Das alte Harvestehude

Das alte Harvestehude
(1245—1295)

Zu Graf Adolf IV. Zeiten lag mitten auf dem damals teils unbebauten, teils waldigen Landstriche, der heut zu Tage den Grund und Boden des St. Michaelis-Kirchspiels, des Hamburger Berges (St. Pauli) und Altonas ausmacht, ein kleines Dorf, das hieß, etwa nach einem ersten Anbauer Herward, der dort eine Hude (Hütte oder Hutung, Weidetrift) besessen haben mogte, — vielleicht auch nach einem Hamburgischen Rathmann dieses Namens, — Herwardshude, oder, weil die Hamburger wohl schon damals gern das a—r wie e—r aussprachen (und umgekehrt), Herwerdeshude. Ein Bach gleiches Namens floß daneben in die Elbe.


Daselbst stiftete Adolfs Gemahlin, die fromme Gräfin Heilwig (aus dem edeln Hause von der Lippe), ein Zisterzienser Nonnenkloster, welches von ihr, manchen Vornehmen und den benachbarten Grundbesitzern reich begabt wurde, so z. B. von den Markgrafen Otto und Johannes von Brandenburg, und von dem gräflichen Vogte Georg und seiner Frau Margaretha, welche ihre dort belegenen Höfe, Mühlen und sonstige Besitzungen dem neuen Stifte schenkten. Und da der Gräfin Gemahl bekanntlich als Minoriten-Bruder ins St. Marien-Magdalenen-Kloster getreten war, so folgte sie auch hierin seinem Beispiel und blieb bis an ihr selig Ende als Klosterschwester im Stifte Herwerdeshude. Das Dom-Kapitel zu Hamburg genehmigte „auf Ansuchen des Bruders Adolf, vormals Grafen zu Holstein, und der Schwester Heilwig, einst seiner Gemahlin,“ diese Stiftung, welche 1247 auch Papst Innozenz IV. bestätigte und in seinen Schutz nahm.

Weil sich nun aber später zeigte, dass die Lage dieses Klosters an der Elbe nicht nur feindlichen Angriffen sehr ausgesetzt, sondern auch wegen der Nähe des städtischen und Hafen-Verkehrs wenig erbaulich und beschaulich war, wodurch den frommen Nonnen manch weltlich Ärgernis bereitet wurde, so brach man Ao. 1295 dies Gebäude ganz ab, und baute das Kloster in dem schönen friedlichen Tal an der Alster vor Eppendorf wieder auf, wo es den Namen Frauenthal oder Jungfrauenthal erhielt. Ein altes Siegel des Klosters, von großer ovaler Form, zeigt den auf dem Himmelsthron sitzenden Heiland, die Umschrift lautet: „Sigillum Ancillarum Christi in Valle Virginum“ d. h. Siegel der Mägde Christi im Jungfrauenthal. Ein kleineres, auch ovales, ersichtlich noch viel älteres „Sigillum Abbatissae Vallis Virginum „ zeigt die heilige Jungfrau Maria mit dem Christuskinde, darunter, sehr klein, eine kniende betende Nonnengestalt zu sehen ist, vermutlich die Stifterin und erste Äbtissin des Klosters, die Gräfin Heilwig.

In der Zeiten Lauf verschwand das alte Dorf Herwerdeshude an der Elbe, oder mindestens dieser Name desselben ging unter, der dafür von den Leuten aus alter Gewohnheit dem Kloster Frauenthal an der Alster übertragen wurde, das man zuletzt gar nicht anders als Herwerdeshude nannte, woraus endlich unser Harvestehude entstanden ist, was manche gute Hamburger, da ein Winterhude gegenüber liegt, auch wohl Herbstehude nennen.

Das Kloster Frauenthal aber wurde sehr reich und angesehen, und viele Hamburger Bürgerstöchter aus den vornehmsten Familien erfüllten dort als Nonnen ihre oder ihrer Eltern fromme Gelübde. Es heißt, dass später ihre Klosterzucht nicht sonderlich erbaulich, und dass sie gegen alle Versuche des geistlichen Oberherrn, eine bessere Ordnung bei ihnen einzuführen, äußerst widerspenstig gewesen seien, worin die Hamburgischen Bürger ihnen sogar beigestanden haben sollen. Als, nach der Reformation die Klostergebäude zu Herwerdeshude zerstört waren, brachte man die weltlich gewordenen Nonnen in das von Adolf IV. gestiftete Johannis-Kloster in der Stadt, aus dem man die Mönche vertrieben hatte, und legte diesem das reiche Vermögen des aufgehobenen Stiftes bei. So sind also unsere Conventualinnen im Stifte am Schützenwall die Erbinnen nicht nur der Zisterzienserinnen von Herwerdeshude, sondern auch der Ehrw. Dominikanermönche von St. Johannis, und Adolf wie Heilwig sind ihre Wohltäter. Noch zu unseren Zeiten gehörte auf dem Hamburger Berge ein ganzes Viereck von Häusern zwischen der Kirchen- und Langenstraße, dem Tatergange und dem Pinnasberge, zu den Gütern des St. Johannis-Klosters aus der Erbschaft der Nonnen im Frauenthal. Dort mag deren altes Kloster Herwerdeshude gestanden haben.

Wie hat sich dort so Vieles verändert! Der anmutige Bach, auf dessen grüne Ufer Heilwigs Zisterzienserinnen blickten, den wir später noch als einen nützlichen Pepermöhlenbeek, auch als alte Aue kennen, er ist als Bach längst versumpft und vertrocknet, und hat einem unlieblichen Rinnsal, dem Grenzgraben zwischen St. Pauli und Altona, Platz gemacht, welches (beiläufig gesagt) seinen Namen gewiß richtiger von der Alten Au als von All tho nah herleitet. Das alte Dorf Herwerdeshude war längst verschollen, als der Name und Begriff Hamburgerberg, und mit ihm Spektakel, Tierbuden, Trutz-Altona, Mord und Totschlag und manche andere Nachtseite aufkam. Ja, seit vor 600 Jahren am heutigen Pinnasberge das Kyrie eleison frommer Klosterschwestern ertönte; wie gar Manches hat sich doch in der innern wie äußern Gestaltung Hamburgs so gründlich geändert.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Sagen Teil I (bis 1350)