Der Bauerknechte Heldentum

Der Bauerknechte Heldentum
(Etwa um 1300)

In allen Zeiten, da das Fleth im Rödingsmarkt noch Stadtgraben war und das Millernthor ihm zur Seite stand beim heiligen Geist-Hospital, da hat es sich der Sage zugetragen, dass unsre gute Stadt ist plötzlich überfallen worden von einer Menge feindlichen Bauern aus der Umgegend, man weiß nicht mehr, aus welcher Ursache. Und da gerade die meisten wehrhaften Bürger unter Anführung der rüstigsten Ratsmänner auf Heerfahrt draußen gewesen sind, so ist wegen der tollen Bauern schier eine große Not entstanden, und hat E. E. Rath nicht gewußt, wie man ihrem ungestümen Andringen widerstehen könne. Und schon haben die Bauern das Millernthor erstürmt oder überstiegen gehabt, und sind mit wüstem Gebrüll blutdürstig und raubhungrig im dichten Schwarme eben in die Stadt zu dringen Willens, als sich eine nicht große Schar mutig entgegen wirft. Das waren die Hamburger Bauernknechte, junge, kräftige Burschen, handfest und knochenstark, die hatten sich aufgemacht, um die schwer bedrängte Vaterstadt zu retten, und trugen ihre Lungenhölzer*) in den Fäusten oder Knittel und sonstige derbe Wehren, und damit begannen sie so ingrimmig auf die Bauern loszupauken, und unter dem lauten Ruf: „Buur stah! Buur stah!“ Jeder seinen Mann so summarisch niederschmettern, dass die von dem urplötzlichen Angriff überraschten Bauern wirklich stehen blieben und nicht weiter vordringen konnten. Und ob sie nun auch versuchten, wenigstens da, wo sie standen, Stand zu halten, so gelang es ihnen doch nicht, denn die Bauerknechte ließen nicht ab mit Zuschlagen, und wer von den Bauern nicht liegen blieb, der blieb auch nicht länger stehen, sondern floh eilends aus dem kaum überrumpelten Tore hinaus ins Weite.


Und die tapferen Bauerknechte haben glorreich gesiegt, und große Ehre und herrliche Privilegien bei ihren Mitbürgern ob solchen Heldentums davon getragen. Denn die Stelle und die Gasse, die daran stößt, wo sie so rühmlich gestritten und die Stadt gerettet, hat man zum ewigen Andenken an ihre Tat nach ihrem Feldgeschrei benannt „Buurstah;“ — Andere sagen „Buurstade,“ darin wäre also der Platz verewigt, wo sie den andringenden Bauern zuerst Stand geboten und sie zum Stehen gebracht, was aber im Grunde Wortklauberei ist und übereins herauskommt. Und unter den Privilegien war das Recht, alle zwei Jahre ein großes Fest zu halten, das sie ihre „Höge“ nannten, das vornehmste. Wovon später noch mehr erzählt werden wird.

Und ob nun zwar die Höge längst nicht mehr gefeiert wird, und mit der gesunkenen Herrlichkeit des Hamburgischen Brauwerks auch der Brauerknechte Zahl und Ansehen schier verschwunden ist, so wollen wir doch, zumal wenn wir über den Burstah gehen, ihrer alten Vorfahren Heldentum nicht vergessen.

Und ferner heißt es: als damals die biderben Brauergesellen die Bauern besiegten, ging's gleichwohl für sie nicht ohne Wunden und Beulen ab. Fast alle brachten einen blutigen Kopf heim, als sie zu ihren Herren und Wirten zurück kamen. Da befahlen die ihren Mägden, dass sie den braven Kerls die Köpfe waschen sollten; nicht figürlich, sondern natürlich, wie gebührlich, nämlich buchstäblich; welche Mägde auch, zwar nicht sonder züchtig Erröten, doch mit hochherzigem Gefühle den kühnen Rettern der Vaterstadt einen Liebesdienst zu leisten, sich dazu gern bereit finden ließen. Und darnach war das um die Stirn gewundene Verbandtüchlein ihre Ehrenkrone und ihr Lorbeerkranz. Und die Brauerherren machten die Satzung, dass zum Gedächtnis dieser Begebenheit alle Brauermägde in der Zukunft verpflichtet sein sollten, den Brauerknechten jedesmal nach beschafftem Tagewerk, oder wenn abgebrauet, den Kopf zu waschen, und vorher die Lauge dazu zu bereiten; und bei Letzterem ist's geblieben, wie Herr Dr. Matthäus Schlüter erzählet im Traktate von den Erben, in des anderen Teiles sechsundfünfzigsten Titul „von denen Brauer-Mägden,“ § 6, dass solches noch zu seiner Zeit exerzieret werde (1698). Und sothanes Recht verdient allerdings mit unter der Brauerknechte „sonderbare Gerechtigkeiten und Privilegien“ begriffen zu werden, deren besagter Herr Schlüter einige anführet.

*) Starke Stangen, um leere Biertonnen, in deren Spundlöcher sie gesteckt werden, zu tragen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil I (bis 1350)