Des Faustrechts Nachklang (1647)

Wilhelm von Lüdinghausen genannt Wulff war ein rechtschaffener Cavalier und tapferer Kriegsmann vor und während der dreißigjährigen Weltunruhe. Er hatte sich bereits viel versucht und an fast allen Kriegen seiner Zeit tätigen Teil genommen, als er etwa um 1628 in den Hamburgischen Dienst trat und hier als Capitain eine Compagnie commandirte. Nach einigen Jahren zum Capitain-Major avancirt, sodann vorübergehend auf Wartegeld gesetzt und demnächst reactivirt, nahm er im Jahre 1636 als Major seinen Abschied, wobei es sich fand, dass er von seinem verdienten Solde annoch 200 Rthlr. zu Gute behielt. Denn dazumal war die Stadtkasse oftmals in solcher Bedrängnis, dass sie Monate lang den Offizieren und Soldaten die Gage schuldigbleiben musste, und häufig eigene Abgaben bewilligt wurden, um nur „die allbereits schwürig gewordene Soldateska zu contentiren.“

Der Major von Lüdinghausen genannt Wulff verließ aber nicht grade deshalb den Hamburgischen Dienst. Es litt ihn vielmehr nicht länger im müssigen tatenlosen Festungsleben hinter den hohen Wällen und tiefen Gräben, während da draußen aller Orten im weiten breiten Felde rüstig die Waffen geschwungen wurden. Damals sang man viel schöne kräftige Soldatenlieder, ähnlich dem bekannten neueren


„Schön ist's, unterm freien Himmel
Stürzen in das Schachtgetümmel,
Wenn die, Kriegstrompete schallt,“
usw.

Das mag denn auch der tapfere Major empfunden haben, als ihn das Garnisonsleben anwiderte, und die alte Sehnsucht nach Kampf und ritterlichen Taten in ihm erwacht war. Darum zog er mit ehrlichem Abschied des Kriegs-Rats aus Hamburg und dachte, die 200 Rthlr. rückständigen Soldes würden wohl gelegentlich nachkommen. Und als er vom Baumhause im Harburger Ever durch den Hafen fuhr, da sangen seine vormaligen Soldaten ihm nach: „ein Schifflein sah ich fahren, Capitain und Lieutenant.“

Es war noch mitten im dreißigjährigen Kriege. Gediente Offiziere fanden überall willkommene Aufnahme und gute Anstellung. Unser Major sah bald seine Wünsche erfüllt und selbst nach blutigen Scharmützeln und harten schweren Ritten nickte er wohlgefällig, wenn seine Leute sangen: „es leben wir Soldaten so recht von Gottes Gnaden.“ Ging's in ein Gefecht, so redete er sie wohl kräftig an mit Philander von Sittewalds schönem Liede „Nun gehet dapfer dran, ihr meine Kriegsgenossen, schlagt ritterlich darein, wagt's Leben unverdrossen,“ welch' herrlicher Gesang voll todesmutiger ächt männlicher Heldengedanken um diese Zeit eben aufgekommen war. Dann schlugen die Soldaten freudig an die Schwerter,dass es klirrte und dröhnte, und sangen getrost:

„Kein' schön'ren Tod stirbt auf der Welt,
Als wer vor'm Feind erschlagen,
Auf grüner Haid, im freien Feld,
Ohn' Jammer und Wehklagen.“


Unsern Major, welcher in mehreren Feldzügen sich wacker tummelte und sein Soldatenherz am frischen wechselvollen Kriegsleben erfreute, finden wir um 1647 als Obersten und Kommandanten zu Nienburg an der Weser wieder.

Inzwischen hatte er verschiedentlich an den Kriegsrat (das Militair-Departement) zu Hamburg geschrieben, und um endliche Auszahlung der ihm annoch gebührenden 200 Rthlr. gebeten, indess stets ohne allen Erfolg. Der Kriegsrat hatte kaum genug Geld, um die aktive Soldateska zu befriedigen, die Kämmerei konnte oder wollte nicht mehr schaffen, und für des Obersten gerechte Forderung gab's bei leeren Händen nur taube Ohren, — vielleicht auch keinen guten Willen, denn für die Kleinigkeit von 200 Rthlr. die man schuldig war, hätten sich doch immer in einer Stadt wie Hamburg die Mittel finden müssen. Schon gedachte dieser gute Cavalier die ganze ärgerliche Sache aufzugeben und in seinem Gedächtnis zu tilgen, (was man nennt: in den Schornstein zu schreiben) als ihm zufällig bekannt wurde, dass er in Hamburg Feinde habe, die ihn arg verleumdet und seine Forderung als unbegründet oder unrechtlicherweise übersetzt dargestellt hätten. Das konnte er natürlich seiner Ehre wegen nicht ertragen, und man wird es gewiss dem alten Kriegsmann nicht verargen können, wenn er jetzt, wo man ihn neben der langjährigen Vorenthaltung seines guten Rechts, noch so empfindlich an der Ehre verletzte, auf's Äußerste entrüstet war. Jetzt musste er auf sofortige Auszahlung bestehen, und eine entsprechende Satisfaction dazu fordern. Wie aber war dazu zu gelangen? In Hamburg selbst sein Recht zu verfolgen, musste er nach dem Vorgefallenen als ganz widersinnig betrachten. Die Stadt bei den Reichs-Gerichten zu belangen, — vor solchem Prozess-Labyrinth schlug der gerade Mann ein Kreuz. Als einfacher Soldat, der seine Rechts- und Justiz-Begriffe in der hohen Schule des dreißigjährigen Krieges erworben hatre, wusste er aber ein viel natürlicheres und kürzeres Verfahren: das der praktischen Selbsthilfe, zu der er sich auch ohne Bedenken resolvirte. In einem Briefe an den Senat zu Hamburg, worin er offen und ehrlich der Stadt Fehde ansagte, und sich selbst Recht schaffen zu wollen erkärte, heißt es folgendermaßen:

„Ob ich mich gleich fast entsehe, Ew. Hochwohlweisheiten mit so geringer, nichts importirender Sache puncto der mir vorenthaltenen 200 Rthlr. nochmals zu behelligen, so kann ich doch nicht anders, da ich vernehme, wie ich durch desaffectionirte Personen wegen dieses Lumpengeldes, öffentlich gar schmählich beschimpfet und verunglimpft werde. Wenn ich nun auch, Gottlob, dieses geringe Stück Geld nicht anzusehen brauche, so kann ich doch der Calumnianten boshafte Injurien, die ich mir schmerzhaft zu Gemüthe ziehe, nicht ungeahndet und deshalb meine gerechte Forderung nicht im Stiche lassen. Muss also, da Ew. Hochweisheiten mir doch nicht dazu verhelfen können, mir selber Recht und Satisfaction schaffen. So verhoffe ich denn, Dieselben (so ja an diesen Händeln unschuldig) werden es mir nicht ungütlich verdenken, vielmehr bei so gestalteten Sachen mich völlig entschuldigt achten, wenn ich für's Erste alle hier vorbeipassirenden Hamburgischen Waaren und Fuhren anhalten lasse, und mir davon meine gerechte Forderung von 200 Rthlr., wie desgleichen für die groben Invectionen eine gebührliche Summe pro satisfactione, nehmen werde; wozu ich, Gott weiß, ungern schreite, jedoch nunmehro meiner Ehre halber gezwungen bin. Dahero E. H. Rat den gesammten, Dero Bürgern erwachsenden Schaden nicht mir, sondern den Auctoren der wider mich begangenen Ungerechtigkeiten, zumal den Calumnianten, beizumessen, und selbige dafür mit aller Schärfe anzusehen belieben werden. Verbleibe, unter Anwünschung göttlicher Bewahrung und beständigen Wohlstandes, Dero dienstwilliger Wilhelm von Lüdinghausen genannt Wulff, Oberst. Nienburg, 30. April 1647.“

Vermutlich fand der Senat Mittel und Wege, um alsbald den zürnenden Kriegsmann durch Berichtigung seiner Forderung und passende Ehren-Erklärung zufrieden zu stellen, so dass seine beabsichtigte, allerdings etwas tumultuarische Selbsthilfe als überflüssig unterbleiben konnte. Womit denn dieser Nachklang des Faustrechts unschädlich verhallt ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten