Von einem vollkommenen Bürgermeister

Von einem vollkommenen Bürgermeister
(1466 —1481.)

Das war Herr Hinrich Murmester, ein Hamburger von echtem Schrot und Korn alten Gepräges, von ehrbaren Eltern zur Gottesfurcht, Rechtschaffenheit und zu jeder männlichen Tugend und Tüchtigkeit erzogen. Wegen seiner vorzüglichen Geistesgaben wurde er ein Gelehrter, und studierte in Erfurt und Padua Weltweisheit und Rechtswissenschaft. Ao. 1464 wurde er in den Rat zu Hamburg gekoren, und schon zwei Jahre darnach, vermöge seiner besondern Würdigkeit, zum Bürgermeister. Welches Amt er ruhmvoll bekleidet hat, bis er am 9. April 1481 zu seinen Vätern versammelt worden ist.


Das war ein Mann! Jeder Zoll ein Bürgermeister! „Ex utroque Konsul,“ sagt der Geschichtsschreiber Steltzner von ihm; denn er war nicht nur ein Doktor der Philosophie und der Jurisprudenz, ein weiser und kluger Staatsmann, sondern er war auch ein tapferer kühner Kriegsmann und besonnener Heerführer, und hat des Staatsschiffes Ruder in Krieges- wie in Friedenszeiten gleichmäßig zu Hamburgs Wohlfahrt und Ruhm zu lenken verstanden.

Zuvörderst, welch' ein weiser und kluger Staatsmann er gewesen, davon hat er den besten Beweis gegeben, als durch sein Verdienst der Hansen Krieg gegen England zu Ende gebracht und (1474) der preisliche Utrechter Frieden abgeschlossen wurde. Und auf allen Hansatagen, die von 1466 bis 1478 in Lübeck oder andern Orten gehalten wurden, vertrat jedesmal Herr Murmester unsere Vaterstadt aufs Beste und war im Hansischen Rate der angesehenste Stimmführer.

Zum Andern, von seinen kriegerischen Taten finden wir in den Chroniken um 1472 ein Beispiel angedeutet. Damals hatten nämlich die Schleswig'schen und Holsteinischen Marschländer, unter Henning Wulf, Unruhe und Aufruhr wider König Christian von Dänemark erregt und hatten dessen rebellischen Bruder, den Grafen Gerhard von Oldenburg um Beistand gebeten, der auch in Husum gelandet war, Blockhäuser baute und große Kriegesanstalten traf. Der König hatte sich eilends gerüstet und die Hamburger zu Hilfe gerufen, zu deren Wehrhaftigkeit und kriegserfahrnen Tapferkeit er sich viel Gutes versah. Rat und Bürger waren bereit, rüsteten ein starkes Heer Fußvolk und Reiter, und ernannten den Bürgermeister Hinrich Murmester zum obersten Hauptmann. Und mit diesen tapfern Hilfstruppen, die unter ihrem mannhaften Anführer herrliche Taten verrichteten, schlug der König seine Widersacher aufs Haupt, dass sie sich fortan nicht ferner gerührt haben.

Zum Dritten ist Herr Murmester aber auch ein gar frommer, wohltätiger Bürgermeister gewesen, der den armen Leuten viel Gutes erzeigt hat, indem er sie für seine leiblichen Kinder achtete, da seine Ehe mit Elisabeth Pott einzig in solchem Betracht nicht gesegnet war. Barmherzigkeit ist der schönste Schmuck eines jeden Regenten, er sei Fürst oder Bürgermeister. Darnach tat Herr Murmester, und hat noch letztwillig milde Vermächtnisse gestiftet, die sein Andenken schon deshalb auf uns gebracht hätten, wenn er nicht auch sonst ein „vullenkamener Borgermester“ gewesen wäre. Er hat legiert: dem ältesten Bürgermeister-Amte (zu mehreren Ansehens desselben) ewige Renten zu täglichen Brotspenden an Hausarme, auch jährliche Roggengefälle an die Dürftigen im Hospitale zum heiligen Geiste; ferner Renten zu Seelmessen und zu Spenden an die Geistlichen und Schulmeister der Kirche zu St. Nikolai, und eine jährliche Mahlzeit für 30 Scholaren der St. Nikolai-Schule, wobei ein Viertel vom Ochsen, ein ganzes Lamm, Brot und eine halbe Tonne guten Biers verzehrt werden sollten.

Zum Vierten ist Herr Murmester, selber ein gründlicher Gelehrter in mehr als einer Fakultät, auch ein die Wissenschaften befördernder Bürgermeister gewesen, daher er auch letztwillig seine sämmtlichen Bücher der durch ihn mitbegründeten Stadt-Bibliothek vermacht hat.

Zum Letzten ist Herr Murmester bei allem Ernste seiner Amtswürde doch auch ein frohmütiger Bürgermeister gewesen, der aller ehrbaren Ergötzlichkeit sich niemals abhold bezeigt hat. Und weil er gern im Kreise seiner Freunde und Amtsbrüder Gottes Gaben fröhlich genoss, so stiftete er für den Rat dieser Stadt eine jährliche vergnügte Mahlzeit am St. Hieronymus-Tage, zu welcher, „damit die Gesellschaft desto lustiger sei,“ der Pfarrherr zu St. Nikolai ein- für allemal geladen war. Solche Mahlzeit ist viele Jahre hindurch gehalten worden, hernach aber ist das Kapital mit andern ähnlichen Vermächtnissen zu Mag. Joh. Reinekes Stiftung gekommen, daraus bekanntlich E. E. Rats Wittwen getröstet werden, was doch auch dazu dient, die Mahlzeiten der noch lebenden Herren zu erheitern.

Das war also Herr Dr. Hinrich Murmester, den man mit Recht einen „ vullenkamenen Borgermester“ nennen konnte, weil er in jedem Betracht tüchtig zum Regimente war. Solcher Männer hat's in Hamburg von jeher viele gegeben, im Ratsstuhle und außerhalb, wie wäre sonst, trotz aller Zeitläufe Ungunst und Gefährdung, die Freiheit der Väter bewahrt, und aus deren Erbe eine so reiche, mächtige Stadt erblüht?


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil II