Wunderkinder (1660-1676)

Das siamesische Doppelkind, welches vor etwa 20 Jahren Europa in Erstaunen setzte, hat in Hamburg bereits 1660 einen Vorläufer gehabt: ein teilweise doppeltes Kind, mit zwei Köpfen, zwei Hälsen, zwiefachem Brustkasten, vier Armen, vier Beinen, aber nur einem einzigen Bauch. Die Eltern waren arme Leute, hätten ihr Himmelsgeschenk gern groß gezogen zu ersprießlicher Verwertung durch Sehenlassen gegen billige Entree. Es ward aber nichts daraus, denn die eine Halbscheid des jungen Paars lebte nur bis zum Abend. Sintemal es nun, nach dem Spruch des Gassenrechtes, „nicht möglich, dass der Todte bei dem Lebendigen bleiben darf,“ so ratschlagte man, wie man wohl um diesen zu erhalten, den gestorbenen Zwilling von ihm abtrennen konne, und Doktoren und Chirurgen wetzten schon ihre Messer, — da starb zum Glück der andre arme Wurm auch, zum Leidwesen der Eltern.

Ein im Jahre 1676 geborenes, übrigens völlig makelloses Kindlein, trug auf dem Kopfe einen durch die Haut desselben gebildeten wunderbaren Schmuck, welcher sich accurat wie eine s. g. Pustkappe ansehen ließ, desgleichen damals von dem neumodischen Frauenzimmer viel getragen wurde. Des Kindes natürliche Haube hatte in der Tat völlig die Façon der künstlichen Hauben vornehmer Damen, Schnippe auf der Stirn etc., grade so, wie die Mutter, eines armen Soldaten Ehefrau, sie oftmals nicht ganz neidlos in der Kirche gesehen und sich gewünscht hatte. — Das Wunderkind konnte Jedermann besichtigen, für einen Sechsling à Person, ohne der Wohlthätigkeit Schranken zu setzen. Aber die Eltern hatten nicht lange Gutes von diesem Ehesegen, denn das Kindlein starb schon nach einigen Tagen, ersichtlich an den Folgen seiner Berühmtheit.


Seltsam aber ist es, dass auch das Pflanzenreich sich der mächtigen Einwirkung einer Frauenzimmer-Mode nicht erwehren kann. Denn im Jahre 1676 erlebte man hierorts ein derartiges Blumenwunder. Ein Stadtsoldat der vor der Hornschanze auf Schildwacht stand, fand auf einem Stengel zwei Blumen, deren jede vollständig so gebildet war „wie das neumodische Frauenzimmer eben begunnte seine Kopfflege zu verändern.“ Diesen für Hamburgs Kulturgeschichte so wichtigen Übergang der altertümlichen Haube in eine moderne, hatte das Naturwunder gekennzeichnet. Es stellte, von vorn gesehen, einen dicken geschnippten Wulst von weißen gekräuseten Zwirnsfäden vor, nach hinten eine schlichte Rundung von Hinterkopf-Form. Die Blume ist nicht nur von aller Welt besichtigt, sondern auch vielfach gezeichnet und der Nachwelt durch eine artige Schilderei aufbewahrt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten