Jürgen Frese (1666)

Nicht gerade zu den Stillen im Lande gehörte Jürgen Frese, der andere Schwärmer, ein ehrsamer Bürger und Käsehändler. Wenn in Hermann von Huden der contemplative Charakter vorwaltete, so scheint Jürgen Freses lebhafteres Temperament seiner Schwärmerei eine tatkräftige Richtung gegeben zu haben.

Was ihn ins Gefängnis, den Schauplatz seiner Wundertat, gebracht hat, verdient zu seiner Kennzeichnung wohl erzählt zu werden.


Ihm war im September 1665 seine Frau gestorben. Den betrübten Wittwer trieb es, derselben zu ihrer Ehre und seinem Troste eine Danksagung in der Kirche halten zu lassen. Freilich klingt es wunderlich, dass ein Mann dem seine Frau gestorben ist, dafür in der Kirche feierlich danken lässt, aber es heißt bei uns einmal so, und wir Hamburger wissen, was wir darunter zu verstehen haben. Jürgen Frese hatte nun im Voraus recht viel gehofft von solchem priesterlichen Nachruf; er stand auf dem Lektor der St. Nicolai Kirche unweit der Kanzel, um kein Wort des Herrn Pastor Gesius zu verlieren. Derselbe hatte zwei Danksagungen zu verrichten. Zuerst kam die über den Tod einer sehr vornehmen jungen Frau, von welcher der Herr Pastor sehr viel Rühmens machte und zu ihren und der Familie Ehren eine lange Lobrede hielt. Vielleicht hatte er die Selige genauer gekannt als des armen Jürgen Freses ebenfalls verklärte Hausfrau, deren Danksagung er nun sehr kurz und dürftig abfertigte. Der betrübte Wittwer, der nicht nur bei solcher Behandlungsweise ohne allen Trost geblieben war, sondern der noch dazu das Ärgernis empfangen hatte, seine Eheliebste gegen eine vornehmere Frau zurückgesetzt zu sehen, konnte seinen Verdruss nicht bergen. In äußerster Heftigkeit legte er sich über des Lektors Rand und rief dem sehr erschreckenden Pastor einige nicht ganz freundliche Worte zu, worin er die Missachtung seiner sicherlich vor Gott gleichberechtigten Frau bitter rügte, und Herrn Gesius einen rechten Rosenobel-Prediger nannte, o. h. einen solchen, der je nach der Zahl der eingesandten Dukaten oder Rosenobel, der Danksagung eine schmalere oder breitere Basis zu geben pflege. Solche dem leidenschaftlichem Manne in seiner von Kummer aufgeregten Stimmung entfahrene Beleidigung und Kirchenstörung, zog ihm denn verdientermaßen eine Gefängnisstrafe im Bürger-Gewahrsam auf dem Winserbaum zu, deren mehr als neunmonatliche Dauer freilich übertrieben strenge erscheint.

Hier in seiner Haft beschäftigte er sich nach seiner Gewohnheit viel mit gottesdienstlichen Dingen, Bibellesen, Beten und Singen. Er konnte seine unfreiwillige Muße nicht besser verwenden. Möglich ist's, dass alles zuvor Erlebte, der Tod seiner Frau, der Danksagungs-Ärger, die Verhaftung, ebenso heftig als das dumpfe Gefängnisleben ohne frische Luft und Bewegung, auf Körper und Geist des Mannes wirkte, und in ihm eine ungewöhnliche Steigerung seines Gemüthslebens hervorrief. Mit ihm in demselben Zimmer hatte ein Lüneburger Salzjunker, Hans Jürgen von Witzendorff, seine (ich weiß nicht wodurch veranlasste) Haft zu überstehen. Derselbe hielt sich anfangs fern von Frese, welchem er als ein Bild der stillen Desperation erschien. Im Januar 1666 brach diese denn auch laut hervor. Gepackt von den Furien einer glaubensleeren Reue, das Erlösungswerk Jesu Christi leugnend und an Gottes Barmherzigkeit zweifelnd, wollte der unglückliche Junker dem Teufel seine Seele übergeben, die er ohnehin nach dem Maße seiner Vergehen für ewig verdammt hielt. Jürgen Frese, der gleich anfangs einen Exzess des Verirrten durch überlegene Kraft gebändigt und ihm dadurch imponiert hatte, gab sich nun alle ersinnliche Mühe, den Verzweifelnden zu belehren, dass keine Seele verloren sei, die an den Heiland der Welt glaube, Buße tue und sich bessere. Belesen in der heiligen Schrift wie er war, auch nicht ohne einiges theologisches Wissen, disputierte er stundenlang mit dem keineswegs ungebildeten Edelmann, den er aber nicht zu bekehren vermochte. Endlich versetzte dieser: was verdammt ist, bleibt verdammt! ich werde nicht eher an die Möglichkeit meiner Erlösung glauben, bis ich Zeichen und Wunder zur Bestätigung sehe. Jürgen Frese antwortete ihm mit des Lazarus Worten im Evangelium vom reichen Mann: hörest du Mosen und die Propheten nicht, so wirst du auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten auferstünde, — fragte ihn aber doch, was für Zeichen er begehrte, um zu glauben an Christi Erlösungswerk. Der von Witzendorff antwortete: wenn ich sehe, dass das Feuer nicht brennt, so will ich glauben. Worauf Frese ruhig entgegnete: zu des Propheten Daniels Zeiten hat Gott dies Wunder an den drei Männern im feurigen Ofen erwiesen, und fürwahr, derselbe Gott lebt noch, seine allmächtige Hand ist unverkürzt wie am ersten Schöpfungstage. Und wenn er mich würdigt das Werkzeug seiner Wunderkraft zu sein, so wirst du davon überführt werden zu seines Namens Ehre. Und der in den Zustand höchster Exaltation geratene Mann, der für Bewahrheitung des göttlichen Wortes alles geopfert hätte, fühlte es deutlich in sich, wie plötzlich jene ruhige felsenfeste Zuversicht des bergeversetzenden Glaubens über ihn kam. Wenn ein Scheiterhaufen dagewesen wäre, er würde in Gottes Namen hineingesprungen sein. Als er sich des Feuers im Ofen erinnerte, stieß er mit dem Fuß an einen tellergroßen Eisenring, etwa vormals zur Handhabe einer Diele gebraucht.

Den nahm er fast unwillkürlich auf und warf ihn ins Ofenfeuer, aus dem er dann eine Handvoll glühender Kohlen herausnahm und sie in seiner völlig unverletzten Hand dem von Witzendorff zeigte. Dieser erblasste, und rief bewegt: „solch' Wunder tut Gott um einer einzigen Seele willen?“ Frese fuhr fort dem erschütterten Zweifler eindringlich zuzureden, aber als die Kohlen ausgeglüht und schwarz in seiner Hand lagen, da war auch des Junkers Glaubensregung verflogen. Um das Letzte zur Bekehrung des Unglücklichen zu versuchen, ging Frese abermals zum Ofen, grade als zufällig fünf Leute ins Zimmer traten: des Castellans Frau, deren Tochter, eine Wartefrau, der Hausknecht und ein Kaufmannsdiener Namens Hans Müllenhauer. Diese fünf Personen waren Augenzeugen, als Jürgen Frese nun, voll Glaubensmut und freudiger Begeisterung in Gottes heiligem Namen, den rotglühenden Eisenring aus den Flammen nahm, und ihn eine Zeitlang den erstaunten Zuschauern hinhielt. Als er ihn weglegte, war seine Hand, in der er nicht das geringste Brennen empfunden hatte, völlig unversehrt.

Soweit die Hauptsache. Die fernere Vision Jürgen Freses in der nächsten Nacht, wo er den Teufel zu sehen glaubte, gehört nicht hierher. Ob der Herr von Witzendorff durch jene Zeichen bekehrt worden ist, verschweigt die Geschichte, welche zu ihrer Zeit, obschon vielseitig bezweifelt und geleugnet, dennoch ein großes Aufsehen gemacht hat. Mehrere Schriften sind hierüber erschienen, in anderen ist sie von Gelehrten und Laien umständlich besprochen, auch jener Ring durch eine Abbildung der Nachwelt vergegenwärtigt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten