Bernd Besekes Glück und Unglück (Um 1525-1536)

Es war im Jahre des Herrn 1307 im Sommer, da trafen sich zwei gute Bürger, Tylo Bodendorp der Lübecker und Hinrik Bersing der Bremer, allhier zu Hamburg in derselben Herberge in der Deichstraße.

Gegen Abend, als sie am Herde beisammen sitzen und das Hamburger Bier anschlägt, geraten sie in eine warme Unterhaltung. Jeder sprach, wie's hansischen Bürgern so wohl ansteht, von seiner Stadt das Beste. Daheim wird freilich vieles getadelt, und auf Bauwesen, Brodtordnung und Brauwerk wacker gescholten, aber draußen, und zumal einem Mithansen gegenüber, da ist alles herrlich, und was es auf Erden Treffliches, in der Vaterstadt da ist's noch viel besser, nämlich am allerbesten. — Da nun Hinrik Bersing der Bremer den Mund etwas voll nahm, so verdross dies mehr als billig den Lübecker, und da er nicht so flink mit der Zunge war und sein vernünftig Gegenwort stetig überhört blieb, so brach endlich sein verhaltner Grimm in ein schier unvernünftig Schmähen gegen den Rat und die Stadt Bremen aus. Als nun Bersing erwiderte: trinke dein Bier gemächlicher und sage mir, wessen du die Bremer bezüchtigst? da wusste Tylo sich nicht anders zu helfen, als dass er sagte: die Bremer Ratsherren seien hoffährtig und maßten sich Gold und Pelzwerk in der Kleidung an, so ihnen nicht gebühre. Bersing aber entgegnete: doch haben sie das Recht dazu, und zwar vom Kaiser, schon hundert Jahre früher, ehe denn es in Lübeck Ratmannen gab. Dabei lachte er gar spöttisch, und das stieg dem ehrlichen Tylo so zu Kopfe, dass er sich nicht entsah, dem Bremer Bürger ins Gesicht zu sagen: das lügst du in deinen Bart hinein, es ist falsch und kein wahres Wort daran. Hiezu lächelte der Bremer wieder und entgegnete: das sollt du mir hernach zu Ehren meiner Stadt entgelten, jetzt vernimm, wie ich's beweise was ich behauptet. Die Bremer sind unter ihren Ratsherren mitgewesen bei der Heerfahrt Herzogs Gottfried von Bouillon, und haben das heilige Land gewinnen helfen, derweil ihr Lübecker still zu Hause geblieben seid. Darum erhielten die Bremer bei ihrer Heimkehr vom Römischen Kaiser drei herrliche Stücke der Hoheit, derer sie sich ewig freuen werden; zum ersten, dass sie frei sind vom heimlichen Gerichte der Vehme; zum andern, dass sie die Weser, des Reiches freie Straße, verteidigen dürfen gegen jede Unbill bis in die salze See; zum dritten, dass die Bremer Ratsherren an ihrer Kleidung Gold und Pelzwerk tragen dürfen wie Ritter und Semperfreie. Und zum Zeugnis solcher drei Hoheiten dürfen wir unserm Roland auf dem Markte des Kaisers Wappenschild vorhängen, verwahren auch darüber eine Urkunde mit kaiserlichem Insiegel als köstlichstes Arcanum der Stadt.


Als nun Tylo dennoch des Bremers Worten nicht glauben mochte, sondern Zeugen oder Beweise forderte, da sagte Bersing: Zeugen wären nicht mehr am Leben, aber Beweise wolle er bringen, nach Erkenntnis des Rats allhier zu Hamburg, bei dem er den Lübecker morgen wegen seiner Schmähung zu verklagen gedenke.

Da verschrak Tylo Bodendorp und saß still und in sich gekehrt da. Aber sein Widerpart ließ nicht ab, erhub mit vielen Worten Bremen weit über Lübeck, und vermaß sich zu beweisen, die Bremische Freiheit sei größer denn die Lübsche. Dem entgegnete Tylo erzürnt: wie ist das zu vergleichen? Wir sind kaiserlich frei, ihr seid dem Erzbischof untertan! — Hinrik Bersing war ein kluger feiner Mann, in jure wohlbeschlagen und konnte reden wie ein Prokurator. War auch seines Bürgermeisters Henrich von Hilligendorps Schreiber gewesen und hatte von dem manches erlernet. Also begann er nun mit St. Wilhad und Karl dem Großen, und rechnete an den Fingern sieben fernere Hauptstücke Bremischer Freiheit her, daraus hervorgehen sollte, dass Lübeck trotz seiner kaiserlichen Freiheit dennoch minder gefreiet sei als Bremen, des Erzbischofs Stadt. Und weil er die Rede wohl zu fügen verstand, und alles ins beste Licht zu setzen wusste, so kam es auch beinah also heraus. Gut nur, dass kein Hamburger dabei war, sonst hätte er den auch zu beschwatzen getrachtet, dass Bremen über Hamburg stehe.

Tylo der Lübecker aber, dem es vor Bierdunst und Wortschwall schier wirr im Kopfe wurde, konnte nichts weiter entgegnen, nur rief er trotzig, Lübeck stehe doch über Bremen, Lübeck sei das Haupt der Hanse und die beste Stadt im Reich. Da er nun nicht rück- noch vorwärts konnte, verfiel er wieder auf das leidige Gold und Pelzwerk der Bremer Herren, das ihn zumeist verdross, und sprach: kannst du mir deiner Herrn Recht dazu nicht beweisen, so bleibst du doch ein Lügner. Wohlan, sagte Bersing, morgen hier vor Gericht, da sollt du mir es entgelten, dass du mich Lügner geheißen hast; und der Hamburger Rat soll es entscheiden, je nachdem ich es beweise oder nicht, ob Bremen besser sei denn Lübeck oder ob Lübeck über Bremen stehe.

Andern Tages im Rathause ließ Jeder seine Rede laut werden, und Hinrik Bersing sprach am lautesten und klügsten. Als der Rat nun vernahm, dass er sollte zu Gericht sitzen über die größere oder geringere Macht seiner Mithansen zu Lübeck und Bremen, da entsetzte er sich sehr und mochte gar nicht dran. Denn obschon Bremen wegen verweigerter Bundeshilfe von der Hanse auf etliche Zeit excludiret war, so wollte man doch keinen ärgerlichen Handel mit der werten Stadt anspinnen, um der Torheit zweier Bürger willen. Zu geschweigen, dass es immer unziemlich lässt, über zweier Freunde Vorzüglichkeit öffentlich zu erkennen. Also redeten die Hamburger Herren den fremden Bürgern liebreich zu, sie möchten sich vertragen und des unnützen Haders vergessen. Dachten dabei in der Stille: wie streitet ihr euch doch um des Kaisers Bart, denn weder ist es Lübeck noch Bremen, sondern die beste Stadt im Reich ist die, wo wir sitzen und über euch judiciren. Bersing wollte aber von keinem friedlichen Vergleich hören, und da er merkte, dass der Rat die ganze Sache von der Hand zu weisen trachtete, rief er: in eurer Stadt bin ich geschmäht und Lügner gescholten, drum verlange ich mein Recht, und also müsst ihr erkennen, anders seid ihr Justizverweigerer und des Rechtes Feinde. — Hiernach ging der Rat auf den bösen Handel ein, und erkannte zuvörderst: Hinrik Bersing müsse binnen 3 Wochen, wie er sich erboten, den Beweis bringen, dass die Herren zu Bremen in alle Ewigkeit kaiserlich privilegiert seien, Gold und Pelzwerk auf ihren Röcken zu tragen; dann solle weiter erkannt werden, wie Rechtens.

Und binnen 3 Wochen standen richtig Tylo Bodendorp aus Lübeck und Hinrik Bersing aus Bremen wiederum vor dem Rat zu Hamburg. Bersing hatte von seinem Rat das berührte Privilegium mit dem kaiserlichen Insiegel selbst zwar nicht entlehnen können, wohl aber ein Vidimus, eine beglaubte Abschrift unterm Stadtpitschaft, mit der Weisung, das Original könne Jedweder, den es kümmere, in Curia zu Bremen besichtigen. Und Bersing forderte Tylos Buße und das Erkenntnis: dass Bremens Hoheit größer denn die Lübecks, von wegen des Pelzwerks.

Als dies die Hamburger Ratsherren lasen, wurden sie unmutig. Sie besprachen sich lange heimlich, während die zwei Gegner abtreten mussten. Es war eine kitzlige Sache. Dem Tylo gönnten sie wohl die Buße für sein Schmähen, aber damit hätten sie zugleich die größere Hoheit Bremens anerkannt, was noch nimmermehr in der Wahrheit! Und da Lübeck das Haupt der Hanse, so hätte der Spruch auch angezeigt, dass Bremen über Hamburg stehe, was doch noch irriger. Und das ehrwürdige Haupt der Stadt, Herr Theudo Wandsnyder van der Mölenbrügg, forderte Rats, was zu tun in solcher Beklemmnis. Wenn der Bremer Unrecht bekäme, so hetze er seinen Bürgermeister, dieser den Rat, der Rat den Erzbischof, der Erzbischof aber stachle hiesiges Dom-Kapitel wieder unsere gute Stadt feindselig auf, was Gott verhüten möge. Wenn aber Lübeck, so in Hansasachen das Heft in Händen halte, nachgesetzt werde, so würde unser Commercium dies gar empfindlich vermerken, — ganz zu geschweigen der obberührten Verkleinerung dieser Stadt gegen Bremen. Clard Unververd, der jüngste Herr, wollte zwar unerschrocken wie sein Name, allen Bremern wie hiesiger Clerisei tapfer zu Leibe, aber Majores beliebten nochmaligen Versuch gütlicher Beilegung ohne Sentenz. Sandten drum einen ihres Mittels, Johann Franzoiser, einen lustigen gewandten Herrn, an die beiden Widersacher. Und richtig, der verstand es, sprach so lange auf Beide ein, zupfte so ergötzlich den verwirrten Streit auseinander, und fädelte so geschickt die heiklige Versöhnung ein, dass Tylo Bodendorp seine Schmähung widerrief und dann ernsthaft erklärte, er wisse vom Rat und der Stadt Bremen nichts als Gutes. Worauf auch Hinrik Bersing bekannte, dass er vom Rat und der Stadt Lübeck nur Liebes und Gutes vernommen habe. Und damit geleitete Herr Franzoiser die Beiden freundlich zum Rathause hinaus, und riet ihnen schließlich, die Aussöhnung durch ein Feiermahl zu besiegeln.

Solcher Rat gefällt Beiden so wohl, dass sie darnach tun. Während der Zurüstung des Mahles, treten sie selbander durchs Hinterhaus auf den Altan überm Wasser, den man in Hamburg die Laube heißt, besehen sich da die mancherlei Bequemlichkeiten, und wundern sich mächtig ob solcher Trefflichkeit. Blicken auch unter sich aufs Fleet und rings umher, und gewahren an jedem der Häuser und Speicher rechts links und gegenüber solche Lauben. Und es mutet sie gar ergötzlich an, allhier zu sitzen, sich zu lüften und zu sonnen, der schönen Aussicht zu genießen aufs grüngelbe Fleet, auf die Schuten und Kähne, die bei den hohen Speichern die Warenballen ab- und aufladen; auf Flut und Ebbe, so ihnen auch was Neues, und auf die Fleetenkieker bei niedrig Wasser. Und sie blicken rechts das Fleet hinunter, wo der große Binnenhafen ist mit den tausend Masten und Segeln aus allen Landen und Meeren. Und Hinrik Bersing, wie er so ganz vergnügt auf der Laube sitzt und beschaulich das Fleet und den Hafen anblickt, muss an die Beschreibung der Stadt Venetia denken, so man die Meereskönigin heißet, und es wird ihm ganz respektvoll zu Mut. Auch Tylo Bodendorp seufzet leis' und denkt: so gut haben wir es an der Trave nicht; und spricht dann: wie ist's, Hinrik, habt ihr in Bremen denn auch solche Hoheit wie diese? Worauf Bersing ganz kleinlaut antwortet: nein Tylo, solcher Hoheit müssen wir Bremer entbehren.

Damit gingen Beide nachdenklich zu Tische. Der Wirt hatte ihnen eine kräftige Suppe vorgesetzt, darin fünferlei Kraut, viererlei Gemüs', dreierlei Klös', zweierlei Obst und einerlei Fisch nebst Süß und Sauer, so Man heut zu Tage Aalsuppe und das Hamburger Nationalgericht nennt; Hamburger Rauchfleisch stand dabei nach Belieben, und vom besten Hamburger Biere waren die Humpen immerdar voll, dess' wurde Beider Gemüth ohn' Maßen froh. Und obschon Hinrik Bersing das Hamburger Bier zeither fast verachtet hatte, weil dazumal, wie bekannt, viel Eifersucht zwischen Bremen und Hamburg war wegen der Bier-Ausfuhr, so trank er doch in seiner Herzenszufriedenheit mehr als ziemlich, dergestalt, dass er sich von Tylo Bodendorp hinreißen ließ, mit einzustimmen, als dieser ehrlich bekannte, dass solch Essen ein schier kaiserlich Mahl und das Bier eine sonderliche Hoheit der Stadt Hamburg, und gänzlich ohne Gleichen sei. Und nach wohlbeschlossener Mahlzeit schieden sie von einander und jeder zog in seine Stadt.

Was von dieser Geschichte zu halten, solches mag dem gewissenhaften Ermessen des Lesers überlassen bleiben. Inzwischen wäre wohl der kluge Hinrik Bersing an den alten Spruch seines Stadttores zu erinnern:

„Bremen, wes' bedächtig,
Lat nich mehr in denn du bist mächtig.“


Und den guten Tylo Bodendorp möchte man trösten wegender Bremischen Herren Gold und Pelzwerk, mit dem Denkvers:

„Was will! du begehren mehr,
Denn die alte Lübsche Ehr'!“


Schließlich aber ist zu merken, dass jedwede der drei Städte gut ist, und für ihren Bürger allemal die beste.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten