Wie Bernd Beseke platterdings nicht zum Ratsstuhle gelangen kann

Das Alles aber tat Bernd in der Meinung: dass man ihn desto geschwinder zum Ratsherrn wählen möchte, denn dahin stand nun einmal sein Tichten und Trachten. Es wollte aber nichts draus werden, obschon er in mancherlei Weise seinem Ziele näher zu kommen suchte.

Er machte sich nämlich gar eifrig an die Herren und Väter der Stadt und vollführte viel Redens über seine patriotischen Gesinnungen; nicht minder auch über E. E. Rats Weisheit und Regententugend, und pries die Herren und all ihr Tun und Lassen über die Maßen. Dazwischen verfehlte er nicht oftmals darauf anzuspielen, dass er manch Räthsel zu Raten verstünde und deshalb viel Beruf zu einem ganz billigen Ratmann habe, wie er es sich.auch sicher zur Ehre und zum besondern Vergnügen rechnen würde, wenn der Herren Wahl ihn etwa treffen sollte. Es hat aber damit doch nicht flecken wollen; denn bei allen vorkommenden Ratswahlen wurde Bernd nicht gekoren, was ihm ganz befremdlich erscheinen musste, — ja, man sprach nicht einmal von ihm, als von einem würdigen, vermutlich ins Loos kommenden Mann. Und ob er schon allemal an einem Wahltage sein Haus von unten bis oben blitzblank scheuern, und einen Imbiss mit Rheinwein parat halten ließ zum Empfang der glückwünschenden Gäste; auch mit kleiner Münze sich versah, zum Austeilen unter das Volk; nicht minder sich anschickte, dem Herrenschenken stracks zu folgen, wenn er käme zu sagen: „Herr, Ihr seid's,“ und eine wohlgesetzte Danksagungsrede an seine neuen Collegen schon auf den Lippen hatte, — dennoch war Alles umsonst und vergebens, kein Herrenschenk kam zu ihm, der Gratulanten Menge und die ganze Herrlichkeit ging immer zu glücklicheren Nachbarn. Dann war dem armen Bernd übel zu Mute, des Rathes Verblendung kam ihm immer befremdlicher und unbegreiflicher vor, — ja er begann zuletzt an E. E. Rats Weisheit stark zu zweifeln. Und wenn nun etwa ein Schalk zu ihm sagte: „gelt Bernd, ihr freut euch wohl, nicht gewählt zu sein? da doch die ganze Stadt gewünscht hätte, just euch im krausen Kragen auf's Rathaus gehen zu sehen,“ — dann lächelte er wohl so süß wie bitter, und meinte, „freilich, wenn ihr mit eurer Einsicht drin säßet!“


Darüber wurde Bernd, wie leicht zu denken, etwas schwarzgallig und sauertöpfisch. Er barg nicht länger seinen innern Unmut über die stetigen Fehlwahlen des Rats, gesellte sich immer mehr zu dessen Tadlern, setzte sich fortan da, wo die Spötter saßen, — und wurde ein bitterer Widersacher des Rates. Vielleicht meinte er auch: wenn er's einmal bei diesem Ende anfasste, so möcht's gelingen. Denn es ist kein neues Kunststück, das Mitregiment eines Gemeinwesens durch kluges Tadeln und Spotten zu erjagen; und manchmal haben schon die Machthaber grade einen ihrer unermüdlichsten Gegner zu sich berufen, damit nur sein ewiges Raisonniren verstumme, womit denn beiden Teilen wirksam geholfen wird. Billigen aber mag ich's nimmermehr, weder das Tadeln noch das Wählen aus solchen Gründen.

Bernd gefiel sich nun in dieser Rolle, und vollführte grausam viel Geschwätz aller Orten über die Gebrechen der Stadt, über die Untüchtigkeit und Unvorsichtigkeit des Rats, über die Trägheit, den Hochmut und die übrigen Untugenden der einzelnen Herren, — grade so wie's der große Haufe zu tun pflegt. Viel Worte machte er auch über die bösen Zeiten, über die Mittel, der bürgerlichen Nahrung aufzuhelfen und Schoß und Abgabe zu vermindern. Und er gab's unverblümt zu verstehen, wenn er nur im Rate säße, dann wäre dies und das nicht passirt, dann würde Alles besser werden in der Stadt; und stanuen werde man, wie er durchgreifen würde; und die Verfassung sei alt und verjährt, die habe sich längst überlebt und müsse geändert, und eine neue Ratswahl-Art müsse eingeführt werden. Und wenn er im Rate säße, so sollte auch gewisslich die Accise abgeschafft werden, er werde es beantragen und durchsetzen, denn er hätte die ganze Kaufmannschaft hinter sich.

Aber es ist doch nichts daraus geworden. Denn dem armen Bernd wollte auch dies Mittel sowenig verfangen, wie das Prunken und das Lobpreisen, er konnte nicht zum Ratsstuhl gelangen. Das einzige, was er erreichte, war, dass man ihn zum Mitverwalter des Gotteskasten erwählte, so dass er doch wenigstens etwas vorstellte in der guten Stadt Hamburg Gemeinwesen, und als einer der Wohlverordneten auftreten konnte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten