St. Maria to'm Schare

St. Maria to'm Schare
(1371)

Da, wo jetzt der Rödingsmarkt auf den sogenannten Klevelappen stößt, bis zur Scharthorsbrücke und weiter abwärts, standen um 1371 noch keine Häuser; es war ein vor der Stadt am Hafen belegenes freies Ufer, was in Altsächsischer Sprache Schar oder Schor hieß (im Englischen shore). Dort, bei dem hiernach genannten Schar- oder Ufer-Thore, wo die Schiffer landeten und wo täglich Pilger und Reisende ankamen oder abgingen, dort stand von uralten Zeiten her in einer Nische der Stadtmauer ein hochverehrtes Mutter-Gottes-Bild. Und diese „Sunte Maria to'm Schare to Hamborg“ war namentlich bei allen hier verkehrenden Seefahrern, wie überhaupt bei allen Pilgrimmen und Reisenden in so großem Ansehen, dass beständig Andächtige in Menge vor dem unscheinbaren Bilde auf den Knien lagen und beteten. Und kein Schiffer ging aus dem Hafen, der nicht daselbst die Mutter des Heilandes um Fürbitte bei dem Allmächtigen angefleht hätte, dass ihm eine glückliche Reise und fröhliche Heimkehr zu Teil werden möge; und Keiner kam glücklich heim, der nicht an derselben Stätte seinen Dank mit Gebet und Almosen geopfert hätte. Und in damaligen für See- wie Landreisen gefahrvollen Zeiten hatte mancher fahrende Mann, bei drohenden Schrecknissen unterwegs, der heiligen Maria to'm Schare Hilfe angerufen und hernach als glücklich Erretteter sein Gelübde an Ort und Stelle gelöst. Und auch hier in der Stadt sollen der Wunder viele an Kranken, Blinden und Lahmen geschehen sein, wenn die Hilfesuchenden mit gläubigem und demütigem Sinne die Mutter Gottes am Schartore um Heilung anriefen, darum war dies Bild so hoch geehrt. Und die Sage ging unter dem Volke, der heilige Anscharius, der erste Erzbischof in Hamburg, habe dies gnadenreiche Bild mit herüber gebracht, als er etwa 30 Jahre nach Hamburgs Erbauung hieher gekommen; und an der Uferstelle, wo er zuerst das Land betreten, da habe er es aufgestellt, und als später Stadtmauer und Tor hier gebaut sei, habe man das Bild in die Nische gesetzt und dem heiligen Anschar zu Ehren das Tor Scharthor genannt. Ob er's wirklich herüber gebracht hat oder nicht, und ob nach ihm oder nach dem Ufer das Tor so genannt wurde, ist gleichviel; schön aber ist's, dass das damalige Volk des vor 500 Jahren entschlafenen Erzbischofs noch lebendig gedachte und sein Andenken in Ehren hielt.


Und im Jahre 1371 hat sich der Rat mit dem Dom-Kapitel vereinigt, um an jener Stelle hart am Ufer ein Bethaus zu erbauen, „dar man schall inne fetten dat Bilde der billigen Junkfrowen, welck nu steit in der Müren der Stad by der Poorten Schardor.“ Und dies Bethans wurde 60 Fuß lang und 30 Fuß breit, und vor dem Marienbilde wurde ein Block angebracht zur Empfangnahme der Opfer und milden Gaben, von deren erstem Drittel das Gebäude unterhalten wurde, während das Domstift das zweite Drittel und E. E. Rath, für Beschirmung der Pilger und Wallfahrer, das letzte Drittel empfing.

Um 1450 aber war aus dem Bethause eine förmliche geweihte Kapelle geworden, in welcher der Gottesdienst von der Jakobsbrüderschaft, einer Corporation von Schiffern und ihren Frauen, unterhalten wurde. Denn diese ehrbaren Jakobsbrüder stifteten Vikarien und Kommenden für die Priester der Kapelle und tägliche Almissen oder Messen. Und sie und viele andere gute Christen hielten dort täglich Andacht und Gebet, ehe sie an ihr Tagwerk gingen, und schenkten der Kapelle Kleinodien und spendeten der Armut reichliche Gaben.

Zum Unterschied aber von dem in der Domkirche befindlichen Mutter-Gottes-Bilde, welches „St. Maria im Turm“ hieß, nannte man diese Kapelle mit dem alten Namen „St. Maria to’m Schare,“ jedoch auch, löblicher Kürze wegen, „Schar-Kapelle,“ wobei man denn, irrig, aber gut gemeint, eben so viel an den heiligen Anschar dachte, als an die heilige Maria, die hier am Schare der Elbe verehrt wurde.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil II