Vom Schuljungen-Kriege

Vom Schuljungen-Kriege
(Um 1290)

Als die damalige Neustadt, nämlich das St. Nikolai-Kirchspiel, um 1281 herangewachsen war, so dass die Domschule, die St. Anscharius gestiftet und Erzbischof Unwannus wieder hergestellt hatte, dem heftigen Drange lernbegieriger und wissensdurstiger Schüler keinen Raum mehr bot, da dachten die Neustädter mit Ernst daran, selber eine Schule für ihre Kinder zu erlangen. Das war damals schwerer als jetzt. Denn erst mußten sie vom Erzbischofe Giselbert in Bremen die Erlaubnis, eine solche Schule für ihr eigen Geld stiften zu dürfen, als eine Vergünstigung erbitten, und sodann noch des heiligen Vaters Bestätigung nachsuchen. Und um letztere zu erlangen, schickten sie Herrn Johann von Lüneborg (der seit 1271 im Rate saß) nebst etlichen guten Bürgern nach Rom an den Papst Martin IV. Der war ein belesener Herr und wußte aus alten Schriften, wie gastlich die ehrlichen, Hamburger seinen Vorweser auf St. Peters Stuhle, den abgesetzten Papst Benedikt V. (965) in ihrer Stadt aufgenommen hatten, darum bewilligte er gern das Ansuchen am 7. Juli 1281. So wurde denn die noch heute blühende St. Nikolai-Schule gegründet, und Kirchherren und Zuraten der Neustadt ordinierten den Schulmeister und befahlen, was gelehrt werden sollte.


Nachmals, etwa um 1289, entstand nun viel Irrung und Unlust wegen dieser Schule mit dem Dom-Kapitel, dessen Scholastikus (Ober-Vorsteher der Domschule) gleiche Rechte auch in Bezug auf die St. Nikolai-Schule in Anspruch nahm, da er über alle Schulen der Stadt der Scholastikus zu sein behauptete. Der Rat, der dem Kapitel oftmals entgegentreten mußte, nahm sich auch hier der Nikolaiten an. Etliche Herren aber und viele Altstädter waren auf Seiten des Kapitels, da es sie fast verdross, dass die Vor- und Neustädter schon so flügge wurden, dass sie eine eigne Schule und ein eigen Schulregiment begehrten; kurz es gab Zwist und Ärger hüben und drüben. Wie's nun immer so geht: „was die Alten sungen, das zwitschern die Jungen,“ das geschah auch hier. Die liebe Schuljugend, die bis dahin einige Jahre ganz friedlich entweder die Dom- oder die Nikolai-Schule besucht hatte, vernahm nicht sobald den Zwist der Großen und Alten, als sie auch Partei ergriff. Natürlich schwor jeder Junge zur Fahne seines Vaters oder Schulmeisters. Und den Gesang der Alten zwitscherten sie nicht nur, sondern sie verkörperten ihn rührig in Prügel, mit denen sie sich bewirteten, wo sie auf einander stießen. Von einzelnen Scharmützeln und Streifzügen kam's allmählich zu ordentlichen Gefechten, zu denen sie mit Stecken, Steinen und Schleudern gerüstet auszogen, und mit Schlachtruf und Feldgeschrei einander anfielen. Wenn die Neustädter Jungen riefen: „hie St. Nikolas! hie Johann Lüneborg!“ so schrieen die Altstädter: „hie Sancta Maria, St. Anschar und alle Dom-Scholaster!“ Und dann klopften sie sich die Wämser aus und die Rücken wund und die Köpfe blutig, und fochten den Streit der Alten doch nicht aus.

Es hat wohl immer Schul- oder vielmehr Schülerkriege gegeben, und mit Vergnügen erinnert sich Schreiber dieses der Fehden aus seiner Kindheit, als die „Johanniter“ der gelehrten Schule mit allen Kirchenschulen der Stadt im Kriegszustande lebten und zur Winterszeit auf dem Berge mit Schneebällen die hitzigsten Kämpfe geliefert wurden, bis auf Dr. Gurlitt's Anfordern löbliche Polizei einschritt und Frieden stiftete. Aber ein solcher Krieg wie damals, hat in Hamburg nicht wieder stattgefunden, denn er nahm eine so ernstliche Wendung, dass er begann, auch die Erwachsenen in Tätlichkeit, Mord und Totschlag zu verstricken.

Es mußte Wandel geschafft werden, das sah so Rat als Dom-Kapitel ein, darum wurden sie eins, dass der Rat die Neustädter oder Nikolaitischen Schulbuben und das Kapitel seine Altstädter oder Domschüler zum Frieden zwingen sollte; sodann aber verglichen sie sich wegen des Schul-Regiments zum Vergnügen beider Teile. Und das ist auch durch den Art. 29 des Traktats zwischen Kapitel und Rat der Stadt Hamburg vom Jahre 1337 bestätigt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil I (bis 1350)