Hermann von Huden (1659)

Aus dem Umstande, dass von Hermann von Hudens Lebensverhältnissen gar nichts bekannt ist, darf man schließen, dass er zu der großen Zahl schlichter frommer Erdenbürger gehörte, deren hienieden gänzlich dunkle Namen vielleicht mit desto helleren Lettern in dem Buche des Himmels geschrieben stehen. Er war ein Stiller im Lande, und deshalb nicht eher genannt, als bis einige seiner Visionen zum vorübergehenden Stadtgespräch wurden und den Witz der klugen Leute beschäftigten.

Hermann von Huden, der die Niemandem schadende Gewohnheit gehabt haben mag, auch in der Woche und zwar Nachmittags die Kirche zu besuchen, um seinem Bedürfnis nach Andacht und Erbauung zu genügen, stand am 11. Mai 1659, Nachmittags 2 Uhr, ganz einsam und allein in der St. Nicolai-Kirche unter der Turmhalle.


Er mochte seinen stillen Betrachtungen nachgehangen und nicht nur rein geistliche Dinge, sondern auch die Wohlfahrt der lieben Vaterstadt von einem höheren Standpunkte aus überdacht haben. Als „Stiller im Lande“ dem Parteienkampfe fern stehend, konnte er nur mit Betrübnis den immer weiter greifenden Ansprüchen der Bürger zusehen, welche ihre Rechte bis zu einer Bevormundung des Rats auszudehnen trachteten. Hatte doch die Bürgerschaft, zur Durchsetzung kleinlicher Zwecke, den Ratsherren das Honorar zurückgehalten; hatte sie doch dieselben zwingen wollen, ihr, der Bürgerschaft, von den einzelnen Verwaltungen Rechnung abzulegen! Wie war doch der ehrenfeste Senator Nicolas von der Fechte so himmelschreiend behandelt, als er sich entschieden dess' weigerte und den Bürgern in's Gesicht sagte: er werde nur denen Rechnung ablegen, welchen er sie schuldig sei zu geben, nimmermehr aber ihnen, nur mit Mühe hatte er sich der Tätlichkeiten von Seiten der wilden Aufwiegler in der Rathaushalle erwehren können!

Dies alles im stillen Sinnen, nachdenklich vorübergebeugt, erwägend, sah Hermann von Huden plötzlich um sich her in der düstern Turmhalle ein eigentümlich helles Licht. Und er vernahm eine klare Stimme wie von Oben herab, die sprach:

„die von vielen Bürgern gemissbrauchte Freiheit Hamburgs wird in große Gefahr kommen verlorenzugehen!“ So oder ähnlich hat Hermann von Huden der Stimme Worte verstanden, wie uns berichtet wird.

Selbst zweifelnd, ob er sich nicht etwa getäuscht habe, ob nicht der Lichtschein und die Stimme von Oben Wirkungen des eigenen innigen Denkens gewesen, geht er folgenden Tages zu der selbigen Stunde wieder an denselben Ort, im Herzen ein Zeichen wünschend für sich und seine Mitbürger zur Beglaubigung der warnenden Worte. Und in dem Augenblicke, da er diesen Wunsch als Bitte an Gott richtet, fällt das 400 Tonnen schwere Gewicht von der Turmuhr ab, schlägt im Herunterstürzen durch drei Böden und zerschmettert unten den Leichenstein, neben welchem Hermann von Huden steht.

Und als er nun in sich überzeugt, voll frommen Eifers und lebendiger Liebe für die gefährdete Vaterstadt sein Gesicht verkündigt, dringend die Mitbürger ermahnend zur Umkehr von ihrer unseligen Richtung, damit das teuerste Gut Hamburgs den Nachkommen in Segen erhalten bleibe, — da glaubt kein Mensch dem Stillen im Lande, der den Stadtsachen so fremd steht, der von der Bürger Rechten nichts weiß; da verlachen und verspotten sie ihn als törichten Schwärmer, und der ehrliche Warner kehrt wieder heim in seine Zurückgezogenheit.

Wir aber wissen, dass jener verderbliche Missbrauch der bürgerlichen Rechte und Freiheiten immer noch zugenommen hat; wir wissen, dass unter Snittgers und Jastrams Führung, welche verblendet durch ihren Hass gegen den Rat, Hamburgs Erbfeind, Dänemark, herbeiriefen, diese unselige Richtung die Stadt bis an den Rand des Verderbens gebracht hat. Wir müssen also gestehen, dass Hermann von Hudens Vision diese Katastrophe, welche 25 Jahre später wirklich eingetroffen, und dann mit Gottes Hilfe glücklich vorübergezogen ist, vollkommen richtig vorher verkündigt hat.

Aber noch eine Vision kennen wir von ihm. Der stille Schwärmer ergeht sich eines Abends in der Dämmerung auf dem Wall. Ob ähnliche Gedanken wie damals in der St. Nicolai-Kirche ihn beschäftigten, ob er wiederum ein Zeichen vom Himmel gewünscht, steht dahin. Plötzlich vernimmt er eine Stimme: „Siehe dich um,“ und als er sich umblickt, da gewahrt er mit Entsetzen, wie die ganze Stadtgegend am Kehrwieder und Brook in vollen Flammen zu stehen scheint, wie wenn ein ungeheurer Brand das ganze Viertel verzehre. Als nach einigen Sekunden voll Schreckens die tageshelle Lohe wieder der Dunkelheit gewichen ist, spricht die Stimme von Oben: „also wird es dereinst geschehen, um der Bosheit willen die in der Stadt überhand nimmt.“

Und abermals drängte es unsern Stillen im Lande, seine Stimme laut zu erheben, um den Mitbürgern auch diese vom Himmel empfangene Warnung kund zu tun. Und mit dem gewöhnlichen Schicksal eines Propheten tauchte der treue Eckhart wiederum unter in das Dunkel seines stillen Lebenskreises.

Aber später, nach Jahren, aber noch vor jener Snittger-Jastram'schen Katastrophe, am Sonnabend den 23. Juni 1684, stand wirklich grade so wie vorher verkündigt war, die ganze Stadtgegend beim Kehrwieder, Brook und Pickhuben, am kleinen Fleth bis zur Holländischen Reihe, in hellen Flammen, — eine Feuersbrunst (seit den Heidenzerstörungen und bis 1842 die größeste, die in Hamburg gewütet), welche etwa zweitausend Wohnungen verzehrte und unsägliche Trauer angerichtet hat.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten