Ein Rats-Secretarius der Vorzeit. (1376.)

Im Jahre 1376 empfanden Bürgermeister und Ratmannen dieser Stadt das dringende Bedürfnis, wegen bedenklicher Zunahme der Staatsgeschäfte abermals einen Stadt- oder Ratsschreiber, einen Secretarium Reipublicae wie man später sagte, anzunehmen; ob einen ordentlichen oder einen extraordinairen, ist nicht bekannt. Da wurde denn fleißig ausgespäht und geforscht nach einem tauglichen Subjecte unter den studierten Geistlichen, welche vor Allen zum Secretariate beliebt waren. Nicht grade, dass man einige Theologie und mehrere Gottesfurcht in die Stadtschreibereien zu bringen gewillt war, sondern selbige Herren waren die einzigen geeigneten Kapazitäten. Denn damals, wo schon Lesen, Schreiben und Rechnen als feine Kunststücke galten, des Lateinsprechens zu geschweigen, gab's noch keine weltliche Doktoren und Lizentiaten des Rechts, welche dato ähnliche Wahlen so wesentlich erleichtern. Darum hat es bis zur Reformation unter den Stadtschreibern und Secretarien fast lauter Magister u. a. studierte Cleriker gegeben, worauf aber 1829 die Bürger verlangten: von nun an dürften ferner keine Papen solche Ämter verwalten, vielmehr eitel Weltkinder und bequeme Bürgerssöhne, wie noch jetzt Rechtens.

Endlich war der rechte Mann gefunden in Herrn Magister Bruno Bekendorp, des Bürgers Herbert Sohn, ein Bruder des seligen Senators Hinrich, aus dessen zahlreicher Nachkommenschaft acht Sprossen im Ratsstuhle gesessen haben mit großer Würdigkeit. Am 5. November 1376 einigte sich Senatus mit Magister Bruno über dessen Pflichten und Rechte, mittelst schriftlichen Contracts, aus dem wir die folgenden Einzelheiten lernen.


Zu tun bekam der gute Stadtschreiber allerdings recht viel und vielerlei. Denn als williger und treuer Diener des Rats war er in Bausch und Bogen zu allen Verrichtungen verpflichtet, wozu Wohlderselbe sich seiner zu gebrauchen für gut erachtete. Insbesondere musste er als des Rats fleißiger Schreiber allezeit fix mit der Feder sein, und daneben auch nach bestem Vermögen alle sonstigen geistlichen wie weltlichen inneren wie auswärtigen Angelegenheiten der Stadt besorgen und vollführen, je nach Auftrag des Rats. Man sieht, Magister Bruno versah auch die Funktionen der erst sechszig Jahre später auftauchenden „Doctoren“ oder Syndiker.

Indessen brauchte er deshalb die aus sitzender Lebensweise häufig entspringenden Gesundheitsgefahren, welche nach den Münchener fliegenden Blättern eine eigene Classe von Staats-Dienern geschaffen haben, gar nicht zu fürchten. Denn der Secretair Bruno Bekendorp leistete unserer Stadt nicht bloß sitzend am Schreibtische, sondern auch nach ausdrücklicher Verpflichtung gehend, fahrend und reitend seine ersprießlichen Dienste. Bewegung hatte er also genug. Und solche Missionszüge des berittenen Secretarii erstreckten sich sogar bis über das Meer, da er sich anheischig gemacht hatte, „zu Wasser wie zu Lande, bei Tage wie bei Nacht“ des Rats Aufträge zu besorgen.

Noch belastete den geplagten Mann eine Tätigkeit, die den jetzigen Herren Secretarien nicht nur nicht obliegt, sondern gar nicht gestattet wäre. Er war nämlich gehalten, den Bürgern, die in ihren geistlichen oder weltlichen Sachen seiner beratenden oder schreibenden Hilfe begehren würden, darin fleißigst und freundlichst zu dienen, natürlich auf deren Kosten, welche strittigenfalls zu bestimmen, der Senat sich vorbehielt.

Für so viele Geschäftsplage aber konnte Magister Bruno auch mit den verheißenen Entschädigungen und Genüssen wohlzufrieden sein. Eigentlich unterschied er sich (abgesehen vom Arbeiten) nur wenig von der Lilie des Feldes, denn die Befolgung der evangelischen Vorschrift, weder für's Essen und Trinken noch für die Kleidung zu sorgen, war ihm durch E. H. Rats Pflege äußerst leicht gemacht. Eine schöne warme Wohnung hatte man ihm eingeräumt in einem Hause mit seinem würdigen Kollegen Johannes Tunderstede, aus Rücksicht mehrerer Geselligkeit der beiden, leider im geistlichen Cölibate gar einsam lebenden Herren, neben dem Schaffer- oder Gildehause am Ness. Wurde dort banquettiert, so hatte er die Pauken und Trompeten gratis. Das war in punclo des Losaments, folgt das Tractement. Hier konnte Magister Bruno sich nach Belieben einrichten. Scheute er als alter Junggesell die Unruhe eigener Menage, so vergütete der Rat ihm die sonst gewährten Naturallieferungen essbarer Lebensmittel mit 6 Gulden Pfennigen jährlich, wofür er sich einem Garbrader in gute Verköstigung verdingen konnte. Hielt er aber mehr vom eignen Heerd, Tisch und Haushalt (den ihm ja leichtlich eine junge Nichte oder eine alte Magd führen konnte), wohlan, so schickte der Rat ihm gute Lebensmittel in natura, wie er seinen Secretarien zu schicken pflegte, in derselben Art und Maße, wie sie Herrn Brunos Vorweser, den Magister Joh. Unstorp, reichlich gesättigt und vergnügt hatten. Für Trank brauchte er gar nicht zu sorgen. Wenn er etwa kein Wassertrinker war, so stand ihm Bier nach Belieben zu Gebote, hiesiges Gebräu oder Eimbeck'sches, das „hoge Huus“ lag ihm ganz nahe, da konnt er's ohne Bezahlung holen lassen. Folgt Bekleidung. Besser gekleidet einher zu gehen denn sein gedachter Vorweser, Magister Unstorp, das konnte Herr Bruno nicht verlangen, aber ihn grade ebenso zu halten, das versprach der Rat. Jährlich wurde ihm also auf Senats-Befehl von einem tüchtigen Scroder oder Schröder (wie man damals statt Schneider sagte), eine sehr anständige Bewammsung nebst Mantel, s. v. Hosen und Zubehör zu Teil. Hut, Schuhe und Reitstiefel werden wohl nicht vergessen sein. Dass aber auch Leibwäsche dahin zu rechnen, scheint kaum glaublich.

Somit wäre Herr Bruno Bekendorp auf Lebenszeit schon völlig versorgt gewesen und hätte wohl lachen können, auch wenn er nichts ferner zu genießen gehabt hätte. Aber er genoss noch obendrein gar mancherlei. Zuerst eines baaren Honorars von 30 Gulden Pfennigen; „ein Heidengeld!“ sagten damals naserümpfend die redlichen Bürger, als sie davon hörten. Ferner seinen gewissen Anteil an allen erwachsenden Schreib- und Canzlei-Gebühren, die sämmtlichen Secretarien zu gleichem Genusse zugewiesen waren; dabei war's aus Rücksichten der Collegialität ganz einerlei, ob einer gesund oder krank, an- oder abwesend, er bezog dennoch seinen Anteil vom Strandsegen. Dass Herrn Magister Bruno die Missions- und Reisekosten vergütet wurden, ist Selbstverstand; doch war der Punkt wegen der Reisekleider noch näher erörtert. Verschickte ihn die Stadt zu einer Jahreszeit, da sein zierlich Gewand nicht mehr ganz hochzeitlich war, so durfte er sich ein neues schönes Kleid anfertigen lassen auf Kosten und zu Ehren der Stadt, die er darin desto würdiger vertrat. Dann aber sollte er heimkehrend das Staatskleid verkaufen und den Erlös der Stadt-Kasse auskehren, übrigens aber sein gewöhnlich ordentlich Gewand unverkümmert erhalten, — eine Bestimmung, die höchst glücklich eine anständige Freigebigkeit mit weiser Ökonomie vereinigt.

Man weiß in der Tat nicht, ob Magister Bruno Bekendorp mehr Arbeit oder mehr Genuss von seinem Sekretariat gehabt hat; jedenfalls tat dem fleißigen Mann die Anerkennung des Rats äußerst wohl, wenn derselbe ihm eine Portion „Crude,“ d. i. Gewürz und würzhafte Süßigkeiten, aufs Rathaus holen ließ, um in heißen langen Sessionen den armen Protokollführer zu erquicken.

Sicherlich hätte derselbe unserer Stadt die denkwürdigsten Dienste geleistet, wenn er nicht schon im achten Jahre seiner Amtsführung zu einem noch besseren Dasein abberufen wäre.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten