St. Georgs Spital und Kirche. (Gegründet um 1195.)

Die fromme Stiftung, welcher unsere große Vorstadt St. Georg Entstehung und Namen verdankt, verdient wohl um so mehr eine Darstellung ihres Ursprungs und Zweckes, als beide in denkwürdigen Zuständen der fernen Vorzeit wurzeln.

Die Sage nennt Adolf IV. von Schauenburg zu Holstein als Gründer des Siechen-Spitals und dessen dem heiligen Georg geweihten Kapelle; jedoch, wenn wir diesen trefflichen, um Hamburg hochverdienten Regenten auch als einen Wohltäter der Stiftung kennen, so weiset uns doch die urkundliche Geschichte auf die Regierungszeit seines Vaters; und Alles wohl erwogen, können wir mit der größten Wahrscheinlichkeit diesen, den kaum minder trefflichen Adolf III., als den Stifter betrachten. Ihm, dem Hamburg neben wichtigen Privilegien auch seinen ersten Seehafen, die Erbauung ganzer Straßen und die Gründung der Nicolai Kirche verdankt, darf man den Gedanken an eine solche wohltätige Stiftung wohl zuschreiben.*) Den Antrieb zur Ausführung mag er empfangen haben, nachdem er als Kreuzfahrer und Begleiter Kaisers Friedrich Rothbart im Morgenlande, (1189—1191) die Schrecken des orientalischen Aussatzes, und dort wie im Abendlande die furchtbaren s. g. Leprosenhäuser — diese Kerker der mit jener Seuche heimgekehrten oder hier davon angesteckten Unglücklichen — kennen gelernt hatte. Denn der leiblichen wie geistigen Pflege solcher von aller Welt verstoßenen Kranken waren Siechenhaus wie Kapelle gewidmet.


*) Über Adolf III., s. Hamburger Geschichten und Sagen, S. 49.

Wir pflegen mit dem Worte Siechtum nur den milden Begriff von Kränklichkeit und Alterschwäche zu verbinden, während doch des Wortes Verwandtschaft mit Seuche auf die schlimmsten Krankheitsarten deutet. Im Mittelalter verstand man unter letzterem Ausdruck allgemeinhin jene entsetzliche Krankheit (Lepra, Aussatz), welche den damit Behafteten den Schreckennamen Leprosen gab.

Sie muss furchtbar gewesen sein, diese rasch ansteckende, unheilbare, aber nur langsam zu Tode marternde Krankheit, welche in Folge der Kreuzzüge auch das Abendland verheerte. Während ihr höllisches Feuer in den innersten Eingeweiden mit stets wachsenden Qualen entbrannte und eine völlige Erschlaffung und Lähmung aller Glieder veranlasste, verwandelte sich, zuerst im Antlitz, dann überall, die Haut des Kranken in eine spröde, hornharte Schorfdecke, in deren schmerzhaften Rissen sich Geschwüre und Eiterbeulen festsetzten; langsam zehrte der Kranke dahin, erst wenn, nach jahrelanger Pein, auch die festen Körperteile zerfressen waren und einzeln abfielen, endete ein schleichendes Fieber das Jammerleben des Siechen durch den heiß ersehnten Tod. Aber dies waren nur die äußern, körperlichen Leiden des Unglücklichen, der wie allen Gesunden, so sich selbst ein Gegenstand des Eckels, des Abscheus war. Die gerechte Furcht vor der schnellen Verbreitung der unheilbaren Seuche und das Gebot ihr enge Schranken zu setzen, verhärtete damals die Gesunden bis zur vollkommenen Ausstoßung des Angesteckten aus der menschlichen Gesellschaft, — eine Art Notwehr, die nur in der Größe des Nebels und Unzulänglichkeit der damaligen Heilkunde, ihre Entschuldigung finden kann.

Ein vom Richter und Arzte als aussätzig Erkannter wurde bürgerlich tot, er konnte weder verschenken noch veräußern, weil er fortan keine Art des Verkehrs mit den Gesunden unterhalten durfte, er wurde noch lebendig in feierlich kirchlicher Weise für tot erklärt. Nach kurzem — nur aus der Ferne zulässigen und gewiss herzzerreißenden Abschiede von den Seinigen, wurde er auf freiem Felde an einem Altar vom Priester ermahnt, die unheilbare Plage mit der Gott ihn geschlagen, geduldig zu tragen, und den für die Aussätzigen erlassenen Gesetzesvorschriften zu gehorsamen. Dann musste er sofort seine Kleidung ablegen und sogleich verbrennen und dafür den für Aussätzige bestimmten, leicht erkennbaren Anzug anlegen. Nachdem er nun seine eigene Totenmesse angehört, musste er, vom Priester geleitet, entweder in ein benachbartes Leprosenhaus, oder in die für ihn auf freiem Felde, fern von allen menschlichen Wohnungen, erbaute Hütte einziehen, im einen wie im andern Falle ohne alle Hoffnung die engen Grenzen dieser Räume jemals wieder zu verlassen.

In den Leprosenhäusern — es soll ihrer zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts allein in Frankreich gegen 2.000, in der ganzen Christenheit an 19.000 gegeben haben — lebten die von aller Welt Verworfenen, buntgemischt, wie sie hineingestoßen waren, Männer, Weiber, Kinder, Gute und Böse, Unschuldige und Missetäter, allesamt der trostlosesten Verzweiflung Preis gegeben, in entsetzlicher Gemeinsamkeit leiblichen und geistigen Elends. Das Brod zur Fristung ihres verabscheuten Daseins wurde ihnen über die Grenze geworfen, die auf das Strengste ihres Hauses Gebiet von den Menschen schied, denen sie für vogelfrei galten wie reißende Tiere, wenn sie ihren Bann zu überschreiten wagten. Was da drinnen vorging, das kümmerte die Gesunden nicht mehr. Es war eine Stätte, wie man sich die Hölle, den Ort der Verdammten denken mag. Entfesselte wilde Leidenschaften der durch Körper- und Seelenqual halb wahnwitzigen Ausgestoßenen durften hier ungestraft toben. Alle Verbrechen fanden hier ihren Tummelplatz, Hass und Feindschaft regierte, sonderlich gegen die Gesunden draußen; und wehe dem arglosen Fremdling, der unwissend der Grenze eines Leprosenhauses zu nahe kam, denn die Berührung eines Aussätzigen machte ihn rettungslos zu einem der Ihrigen, er war, wie sie, dem Elende verfallen; nicht ferner geduldet unter den Gesunden, musste er sich hineinziehen lassen in diese Hölle.

Das etwa waren die Schrecken der morgenländischen und süd-europäischen Leprosorien, wogegen die meisten der in Deutschland entstandenen Siechenhäuser nach und nach viel menschlicher und als christmilde Heil-Anstalten eingerichtet waren. Hier suchte geistliche wie leibliche Pflege den Armen das Leiden zu lindern, Beistand, Teilnahme und frommer Zuspruch tröstete sie, und der Beruf der Geistlichkeit hat sich nie schöner gezeigt, als in der selbstverleugnenden Hingebung, welche die der barmherzigen Krankenpflege gewidmeten geistlichen Orden hier an den Tag gelegt haben.

Immerhin noch besser als im Leprosenhause hatte es der Kranke, dem die Wohnung in einsamer Feldhütte zu Teil wurde. Er hatte doch noch den Genuss der freien Luft, der Waldesnatur, des Anschauens der menschlichen Gesellschaft, welcher er sich freilich niemals bis zum befreundeten Verkehr nahen durfte. In seiner auffallenden Kleidung (einem graulinnenen langen Kittel, das Haupt umwunden mit einem Tuche) von Jedermann, und durch daran befestigte Glöckchen selbst von Blinden sofort als „unrein“ erkannt und geflohen, musste er selbst allen Begegnenden ausweichen, und sich nur so zu ihnen halten und stellen, dass der Wind ihm entgegen wehte. In keinem Brunnen oder Fluss durfte er sich waschen, keine Mühle, keine menschliche Wohnung, keine Kirche betreten. Vor den Kruzifixen an den Feldrändern konnte er beten. Ein langer Stab, daran vorne ein Ledersäckchen hing, diente ihm zum Empfangen der notwendigsten Lebensmittel. Nahte endlich der ersehnte Tod, so reichte ihm der Priester aus der Ferne die Hostie und das geweihte Öl; war er gestorben, so mussten andre Unreine ihn in seiner Hütte begraben, und dann diese mit allem Inhalte verbrennen.

Ja, die Leiden dieser Aussätzigen und Siechen, die man auch Exules, die Verbannten oder die Elenden nannte, müssen unaussprechlich groß gewesen sein, bis allmählich durch die gemäßigtere Zone des Abendlandes, durch die Fortschritte der Heilkunde und bessere Einrichtung der Pflegehäuser, die Seuche in ihrer Bösartigkeit abnahm, was wiederum eine Milderung der Absperrungsmaßregel zur Folge hatte. Aber noch in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurden die Unreinen gemieden und blieben „ausgezählt,“ wenn schon sie nicht mehr an die Erdscholle einer Feldhütte gebannt waren. Nicht alle werden den Trost des Liederhortes in sich getragen haben, wie der ungenannte Sänger und Dichter (von dem die alte Chronik der Nassauischen Stadt Limpurg erzählt), welcher um 1370 in den schönen Landen am Rhein und Main heimatlos auf und ab zog und die Luft mit seinen wunderbar lieblichen Gesängen erfüllte. Ein „Baarfüsser-Münch“ wird er genannt, der durch aufopfernde Krankenpflege das Übel sich zugezogen hatte, — „er war von den Leuten nicht rein.“ — Deshalb war er ausgestoßen von allen Menschen, selbst die er vorher gepflegt, geheilt, sie bewiesen ihm nun Undank Untreue. Darum sang er in rührender Klage:

„Die Untreu hat mit mir gespielt,“

und ferner:

„Ach wehe, ich bin ausgezählet,
Man weißt mich Armen vor die Tür.
Zu aller Zeit ich Untreu spür',
So mir zumeist das Herze quälet.“


Aber dennoch scheint er hauptsächlich fröhliche liebliche Lieder gedichtet und gesungen zu haben, den undankbaren Menschen zur Lust und Freude. Denn es heißt von ihm: „er machte die besten Lieder und Reihen in der Welt, von Gedicht und auch von Melodei, so dass ihm Niemand am Rhein und in all diesen Landen gleichen mochte. Es war fein lustiglich zu hören; und was er sung, das sungen alle Leute gern, alle Meister und Spielleut', alle Menschen sungen's, spielten's und pfiffen's ihm nach.“ Und diesen besten Dichter und Sänger seiner Zeit, der alle Herzen erfreute, den duldete man nur von Ferne, dem wies man die Tür, wo er zu nahe kam, den ließ man auf öder Haide enden, als das geduldige Liederherz endlich gebrochen war.

Andrerseits aber dürfen wir auch wohl annehmen, dass Liebe und Treue zwischen Eltern, Kindern, Gatten, Geschwistern, Freunden sich in jener Zeit vielfach bewährt haben mag. Jenes schöne Bild einer bis in den Tod getreuen Hingebung, welche die junge Meyerstochter dem kranken Ritter bewies, wie uns der Minnesänger Hartmann von der Aue in dem rührenden Gedicht vom armen Heinrich erzählt, — hat sicherlich manch' Seitenstück unter den edeln deutschen Frauen gehabt.

Überhaupt milderten sich die Zustände der Siechen immer mehr. Die Geistlichkeit leistete unendlich viel in dieser Hinsicht. Als vorzüglichstes Heil- wie Vorbeugungsmittel betrachtete man warme Bäder. Die meisten Klöster in Deutschland hatten eigene Badstuben und Krankensäle. Auch in den Städten legte die Obrigkeit solche Badstuben (Staven) an, und das jetzt in solcher Art längst erloschene Gewerbe der Bader entstand damals und blühte rasch auf. Fromme Christen vermachten den Klöstern Geschenke zur Einrichtung solcher Bäder und Pflegeanstalten, die man Seelbäder nannte, da sie zum Seelenheil der Geber beitragen sollten. Endlich ist noch zu erwähnen, dass der allgemeine Gebrauch des Leinwand-Hemdes aus jener unglücklichen Zeit stammt.

***************

Nach dieser kleinen Abschweifung, die aber zur Verdeutlichung der unglücklichen Entstehungsgründe und wohltätigen Zwecke unseres Siechenhauses dienen wird, kehren wir zu demselben zurück. Schwerlich hat in unserer Gegend jene Krankheit die oben geschilderte Stufe der Schrecklichkeit je erreicht, aber geherrscht muss sie auch hier haben, da das Bedürfnis; eines Siechenhauses vorlag, was man auch als einen — freilich etwas unliebsamen — Beweis für die schon gegen Ende des zwölften Jahrhunderts bedeutende Höhe des Hamburgischen Handels und Verkehrs betrachten kann.

Damals war das heutige Jacobi-Kirchspiel noch nicht erbaut. Unfern des Doms zog sich die Ringmauer hin, außerhalb welcher der Pferdemarkt. Die ganze dortige Fläche zwischen der Alster und dem Hammerbrook war Weide, Acker, (ein Rübencamp wird noch viel später hier genannt) und dichter Wald. Als dessen letzten Überrest habe ich noch vor 13 — 15 Jahren einen uralten großmächtigen Eichbaum gekannt und bewundert; er stand gleich hinter der Pforte des Bieberschen Glockengießer-Hofes zu Ende der Spitalerstraße am Schweinemarkte, seine prächtigen Äste überragten und beschatteten weithin die Gasse. Der Baum mag tausendjährig gewesen sein. Er hatte also die Hammaburg entstehen sehen, ihre vielfachen Zerstörungen und alles was seitdem bis zu unsern Tagen Gutes und Böses der Stadt geschehen ist, überlebt. Weshalb dieser einzige Zeuge von Hamburgs Urzeit fallen musste, weiß ich nicht.

In ziemlicher Entfernung also von der damaligen Stadt war es, wo Adolf III. das Siechenhaus erbaute, an einem Stege oder Pfade, der vom Schultor *) am Spersort durch den Wald führte, daher das neue Stift auch das Haus „up dem Stege“ hieß. Dass es kein Leprosenhaus der oben beschriebenen Art war, ersehen wir schon aus der gleichzeitigen Hinzufügung der mit einem Priester versehenen Kapelle, welche der fromme Graf, in Erinnerung seines eben bestandenen Zuges gen Jerusalem, dem Patron aller Kreuzfahrer, dem Ritter St. Georg, (St. Jürgen) widmete. Auch scheint es, dass nicht jeder Aussätzige gezwungen war, ins Siechenhaus zu gehen, welches wohl nur für die armen unter ihnen, die sonst jeder Pflege entbehrten, oder für die schlimmsten Formen des Übels bestimmt war. Denn es lebten ihrer noch manche außer dem Spital, vermutlich in einer allmählich gemilderten Absonderung von den Gesunden. Das gemeinsame Unglück führte sie zu engem Aneinanderschließen. Es gab noch um 1450 mehrere „Brüderschaften der Elenden,“ die ihre kirchlichen Altäre, ihre Begräbnisplätze und gemeinsames Vermögen besaßen.

[i]*) Es hieß auch das Lateinische, Kathedral- oder Marientor.


Adolf III. hat sich nicht lange des Gedeihens seiner Schöpfung freuen dürfen, da er bald darnach, dem Dänenkönige unterliegend, seine Holsteinischen Lande meiden musste. Indessen führten seine Nachfolger im Regimente das begonnene gute Werk fort. Graf Albrecht von Orlamünde, (dessen milde, wenn auch unrechtmäßige Herrschaft nicht lange dauerte) begabte 1220 das Stift, (das hier zuerst urkundlich als bereits vorhanden auftritt) mit einigen Äckern an der Alster. Vielleicht sind die Namen Papenhude und Papenwärder (letzterer noch vor hundert Jahren eine Halbinsel in der Gegend der Uhlenhorst bezeichnend) Erinnerungen an diesen, dem Papen oder Priester des Stiftes gewidmeten Grundbesitz. Dass der edle Graf Adolf IV. (dem ein älterer Geschichtsschreiber „einen fast fanatischen Hang zum Wohltun und Gutesstiften“ beimisst) dem frommen Werke seines Vaters vielfache Fürsorge geschenkt hat, ist gewiss. Nach seiner und seiner Gemahlin Heilwig Anordnung, (Beide lebten schon im geistlichen Stande) kamen durch ihre Söhne neue reiche Gaben hinzu, Kornzehnten in Winterhude und einige Morgen Landes in Billwärder; die Söhne, die Grafen Hans und Gerd, fügten noch Fischereirechte in der Alster, und ihr Freund, der Ritter Heinrich von Hamm, eine jährliche Rente hinzu. Bald darnach, 1288, schenkte auch der Rat der Stadt Hamburg dem Stifte den angrenzenden Teil des gedachten Rübencampes. Der Schenkungen und Erwerbungen wurden allmählich so viele, dass das Stift bereits um 1385 neben vielen Zinsen, Renten und Zehnten, als eignes Landgebiet die Dörfer Langenhorn, Kleinborstel, Struckholt und den Meierhof Berne besaß. Ratsherren, nachmals der zweite und dritte Bürgermeister, standen als Verwalter und Patrone dem Gestifte vor und regierten bis zu unserer Zeit dessen Land und Leute, als einen kleinen Staat im Staate. In Langenhorn war ein Herrenhaus für sie (wie in Wohldorf für die Waldherren, in Barmbeck für die Oberalten-Landherren, und in Harvestehude für Klosterbürger und -Jungfern.) Als erster Beamter fungierte der Hofemeister, der auch mit seiner Frau die Ökonomie des Siechenhauses verwaltete.

Aus der ältesten uns bekannten Ordnung des Siechenhauses, vom Rat und Dom-Kapitel im Jahre 1296 erlassen, wie auch aus vielen spätern Nachrichten erkennen wir deutlich die wohltätige Einrichtung dieses Spitals. Zwar wurden die armen „Elenden“ auf das Strengste von allem Menschenverkehr fern gehalten, und das gesetzliche Verbot in die Stadt zu gehen, mit aller Schärfe gehandhabt. — Aber es waren ihnen doch außer dem Priester noch eine Anzahl Pfleger und Pflegerinnen gegeben, barmherzige Brüder und Schwestern (wenn auch vielleicht keinem Mönchsorden angehörig), welche aus christlicher Liebe und Demut diesem gewiss unsäglich schweren Berufe sich widmeten, durch dessen Erwählung sie sich freiwillig von allen Banden des Familien- und Menschen-Umganges lossagten. Diese wahrhaft „guden Lüde,“ wie sie genannt wurden, besorgten die Krankenpflege, oder die innere Ökonomie, oder sie vermittelten nach bestimmten Regeln der Vorsicht, die nötige Zufuhr der Lebensmittel. Vermutlich bezeichnete der Ehrentitel „unsrer lieben Frauen Magd“ ursprünglich die Oberpflegerin des Spitals. Später sehen wir die also benannte Schaffnerin auch mit der Sorge für die Reinhaltung und Erleuchtung der Kirche betraut. Die „Korf- oder Kiependräger“ sammelten in der Stadt zweimal wöchentlich die Almosen ein, meistens Lebensmittel, zumal Brod, worüber der Receß von 1410 bestimmte Vorschriften enthält zu Gunsten „der armen Seeken up dem Stiege to St. Jürgen.“ Dieser, von der Stadt durch den Wald nach dem Siechen-Spital zu St. Georg führende Stieg, erhielt davon den Namen „Spitaler Straße“ und das später an deren Ausgang erbaute Tor: „Spitaler Tor.“ Das hier belegene verwandten Zwecken dienende Hiobs-Spital ist erst 1509 gegründet, als jene Benennungen längst existierten.*)

*) Als gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts abermals eine bösartige Pocken-Seuche sich über Europa verbreitete und auch Hamburg heimsuchte, gab es für die Ärmsten dieser Kranken keinen Zufluchtsort, so dass sie von Jedermann gemieden, „up der Strate als de Beester verstarven.“ Ein frommer Bürger, Hans von Treptow, um 1487 Vorsteher der aus Kramern, Hökern und Fischern bestehenden Brüderschaft „unsrer lieben Frauen Krönung im Dom,“ nahm sich der Verlassenen an und ließ sie auf eigne Kosten Pflegen. Vereint mit ihm gründete dann seine Brüderschaft 1505 ein eignes Spital an der Ecke der kurzen Mühren und Spitalerstraße, welches man der ähnlichen Krankheit wegen, das Haus der Elenden nannte. In den Statuten dieser Anstalt vom J. 1510 erhielt sie „um der Gleichheit der Krankheit willen, die dem heiligen Hiob begegnet ist“ (ein wohlgemeinter Anachronismus canonisirt diesen alttestamentarischen Dulder) den noch jetzt amtlichen Namen „St, Hiobs Hospital.“ Das Volk aber nannte es von jeher wie noch heutigen Tages: „dat Pockenhuus in de Bistaler Strat.“

Die St. Georgs Kapelle erwuchs bald zu einem schmucken Kirchlein. Alle anwesenden oder durchziehenden Kriegsleute, Ritter und rittermäßige Männer verfehlten nicht in den Opferblock am Heerwege zu Ehren ihres Schutzpatrons milde Gaben einzulegen. Reichere, wie 1443 der Ratmann Erich von Tzeven,*) stifteten Altäre und dotierten die dazu gehörigen Vicarien und Commenden. Da nun längst die Krankheit viel von ihrer Bösartigkeit verloren und die Strenge der Absonderung aufgehört hatte, so fanden sich die benachbarten Ansiedler zur regelmäßigen Andacht gern hier ein. Deshalb musste schon 1457 die Kapelle vergrößert werden, wie seitdem häufig. Hierzu half ein päpstlicher Ablassbrief vom Jahre 1485 die Mittel beisteuern, indem er allen ihren reuigen und gläubigen Besuchern und Wohltätern ein Geschenk von hundert Pönitenztagen in Aussicht stellte.

*) Derselbe, welcher 1424 die fromme Stiftung gemacht, wonach der der Domgeistliche in der Crppte (der s. g. Pfarrherr in der Kluft) alle bei'm Dom zur Hinrichtung vorübergeführten Missethäter geistlich tröstete und zu einem christlichen Ende vorbereitete.

In dem Kirchlein hatten die armen Seeken ihr eigen Gestühlte mit besonderem Eingang, — wohinein kein Gesunder treten durfte. Auch ihren eignen Altar hatten sie, der war einfach von gehauenen Steinen, und trug keine andere Zier als ein großes Kreuz. Da durften sie knien und beten, und aus besondern Gefäßen das heilige Abendmahl empfangen. Und noch 1722, als die schreckliche Seuche schon Jahrhunderte lang verschwunden war, und das Spital nur armen Leuten, die man aber immer noch Sieche nannte, zum Asyl diente,*) da wurde jederzeit zweien derselben das Abendmahl aus jenen uralten zinnernen Gefäßen gereicht, „zu einem Angedenken an die vormaligen trübseligen Zeiten, deren Wiederkehr Gott der Herr in Gnaden abwende!“

*) Seit Erbauung des Pesthofes auf dem Hamburgerberge im Jahre 1606 kam sicherlich kein eigentlich Kranker, geschweige denn ein mit ansteckenden Übeln Behafteter ins Siechenhaus.

Neben dem zur Kirche erwachsenen Gotteshause stand ein Turm mit Stundenweiser und schönem Glockengeläute, das die armen Siechen tröstete, wenn's einem von ihnen zu Grabe klang. Erst 1661 wurde ein neuer Turm auf die Kirche gesetzt. Zur Seite lag der Begräbnisplatz mit einem Beinhause an dessen Wand konnte man lesen:

„Hie ward gelohnt na Rechte,
Hie ligt de Herr bym Knechte,
Een Jeder tred' herby,
Seh' welk de Beste sy.“


Hier an des Beinhauses Südseite wurden auch die Körper derjenigen armen Sünder eingesenkt, welche man nach ihrer Hinrichtung mit der Einscharrung auf dem Galgenfelde verschonen und zum stillen Begräbnis begnadigen wollte.

Das Innere der „Seeken Kark“ zierten viele Altäre mit mancherlei Kirchenschmuck und schönen Bildnissen, z. B. die der gekrönten Mutter Maria. Vor allen war der Patron St. Georg häufig zu sehen. Sein Reiterbild mit dem Lindwurm u. s. w. war 1463 aus getriebenem Silber angefertigt und von einem Bischofe geweiht; es stand unter einem sehr künstlich in Holz geschnitzten Tabernakel. Noch kurz vor der Reformation 1519 wurden freiwillige Beisteuern gesammelt für ein lebensgroßes Standbild des Heiligen in Holz, reich vermalt und vergoldet, wozu z. B. der Junkerbrauer Cord Goldener, den wir 1533 als Marx Meyers Freund kennen lernen,*) ein Erkleckliches spendete. 1522 fertig geworden, wurde „St. Jürgen von eynem Snittker (Tischler) torechte gesettet“ und sodann vom Bischof feierlich geweiht. Wir kennen dies Kunstwerk aus einer schlechten Abbildung. **) Es stellte den Heiligen geharnischt mit offnem Visier hoch zu Ross dar, wie er dem gräulichen Lindwurm seinen Speer in den offenen Rachen stößt; vor dem Pferde kniet die errettete Königstochter mit dem Scepter. Der sinnreiche Künstler hat ersichtlich dabei den kühnen Gedanken gehabt: durch den Lindwurm selbstredend auf den Höllendrachen hinzuweisen, in der Königstochter, deren Gürtel das Wort Maria trägt, die heilige Jungfrau oder vielmehr die vom Teufel bedrängte Kirche zu versinnbildlichen, und durch das unter dem Rosse des Ritters stehende Lamm, den ehrlichen Jürgen als rettenden Christus darzustellen. Dies jedenfalls interessante Bildwerk kam natürlich bald nach der Reformation auf die Rumpelkammer des Kirchenbodens, wo es auch noch 1720 gesehen worden, seit dem Abbruch der alten Kirche (1748) aber spurlos verschwunden ist. Ein ferneres Bild St. Georgii war am Gestählte der mannhaften Corporation der reitenden Diener zu sehen, welche zwar auch in St. Johannis Kirche mit einem Begräbnis und in Jacobi Kirche mit einem Fenster possessioniret waren, dennoch hier aber ihren geistlichen Lieblingssitz hatten. Denn obschon sie als gediente Kreuzfahrer nicht bekannt geworden sind, so veranlasste sie doch ihr ursprünglich kriegerischer Beruf als Reisige, den heiligen Georg zu ihrem Schutzpatron zu erwählen, woneben sie noch die heilige Jungfrau Maria als Patronesse verehrten. „Wo das Starke mit dem Zarten“ etc.

*) Hamb. Geschichten und Sagen, S. 199.

**) Bei Hempel, vom Ritter St. Georg.


In der katholischen Zeit wurde im Anfange des Sommers das Kirchweih-Fest zu St. Jürgen mit besonderem Glanz gefeiert. Kirche und Kirchhof waren dazu blitzblank gescheuert und mit gr?nen Maien und Blumengewinden geschmückt. Nachdem in der Kirche unter Orgelklang und beim Schalle von Bassunen (Posaunen) und Trompeten das Hochamt gehalten, auch die Prozession um Kirche und Stift vollendet war, schloss der Gottesdienst, nach einer Messe an einem tragbaren Altar unter blauem Himmel, mit Predigt und Gesang. Die schöne Jahreszeit und die damals noch freien ländlichen Umgebungen des Stiftes lockten wohl eben so sehr als die kirchliche Feier, eine Menge Städter aus ihrer dumpfen Mauergruft hinaus ins Grüne. Das gab dann ein buntes, fröhliches Getümmel unter den schattigen Bäumen, man lustwandelte am Alsterufer, schmauste und zechte auf dem Rasen hingelagert, ergötzte sich an den jeder Kirchweih sich anschließenden Marktfreuden, und Abends schloss der Feiertag auf dem weiten Plane unter funkelndem Sternenhimmel mit einem ehrbaren Tanzvergnügen, wozu die Ratsmusikanten aufspielten. So war es z. B. um 1470. Das Kirchweihfest ist langst verschwunden, die Marktfreuden haben sich aber erhalten, und der am Freitag vor Pfingsten gefeierte, weitbekannte und allbeliebte „Lämmerabend“ darf wohl als zeitgemäß modifizierte Fortsetzung des alten volkstümlichen Kirchweihfestes angesehen werden.

Draußen unfern der Kirche grünte eine großmächtige Linde der Vorzeit, darunter standen Ruhebänke, durch ein Dach gegen des Wetters Unbill geschirmt. Hier pflegten seit Jahrhunderten die armen Siechen zu sitzen, sich zu sonnen und zu lüften, sogar Winters, wozu ihnen die Kirche mildiglich erwärmende Kohlenpfannen gab. Hier saßen noch vor hundert Jahren die derzeitigen Siechen, obschon sie sich überall hätten sonnen können und der winterlichen Lüftung nicht bedurften. Und weiterhin an dem Wege nach dem Strohhause, da stand ebenfalls ein Wetterdach und darunter der „Seekenpfahl,“ vor alten Zeiten der Posten eines der armen Siechen, der hier in seiner Tracht, im weißgrauen bis auf die Füße herabfallenden Kittel, das Haupt mit dem Sorgentüchlein umwunden, auf milde Gaben wartete. Den altherkömmlichen Siechenstock, den langen Stab mit dem Ledersäckel, hielt er den Vorüberwandelnden demütig hin und sprach dazu bittlich: „gevet doch den armen Seeken wat.“

Fast hundert Jahre nach der Reformation, 1629, als neben dem nicht mehr geflohenen Stift eine kleine Gemeinde sich angesammelt hatte, trennte man dieselbe vom St. Jacobi Kirchspiel und wies ihr, wie auch Barmbeck, Hamm, Horn etc. das St. Georgs Kirchlein zur Pfarrkirche an, von der letztere zwei Orte später wieder getrennt wurden. Und 1630 erhielt die nunmehrige Kirche einen Taufstein und am 9. Januar desselben Jahres wurde zum erstenmal in St. Georg ein Kindlein getauft, das zu Ehren des Schutzpatrons den Namen Jürgen und als erster (getaufter Mensch) der Gemeinde, den ferneren Namen Adam erhielt. 1743 wurde die gegenwärtige Kirche zu St. Georg, unfern der alten, zu bauen begonnen, und nach ihrer Vollendung 1748 die alte gänzlich abgebrochen, wobei denn mit der leider bei uns gebräuchlichen unverzeihlichen Nachlässigkeit in Betreff der — als alten Plunder oder wertlose Überreste des leidigen Papismus missachteten — Kunstwerke und Denkmäler der Vorzeit Verfahren worden ist, so dass dieselben spurlos untergegangen sind. Weshalb auch eigentlich damals die neue Kirche den alten historischen Namen „St. Georgs Kirche“ hat verlieren müssen, um dafür den einer „Dreifaltigkeits Kirche“ zu empfangen, das ist mir niemals klar geworden. Indess, der neue Name ist niemals volkstümlich geworden, und alle Welt spricht nach wie vor von der St. Georgs Kirche in der berühmten Vorstadt gleiches Namens.

**************

Zum Schluss noch etwas über ein schönes Kunstwerk des Altertums, welches sich so zufällig wie glücklich bis auf unsre Tage erhalten hat, und von Jedermann betrachtet werden kann, der einmal den stillen schattigen Platz zwischen der Kirche und dem jetzigen Siechenhause besucht, woselbst er seit 1831 aufgestellt ist, während es vormals vor der Kirche, etwa 20 bis 30 Schritte vom Ende der Kirchenallee gestanden hat.

Es stellt dieses sowohl als eins der letzten Denkmäler unserer katholischen Vorzeit, wie auch wegen seines künstlerischen Wertes merkwürdige Bildwerk die Kreuzigung Christi auf Golgatha vor. Sämtliche Figuren und Kreuze sind aus Metall, innerlich hohl, etwa 2 bis 3 Fuß hoch, und verraten eine für damalige Zeit geschickte Künstlerhand. Sie stehen auf steinernen Postamenten, deren mittelstes, erhabenstes, den gekreuzigten Heiland, und auf niedrigeren Seitenarmen auch die Standbilder der Mutter Maria und des Jüngers Johannes trägt. Erstere, eine in lange Gewänder gehüllte Gestalt, blickt trauernd auf das Tränentüchlein in ihrer Hand, der zu seinem Herrn emporschauende Jünger trägt einen Beutel in der Hand, worin wohl ein Gebetbuch, — also das Urbild des noch vor hundertzwanzig Jahren bei unsern Frauen gebräuchlichen Gesangbuchbeutels. Rechts und links erblickt man die armen Schächer, zu Haupte des ersten ist ein Engel, der seine Seele ins verheißene Paradies zu führen bereit erscheint, während vormals eine Teufelskralle auf dem Kopfe des linken Schächers dessen bevorstehendes Loos andeutete; sie ist schon vor 1710 abhanden gekommen. Zwei Wappenschilder mit verschlungenen Zügen darauf, können als Hand- und Wahrzeichen des Schenkers und Meisters dieses Kunstwerks gelten, deren Namen aber so wenig wie das Errichtungsjahr, entziffert und aufgefunden ist.

Kürzlich fragte eine junge Dame, welche auf ihren Wegen der Barmherzigkeit von ungefähr dies schöne heilige Bildwerk entdeckt hatte, ob dasselbe etwa vormals als ein wundertätiges verehrt gewesen sei? Indessen berechtigt uns keine Andeutung in unserer Kirchengeschichte zu solcher Annahme. Unsere liebe Vaterstadt scheint überall auf keinem dem Wunderglauben günstigen Boden zu stehen. Von jeher den materiellen und praktischen Interessen recht sehr ergeben, ist es Hamburg nie leicht geworden, heimatliche Wunder zu erzeugen oder anzuerkennen, oder die von einer gläubigen Vorzeit anerkannten der Nachwelt zu erhalten. Das einzige als wundertätig bekundete Gnadenbild Hamburgs, „Sunte Maria to'm Schare,“*) von dessen Heilkräften auch nur die ältesten Sagen berichten, ist in der Reformationszeit spurlos untergegangen. Dem einzigen Hamburger, dem die Ehre der Canonisirung zu Teil geworden, dem heiligen Anschar, wurde nur mittelst schreckhaften Gespensterspukes ein etwas längeres Gedächtnis im Volke gefristet, worauf es auch unterging.**) Und die einzige heimatliche Wunderlegende, die uns einigermaßen beglaubigt überliefert ist, wurzelt, prosaisch genug, in einem Eppendorfer Gemüsegarten unter einem großen Kohlkopf. ***) In der Neuzeit vollends haben wir es in der praktischen Mystik höchstens soweit gebracht, dass wir des

*) Hamb. Gesch. und Sagen, S. 105.

**) Daselbst S. 219.

***) Daselbst S. 155.


Goldes Wunderkraft, St. Mammon und verschiedene Börsen-Heilige gläubig verehren.

Abgesehen aber von dieser Wunderarmut, besaß die ältere Hamburger Kirche in genügendem Maße alle im Katholizismus liegenden Hilfsmittel zur Erhaltung unserer ehrenfesten Vorfahren auf der Bahn frommer Gottseligkeit.

Dazu gehörte auch ein Wallfahrts-Weg, welcher dem Andenken an unsres Heilandes Passionsgang von Pilatus Haus bis zur Richtstätte, und an seinen Kreuzestod gewidmet war, und unser Bildwerk auf dem St. Georgs Kirchhof stellt dessen letzte Station, das Golgatha vor. Solche unter Gebeten zu verrichtende Wallfahrten sind überall gebräuchlich gewesen und eristiren noch jetzt in katholischen Ländern. Fromme Pilger nahmen in Jerusalem an den heiligen Stätten genau die Fußmaße der Entfernungen, um hiernach den Betgang ihrer Vaterstadt nachzubilden. Ob der unsrige die richtigen Dimensionen gehabt, erscheint bei seiner Kürze zwar kaum wahrscheinlich, ist jedoch der Hauptsache nach unwesentlich. Der gewöhnlichen und auch bei uns vorhanden gewesenen Stationen waren drei, denn dreimal soll Christus mit dem Kreuze unterwegs gerastet haben.

Der Wallfahrt Anfang war an der Mauer der Domkirche, der Papentwiete gegenüber, woselbst als Denkzeichen die Ausführung Christi in Stein gehauen war, ein von der Erde verschwundenes Bildwerk. Die erste Station soll am Ende des Spersorts, vielleicht auf dem jetzigen Pferdemarkt gewesen sein. Ihr Denkzeichen, ein Kreuz oder Bethäuschen, kennen wir nicht mehr. Der fernere Pfad führte nun in den ältesten Zeiten durch dichten Wald, später zwischen Gärten und einzelnen städtischen Ansiedelungen. Hier in der Nähe war ein wüster Begräbnisplatz, eine Ruhestätte der Elenden oder Verbannten, wohin später die St. Gertrud Kapelle gebaut wurde. Auch mag derzeit das Hochgericht, mindestens die Abdeckerei in dieser Gegend gelegen haben, an der (mit Erlaubnis zu sagen) Rackerstraße, welcher man später, um sie in guten Geruch zu bringen, um so lieber den schönen Namen Lilienstraße beilegte, als es bereits daneben eine Rosenstraße gab. *) Die zweite Station soll am Spitaler Tor gelegen haben, ihr vormaliges Sinnbild kennen wir nicht. Von hier ging der Weg links über die s. g. St. Georgs Weide, (wo jetzt der obere Teil des Glockengießer Walles, der Stadtgraben, die Gärten und Häuser der Kirchen-Allee wie der St. Georgsstraße sich befinden). Dort auf der Weide stand ein uraltes Bildwerk, das vielleicht die dritte Station bezeichnet hat. Es war eine vierkantige hohe Steinfaule, auf deren Spitze ein metallnes Kreuz. Auf der Ostseite des Steins war die Mutter Maria mit dem Christuskinde, auf der Westseite, der Stadt zugekehrt, der Heiland am Kreuze, eingehauen. Unter beiden Bildern war das von unsern Heraldikern noch unenträthselte behelmte Wappen des Schenkers, drei Menschenköpfe neben einander. Dies „Kreuz auf der St. Georgs Weide“ hat noch vor etwa 60 — 70 Jahren daselbst gestanden, kein Mensch weiß jetzt, wo es geblieben ist.

Unweit davon, Angesichts der Kirche, unter hohen alten Linden und einem hölzernen Wetterdach traten die Wallfahrer dann vor unsre Kreuzigungsgruppe auf Golgatha.

Obschon die Entstehung derselben wie des Kreuzes auf der Weide unbekannt geblieben ist, so nennt doch die Sage, gewohnt einen der älteren Schauenburger als Gründer frommer oder milder Stiftungen zu betrachten, den Grafen Adolf IV. als den Schenker. Nach andren Überlieferungen soll er, — oder ein Graf Heinrich aus demselben Hause, zur Unterhaltung des großen Kreuzigungsbildes 700 Gulden und für das kleinere Kreuz 300 Gulden dem Hospital legiert haben. Aber welcher Heinrich? Heinrich I., gestorben 1304, oder der zweite Heinrich, der starke Isern Hinrik?

*) Hier, wo in den ältesten Zeiten ein noch 1274 genanntes „Rosenthal“ gewesen ist, in dessen blühendem Haag der Drache des einmal vorkommenden „Drakenhagen“ gelauert haben mag, wäre wohl eine herrliche Sage zu vermuten, welche aber bis auf diese Spur völlig verschollen ist.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten