Die Pfingsthöge der Familie von Spreckelsen (1505)

Die alte noch heutigen Tages ausgebreitete Familie von Spreckelsen gehörte vormals zu den angesehensten Geschlechtern der Stadt Hamburg, seitdem, etwa um 1400, ihr Ahnherr Hartig aus dem Bremischen hierher gezogen war. Wir kennen z. B. drei Bürgermeister, sieben Senatoren (darunter einige gewesene Oberalten und drei Kammerbürger) einen Ratssecretair, ferner noch vier Oberalten und drei Kammerbürger allesamt aus dieser verdienstvollen Familie, welcher auch ein Calandsdechant, ein Domherr, eine ehrwürdige Jungfer Domina, so wie viele Gelehrte und eine große Zahl braver, tüchtiger Bürger angehört haben. Zwei Glieder wurden vom Kaiser geadelt: Johann von Spreckelsen, ein in tumultuarischer Zeit removierter Ratsherr (1676) dessen Nachkommen sich aber des Adels nicht bedient haben, und Lic. Hermann von Spreckelsen, welcher 1683 unverheiratet gestorben ist.

Gedachten Hartigs Enkel war der Bürgermeister Johann von Spreckelsen, welcher 1518 starb. Dieser Herr stiftete (1505) für seine sieben Kinder und deren Nachkommen ein Familienfest, zur Erhaltung guter Freundschaft und Einigkeit, welches jährlich am zweiten und dritten Pfingstfeiertage bei solennen Mahlzeiten begangen werden sollte, und bald unter dem Namen: von Spreckelsens Pingst-Hög' bekannt wurde. Es war ohne Zweifel ein guter Gedanke des alten Herrn, der hierdurch das Zerfahren der Familie verhüten und ein festes inniges Zusammenhalten in Freud und Leid unter seinen fernsten Nachkommen herbeiführen wollte. Er dachte dabei freilich nicht an die Möglichkeit einer so großen Vervielfältigung derselben, wie sie später stattatte. Freilich hat keiner so viele Erben hinterlassen wie der gleichzeitige Bürgermeister Johann Huge, der mit drei Frauen nach und nach 36 liebe Kinder auf die Welt gesetzt hat, 7 mit der ersten, 17 mit der zweiten (Becke von Bergen hieß diese glückliche Mutter) und schließlich 12 mit der dritten! Denn des Stifters Sohn Peter, der auch Bürgermeister wurde, hatte mit 5 Frauen doch nur 12 Kinder, und unter seinen Enkeln besaß der Senator Peter auch nur ein Dutzend weniger eins; aber es fleckte doch, und da durchschnittlich jedes Glied seine 3—4 Kinder hatte, so ging's bald gar sehr in's Breite. Das Geschlecht derer von Spreckelsen wuchs mit Schwert- und Spillmagen so mächtig heran, dass es unmöglich wurde, die zur Pfingst-Höge erforderlichen Räume groß genug aufzutreiben, und dies Fest an der Menge seiner Teilnehmer ersticken musste.


Schade! Es ist anfangs ein sehr schönes Fest gewesen, und in den ersten 120 Jahren streng nach der Vorschrift gefeiert worden. Einer der Vettern fungierte dabei als Ordner oder Schaffer; er musste alle Mitglieder der Sippschaft nach dem Stammbaum einladen, die Hallen schmücken, die Mahlzeiten besorgen, und sich dabei genau nach des Stifters Satzungen richten. Wehe ihm, wenn er eine Neuerung versuchen, ein veraltetes Gericht weglassen, einen neuen Brauch einführen wollte, — dann wurde es nach dem Statut gerügt, und zur Strafe musste er eine Tonne Bier bezahlen. Am Pfingst-Mondtag, Nachmittags 4 Uhr, kamen dann die von Spreckelsens insgesamt zu Hauf, aus der Alt- und Neustadt, Männer, Frauen und Kinder; die in andre Familien verheirateten Töchter waren nicht ausgeschlossen, sie durften mit den Ihrigen ebenfalls zur Pfingst-Höge gehen, wenn sie mochten. — Wer zu spät erschien musste Strafe zahlen, ein Mann 8 ß, ein Frauenzimmer nur 5 ß; solche Gelder wurden „zu Wein angelegt.“ Kamen aber zufällig Alle rechtzeitig, so mussten auch Alle zahlen, jeder 2 ß zu Wein. Am ersten Tage wurde um 5 Uhr nach der Verordnung zu Abend gespeiset: Ochsenfleisch in Senf, gesottener Lachs, Gebratenes, Eierkäse mit Milch, Butter, Käse und „Trundelkuchen.“ Am zweiten Tage kam man schon zur Vesperzeit, 3 Uhr zusammen, dann gab's: süße Milch und Kuchen (für die Frauen und Kinder) Kalbfleisch, Brodt, Butter und Käse. Abends 6 Uhr aß man wieder warmen Ochsenbraten, allerlei kalte Fleischspeisen, das Leibessen der Meisten: Reis in Milch gekocht mit Canel und Zucker darauf, auch Brodt, Butter, Käse nebst Trundelkuchen. Das war denn eine einfache, mäßige Familienkost, die Keinem böse Träume machen konnte. Alles Schlemmen und Prassen, sogar jede Art von Wildpret, war von dem statutarischen Speisezettel streng ausgeschlossen.

So kamen alljährlich alle des Namens von Spreckelsen und ihre Nächst-Verschwägerten zum festlichen Mahle und fröhlichen Verkehr zusammen; sie gedachten in Treuem der Heimgegangenen Eltern, Vorfahren, oder der sonst in letzter Jahresfrist geschiedenen Lieben; sie schlossen sich einträchtiglich an einander, teilten Lust und Weh, freueten sich ihres Wohlergehens, und trösteten einander in betrübten Zeitläuften; stifteten und erhielten vertrauliche Freundschaft, beredeten auch wohl manch' künftig Ehebündnis; und, wo's Not tat, da halfen sie sich aus, in herzlicher Liebe oder um der Familie willen. Die Kinder spielten und tummelten sich auf dem etwas düstern Steinhof oder in den Speicherräumen dahinter, — lauter Winterspiele, weshalb sie sich eigentlich sehr hinaussehnten vor's Tor oder auf den grünen Wall. Die Großen aber saßen ehrbar oben in den Prunkgemächern, da sprachen die Frauen von Hausstand und Erziehung; die Männer redeten, wenn das Familien-Capitel abgehandelt war, de re publica, vom Wohle der Vaterstadt, und wie dasselbe nützlich zu fördern sei.

Diese Art Festlichkeit fand in Hamburg Beifall und Nachahmung. Im Jahre 1580 gründete der ehrbare Oberalte Hinrich Tamm, nach Art der von Spreckelsenschen, eine mit Statuten versehene Familien-Höge. Darnach gedachte er am Sonntage Trinitatis jeden Jahres auf seinem Steinhofe die Höge anzurichten, um mit seiner lieben Hausfrau, seinen Töchtern und Tochtermannen, auch andern Kindern und Freunden alljährlich bestimmt zusammen zu kommen, und in Gottesfurcht und christlicher Frohheit das Fest zu feiern. Der festgesetzte Speisezettel ist schon etwas reicher als der oben mitgeteilte, da Fischwerk, Lammbraten, Schinken und Salat neben dem Ochsen- und Kalbsbraten vorkommen. Dass der Nachtisch (Obst, allerlei Gebäck und Zuckerwaaren) hier auch „Unrat“ genannt wird, ist eine sprachliche Wunderlichkeit. Über Tisch war alles Fluchen, Schwören und Zanken bei hoher Strafe verboten, und nach dem Gratias die umhergehende Armenbüchse empfohlen. Lange hat diese Höge nicht gedauert, ihre wenigen Capitalien wurden einer milden Stiftung, die den Tammschen Namen trägt, zugewiesen.

Dagegen florierte von Spreckelsens Pfingst-Höge noch manche Jahre fort. Schon 1552 hatten die Renten der Stiftung nicht mehr zur Bewirtung so vieler Gäste gereicht. Diese schossen also jährliche Beiträge hinzu, einige Reichere vermachten kleine Kapitalien, woraus 1574 ein s. g. Hauptstuhl gemacht wurde. Im Jahre 1625 ist der berühmte Gelehrte Dr. Friedrich Lindenbrog (später Calands-Dechant am hiesigen Dom und Hamburgischer Gesandter in England) Jahrschaffer gewesen, und zwar als Ultimus. Denn diese Pfingst-Höge ist Gottleider die allerletzte gewesen. Es war schon so voll, dass es an Raum vielfach gebrach, die alte feine Ordnung ließ sich nicht mehr handhaben. Da war kein recht einmütiges Zusammenhalten mehr, die Leute standen sich zu fern, um herzlich zu sein. Die Vornehmeren wurden „ecklusiv,“ die nähern Bekannten sonderten sich von den entfernten Vettern und Basen, saßen und zischelten für sich, überall wurde „geklickt,“ wie man bei uns sagt, welches Wort von Clique abstammen soll. Man sah also wohl, die alte gute Zeit ging aus den Fugen, und sonach unterblieb von da an das Fest. Die Verwalter schlugen Renten und Zinsen zum Capital, welches im Jahre 1688 auf 50.464 Gulden 1 ß 6 Groschen angeschwollen war.

In diesem Jahre wurden nun auf Ansuchen der Verwalter durch Proclam alle Interessenten der Pfingst-Höge einberufen, zur Versammlung in St. Marien-Magdalenen Klostersaal, um ihr Recht darzutun und gemeinsame Beschlüsse wegen Aufhebung der Stiftung und Verteilung der Gelder zu fassen. Unter Vorsitz eines Ratsherrn kam dann die Sache zu einem Schluße, der dem patriotischen Sinn der Beteiligten zum wahren Ruhme gereicht. Wer hätte es ihnen verargen können, wenn sie das von ihren Vorfahren gesammelte Fest-Capital auch für nützliche oder wohltätige Familien-Zwecke bestimmt hätten? Für die Bedürftigen unter ihnen, die eine Unterstützung ansprechen würden, war aber nur etwa der elfte Teil des Ganzen (4253 Gulden 12 ß) ausgesetzt. Alles Übrige wurde zu öffentlichen und gemeinnützigen Zwecken bestimmt, z. B. 860 Gulden für arme bekehrte Juden; 7090 Gulden 6 ß dem Waisen- sowie dem Zuchthause; von 10.000 Gulden sollten die Zinsen dem Pastor Dr. Mayer für seine Gymnasial-Lectionen zufließen, nach seinem Abgange aber zwischen dem Waisen- und Zuchthause geteilt werden. Endlich wurden 24.000 Gulden der Stadt geschenkt zur Erbauung eines neuen Zeughauses. Diese großmütige Disposition ist vom Senate bestätigt und darnach ins Werk gerichtet worden.*)

Hiermit schließt dies denkwürdige Capitel aus einer Hamburgischen Familien-Geschichte.

*) In der vormaligen Bastion Constantin am Neuenwall, jetzt Bohns Platz. Als der Bau noch 1703 unvollendet war, wollte der Pastor Morgenweg ihn lieber zu einem neuen Waisenhause bestimmen. Er meinte, die von Spreckelsens würden das der Pfingstfreude gewidmete Geld am besten dem h. Geist schenken, dem sie in dem Waisenhause eine neue Werkstätte errichten würden, darin der Kinder Gebete die besten Kanonen wären. Indes blieb es beim Zeughause, welches dann vollendet, später aber nach dem Zeughausmarkte verlegt wurde.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten