Eine anzügliche Predigt (1647)

Dem oben erwähnten Hauptpastor zu St. Catharinen, Herrn Magister Grosse, hat übrigens sein treffliches Gebet um friedsamen Geist für seine Person nicht genugsam angeschlagen, da er selbst in Betreff des Buß- und Strafpredigens oftmals etwas über die Schnur gehauen hat. Er war ein lebendiger Kanzelredner und wusste seine Predigten durch die kräftigste Würze eingestreuter Exempel aus dem Leben, recht eindringlich und praktisch zu machen. Freilich durften damals die Geistlichen ihren Gemeinden die ungeschminkte Wahrheit sagen, und die Dinge beim rechten Namen nennen. Indessen war die Weise, wie Herr Pastor Grosse am 24. Trin. 1647 seinen sonst unverwöhnten Zuhörern den Text auslegte, doch wohl allzu derb; denn obschon er keine Namen nannte, so waren die Personen, welche er mit gründlicher Gewissensschärfung bedachte, doch so deutlich bezeichnet, dass jeder mit Fingern auf sie wieß, bis die Reihe an ihn selbst kam.

Das Evangelium handelte vom Töchterlein des Jairus. Der Herr Pastor blieb in dieser Predigt völlig beim Jairus und dessen häuslichen Leiden stehen. Schon im Eingang lobte er denselben sehr, der, obschon geistlichen Standes, dennoch das schwere Hauskreuz der Ehe demütig auf sich genommen habe, womit er nicht nur den „München und Jesuviten“ sowie allen freiwillig im Cölibate lebenden protestantischen Geistlichen, sondern ganz speziell einem werten Amtsbruder hieselbst einen merklichen Stich versetzte. Dann blieb er beim Hauskreuze selbst stehen, das den Jairus ersichtlich zu einem Freunde und Jünger des Herrn gemacht habe. Er benedeiete das eheliche Hauskreuz für alles Gute und Große, das es aus dem trägen Menschen herauszuklopfen im Stande (des Lambeccii Geschichte war damals noch nicht passiert, sonst hätte er sie wohl als Beispiel benutzt) — denn ein rechtschaffen bittres Hauskreuz muss die verstocktesten Sünder aus dem Lasterschlafe zur Einkehr in sich selbst erwecken, woraus Reue, Buße und Besserung keimt. — Nun folgte ein unverschleierter Sittenspiegel für die Zuhörer. Zuvörderst bekamen die Pastoren eine Rüge, welche den Tafelgenüssen fröhnen und ungern ein Gastgebot verabsäumen, oder welche um des schnöden Beichtschillings willen, „fürnehmen und stolzen Herren und Damen, sowie aberwitzigen Stutzern ihre groben Sünden verschweigen oder beschönigen, statt ihnen die Hölle zu malen wie sie ist, und die Perle des Nachtmals solchen Säuen zu verweigern.“ Da waren mehrere große Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Dann predigte er Buße den Richtern, Advokaten und Prokuratoren, welche durch Annahme von Geschenken, z. B. Pokalen und silbernen Kannen, sich blenden lassen und das Recht beugen; wobei dem Redner just einfällt, dass auch er einmal habe prozessieren und sich von einem namhaften gewissen Advokaten mit stachelichen Anzüglichkeiten habe durchhecheln lassen müssen. — Weiter ging es über die Kirchenbehörden her, wobei er die Zuraten zu gewissenhafterer Verwaltung des Kirchengutes und der Armenpflege vermahnte, wobei ihm just wieder einfiel, dass er auch davon ein Lied singen könne, da man ihm plötzlich die gebührlichen vier Säcke Kohlen entzogen habe; wenn diese nun wirklich der St. Catharinen Kirche zu Gute kämen, so wolle er sie derselben gern gönnen. Die kirchlichen Wahlcollegien kamen besonders übel weg, da sie dem Pastor kein Votum einräumen wollten, obschon er besser die Caudidaten beurtheilen könne als die Wähler, die freilich mit der Elle zu messen und Bier zu brauen, aber keines Priesters Tüchtigkeit zu prüfen verstünden. — Dann wurden Schlemmer und Prasser gekennzeichnet, die in Sammet und Seiden mit goldnen Hutschnüren stolzieren, Banquette geben, zu all dem Prunk das Geld borgen, dann aber als Banquerottirer davonlaufen, oder accordiren und weiter schwindeln und betrügen. Ebenso die Lästermäuler, welche Obrigkeit, Nachbarn und alle Welt durch ihre leichtfertige Hechel ziehen, und sogar den Prediger, während er ein ernstes Wort zu ihnen redet, verlästern. So ging's fort; überall fiel ihm zufällig ein Beispiel zur Erläuteruug ein, das allemal des Pudels persönlicher Kern war. — Schließlich verheißt er, das nächste Mal vom Töchterlein des Jairus zu reden, und endet den Sermon: „von gen jüdischen Pfeifern ziehe ich nur dieses aus dem Texte, dass sie fein nüchtern waren, wobei ich nicht ohne Ursach unsern Pfeifer, den Turmtüter, vermahne dass er sich bessere, und nicht ferner seine Betrunkenheit über die ganze Stadt ausblase.“


Die uns unbekannten oder nicht interessierenden Persönlichkeiten, auf welche es gemünzt war, gerieten damals in nicht geringe Aufregung. Die Predigt, welche höchsten Ortes in der Handschrift eingefordert und äußerst anzüglich und ärgerlich befunden wurde, brachte dem übrigens sehr verdienstvollen Pastor Grosse einen achttägigen Hausarrest zu Wege.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten