut trägt grüne Federmassen, über der Schulter hängt ein feurig-roter Mantel und an Ärmeln, Stulpen und Strümpfen wird sehr viel Weiß sichtbar. Seine schwarzen Schuhe haben rote Sohlen und Absätze.

Unter den Musizierenden fällt zuerst und zuletzt die schöne junge Frau in die Augen, .die sich singend über ihre Noten beugt und mit der Rechten den Takt angibt. Sie trägt ein Kleid in Pfirsichblüte und in ihrer Haltung liegt etwas so großartiges, fast möchte man sagen üppiges, dass man an die schönen Frauen bei Palma oder Veronese denkt. Auch die Töne in der Landschaft, namentlich die der Birkenpartie links mit dem fernen Horizont tief am Boden sind sehr zart.

Dass Scheits nach der Vollendung der Bibelillustrationen wieder zur Malerei überging, lässt sich als ein seelisches Bedürfnis verstehen. Sicher hat ihm auch die Reise nach Amsterdam und Antwerpen 1669, die er vielleicht für seinen Verleger unternahm, Anregungen gebracht.

***********

Mit den Hamburger Bildern der Schweriner Galerie ist eine sehr schnell hingeworfene, aber sehr anziehende Farbenskizze in den Besitz unserer Galerie gelangt, das Duett.

Ausnahmsweise hat sich hier der Künstler einen Stoff aus dem häuslichen Leben geholt. Aber auch hier bildet, wie auf den Picknicks, die Musik das Grundmotiv.

In einem Zimmer, das nur durch den mit einem prächtigen befransten Teppich bedeckten Tisch angedeutet wird, begleitet ein Jüngling in prächtiger Modetracht auf seiner Geige eine junge Dame. Er steht an den Tisch gelehnt, sie sitzt vor ihm, das Notenbuch auf dem Schoss. Das Licht fällt hoch und ziemlich spärlich in den Raum und hebt nur einzelne Teile der Körper heraus. Der Jüngling steht etwas weiter hinten im Halbdunkel. Doch genügt die Beleuchtung, um die sehr fein empfundene, originelle Silhouette fühlbar werden zu lassen.

Die Farbe ist sehr charakteristisch für den Künstler und für die Zeit.

Das hellste Licht liegt auf dem isabellfarbigen Oberkleid der Dame, unter dem ein Untergewand in hellem Krapprot hervorleuchtet, einem Rot von großer Schönheit. An der Schulter und am Ärmel kommt ein sehr toniges Weiß hinzu. Der Jüngling trägt Rostbraun und Grau, hie und da durch ein erlöschendes Rot und einige Flecke Weiß gehoben. Das Strumpfband bildet einen zart verschwindenden pfauenblauen Fleck. Mit dem grauen Schimmer der silbernen Kanne und Schale auf dem Tisch und dem zarten Widerschein der schweren Silberstickerei auf der Tischdecke gibt das auf dem dämmerig braunen Hintergrund eine überaus vornehme Harmonie.

Wenn jemand sich beim ersten Anblick von dieser Skizze nicht besonders angezogen fühlt, und, später einmal wieder vor das Bild tretend, plötzlich die Empfindung in sich aufzucken fühlt: wie schön ist das! — dann darf er sich sagen, er hat unterdes etwas gelernt.

Wie das „Duett“ ist der „Überfall“ eine schnell hingeworfene Skizze. Eine nächtliche Szene, beleuchtet durch eine Feuersbrunst. Der Kampf hat hin und her gewogt, Pferde- und Menschenleichen decken den Boden. Zwei Reiter sprengen auf einander zu und feuern einander aus nächster Nähe gleichzeitig ihre Pistolen ins Gesicht. Rechts ein Handgemenge von Fußvolk, Reiter sprengen herzu, im Dunkel der Ferne kaum erkennbare kämpfende Menschenmassen. Die niedrigen Wolken strahlen Flammenschein zurück.

Unter den Farben herrschen die warmen Töne vor, nur dass zwei, drei kleine Flecke Blau einen Gegensatz hineinwerfen.

Dem Stoff nach berührt sich Scheits auf dem „Überfall“ mit einem verwandten Bilde seines Zeitgenossen Jacob Weier in unserer Sammlung. Beide haben aus dem Kriegsleben ihrer Zeit einen bezeichnenden Vorgang aufgegriffen. Das Kriegsstück war eine Gattung des Sittenbildes, deren Entstehung im Charakter des siebzehnten Jahrhunderts begründet lag.

Das „Vogelnest“ aus der Johannes Amsinckstiftung war, solange wir Scheits als Maler noch nicht kannten, ein Rätsel. Es atmet eine Stimmung, die gar nicht dem siebzehnten Jahrhundert anzugehören schien: Kinder, die ein Vogelnest aus dem Busch gerissen haben und lachend hinein sehen, wie die unflüggen Bewohner ihre nackten Hälse recken und ihre gelben Schnäbel aufsperren. Wenn nicht die derben Typen, die Technik und die Farbe widersprochen hätten, man wäre versucht gewesen, an die Umgebung von Reynolds zu denken.

Unter den von Scheits bekannten Bildern ist es eins der Meisterwerke. Die Köpfe sind, einer in Profil, einer von vorn gesehen, einer voll beleuchtet, einer an Stirn und Backenknochen vom Licht gestreift, sehr ungezwungen in den Raum gefügt. In der Farbe beschränkt sich Scheits auch hier auf Rot, Braun, Grau und ein feingestimmtes Weiß.

Die technische Behandlung ruft die Bewunderung aller Kenner wach. Das Bild darf in dieser Beziehung als eins der interessantesten der ganzen Galerie gelten.

Ganz vereinzelt steht unter den Stoffen, die auf Bildern, Zeichnungen und Radierungen vorkommen, der „Seehafen“ von Scheits. Es ist die ideale Ansicht einer südlichen Architektur mit reicher Staffage. Dass Matthias Scheits gewohnt war, in Architektur zu denken, lehren seine Bibelillustrationen, namentlich die beiden Graumalereien in unserer Galerie, König David und König Salomo.

Den „Seehafen“ hatte Wilhelm Bode als ein Bild des Scheits in einer Leipziger Sammlung bestimmt.

Ob Scheits in späteren Jahren in Italien war? Trotz der etwas gleichmäßigen und wie nach Abbildungen zusammengesetzten Palastreihe muten doch viele Einzelheiten an, als hätte sie der Urheber dieses Bildes nicht aus zweiter Hand. So hat die reiche Tracht der Männer, die im Vordergrund herumstehen und sitzen, allen Schein der Wirklichkeit, und in Hamburg trug man sich anders, und stand, ging und saß man anders. Auch die Falltreppe der reichgeschnitzten und vergoldeten Galeere, sowie diese selbst sehen nicht aus, wie aus einer Phantasie entsprossen, die mit den Eindrücken von Bildern und Zeichnungen arbeitet, so wenig wie die kahle, im Sonnenlicht modellierte Berglehne am Horizont.

Wenn Scheits die Studien zu diesem Bilde in Hamburg gemacht hat, so dürfte er Georg Stuhr für die Unterlagen dazu verpflichtet sein. Auch das Wasser erinnert an Stuhrs Art.

In der — ohne üblen Nebensinn — fetten Malerei und in den Farbentönen auf den Kostümen spricht sich Matthias Scheits aus.

Es ist nicht undenkbar, dass Stuhr das Landschaftliche und Scheits mit feinem Anpassungsvermögen die Staffage gemalt und alles übrige übergangen hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Künstler - Matthias Scheits
069 Matthias Scheits - Wein, Weib und Gesang

069 Matthias Scheits - Wein, Weib und Gesang

071 Matthias Scheits - Der Spaziergang

071 Matthias Scheits - Der Spaziergang

075 Matthias Scheits - Das Fest am Waldrand

075 Matthias Scheits - Das Fest am Waldrand

077 Matthias Scheits - Das Duett

077 Matthias Scheits - Das Duett

079 Matthias Scheits - Das Vogelnest

079 Matthias Scheits - Das Vogelnest

083 Matthias Scheits - Der Überfall

083 Matthias Scheits - Der Überfall

087 Matthias Scheits - Der Seehafen

087 Matthias Scheits - Der Seehafen

alle Kapitel sehen