Von einem seltenen Meisterstück

Von einem seltenen Meisterstück
(1464)

Wer sein Handwerk gründlich versteht und tüchtig betreibt, den muß man loben, und wenn's der Henker wäre, dessen verzweifelter Kunst man sonst nicht hold ist.


Das war Claus Flügge, ein Freiknecht von riesiger Körperkraft, der muß gelernt haben bei irgend einem Fronvogt unter den Riesen, der ihm die Schwertstreiche des großen Roland beibrachte, gegen welche der von Meister Uhland besungene „Schwabenstreich“ des Kreuzritters fast ein Kinderspiel gewesen ist. Als Claus Flügge ausgelernt hatte und wußte, was er konnte, nämlich besser henken, schmäuchen, sacken, köpfen, spießen, zwicken, peinigen und stäupen, denn irgend ein Scharf- oder Nachrichter im heiligen Römischen Reiche, kam er auf seiner Wanderschaft oder Kunstreise nach Hamburg, wo E. E. Rat grade in großem Notstande war, weil er eben 40 Seeräuber zum Schwerte verurteilt hatte, und sein alter Scharfrichter Tags darauf Todes verfahren war. Was tun? Es war ein misslich Ding mit einer so großen Exekution einen der hiesigen Henkersknechte zu betrauen, deren auch keiner sich der starken Arbeit unterfing. Geköpft aber mußten die armen Sünder alle vierzig am dritten Tage nach erfolgtem Spruch werden; — um noch einen andern bewährten Mann zu verschreiben von Stade oder Buxtehude, dazu gebrach's an Zeit und leicht war's unnütz, wenn auch dort grade ein Blutgericht stattfinden sollte.

Und im Volke hieß es: dass wenn zur festgesetzten Stunde einer Exekution kein Henker vorhanden sei, nach Altsassischem Gesetze sodann der jüngste Herr des Rates wohl oder übel das Nicht-Amt vollziehen, und das Blut-Urthel, das er hatte finden helfen, auch selbst zur Ausführung bringen müsse. Jüngster Ratmann war damals Herr Jakobus Struve, dem mag bei dem Handel auch wenig froh zu Mute gewesen sein.

Als nun Claus Flügge in seiner Herberge dies vernommen, dachte er: hier blüht dein Waitzen oder nirgends, begab sich stracks zum ältesten Gerichtsherrn und erbot sich zu dem Stücklein, unter der Bedingnis, dass es sein Meisterstück sein sollte, dergestalt, dass ihm der Dienst als Fron und Büttel zu Hamburg lebenslang möchte verliehen werden, so er alle vierzig hintereinander fein säuberlich und nach der Kunst abtun würde; falls aber er's fehle, dann solle auch sein Hals dem jüngsten Herrn zu Diensten stehen. Und im Rate nahm man nach kurzem Besinnen dies Erbieten des fremden Knechts an, dessen vorgezeigtes Richtschwert so entsetzlich groß war, als sei's aus einem uralten Hünengrabe herausgeholt, und so haarscharf, dass alle ein Grausen ankam, die es sahen.

Und es ist ein Meisterstück absonderlicher Art gewesen, wie wohl desgleichen die Welt niemalen gesehen hat noch sehen wird. 40 Piraten sollten geköpft werden, Kerls mir Pferdeknochen, und Sehnen, so dick wie Ankertau. Und die hat Claus Flügge geköpft, nicht einzeln jeden für sich, nein, er hat immer drei Paar mit den Rücken gegen einander auf die Stühle gesetzt, und dann sein Hünenschwert mit beiden Händen ein paar Mal um den Kopf geschwungen und dabei fest auf die sechs Hälse geschaut, und dann zugehauen, dass die Köpfe rein und glatt abrasiert waren vom Rumpf, als wenn ein Knabe Diestelköpfe mit dem Kindersäbel abhaut. Und hat keinen einzigen gefehlt, jeder Hieb war sauber und gut und lobte den Meister. Dem Hauptmann aber der Seeräuber, Hinrik Schinder hat er geheißen, dem tat er die Ehre an, ihn allein zu richten.

Claus Flügge hatte sich also zum Meister seiner Kunst und zum wohlbestallten Fron dieser Stadt durchgeschlagen, und saß noch lange Jahre warm und wohl in seinem guten Dienst, denn in Hamburg gab's damals schnelle Justiz, und wurde kein Federlesens gemacht, und für jede Justifizierung bekam er gute Bezahlung aus der Kämmereikasse. So hat er auch 1488 die 74 Seeräuber, deren Hauptmann Hinrik Stümer war, an einem Vormittage auf dem Grasbrook enthauptet, aber einzeln, damit es nicht so hastig gehe und die Zuschauer mehr davon hätten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil II