Rathaus-Diebe (1616-1621)

Hinrich Kayser, des Herrenschenken Gehilfe, welcher zugleich den Dienst eines Rathausschließers innehatte, wurde im Jahre 1616, der Bestehlung der Schoßgelder sehr verdächtig, zur gefänglichen Haft gebracht. Er bekannte auch alsbald, ein großer Dieb zu sein und während 15 Dienstjahre alljährlich über 1000 Gulden behufs Aufhelfung seines zerrütteten Vermögens, dem gemeinen Gute entfremdet zu haben.

Dazumal gab es noch keine sogenannten Schoßtafeln nach den Kirchspielen, wie später, sondern der auf dem Rathause von den Bürgern nach ihrer eigenen gewissenhaften Selbstschätzung einbezahlte Schoß, wurde vorerst in ein großes Schopp oder Schrank getan, um später gezählt und in die Kämmerei gebracht zu werden. Da nun Hinrich Kayser, der ungetreue Rathausschließer, gleich beim Antritt seines Amtes sich zu diesem Schappe einen Nachschlüssel verschafft hatte, und dasselbe nur dann abendlich heimsuchte, wenn er grade viel Geld eingegangen und dasselbe ungezählt wusste, so konnte er Jahre lang seines Raubes ungetrübt genießen. Nun aber war auch sein Krug so lange zu Wasser gegangen, bis er zerbrach, d. h. bis der Nachschlüssel im Schlosse des Schappes abgebrochen war, wodurch denn die Untat entdeckt wurde.


Hinrich Kayser hatte freilich augenblicks das Weite gesucht und war nach Harburg entwichen, aber die Harburger wollten den Bösewicht weder beschützen noch behalten, sondern lieferten ihn den Hambnrgischen Gerichtsdienern ans. Nach bestandener Untersuchung, bei der er freiwillig alles bekannte, wurde dieser Rathausdieb von Rechts wegen zum Strange verurtheilt, und darauf am 13. März 1617 in den höchsten Galgen gehängt. Seine Frau, die ihm bei seinen bösen Werken stets hilfreiche Hand geleistet, wurde früh Morgens zwischen des Steintors Außen- und Binnen-Pforten mit dem Schwerte gerichtet, und die des Verbrechens kundig gewesene Dienstmagd der Stadt verwiesen.

Damals ging von dieser Geschichte unter den Anekdotenjägern der Stadt das Witzwort im Schwange: „den Kaiser habe ein König gefangen und ausgeliefert, und ein Graf habe ihn gehängt.“ Der Harburger Schiffer nämlich, der den Hinrich Kayser herüber transportiert hatte, hieß Hans König, und der damalige hiesige Scharfrichter nannte sich Marx Graf oder Marcus Grave. Derselbe war, beiläufig erzählt, nach Bericht der Chronik ein ganz possierlicher Kerl. Bei allen minder ernsthaften Exekutionen, z. B. Rutenstreichcn, Brandmarken u. s. w., trieb er stets allerhand ergötzliche Kurzweil, um damit nicht nur den armen Sünder unter'm Peinigen zu vergnügen, sondern auch die neugierigen Zuschauer zu erlustieren. Es sprach einmal ein zum Tode geführter Verbrecher, da's gerade gewaltig regnete und schneite, zu ihm, um den peinlichen Gang durch einen Discurs zu kürzen, vom schlechten Wetter. Freilich, erwiedert Marx Grave, verhenkert schlecht, aber du Kerl kannst wohl lachen, bleibst draußen und fragst nichts mehr darnach, ich aber muss zu Fuß in dem Schlackerwetter wieder zur Stadt laufen.

Hinrich Kaysers schlimmes Ende schreckte übrigens die Spekulanten auf das öffentliche Gut nicht ab. Denn im Februar 1621 ertappte, man schon wieder einen Liebhaber des gemeinen Kastens auf der Kämmerei, Claus Möller, Bürger und Baumseidenmacher, des Domtürmers Sohn. Im Kehricht vor seiner Haustüre hatte ein aufmerksamer Plundermatz oder Lumpensammler etliche leere Säcke gefunden, darauf das Stadtwappen gestempelt war. So kam man auf die Spur. Er bekannte (nicht freiwillig, sondern erst bei der scharfen Frage), dass er zu verschiedenen Malen 10.000 Gulden aus der Kämmerei genommen habe. — Man erachtete es für diensam, zu mehrerer Abschreckung des einreißenden Rathausdiebstahls diesen Fall noch schärfer zu ahnden als den früheren. Der Missethäter wurde daher, nach Inhalt des Urteils, zuvörderst vor der Kämmerei, dem Orte wo er gesündigt, mit glühenden Zangen gezogen und gekneipt, sodann aber in den höchsten Galgen gehängt, mit dem Gesicht nach Norden, wie üblich. Welcher Scharfrichterbrauch sich zweifelsohne von der Ansicht unsrer heidnischen Vorfahren herschreibt, dass im höchsten Norden die grimme Ecke, der Ort der Verdammnis liege, woselbst den Übeltäter stetiger Frost und die größte Plage der Germanen, ewiger Durst, peinige. Mit der lieblichen Aussicht auf solchen höllischen Bestimmungsort verschieden dann die Gehängten.

Während dieser Exekution wurde Senator Peter Röver's Sohn von einem Herrn zu Pferde erschossen (man sagt aus Eifersucht wegen eines Mädchens); der Reiter drückte dann dem Ross die Sporen in die Weichen, jagte davon in die weite Welt, und ist hierorts niemals wieder gesehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten