Ein Kriegsgericht im Eichholz (1491)

Im Jahre 1491 unternahmen die Hamburger im Verbündnis mit den Dithmarschern, eine Heerfahrt in das Land Hadeln, welches damals der Herzog von Lüneburg besetzt hielt. Der Kriegszug, auf den es hier nicht weiter ankommt, war bereits siegreich verlaufen, als unter den Hamburgischen Landsknechten eine schlimme Meuterei ausbrach, welche auch eine Verzwistung mit den Dithmarschern zur Folge hatte, so dass es den Obersten und Hauptleuten erst nach vieler Mühe gelang, Frieden und Eintracht herzustellen. Durch solche Pflichtvergessenheit der Meuterer fühlten sich nun sämtliche Landsknechte, vom Offizier bis zum Söldner, schwer gekränkt. Der Hauptmann, Bernd Ungemach, in dessen Fähnlein oder Compagnie der Aufruhr ausgebrochen, war's seiner und seiner Leute Ehre schuldig, auf strenge Bestrafung des Haupträdelsführers zu halten, weshalb er, als die Truppen nach Hamburg heimgekehrt waren, ein allgemeines Kriegsgericht fordern ließ. Ein solches wurde denn auch bewilligt und von allen dazumal im Hamburgischen Kriegsdienste stehenden Landsknechten nach ihren alten, wunderlichen aber heilig geachteten Satzungen abgehalten. Eine Beschreibung des dabei üblichen Verfahrens gestattet uns einen Blick in die eigentümlichen Verhältnisse des damaligen Soldatenwesens, welches neben vielen zunftartigen Einrichtungen auch noch stark von dem freien Geiste der alten Deutschen und von lebendigem Ehrgefühl durchdrungen war.

Früh „am nüchternen Morgen“ zogen die Fähnlein zum Schartore hinaus ins Freie, unterhalb der etwas zurücktretenden Anhöhe des Elbufers, welche damals noch Spuren der von Adolf IV. geschleiften dänischen Zwingburg trug, deren Andenken sich bei uns in dem Straßennamen „Feendsberg“ (Venusberg) erhalten. Diesen ganzen Raum bedeckte — wie noch viele Jahre später — ein großer alter Eichenwald, in dessen Schatten die fleißigen Reepschläger und Seiler ihre Bahnen hatten, ein Wald, von dem uns nur der Name der Gasse im Eichholz übrig geblieben ist. Hier an einer lichten Stelle machten die Schaaren Halt, und traten in einen großen dicht geschlossenen Ring zusammen.


Das Kriegsgericht wurde eröffnet durch den Gewaltiger oder Profos, einen ernsthaften grauen Kriegsmann, der mit einem gefesselten Gefangenen in des Ringes Mitte trat, die „lieben ehrlichen Landsknechte“ begrüßte, das Verbrechen gegen Pflicht und Eid darlegte, und zur Bestrafung des Hanpturhebers ein freisam kriegerisch Gericht begehrte. Er forderte „das Recht der langen Spieße,“ dem sich Jeder bei seiner Anwerbung unterworfen habe. Nun trat der öffentliche Ankläger, auch ein Kriegsgenoß, mit der Klage gegen den Gefangenen hervor, dessen Schuld er darstellte. Als er schwieg, taten die Fähndriche ihre Fahnen zusammen, der älteste sprach: „ihr lieben ehrlichen Landsknechte, edel und frei, wie Gott uns zusammengeführt, nach so schwerer Anklage können wir unsere Fähnlein nimmermehr fliegen lassen, bis Urteil ergangen und unser Regiment wiederum ehrlich worden ist.“ Nun wurden aus den Landsknechten drei s. g. Räte oder Richtercollegien gebildet, welche abgesondert zusammentraten, den (hier seiner Fesseln entledigten) Angeklagten, die Zeugen für und wider, die Verteidigung des Fürsprechers vernahmen, und darauf das Urteil fanden. Des dritten höchsten Rates Ausspruch lautete: dass der der Meuterei überführte und geständige Angeklagte nach freier Landsknechtssatzung schuldig sei durch die Spieße zu laufen. Als dies im Ringe verkündigt wurde, bestätigten Alle das einem Todesurteil gleiche Erkenntnis durch die Handmehr, die Abstimmung mittelst erhobener Hände, worauf die Fähndriche ihren Haufen für „willige Stärkung ehrenhaften Regiments“ danksagten und ihre Fahnen wieder fliegen ließen.

Während nun der arme Verurteilte beichtete und sich mit geistlichem Troste zum Sterben anschickte, bildeten die Landsknechte eine Gasse. Enggeschlossen in drei Gliedern, Spieße, Hellebarden und Schwerter hoch, standen die Eisenmänner; bei Trommelschlag ward verkündet: in wessen Lücke der durch die Gasse laufende Verurteilte ausbreche, der müsse in seine Stelle treten.

Nun führte man ihn durch alle Glieder der Soldaten, er nahm und bekam freundlichen Abschied von allen Waffengenossen mit Gruß und Handschlag. Er bat Jeden um Verzeihung wegen seiner Kränkung der Fahnenehre, Jeder bat ihn um Verzeihung wegen des bevorstehenden Gerichts. Die Fähndriche sprachen ihm Mut ein, er dulde dies ja um guter kriegerischer Ehre willen, er solle nnr tapfer durch die Spieße jagen, sie wollten ihm entgegenkommen und ihn rasch erledigen. Er war nicht verzagt. Hatte er doch unzählige Male dem Tode aus Feindeshand unerschrocken entgegengeblickt, weshalb sollte er das ehrliche Sterben von Freundeshand fürchten?

Jetzt scholl abermals Trommelwirbel, die Krieger senkten Spieße und Wehren auf halbe Mannshöhe, während die Fähndriche an das untere Ende der Gasse traten. Der Gewaltiger führte den Verurteilten an das obere Ende, bat ihn um Verzeihung, und weihte ihn zu seinem schweren letzten Gange durch drei Schläge auf die Achsel: im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.

Und wiederum wirbelten die Trommeln. Der junge Landsknecht blickte noch einmal in die Höhe, dann rannte er, wie's die Soldatenehre gebot, fest und todesmutig in die Gasse voll entgegenstarrender Spieße und Schwerter.

Es kam äußerst selten der Fall vor, dass ein zum Recht der langen Spieße Verurteilter noch lebend das untere Ende der Gasse erreichte, wo die entgegenkommenden Fähndriche selten den Gnadenstoß zu geben, gewöhnlich nur einen Sterbenden in ihre Arme zu nehmen hatten. Dann war's Brauch, dass die ganze Kriegerschaar niederkniete, für des Gerichteten Seele ein fromm Gebet zu sprechen, und dreimal um seinen Leichnam schritt, während die Büchsenschützen eine dreimalige Salve aus ihren Feuerrohren gaben. Der Gewaltiger bedankte sich dann für willige ehrliche Regimentshaltung und löste das Kriegsgericht auf.

Hier aber kam es anders. Ob die Landsknechte in der Gasse mit dem Waffenbruder, dem sie doch selbst die Strafe zuerkannt hatten, ein Erbarmen fühlten und deshalb Spieße und Schwerter tunlichst zurückzogen, als er im raschen Laufe vorüber flog? Als die Fähndriche ihm entgegentraten, fanden sie ihn zwar überall schwer verwundet, aber doch noch lebend, stehend und gehend. Er hatte das Recht der langen Spieße überstanden. Aber besser wäre ihm gewesen, wenn er gleich unter der Kriegsgenossen Eisen ein schnelles ehrliches Ende gefunden hätte. In Nienstädten fand der aus dem Regiments und aus der Stadt Gewiesene eine Zuflucht, dort ist er nach einigen Tagen an seinen Wunden gestorben und christlich begraben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten