Eine junge Hexe (1611)

Nach Abelke Bleken wurden noch manche Zauberer und Hexen gerichtet. Es waren, wie die meisten ihrer Schicksalsgefährten, alte bettelarme Menschen, deren Übeltaten sich in denselben Kreisen bewegten: sie machten böses Saat- und Erndtewetter, sie schädigten das liebe Vieh, zuweilen auch wohl einen Menschen, vielleicht waren sie auch nur gewillt zu schädigen. „Was kann denn eine alte Bauerhexe für ein groß Unheil anrichten?“ meinten die Hamburger allmählich auch. Und in der Tat kann eine junge schöne Hexe unweit gefährlicher werden, zumal wenn sie dabei gebildet und reich ist; das ist ein Glaubens-Artikel, der sich auch aufgeklärten jungen Männern der Gegenwart aufgedrängt hat.

Reich und gebildet nicht, wohl aber jung und wunderschön war Carharina Dieckmann, ein der elterlichen Zuchtrute zu früh entwachsenes Mädchen aus der Fremde, man wusste nicht woher sie kam. Verstand sie sich auf geheime Magie, weiße oder schwarze Kunst? Konnte sie wirklich Menschenherzen behexen, Zaubertränke brauen?


Der, dem sie's angetan, wusste selbst nicht was ihm passiert war. Man denke doch: ein stiller solider Bürger aus einer unsrer ersten Familien, fleißig am Comptoir und sparsam im Haushalt, wohlverheiratet mit einer tugendhaften Dame aus vornehmstem Geschlechte, — der geht eines Morgens zum Hafen, kühl bis an's Herz hinan; dort gewahrt er ganz zufällig das junge Mädchen, und bleibt mit seinem Blick an ihrer wunderbaren Schönheit nur einen Augenblick lang hängen. Und des Mädchens Augen bohren sich durch die seinigen blitzschnell, tief, tief in die Seele, ins Herz, — da war's um ihn geschehen! Von Stund an erscheint er wie ausgewechselt, — die Ruh' ist hin, das Herz ist schwer; um's kurz zu sagen: er konnte nicht anders, er musste dem Mädchen anhängen. Sein vornehm' tugendlich' Gemahl erriet und erfuhr Alles; es wird bös' Wetter gegeben haben, bedenkliche eheliche Beredungen; er versprach alles, hielt nichts: es war klar, der nüchterne Mann war behert. Dem Mädchen wurden in der Stille Vorstellungen und Verheißungen gemacht, sie sollte den bösen Zauber lösen, aber nichts vermochte sie dazu von ihrem Gefangnen zu lassen, der endlich auch um ihretwillen sein vornehm tugendhaft Gemahl verließ.

Da war deren Geduld zu Ende, die Scheu vor dem unvermeidlichen Stadtgespräch wurde in ihr durch den gerechten Wunsch nach Rettung des Verblendeten und Bestrafung der Zauberin überboten. Die schöne Catharina wurde eingezogen, und der zart zu behandelnde Casus untersucht. In Betreff der Zauberei aber ließ sie nichts an sich kommen. Sie gab zu verstehen, wenn's ihre Augen, ihre Wohlgestalt, ihre Schönheit nicht getan, andre Zaubermittel kenne sie nicht, Liebestränke oder Philtra habe sie nie gekocht, auf Hexenwesen, womit bislang in Hamburg nur alte Weiber sich befasst, verstehe sie sich nicht. In der Tat lag von der ersten Classe der Zauberei, wie sie das neue Stadtrecht von 1603 aufgestellt hat, keins der gesetzlichen Kennzeichen vor: kein eigentlicher Menschen- und Vieh-Schaden, auch kein dazu gebrauchtes erbotenes Mittel; die zweite Art der Zauberei war auch nicht ganz zutreffend, denn dass die Maleficantin ein „sonderbares höchst ärgerliches Bündnis mit dem bosen Feinde gemacht,“ das war ihr doch schwerlich zu unterbreiten. Da es also an rechtlichen Gründen zur scharfen Frage gebrach, so ließ man den Punkt der verbotenen Zauberei ganz fallen, verurteilte sie aber des anderweit vorliegenden höchst ärgerlichen Bündnisses und zuvor verübter Leichtfertigkeiten wegen: zum Ruthenstrich am Kaak und zur Stadtverweisung. Und kein Gnadengesuch kam ein, des Urteils Milderung zu erflehen, darauf sie doch geharrt und gehofft; — vielleicht war die Entzauberung schon geschehen.

Der alte hölzerne Kaak vor der Frohnerei war grade durch einen neuen hohen steinernen ersetzt, der nun durch Catharina Dieckmann eingeweiht werden sollte. Unter Trommelschlag und Pfeifenklang wurde die Unglückliche herbei und hinauf geführt, und in den vielen tausend Zuschauern auf dem Platze und an den Fenstern der Häuser schlugen die Herzen vor Mitleid und Erbarmen. Und ein alter Chronist erzählt: als nun das junge schöne Weibsbild auf dem Kaak stand, und die Henkersknechte ihr das feine gestickte Sammetwams mit den Silberkettlein abrissen, da streckte sie beide Arme aus nach dem Wördenhof'schen Hause und winkte dahin, wo ihres gewesenen Liebsten vornehm' tugendlich' Gemahl in Pracht und Ehren saß, um zuzuschauen ihrer Schande und Schmach. Und sie winkte dahin und rief überlaut: die da war es, die ihr dies Elend bereitet, — aber da wurden ihr die Arme an den Pfahl hinaufgezogen und festgebunden; und die Büttelsknechte gebrauchten die Ruten, und das junge rote Blut floß über den weißen Rücken, dass sie Zeter schrie, während Trommeln und Pfeifen rasch einfielen und das Wehegeschrei übertönten. Item, es war doch graulich anzusehen! — Dann Abends bei Sonnenuntergang führte der Gerichtsdiener sie zum Tore hinaus auf Nimmerwiederkommen. Gott gebe nur, dass das arme sündige Frauenbild sich die verdiente Strafe hat zur Besserung dienen lassen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten