Vom Doctor Veit (1521)

Es war einmal zur katholischen Zeit in irgend einem Kloster hiesiger Gegend ein Mönch, dem wurde Zeit und Weile lang bei seinem Brevier in einsamer Zelle; und als eines Tages der alte Adam in ihm recht kräftig erwacht war, da brach er aus des Klosters Zwinger und Bann und ging fort in die weite Welt. Er war ein schlechter Kerl von Haus aus, dieser Mönch, und der Orden hatte nur Gewinn davon, als er entlaufen war, und in weltlicher Kleidung mit wiedergewachsenem Haupthaar unter dem Namen Hans Völsch durch die Lande strich, bald allein, bald mit Zigeunern, oder mit Buschkleppern und sonstigem Gesindel. So ist er immer weiter verdorben und zuletzt als räudiges Schaaf von aller Welt ausgestoßen hinter einer Hecke gestorben, man weiß nicht wo und wann. Für ein dergestalt völlig verfehltes Leben (möchte man glauben) gibts vielleicht eine Art Seelenwanderung, eine Wiederholung des irdischen Daseins, zum Gut- und Bessermachen, was wir aber hier auf sich beruhen lassen wollen.

Dieses verdorbnen Pfaffen Sohn war Veit oder Vitus Völsch, der sich später Doctor Vit oder Veit genannt hat. Er war schon als Kind ein durchtriebener Bube, und ist in seines Vaters Schule zu Ränken und Schwänken groß gezogen, so dass die Leute schon von dem halbwüchsigen Burschen sagten, er werde einmal dem berüchtigten Till Eulenspiegel gleich werden. In den Schwänken hat er diesen wohl nicht erreicht, aber weit übertroffen hat er den ehrlichen Till in Ränken, die er mit Trug und Arglist zur Profession seines Daseins machte. Die damalige Zeit war dem jetzt von Polizeiwegen so gefährdeten Abenteurerberuf gar günstig. Landdragoner gabs keine, leichtgläubige einfältige Menschen aber aller Orten genug. Die waren seine Schaafe, die er waidlich schor, wenn er heute als Possenreißer und Gaukler, morgen als Schatzgräber mit der Wünschelrute durchs Land zog, hier öffentlich als Zabnbrecher und Wunderdoktor auftrat, dort heimlich als Wettermacher, Herenmeister und Zauberer sein Wesen trieb. Dass er wirklich auch ein Pfaffe gewesen sei, wie Einige sagen, scheint nicht glaubhaft und eine Verwechslung mit seinem Vater gewesen zu sein, von dessen Stamm der wurmstichige Apfel gar nicht weit gefallen war.


Aber wenn es ihm Vorteil brachte, so verstand er es auch meisterlich, die Rolle eines Pfaffen zu spielen, Messe zu lesen, Beichte zu hören, zu taufen und zu kopulieren, also, dass er sich auch als Sacramentsschänder auf das Gröblichste versündigte.

Die Zauberei war seine Hauptprofession. Ob er wirklich im Besitz übernatürlicher Geheimnisse, der Sympathia oder des Magnetismus kundig gewesen sei, — ingleichen, ob er wirklich ein Pactum mit dem Teufel gemacht und auf dessen Patent als concessionirter Herenmeister sich genährt habe, dass wollen wir dahin gestellt sein lassen. Aber entweder glaubte er wirklich zaubern zu können und verrichtete in diesem Glauben und in der bösen Absicht, zu schaden, allerlei Werke der Finsternis, — und dann war er natürlich ein sehr strafbarer Verbrecher, — oder aber er glaubte selber nicht an seine Weisheit, wenn er sie vor den einfältigen Menschen ausübte, und dann täuschte und betrog er diese durch Teufelsspuck und Höllenkünste, und war, nach dem Maße des Schadens, den er ihnen an Leib und Seele zufügte, nicht minder strafbar. Und durch alle diese Missetaten hatte er schon vieler Leute Hab und Gut, Leben und Gesundheit auf dem Gewissen, und vielfach den Tod am Galgen verdient, ehe er sich anschickte in Hamburg sein Heil zu versuchen, welche gute Stadt er sich zum Schauplatz einer neuen ganz unerhörten Ruchlosigkeit erkoren hatte, da das platte Land rings umher bereits gänzlich von ihm ausgebeutet war.

Es war im Jahre 1521, als eine s. g. weise Frau, eine Hebamme oder Bademutter, wie man damals sagte, hier in Hamburg bei dem beteiligten weiblichen Publikum einiges Aufsehen erregte. Sie kam, wie sie sagte, aus England, war großer Statur, hatte etwas Fremdartiges in ihrer wohlgewählten Kleidung, ein sicheres festes Auftreten und entschiedene Manieren. Was aus England kommt und fest auftritt, das ist Gottleider immerdar bei uns wohl aufgenommen gewesen, drum bekam auch diese fremde Frau, zum Schaden der wehmütterlichen Nahrung hiesigen Ortes, gar bald eine Kundschaft in guten Häusern, wo man just solcher Dienstleistung benötigte. Sie war auf bestem Wege, eine Löwin des Tages zu werden, und nach dem Tode der alten Rats-Wehmutter diesen ansehnlichen Posten zu erhalten. Aber es kam doch anders. Ein sehr anständiger Schleier des Geheimnisses verhüllt noch heutigen Tages die näheren Umstände desjenigen Ereignisses, welches die Entdeckung eines erschrecklichen Betruges herbeiführte, — aber entdeckt wurde es zum Entsetzen aller Frauen und Ehemänner: dass die fremde neumodische Bademutter kein Weibsbild, sondern ein Kerl sei! Hurtig griff der Gerichtsherr zu und fing den saubern Vogel ein, und richtig es war ein glattbarbiertes Mannsbild in weiblicher Kleidung, und, bei Lichte besehen, Niemand anders als der übelberüchtigte s. g. Doctor Veit in eigenster Person.

Es gab damals wohl kaum einige Spottvögel, denen diese Geschichte mehr ergötzlich als ruchlos däuchte, so allgemein war die sittliche Entrüstung über diese Abscheulichkeit. Denn dazumal waren Sitten und Ansichten andere als jetzt. Es war, trotz vieler gelegentlicher Rohheit, des Kindes der ungezügelten Kraft, doch in gewisser Hinsicht eine Zeit der Sittenreinheit. Vergehen gegen dieselbe kamen natürlicherweise oft genug vor, aber man erkannte sie auch als solche und deckte nicht, wie jetzt, entschuldigende Namen darüber, und wo das kirchliche und richterliche Strafamt nicht reichte, da strafte die allgemeine Verachtung.

Hat's doch noch achtzig Jahre später der Diaconus Niclas Stackeleff äußerst empfindlich erfahren, was es auf sich hatte, die Schranken der Ehrbarkeit im äußern Wandel ungescheut zu übersteigen. Er wurde abgesetzt um des Ärgernisses willen, das er seiner Gemeinde und hiesiger Christenheit gegeben, indem er sich häufig auf seinem Garten in St. Georg „mit lockern Gesellen lustig und unmäßig erzeiget, in Schenken und auf Kegelbahnen sich öfters finden lassen, in der Alster stundenlang gefischet, ja sogar sich daselbst nackigt gebadet, und sich allerwege einem Weltkinde gleichgestellt.“ Das war 1610 im Juni, und bald darauf tat er das Richtigste, was er noch tun konnte; er legte sich hin und starb, den 26. Juli. Bei einer so großen Sittenstrenge kann's um so weniger verwundern, wenn über Veit Völschens im Jahre 1521 begangene unerhörte Ruchlosigkeit die ganze Stadt Zeter schrie, da das Verbrechen die zarteste und heiligste Seite der edlen Weiblichkeit allzu gröblich verletzt hatte. Ein männlicher Beistand in solchen Fällen wäre den damaligen Frauen (und noch viel später unsern Urgroßmüttern) als ein Scheuel und Gräuel erschienen, und sich seiner wissentlich zu bedienen, — solche verdammliche Zucht- und Sittenlosigkeit wäre gradezu undenkbar, unmöglich gewesen. Ob sie deshalb von der aufgeklärten Jetztzeit zu belächeln sind? Es ist dies ein sehr delicates Thema, das mindestens hier keine nähere Besprechung verträgt.

Die Gerichtsherren also nahmen den saubern Patron beim Kopfe, forschten seiner Lebens- und Verbrecher-Laufbahn fleißig nach, und fanden bald mehr als genug Grund zur Erkennung der Todesstrafe. Dass sie dabei nicht sowohl eine Vergeltung für das verletzte Frauengefühl beabsichtigt, als vielmehr auf das dem Rechte nach größte seiner Verbrechen gesehen haben, geht klärlich aus der Todesart hervor, zu der sie ihn verurteilten: der gesetzlichen Strafe für Zauberei. Sonach wurde denn von Rechtswegen der angebliche Doctor Veit nach dreiwöchentlicher Untersuchung durch Hinrik Pennings, den Büttel, zu Pulver und Asche verbrannt. — Als ein Zeugnis der damaligen strengen Zucht und Ehrbarkeit ist es anzusehen, dass die meisten der gleichzeitigen Chronisten bei ihrem kurzen Bericht über dies Ereignis die übrigen, oft vorkommenden Verbrechen des Maleficanten übergehen, und nur seine letzte, bisher unerhört gewesene Schandtat hervorheben, weil diese ihnen gar zu abscheulich erschien, sonderlich im Hinblick auf die armen Frauen, die der wüste Kerl so schaamlos betrogen hatte.

Dies ist die Geschichte von dem s. g. Doctor Viet oder Veit, welchen viele unserer neueren Historiker, verführt durch den lakonischen Bericht der Chronisten, voll philanthropischen Feuereifers, als einen Wohltäter der leidenden Menschheit, als einen edlen Märtyrer der Wissenschaft, als das beklagenswerthe Opfer fanatischen Vorurteils des barbarischen Mittelalters darzustellen sich beflissen haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten