Mistewoi der Wende und Hamburgs Zerstörung

Mistewoi der Wende und Hamburgs Zerstörung
(1012.)

Während Herzog Bernhard II. die Niedersächsischen Lande regierte, und grade ein guter Frieden bestand mit den Wenden, kam einer ihrer Fürsten, Mistewoi genannt, aus dem Stamme der Obotriten (im heutigen Mecklenburgs, an den herzoglichen Hof, und da er ein zwar etwas ungeschlachter, aber starker und tapfrer Degen war, der dem Herzoge in manchen Fehden guten Beistand leistete, auch durch seinen Einfluß die unruhigen Wenden in Zaum halten half, so erlangte er es, daß der Herzog ihm seine Schwester, die schöne Mathilda, eines Flandrischen Grafen junge Witwe, zur Ehe versprach. In Folge dieser Zusage begleitete Mistewoi sodann mit 1000 Reitern den Herzog, als dieser den Zug des Kaisers nach Italien mitmachte. Wie nun aber nach der Rückkehr Mistewoi auf die Erfüllung des Versprechens drang, da fand er taube Ohren. Wenden und Deutsche standen sich doch trotz Mistewois Ergebenheit und Vermittlung noch zu scharf entgegen, so daß z. B. das Volk den Namen Mistewois, zumal er von gedrungener, dicker Gestalt war, spottweis verdrehte, und ihn nur den Ritter Mastschwein oder Junker Mistferkel zu nennen pflegte. Vorzüglich aber waren es Deutsche Fürsten, die dem Herzoge Bernhard von solcher Verbindung abrieten, und der Markgraf Dietrich von Brandenburg meinte, es sei eine Sünde und Schande, eine christliche Fürstin an einen heidnischen Wendenhund zu verheiraten. Dies unbedachte Wort drang durch, Herzog Bernhard wies den getäuschten Freiersmann ab, der dann stracks mit allen seinen Leuten das Hoflager verließ und sich zu seinen Landsleuten begab, aber zuvor dem Herzoge sagen ließ: „den deine Leute zum Mastschwein machen, der wird ihre Felder zerstören und ihre Wohnsitze umwühlen; und der, den du zum Hunde erniedrigt, der wird auch beißen und zerreißen wie ein Hund.“


Mistewoi faßte einen grimmen Zorn gegen die Deutschen und Christen; und je ergebener er ihnen früher gewesen, desto völliger wurde nun sein Abfall. Seine Wenden, die ihn früher hart getadelt, nahmen ihn nun mit Freuden auf, und in einer von ihm nach Mecklenburg berufenen Versammlung aller Wendischen Stämme, denen er seine Schmach als die ihrige vorstellte, wurde ein allgemeiner Aufstand und Krieg beschlossen und Mistewoi zum Anführer erwählt.

Und die Wenden brachen los, als Herzog Bernhard grade wegen einer Verschwörung wider den Kaiser keine Verteidigung treffen konnte. Eine ganze Sündflut „Wendischer Hunde,“ wie sie selbst sich nannten, führte Mistewoi, der verspottete „Ritter Mastschwein,“ sengend, brennend und mordend in die Lande, und alle Kirchen und Klöster, Städte und Dörfer, Burgen und Vesten eroberten und zerstörten sie; alle Christen-Männer, die ihnen in die Hände fielen, erschlugen sie; die Weiber und Kinder führten sie in Sklaverei, die Greise marterten sie zu Tode. Vorzüglich waren es Kirchen und Klöster, die Pflanzstätten des ihnen so verhassten Christentums, die sie gründlich zu zerstören trachteten, und deshalb übten sie gegen Priester, Mönche und Nonnen die scheußlichsten Grausamkeiten aus. Also wühlten die Wendischen Schweine, also bissen die Wendischen Hunde. Und nachdem sie so das Bistum Oldenburg (in Holstein) verheert und verödet, zogen sie ans des Erzstiftes Hauptstadt, auf Hamburg, zu. Die arme Stadt, von Verteidigern fast entblößt, fiel nach verzweifelter Gegenwehr im wilden Sturme in die Hände der Wenden, die wie eingeteufelte Ungeheuer darin hausten; der Dom und alle Heiligtümer, alle Häuser der Bürger sanken in Schutt und Asche; nachdem die auserlesensten Frauen und Mädchen als Sklavinnen in schmachvolle Gefangenschaft weggeführt waren, wurden die noch übrigen Männer geschlachtet, gespießt, gebraten in den brennenden Häusern, die Geistlichen aber und Mönche und Nonnen unter unsäglichen Qualen zu Tode gefoltert. Des heiligen Kreuzeszeichens spottend schnitten die Wenden ihnen z. B. die Haut des Kopfes in Kreuzesform auf und zogen sie so herab oder peitschten sie aus der eigenen Haut heraus.

Aber als diese Gräuel der Wendischen Hunde den höchsten Grad erreicht haben, da hat Gott ein Einsehen gethan, und zum Entsetzen der Heiden hat sich ob der Stadt am Himmel ein Wahrzeichen des Herrn blicken lassen, in Gestalt einer gewaltigen rechten Hand, die hat abwehrend den Heiden gedreut, und hat dann wie segnend und verheißend den wenigen noch übrigen Christen sich zugeneigt, und ist dann verschwunden. Und die sterbenden Märtyrer haben, da sie dies Wunder gesehen, einen heiligen Gesang angestimmt, bis ihre Seelen von Engeln des Herrn aus diesem Jammertal ins ewige Leben hinübergeführt sind. Die Wenden aber sind davon gezogen. Darnach ist's stille geworden in den weiten, rauchenden, bluttriefenden Trümmern der Stadt Hammaburg!

Hernach, als Erzbischof Libentius II. (1013) gestorben und Unwann sein Nachfolger geworden war, der den Kaiser mit Herzog Bernhard aussöhnte und mit diesem gemeinsam Hamburg wieder erbaute, da begab es sich auch, daß Mistewoi in sich schlug, seine begangenen Übeltaten bereute und gut zu machen suchte. Er entsagte seinem Wendischen Fürstentume, zog nach Bardowik, allwo er still und erbaulich gelebt hat und um 1025 gestorben ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil I (bis 1350)