Die Radierungen (Abbildungen auch Seite 53-63)

Es ist mir bisher noch nicht gelungen, alle Radierungen von Matthias Scheits zu Gesicht zu bekommen, die in der Literatur erwähnt werden, und ich glaube Grund zur Annahme zu haben, dass ihrer sehr viel mehr waren, als bisher verzeichnet worden sind. Denn es finden sich viele Handzeichnungen, die durchaus wie die ersten Skizzen für Radierungen aussehen.

Matthias Scheits Radierungen gehören zu den allergrößten Seltenheiten. Selbst die Kabinette von Berlin, Dresden und München besitzen nur einzelne Blätter, und auch in unserem Hamburger Kupferstichkabinett sind sie nur sehr unvollständig vorhanden.


Es ist zu beachten, dass sein Sohn Andreas in der Art des Vaters und nach dessen Originalen sehr viele Radierungen ausgeführt hat, und dass gleichzeitig von anderen Künstlern die Blätter von Matthias Scheits häufig, einzelne sogar mehrfach kopiert sind.

Dass sie so selten sind, dürfte verschiedene Ursachen haben. In der Herstellungsart liegen sie jedoch nicht. Die kräftigen Ätzungen müssen eine große Anzahl Abzüge geliefert haben. Es scheint, und die vielen Kopien weisen darauf hin, dass sie sehr volkstümlich waren, dass sie mithin nicht nur aus Sammellust, sondern aus Bilderfreudigkeit gekauft wurden und als Einzelblätter zu Grunde gegangen sind. Dass die Sammler sich ihnen erst, als sie selten geworden, zugewandt haben, liegt nicht an etwaiger Minderwertigkeit: Deutsche Kunst des siebzehnten Jahrhunderts galt bisher nicht viel, nun noch dazu hamburgische. Als Werke eines holländischen Künstlers gleichen Ranges wären sie zweifellos besser aufbewahrt worden.

Es hätte sich dann auch wohl längst ein deutscher Gelehrter gefunden, der es sich zur Aufgabe gemacht hätte, ihnen überall nachzuspüren und ein sorgfältiges Verzeichnis aufzustellen, in dem die Werke von Matthias Scheits und Andreas Scheits genau auseinander gehalten und samt allen Kopien sorgfältig beschrieben wären.

Diese Aufgabe in Angriff zu nehmen, habe ich noch nicht wagen können und muss mich deshalb begnügen, in dieser Übersicht die Radierungen der beiden Scheits — der jüngere hat wohl kein einziges Blatt selbständig erfunden — nach ihrem sachlichen und künstlerischen Inhalt zu betrachten. '

Alle Radierungen von Matthias Scheits schildern das Bauernleben. Nur in der Folge der Jahreszeiten treten als Staffage spielende nackte Kinder auf. Doch weicht er hier in den Motiven dem Herkömmlichen auf die lustigste Weise aus. So charakterisiert er den Sommer durch ein Johannisfeuer, das die Kinder sich angezündet haben, und um das sie ihre derben aber durchaus kindlichen Späße treiben (S. 133). Im Herbst lassen sie Falken auf Beute steigen.

Auf den Radierungen treten die heimatlichen Züge fast noch stärker auf, als auf den Ölgemälden und Zeichnungen. Das Kostüm ist durchaus unholländisch, und wo die Bauern auf der „großen Diele" vor der Einfahrt versammelt sind, erkennen wir sofort ein Stück nächster Heimat.

Das älteste der Blätter ist 1660 datiert. Der „geigende Bauer" aus diesem Jahre (S. 129), nach der Tracht wohl eigentlich ein Bänkelsänger, hat in der Physiognomie etwas Ostadesches. Ein altes volkstümliches Thema variiert er in dem Greise, der ein junges Weib umarmt. Der Alte mit dem Bart und der schmalen Halskrause trägt altmodische Bauernkleidung, das junge Weib, das sich lachend von ihm wendet, hat einen durchaus niederdeutschen Typus. Ebenso derb niederdeutsch erscheint die Bauernmagd, die auf einer Bank, die Arme übereinander geschlagen, mit der Ferse den Takt angebend, dem Flötenspiel des vor ihr stehenden Bauernburschen lauscht.

In dem alten Musikanten, der sich auf dem Beischlag vor der Tür eines Bauernhauses niedergelassen hat und den Gesang seines neben ihm stehenden alten Weibes auf der Geige begleitet, fällt ein sehr feines Gefühl für die Haltung und Physiognomie des Blinden auf (S. 59). Ebenso bei dem blinden singenden Dudelsackspieler (S. 61.). Ein andermal eilt ein Dudelsackpfeifer durch die Dorfstraße und tanzend und laufend kommen von allen Seiten die Kinder herzu. Alle diese Blätter sind in Hochformat und stammen aus dem Jahre 1672.

Eine andere Reihe untereinander verwandter Blätter stammt aus dem Jahre 1676. Sie sehen in dem gleichmäßigen Querformat fast wie eine Folge aus. Ein Dudelsackpfeifer spielt vor der Tür zum Tanze auf. Zum Gaudium der zuschauenden Alten wehrt sich eine Bauernmagd sehr drastisch gegen einen Burschen, der sie zum Tanze zwingen will. Wie sie sich bei der kräftigen Gegenwehr noch mit einem Witzwort zu der schmunzelnden Gruppe umwendet, ist ganz ausgezeichnet beobachtet (S. 63). Dann kommt ein Brillenhändler zu einer Alten, die vor der Tür sitzt und spinnt, und nötigt sie, eine Brille bei der Lesung geschriebener Schrift zu probieren (S. 53). Auf der großen Diele vor der offenen Einfahrt unterhalten sich der Bauer und seine Nachbarn. Der Stuhl, auf dem ein Alter sitzt, gehört einem in unserer Gegend heimischen Typus an. Ebenso kommen auf dem Blatt mit dem tanzenden Bauernpaar links die charakteristischen, nach oben enger werdenden Milcheimer unserer Gegend vor, und über dem einen liegt sogar die „Tracht" in der bei uns noch heute wohlbekannten Form (S. 131).

Wir haben also auch in der Radierung des Meisters ein sehr wertvolles Material der Schilderung unseres Lebens. Auch hier hat Matthias Scheits sich nicht begnügt, die Typen, die er in den Niederlanden beobachtet hatte, ins Unendliche zu wiederholen, sondern wie auf den Gemälden und den Handzeichnungen hat er die in der Fremde erworbene Kunst angewandt, das Leben seiner Heimat darzustellen. Und in der Schilderung seiner Heimat hat er sich die Unabhängigkeit und Selbständigkeit wieder erworben.

Was Andreas Scheits radiert hat, ist von seinem Vater erfunden. Zu den Szenen aus dem Bauernleben kommen zwei sehr zierliche Blätter mit Schäferspielen darunter eins, auf dem die „Schäferin" den eingeschlafenen „Schäfer" neckt, bezeichnenderweise komisch gewendet — ; mythologische Szenen — Bacchus und Venus, der Satyr bei den Bauern — und volkstümliche Stoffe, die Jahreszeiten als Bauernleben mit plattdeutschen Unterschriften; der Mann, der junge Wölfe im Hute trägt; das Sprichwort vom Krug, der zu Wasser geht (S. 135), eine sehr ausführlich geschilderte Scene mit weitem und reichem landschaftlichen Hintergrund und der plattdeutschen Unterschrift:

Styn ginck wat Roekloes (ruchlos) an, daer steitse
nu und Kickt, De Kruke geit tho Born so lange betse brickt. —

Ferner ein Bettler am Wege, dessen Hund den herbeieilenden Tod anbellt. Auch der alte Scheits hatte ein Totentanzbild radiert, der Tod mit dem Holzhacker (wohl dieselbe Komposition).

Das liebenswürdigste dieser Blätter, die Andreas Scheits nach den Zeichnungen seines Vaters radiert hat, ist das erste aus einer Folge der Jahreszeiten mit plattdeutschen Unterschriften. „Fröhlingk" ist es bezeichnet mit großen deutschen Buchstaben. Ein Bauernmädchen setzt ihrem Schatz, einem jungen Bauernburschen, einen Kranz auf den Kopf. Die Figuren sind derb, die Züge sehr gewöhnlich. Aber der Ausdruck in Haltung und Mienenspiel wirkt wie ein milder Sonnenschein (S. 137).

Für die hamburgische Kunst- und Kulturgeschichte gehört es zu den notwendigsten Aufgaben, dass die sämtlichen Radierungen von Matthias Scheits wenigstens in Reproduktionen gesammelt und womöglich als ein Bilderbuch in der Größe der Originale herausgegeben werden.

Während die Handzeichnungen meist schnell hingeworfene Erfindungen einer unendlich gestaltungsfrohen Phantasie sind, haben die Radierungen den Charakter des völlig durchgearbeiteten Meisterwerks. Alles ist reiflich erwogen und an seinem Platz, und die größtmögliche Menge Erfindung wohl untergebracht.

Für die Kunst unserer Gegenwart haben die Zeichnungen und Radierungen unseres alten Scheits etwas Beschämendes. Es wirkt in ihnen eine Kraft, die bei einer unendlich zahlreichen Gattung lebender — und oft sehr bedeutender — Künstler nicht vorhanden, nicht entwickelt, oder wieder eingeschlafen erscheint: die gestaltende Phantasie. Dass sie die höchste ist, die einzige, die dem Künstler gleichen Rang mit den schöpferischen Geistern in der Dichtung, Musik, Wissenschaft und Politik verleiht, hat man zur Zeit, wo man wieder darstellen lernen musste, nicht würdigen können.
Matthias Scheits 129 Der Fiedler 1660

Matthias Scheits 129 Der Fiedler 1660

Matthias Scheits 131 Bauerntanz 1676

Matthias Scheits 131 Bauerntanz 1676

Matthias Scheits 133 Sommer

Matthias Scheits 133 Sommer

Matthias Scheits 135 Der zerbrochene Krug

Matthias Scheits 135 Der zerbrochene Krug

Matthias Scheits 137 Frühling

Matthias Scheits 137 Frühling

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