Bernds Verbrechen

Wer dem Teufel auch nur ein Haar überlässt, der ist bald ganz in des Bösen Gewalt. — Es begab sich darnach, dass ein bejahrter Mann aus Stade mit Geld und Wand (Tuch) in einem Ever mit vier Leuten nach Dänemark segeln wollte, um dort Waitzen und Roggen zu kaufen. Dieser Mann lag mit seinem Fahrzeug einige Tage bei Neuwerk vor Anker, um guten Wind zu erwarten, was Bernd durch seinen Hirten erfuhr. Des Tages ging Bernd grade in verzweifelter Gemütsstimmung umher, dass er sein Vermögen verloren, schmerzte ihn gar zu tief; dass er noch dazu den Schaden des geraubten Vieh's ersetzen sollte, wozu er keine Mittel mehr besaß, däuchte ihm ein unerträglicher Schimpf; Hass und Feindschaft gegen alle Menschen nagten an seinem Herzen. So fand er sich zufällig auf dem Begräbnisplatz der armen Ertrunkenen, und kam sich selbst wie ein Schiffbrüchiger vor, der auf schwankem Brett von den Wellen dahin getrieben wird. Indem hub er die Augen auf, und sah den Stader Ever vor Anker liegen. Ein schwarzer Gedanke durchfuhr ihn. „Ein schiffbrüchiger Mann darf alles, der darf den Genossen, der mit ihm auf demselben Brett sitzt, hinabstoßen in den Tod, um sich zu retten, — das Schiff da kann dich retten, wenn du dir's erbeuten magst,“ — das wird dem armen Bernd wohl der Teufel zugeflüstert haben, der ihn nun gepackt hielt.

Nachdem er ganz verwilderten Gesichts heimgekommen, ging er Nachmittags zu dreien seiner Knechte, die grade mäheten, und gebot ihnen, sie sollten das lassen und seinen Ever rüsten, denn er müsste nach Hamburg und mit dem Bösewicht Jürgen Plate zu Rechte stehn. Als die Knechte den Ever fertig hatten, kam grade der Hirt auch heim, der das Jungvieh hütete, dem befahl Bernd, dass er mit nach Hamburg führe. Der Hirt hatte wenig Lust zu der Fahrt bei Nacht und Nebel und sprach, er müsse ja des Jungviehs hüten, aber Bernd sagte, dazu hätte er schon einen Stellvertreter gedungen.


Abends nach Sonnenuntergang sind sie denn zusammen von Neuwerk ausgelaufen, Bernd und seine vier Knechte. Einer derselben sprach zu Bernd: „Herr Wirt, es wäre besser, wir warteten bis der Tag anbricht, es sieht so duster im Westen, das kann einen Sturm geben und uns allen die Hälse kosten.“ Bernd aber antwortete wild: Wir wollen segeln und das Schiff laufen lassen, wo nicht in Gottes, so denn in aller Teufel Namen. Da sie nun bei dem Ankerplatz des Stader Schiffes kamen, da sprach Bernd zu seinem Steuermann, er solle hart an dies Fahrzeug steuern, es wäre Volk drinnen, mit dem hätte er von wegen Jürgen Wullenwebers zu tun, er müsse sie fangen und herüberholen, — und Jeder solle mit anfassen oder es würde ihm selbst gelten.

Als sie nun an das Schiff kamen, da lagen die guten Stader im tiefen Schlaf. Bernd und seine Leute sprangen auf's Deck und riefen: „Herüber, herüber.“ Bernd schrie überlaut: „herüber in tausend Teufel Namen!“ Da erwachten sie und wussten in der Dunkelheit gar nicht, was da werden sollte, und wer sie so gewalttätig anrief, aber da half nichts, sie wurden ohne Kleider, Wehr und Waffen, wie sie aus dem Schlaf gekommen waren, herüber gerissen in Bernd's Ever.

Darauf ließ Bernd sein Segel aufhissen und nach der Werkbalje zusteuern, wo die Strömung ins Meer stark geht. Da sprach Bernd zu den gefangenen Leuten „was dünket Euch, Gesellen, wenn Ihr Geld bei Euch habt, so müsst Ihr's herausgeben. Habt Ihr auch Geld bei Euch?“ Ach nein, sprachen sie, die nun wohl merkten, worauf es gemünzt war, wir haben nichts und sind nur arme Stallbrüder. Wohlan, sprach Bernd, wir wollen's euch wohl abfragen. Damit gab er das Zeichen, dass seine Leute zuerst den jüngsten der Stader Schiffer verwundeten, ums Leben brachten und über Bord ins Meer warfen; dann kamen die andern dran, und zuletzt gingen sie dem alten Mann zu Leibe. Der war beherzt und sagte, nein, so darf es nicht gehen, und fasste den großen Bootshaken und wollte Bernd damit über den Kopf hauen. Aber Bernd sprang unter dem Bootshaken durch, und hieb ihm mit dem Kolben seines Zündrohrs (Schießgewehrs) so mächtig über den Kopf, dass er hinstürzte und um Gottes Barmherzigkeit willen bat, ihm das Leben zu gönnen. Bernd aber sprach: Nein, denk an Gott und bitt ihn um Vergebung deiner Sünden, du musst doch sterben, und besser jetzt als später. Darnach warfen sie ihn auch über Bord ins Meer, dessen Strömung die Leichen der gemordeten Männer schnell ins Weite führte.

Hierauf ließ Bernd heimfahren und sich an's Land setzen; dann befahl er den Knechten, sie sollten wieder zurückfahren, um das noch vor Anker liegende Schiff zu holen, aus dem sie die Leute genommen hatten. Als die Knechte dies taten, da fanden sie noch ein junges Mädchen in dem Raume, das wollten sie anfangs auch töten, aber einer von ihnen schützte das unschuldige junge Blut, so dass die Knechte unter sich uneins wurden, weshalb denn jener Barmherzige in einer Jolle eilig an's Land fuhr, und nach dem Hause Ritzebüttel lief, wo er Herrn Jürgen Plate alle diese Missetaten entdeckte. Das Mädchen aber, dem die andern drei Knechte kein Leid zuzufügen wagten, setzten sie auch an's Land und ließen es laufen, worauf sie mit ihrem Ever und dem geraubten Stader Schiff nach Neuwerk heim zu segeln gedachten, was aber langsam ging, da sie contrairen Wind hatten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten