Abelke Bleken (1583)

In ganz Ochsenwärder gab's um 1530 kein schöneres Mädchen als Abelke Bleken, des reichen Bauern einziges Kind. Wer ihr rosig Antlitz sah, dem wurde auch mitten im Winter ganz frühlingslustig zu Mute. Sie war ihrer Eltern Freude und Glück, Jedermann hatte sie lieb, die jungen Burschen mochten nur mit ihr zum Tanz gehen. Freien aber wollte sie nicht. —

Darüber vergingen Jahre. Die Eltern waren gestorben, Abelke hatte das Gehöfte geerbt und waltete darin wie eine verständige Bäuerin. Sie war zu ihren Tagen gekommen, immer noch ohne Mann, obschon der Freier genug angeklopft hatten. Es ging aber das Gerücht im ganzen Kirchspiel: Abelke wolle nicht heiraten bis der Rechte wiederkäme; ihr Rechter aber sei ein Kriegsmann, ein feiner Gesell, der vor Jahren unter den Stadtsöldnern als Fähndrich gedient, und eine Weile mit seinem Haufen in Ochsenwärder quartiert hatte. Der habe ihr Lieb und Treu gelobt, und die Ehe versprochen, wenn er heimkehre. Darauf sei er sich zu versuchen und bis zum Hauptmann durchzuschlagen, in die weite Welt gegangen und nicht wieder gekommen. An ihm aber hange Abelke mit Leib und Seel' und wolle um seinetwegen von keinem andern Manne wissen.


Und wieder waren Jahre vergangen. Der Fähndrich war nicht wiedergekommen, Abelke einsam geblieben. Sie galt noch immer für ein schönes Weibsbild. Sie schaltete auf ihrem Hof fleißig und rührig, hielt Acker und Vieh wohlbestellt, war gottesfürchtig und ehrbar, gab reichliches Almosen jedem Bettler der vor ihre Tür kam, und armen Soldaten doppelt. Sie war auch allezeit fröhlich und lustig vor den Leuten, mit denen sie gern ihre Erndteschmäuse und Martinsgänse teilte, — aber es hieß doch: wenn sie allein in der Stube sitze, dann sinne sie oft stundenlang vor sich hin, sei traurig und weine bitterlich. Es hatten auch etliche Leute die zu später Stunde aus der Stadt heim kamen, erzählt: sie hätten Abelke Bleken gegen Mitternacht am Kreuz im Felde bei der Landscheide stehen sehen, wie sie die Hände gerungen, geseufzet und gewehklagt habe.

Und abermals waren die Zeiten mit Segen und Fluch über das Land gegangen. Die guten Nachbarn und Freunde aus ihrer Jugendzeit waren gestorben, die fremderen Leute hatten's vergessen, dass Abelke Bleken einmal jung und schön, fröhlich und gesellig, aller Welt Freude und Lust gewesen war, — die jungen konnten's ohnehin nicht wissen. Abelke's Haare waren frühzeitig ergraut, ihre vormals schlanke große Gestalt war gebückt und zusammengeschrumpft, die einst so lieblichen Gesichtszüge waren welk, hart und scharf; die großen dunkeln Augen allein waren noch lebendig, aber das däuchte den Leuten ein unheimlich Feuer. — Einsam saß sie da auf ihrem Hofe, kein Mensch verkehrte mehr mit ihr. Der große Kater, der ihr steter Gefährte war Nachts und bei Tage, den sie ohne Maßen liebte und ihm ihr ganzes Herz zuwandte, der war den Leuten verdächtig, er war dreifarbig, und Niemand wusste, wann und wie er zu ihr gekommen. Einige wollten auch gesehen haben, dass ein Feuerklumpen wie ein glühender Drache zu ihr in den Schornstein geflogen sei. Jedermann hatte eine Scheu vor ihr. Auf den Straßen wichen ihr die Leute aus, erwiederten kaum ihren Gruß, darum wandelte sie fast nur spät Abends aus, zum Kreuz an der Landscheide oder zum Kirchhof. — In der Kirche rückten die Nachbarinnen von ihr seitab, — darum ging sie nicht mehr ins Gotteshaus. — Die Bettler legten ihre Gabe weg und schlugen ein Kreuz, wenn sie das Almosen reichte, darum gab sie fortan keinem mehr, und keines Armen Vaterunser erscholl ferner vor ihrer Türe.

Aber es kam noch viel schlimmer. Der Leute töricht Gerede von Abelkes unheimlichem Wesen, verscheuchte ihr die guten Dienstboten, nur schlechtes Gesinde kam zu ihr, um bald wieder fortzugehen. Darunter litt Acker und Vieh, alles ging in ihrer Wirtschaft rückwärts; sie kam ins Verarmen. Was ein Hagelschlag übrig gelassen, das verzehrte die Feuersbrunst, als ein Gewitterstrahl ihr Gehöfte entzündete, ohne dass auch nur ein einziger Nachbar der verlassenen Alten zur Hilfe gekommen wäre. Nun wurden ihr auch Hof und Acker verkauft, sie war bettelarm geworden.

Jetzt, da sie bettelarm war, sprachen die Leute es laut aus, was sie längst im Stillen gemunkelt: Abelke Bleken sei eine Hexe! Und wie eine alte Hexe, also behandelte sie nun alle Welt, mit ebensoviel Scheu als Verachtung.

Da geriet das unglückselige Weib in einen fast wahnwitzigen Zustand. Was ihr von Jugend auf Widriges begegnet war, ihr vergebliches Hoffen und Harren, die unverdienten Kränkungen, die Verarmung, Spott, Hohn und Schmach, — alles entzündete in ihr ein neues Leben, darin sich ein grimmiger Hass gegen die ihr feindlichen Menschen mit glühender Rachbegier verband. „Behandelt ihr mich wie eine Hexe, wohlan, so will ich eine Hexe sein, und euch schaden und bitter weh tun, zum Labsal für mich und zur Vergeltung für all das Herzeleid, das ihr mir angetan. Und da besann sie sich aufs Zauberwesen.

In der katholischen Vorzeit finden wir nur selten Spuren von Hexenverfolgungen, welche erst zur Reformationszeit, in Verbindung mit der Tortur, überhand zu nehmen begannen. Im Jahre 1555 waren in Hamburg 14 Hexen eingezogen; zwei starben auf der Folterbank, acht wurden freigesprochen, ihrer vier aber, darunter die Vögtin von Hamm, zum Feuertode verurteilt und lebendig verbrannt. Seit dieser Zeit war unter dem Volk im vertrauten Gespräch immer mehr von solchen unheimlichen Dingen die Rede. Jeden trieb es davon zu erfahren, im Stillen sich Rats zu erholen. Hexenmeister, Zauberer und Zauberinnen wurden eingezogen, gepeinigt und „zu Tode geschmaucht,“ aber doch rottete die strenge Strafe das Verbrechen nicht aus, das sich vielmehr immer mehr auszubreiten schien.

Der schreckliche Scheiterhaufen, auf dem 1576 abermals fünf Hexen lebendig verbrannt wurden, entzündete in dem verirrten Gemüt der alten verstoßenen Abelke eine nur noch heißere Begier nach dem Besitz jener geheimen Macht, die von den Menschen ersichtlich sehr gefürchtet und deshalb also verfolgt wurde. Wer sucht, der wird finden, wer das Böse sucht, dem kommt's auf halbem Wege entgegen. Die alte Strickerin auf dem Fliegenberge wusste mancherlei, sie verstand es magische Knoten zu schürzen, zum Schädigen der Menschen. Peter Went, der Schäfer, kannte Kräuter und Wurzeln, voll zauberischer Wirkung. Hans und Geseke Schwormstedt zu Spadenland, die waren erst recht weise, sie hatten's vom alten Rolf Moller, der auf seinen Zauberglauben gerichtet und gestorben war. Sie waren mit Abelke Dieken in gleicher Lage, verarmte ausgezählte Bettler, voll Feindschaft gegen jede lebende Creatur Gottes, die glücklicher war als sie; gegen alle Menschen, auch schuldlose, z. B. wider den alten Ratsherrn Huge, der ihnen doch nie etwas zu Leide getan hatte. Er verschuldete es doch nicht, dass sie ihre Äcker hatten verkaufen müssen, warum sollte er sie nicht erstehen? Aber weil er jetzt ihre Gehöfte zu dem seinigen gelegt hatte, und daselbst mit seiner Hausfrau im stillen Frieden zu leben gedachte, darum hassten sie ihn bitterlich und trachteten ihm zu schaden.

So ist Abelke Bleken zur Here geworden und hat sich dem Teufel übergeben, und in des Teufels Namen gezaubert, vergiftet und geschädigt, bis das Maaß ihrer Uebeltaten erfüllt war.

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Im Keller der Frohnerei am Berge zu Hamburg saßen die Richteherren Gevert Delmenhorst und Wilhad Hanken; Kruzifix und Bibel lagen auf dem Tische; daneben stand der Ratsbarbierer. Vor ihnen kniete ein siebenfach gefesseltes Weib, Abelke Bleken, aufmerksam die rotgeränderten Augen auf Meister Matthias Greve den Frohn gerichtet, der ihr auf Befehl seiner Herren die Marterwerkzeuge der scharfen Frage einzeln zeigte und ihren Gebrauch erklärte. Als nun der älteste Richteherr sie anredete: Abelke Bleken, wollet ihr Gott die Ehre geben und freiwillig gestehen, dass ihr mit dem Teufel verbündet und eine verfluchte Hexe seid, auch freiwillig dem Gerichte eure Missetaten bekennen? — da flammte es in den dunkeln Augen des unglückseligen Weibes wie Hohnlachen auf, während die fahle Blässe ihres Gesichtes noch leichenhafter wurde, indem sie sagte: nein, ich will nicht!

Der Frohn hatte getan nach seiner Herren Gebot, und die verstockte Inquisitin rechtschaffen angegriffen. Der Ratsbarbierer hatte neben der Peinbank gestanden um zu rufen: genug, — wenn's der Marter zu viel würde für das schwache Weib. Als sie gestreckt wurde, da hatte sie gekreischt und geschrieen und Gott gelästert, — aber weinen konnte sie nicht.

Es hatte darum der älteste Richteherr zum jüngsten gesagt: „sie ist schuldig, sonst würde sie weinen; denn wer dem Teufel anhängt, der muss zuerst sein menschlich Fühlen ausrotten und menschlich Weinen verlernen.“ Darnach unter der Pein war das unselige Weib allmählich still geworden, hatte fast gelächelt, aber so, dass den Barbierer ein Entsetzen gepackt, — endlich als der Schmerz immer tiefer ins Mark der Knochen gedrungen, hatte sie die fest verkniffenen Lippen geöffnet, einen Fluch ausgestoßen auf den Teufel, der sie in der Not verlassen und dann gewimmert: ich will bekennen.

Ohnmächtig war sie von der Streckbank gehoben, der Barbier hatte ihr beigestanden, mit stärkendem Elixir, mit Speis und Trank war sie gekräftigt, — dann legte sie umständlich und sonder Rückhalt ihr Geständnis ab, wobei im steigenden Eifer eine fliegende Röte das fahle Gesicht bedeckte. War's eine der Marter gefolgte Fieberhitze die aus ihr sprach? war's ein Teil der Verrücktheit die das verzweifelnde Weib schon seit Jahren besessen? — Was sie aussagte das schrieben die Richteherren sorglich auf, welch Aktenstück, Urgicht genannt, d. d. 7. März 1583, uns aufbewahrt geblieben ist.

Vor vier Jahren, so bekannte Abelke Bleken, hatte sie an der Landscheide zu Ochsenwärder um Mitternacht den Teufel gerufen. Er war ihr erschienen; König Beltzamer, hatte er gesagt, so solle sie ihn nennen, und mit keinem andern Namen rufen. Ihm hatte sie sich zu Eigen ergeben, mit Leib und Seele, für zeitlich und ewig, — dann hatte er ihr gesagt, wie sie die Werke der Finsternis verrichten müsse, worauf er ihr den Höllensegen gegeben, damit alles was Böses sie tun werde ihr wohl geraten möge. Noch oftmals hat König Beltzamer sie besucht, gerufen und ungerufen, zur Bestätigung ihres unlautern Bündnisses mit ihm; jedesmal war er eiskalt und kein Funken Wärme in ihm gewesen.

Zunächst ist er nach sieben Nächten zu ihr gekommen, hat sich vor ihren Augen in ein schwarzes Roß verwandelt, auf dessen Rücken sie, mit dem Küchenmesser in der Hand, davon geritten, weit weg zum Hexentanzplatz auf dem wüsten Sandberge, wo ihrer viele zusammengekommen waren. Dort hat sie für ihre Obersten gekocht und zugerichtet, was diese ihr an Kraut und Wurzeln gegeben, auch selber mitgegessen und getrunken. Als hierauf der Hexentanz begonnen, hat sie mit dem Teufel und auch mit Peter Went (der mit Abelke Bleken zugleich gefangen gesetzt) und mit dem nachmals zu Winsen gerichteten Zauberer getanzt. Und Geseke Schwormstedt aus Tatenberg, die später gerichtet worden, ist auch dabei gewesen und hat mit dem Teufel getanzt.

Bald darnach hat Abelke Bleken sich nächtens an der Landscheide mit Geseke Schwarmstedt gegen Herrn Johann Huge den Ratmann verschworen, ihn nach Kräften an seinem Vieh und Korn zu schädigen, weil er ihrer beiden Ackergut gekauft, das sie ihm doch nicht gönnten. Und Anneke Went hat dabei mitgeholfen. Die Ochsen haben sie todt gezaubert, indem sie in aller Teufel Namen mit einem Bettstock so viel Löcher in die Erde gestoßen, als Beester sterben sollten; den Kälbern haben sie Ratzenkraut, um Mitternacht gerauft, kurz vor Sonnenaufgang unter Anrufung des Bösen in den Koven gelegt, worauf sie daran geleckt und stracks gestorben. Als Herrn Johann Huges fromme Hausfrau ebenfalls mit ihrem Gemahl büßen gesollt, da hat Abelke Bleken von solcher Tat sich losgesagt, und Geseke und Anneke sind's allein gewesen, welche die arme Frau so grausamlich verzaubert haben.

Dagegen hat Abelke einen Zorn gehabt gegen Dirk Gladiator*) den Vogt zu Ochsenwärder, der ihr bei der Deichschauung ihren letzten Kessel abgepfändet. Sie hat damals gleich zu ihm gesagt: er werde es einst auf seinem Bette verzehren müssen, was er ihr jetzt eingebrockt. Zuvörderst hat sie aber noch die Güte versucht und ist zur Vögtin gegangen, welche sie inständigst um Rückgabe des Kessels gebeten hat, indess vergebens. Da hat sie für den Vogt eine Zaubernestel zugerichtet, aus ihrem Gürtel von Wollenband, in dessen Enden sie in aller Teufel Namen künstliche Knoten geschlagen, darin sie etliche von seinen Haaren und etliche Nägelschnitzel von den Fingern seiner allbereits todtkranken Frau verborgen. Solchen Gürtel hat sie in seinem Pferdestall versteckt und dabei siebenmal geflucht, dass der Vogt in Krankheit fallen und so lange siech bleiben solle, bis der Gürtel gefunden und die Knoten richtig gelöset sein würden. Die Vögtin aber hat sie schneller aus dem Leben gezaubert. Sie hat heimlich die Hauskatze in der Vogtei mit einem Stocke in aller Teufel Namen todtgeschlagen, und den Katzenbregen auch in aller Teufel Namen der Vögtin in Kohl und Warmbier getan; nachdem diese davon genossen, ist sie krank geworden und bald darauf gestorben.

*) Im Original der Urgicht lautet des Vogtes Namen Kleater, zweifelsohne eine irrige Schreibart für Gladiator, welcher Familienname in Bill- und Ochsenwärder erweislich um 1600 vorkommt und noch gegenwärtig daselbst sich findet.

Dieses alles, und noch mehreres von den Genossen ihrer finstern Werke, hat Abelke Bleken bekannt, auch hinzugefügt, dass noch in verwichner Nacht König Beltzamer bei ihr in der Koje gewesen, von ihr aber weggewiesen sei, worauf er in der ganzen Frohnerei ein groß Getümmel gemacht und dann verschwunden sei. Schließlich ist ihr die Urgicht vorgelesen, deren Inhalt sie vollständigst bestätigt, auch beteuert hat, auf die Wahrheit aller dieser ihrer Aussagen wolle sie leben und sterben.

Da wurde alsbald ihr Urteil gesprochen; und am 18. März 1583 loderte beim Hochgericht der Scheiterhaufen empor, dessen Flammen das unselige Weib verzehrten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten