Martin Roevers Händel (1567)

Unter den im Jahre 1563 von der Bürgerschaft zur Verwaltung des Kämmereiwesens verordneten Achtmännern war auch Martin Roever, ein angesehener Mann. Er ist aber nicht lange in solchem Ehrenamte verblieben, weil er ein Vergehen beging, das ihn aus der Kammer und letztlich aus der Stadt brachte.

Es war am 13. Mai 1567, als Martin Roever in einer Privatsache von dem ältesten Richtherrn Johann Huge (dem er längst feind war) ein Urteil nehmen musste, das ihm unbillig schien. Der alte Widerwille erwacht, er brauset gegen seinen Richter auf, schmähet und lästert denselben auf das Gröblichste, ja er zieht blank gegen Herrn Huge, den er dann, als etliche Bürger ihm die Wehre entwinden, mit den Fäusten anzufallen sich erfrecht hat.


Herr Huge, der solche Vergewaltigung des richterlichen Amtes unmöglich mit dem Mantel der Liebe bedecken durfte, trat folgenden Tages mit zweien seiner Zeugen, Claus Köting und Johann von Cölln dem Münzmeister, klagend vor den Rat. Als Martin Roever durch den Herrenschenk geeschet, ebenfalls erschienen war, wurde nach geschehenem Zeugenverhör, Rede und Gegenrede zwar noch kein Urteil gefunden, jedoch des frevelnden Mannes Haft erkannt. Durch zwei Ratsherren und acht Hausdiener wurde er nach dem Winsertor gebracht, und allda gefesselt in den höchsten Turm gesetzt. In solcher Verstrickung ist er bei Wasser und Brodt geblieben, es hat Niemand, auch nicht seine Hausfrau, zu ihm dürfen, und nicht einmal eines Bettes hat man ihn genießen lassen.

Dess' haben sich seine Blutsfreunde und Schwäger gegen alle Welt und zumal gegen die Oberalten als Vorsteher der Bürgerschaft, hart beklagt. Darum kamen die Oberalten früh acht Uhr am 16. Mai zusammen, um mit dem Rat ein Wort über Martin Roevers Handel zu reden. Es wurde hin und her tractiret. Oberalten vermeinten, E. E. Rat habe doch wohl gegen Martin Roever, einen vornehmen Bürger, viel zu strenge verfahren; zwar wollten sie seine Freveltat nicht verteidigen; aber sie achteten doch, dass durch solche harte Haft im Turme der bürgerlichen Freiheit zu nahe getreten sei, und deshalb schritten sie für ihn ein. Was dem Martin widerfahren sei, dass könne einem geringeren Bürger aus unerheblichen Ursachen auch begegnen. Drum begehrten E. Oberalten, als Mittler zwischen Rat und Bürgern wie als Aufseher über Haltung der Recesse: der Rat wolle dem Martin das Gefängnis lindern und ihn nicht wie einen gemeinen Missetäter halten, ansonst es leicht ein Unglück in der Stadt geben könne. Der Rat aber erkannte die Sache als eine peinliche, und wollte dem vornehmen Schuldigen keine Gunst vor einem armen Sünder gewähren, darum wieß er der Oberalten Fürwort ab.

Inzwischen verfassten Roevers Verwandte eine Bittschrift an die Oberalten, die durch einen Notar nebst zweien Zeugen überreicht wurde. Und Martins Hausfrau und ihre Schwester kamen auch dazu, die weinten und wehklagten, dass es die Oberalten erbarmte. Sie verwandten sich also nochmals für den Eingekerkerten und baten um schleunige Resolution, weil das Pfingstfest herannahe, und der Rat dann keine Session halte. Sie erlangten aber wiederum nichts.

Endlich nach dem Feste, am 23. und schließlich am 27. Mai, da unterdessen durch Roevers Freunde die halbe Stadt in Bitterkeit und Aufregung gekommen war, traten, um des lieben Friedens willen, die Oberalten nochmals vor den Rat. Sie forderten des Gefangenen Entlassung vom Turm, gegen gute Bürgschaft und Haushaft, der Klage und Sentenz unverfänglich. Der Rat wandte dawider Stadtbuch und Bursprake ein. Oberalten aber beriefen sich auf den Recess von 1483, wo es laute „wer missgetan hat, den soll man vor Gericht ansprechen, und was ihm im Gericht nach Stadtrecht zuerkannt wird, das soll er genießen.“ Und dieweil bei Roever solch Verfahren verabsäumt sei, deshalb sei der bürgerlichen Freiheit zu viel geschehen, und darum ermahnten sie als Vorsteher der Bürger, der Rat wolle ihr Wort beachten, sonst müssten sie, kraft Recesses von 1529, die vierundzwanzig Bürger aus jedem Kirchspiel zu sich ziehen, — und wohin solches führen könne, das werde der Rat wohl von selbst einsehen.

Und nach langwieriger Erwägung sah der Rat es ein; „Seigers 2“ (Schlag 2 Uhr) gab er den Verstehern die gewünschte Antwort; und Martin Roever kam vom Turm und in die Haft seines Hauses nach vollzogener Bürgschaft.

Wenn er nun der Rache entsagt hätte, so wäre alles noch gut gegangen, Herr Huge wäre sein Feind nicht länger geblieben. Aber er kehrte den Handel um, und trat klagend gegen Herrn Huge mit einer Menge schwerer ehrenkränkender Beschuldigungen hervor. Da er diese nun im ordentlichen Gerichtsverfahren nicht beweisen konnte, so endeten seine Händel damit, dass er von Rechtswegen als boshafter Verläumder und Vergewaltiger des Richteherrn, unter Läutung der Schandglocke, auf ewig der Stadt verwiesen wurde. Womit denn Oberalten wie alle rechtlichen Bürger vollkommen zufrieden waren.

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Herr Johann Huge, ein Enkel des mit sechsunddreißig Kindern begabten Bürgermeisters gleichen Namens, war ein wackrer und vernünftiger Mann, der für der Stadt Wohl sehr tätig gewesen ist. Er hat auch das feste Haus Moorburg ansehnlich verstärkt und eine Zeitlang als Hauptmann dort gesessen und die Burg gegen die Harburger mannhaft verteidigt, Anno 1564, als der Junker Grote zu Stillhorn (Wilhelmsburg), viele Grenz- und Hoheits-Irrungen erregte. Der gute Herr hat aber in seinem Leben viel Ungemach erfahren. Er hatte nur eine Hand, die andere war ihm in jungen Jahren von einem gewalttätigen Mann, Paul Hane aus Kehdingen, abgehauen. Martin Roevers Freveltat wider ihn hat den armen Herrn gar tief geschmerzet. Und als er gedachte, dem Getümmel der großen Stadt und ihrem Gewühl von Leidenschaften zu entrinnen und des stillen Landfriedens auf seinem Gehöfte zu Ochsenwärder zu genießen, da verstörten seine Ruhe einige alte Hexen, davon wir später hören werden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten