Magister Wieses Suspension (1638)

Der Magister Bernhard Wiese, wohlverdienter Archidiaconus zu St. Catharinen, war mit einer Wittwe thor Hacken wegen eines Gebäudes in Prozess geraten, wobei er verschiedentlich mit ihrem Curator Hans Stoeff, einem Schiffbauer und Wieses Beichtkind, hart an einander kam. Auch nach Schlichtung des Prozesses dauerte das Missverhältnis fort. Des Senior Hardkopfs Versuch einer Aussöhnung in der Sacristei zu St. Catharinen schlug völlig fehl. Hans Stoeff verweigerte entschieden, sein früheres Benehmen zu widerrufen und um Verzeihung zu bitten, Magister Wiese aber konnte von solcher Forderung nicht abstehen, von deren Erfüllung er Stoeffs Zulassung zum Abendmahl abhängig machte. Ein bittres Wort gibt das andere, das Beichtkind wird grob, worauf der Beichtvater ihm im steigenden Affecte zuruft: „Hans, guter Freund, verirrtes Schaaf, wo ihr bei solcher Rancüne verbleibt, so seid ihr ein Kind des Teufels, des Todes in der Hölle, der ewigen Verdammnis.“ Der also Angeredete verriet anfangs einige Neigung, statt aller Antwort dem Herrn Pastor gradezu ins Angesicht zu schlagen; dann bequemte er sich zu größerer Milde und begnügte sich damit zu entgegnen: „willt du verwünschter Pfaff mich verdammen, so sei selbst zu dreien Malen dem Teufel übergeben, zum Herrgottstisch aber will ich trotz dir und ihm dennoch gehen;“ worauf er eilends davon gerannt.

Das war kurz vor Michaelis 1637 gewesen. So gern nun auch Hans Stoeff seiner Gewohnheit nach zu dieser Zeit das Abendmahl genossen hätte, so musste er es doch unterlassen, da sich kein anderer Beichtvater finden ließ. Da er nun seinen Gram hierüber dem Senior klagte, so vermittelte es dieser, dass Wieses Kollege, Herr Janichius, die Seelsorge übernahm. Und als Wiese am Neujahrstage 1638 kommuniziert hatte, da dachte Stoeff, nun werde er ihm gewiss verziehen haben, darum könne auch er gleichen Segens teilhaftig werden, worauf er bei Herrn Janichius beichtete und von demselben absolvirt wurde.


Als Hans Stoeff folgenden Sonntags am Altar bereits das Brodt genossen hatte und nun den Kelch empfangen sollte, da traf es sich, dass Herr Wiese, welcher diesen zu reichen hatte, seine Augen aufhub, und seinen Widersacher nahen sah, den er noch immer für einen unbußfertigen und unversöhnlichen Sünder halten musste. Innerlich betend, Gott möge ihm sein Tun und Reden eingeben, hat der Herr Magister dennoch, — in menschlicher Schwachheit vom persönlichen Groll übermannt und seine Sache mit Gottes Sache vermengend, — zu ganz ungehörigem Verfahren sich hinreißen lassen. Denn als Hans Stoeff den Kelch zu empfangen niederkniet, hat Herr Wiese statt der verordneten Worte, die er nicht gebraucht, die Worte Pauli genommen, und gesagt: „wer unwürdig von diesem Kelche trinket, der trinket sich selber das Gericht.“ Während dies die Zunächststehenden mit Erschrecken gehört, ist Hans Stoeff, im Innersten entsetzet, leichenblaß vom Altar zurückgetreten. Nachdem er sich aber erholt, hat er dies Benehmen des Herrn Pastors nicht nur seinen Freunden, sondern auch dem Senior und dem Rate geklagt.

Wegen solchen gröblichen Verstoßes wider die Kirchenordnung und unleidlichen Missbrauches des geistlichen Strafamtes, ersichtlich durch persönliche Beweggründe veranlasst, ist Herr Wiese alsbald von seinen Funktionen suspendiert und hat Haushaft bekommen. Nach vollendeter Untersuchung, zu der er eine Species facti als Entschuldigung einreichte, wurden die Akten an die theologischen Facultäten in Rostock und Wittenberg zur Begutachtung versandt. Unterdessen supplicirte sein Schwiegersohn Pastor Kunow zu Ütersen, im Namen sämtlicher Kinder, inständigst für den gebeugten kranken Vater. Auch das Kirchencollegium nahm sich seiner an, wobei sein treuer Fleiß und sein nie rastender Amtseifer die wärmste Anerkennung fand.

Beide Fakultäten fanden Herrn Wieses Handlungsweise höchst tadelnswert und die vom Rate verfügte Suspension völlig gerechtfertigt. Beide erachteten, dass nun der Hauptpastor in amtlicher Kanzelanzeige der beleidigten und geärgerten Gemeinde eine Art Genugtuung geben müsse, worauf Herr Wiese sein Amt wieder übernehmen könne. Nur in einem Punkte wichen die Gutachten ab. Die Wittenberger Theologen forderten noch zuvor einen bündigen Revers, worin Herr Wiese sein Benehmen als strafbar anerkennen und Besserung geloben sollte; — die Rostocker dagegen warnten vor der darin liegenden Strenge, wobei sie sich ausdrücklich bezogen auf Sprichw. Sal. 30, 32: „wer die Nasen zu hart schneuzet, der zwinget Blut heraus.“

Der Rat indessen, der es darauf wagen wollte, erklärte sich für die Wittenberger Ansicht und ließ den Revers aussetzen. Zu einem solchen wollte sich aber Wiese gar nicht verstehen, obschon er sich die ganze Sache so zu Herzen nahm, dass er darüber schwer erkrankte. Noch eine Reihe immer milder abgefasster Entwürfe verweigerte er, bis er endlich am 7. Januar 1639, also ein volles Jahr nach seiner unbesonnenen Handlung, eine genügende Erklärung unterzeichnete. Am Sonntage darauf verlas der Hauptpastor zu St. Catharinen, Herr Magister Grosse, von der Kanzel eine Anzeige, worin E. H. Rat der christlichen Gemeinde mitteilt: dass die leider obgewaltete Irrung zwischen Herrn Archidiaconus Wiese und einem seiner Beichtkinder, imgleichen das daher entstandene Ärgernis, nunmehr gänzlich beigelegt und gehoben sei, so dass Herr Wiese nunmehr sein Amt wiederum fortsetzen werde. Der Hauptpastor fügte die Aufforderung hinzu: die Gemeinde möge Gott für alle zum Predigtamte Berufenen um Seine Gnade und um einen friedsamen Geist bitten, wie diese hinwieder täglich für das leibliche wie geistige Wohl der Gemeinde bitten würden. — Womit denn in würdiger Weise diese betrübte Geschichte beendigt worden ist.

Magister Wiese hat sein Amt noch zwanzig Jahre lang segensreich verwaltet. Mit zunehmendem Alter ist er, bei unverändertem Pflichteifer immer sanftmütiger geworden und zuletzt einer der beliebtesten Seelsorger gewesen. Er war aus einer alten angesehenen Familie. Sein Urgroßvater, Wilhad Wiese war Ratsherr und Castellan zu Neuwerk. Sein Enkel war der hochverdiente Bürgermeister Hinrich Dietrich Wiese.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten