Karrengefangene (1609-1624)

Zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts wurde ein neues Straf- und Besserungsmittel erfunden: die Karre, für diejenigen losen Buben, deren Frevel und Mutwill nicht grade so arg war, dass man ihnen deshalb an's Leben gehen konnte. Am 7. September 1609 kam solch ein Tagedieb, Michel Schotte hieß er, als der Allererste in die Karre, und bald folgten ihm viele seines Gelichters. Nachts waren sie in irgend einem der alten Festungstürme wohlverwahrt. Sobald der Tag grauere, spannte man sie zu zweien oder dreien an eine große zweirädrige Karre. Vorn auf der Brust trugen sie in einer krummen Eisenfessel so viele Glöckchen, als Jahre sie nach dem Urteil karren sollten, und alljährlich wurde eins abgenommen. Daran konnte eine kluge Hausmagd schon von Ferne den Zug der Karrengefangenen heranklingeln hören, und sich darnach mit dem Ascheimer u. dgl bereit stellen, denn die Karren dienten nebenbei zur Aufnahme alles Unrats der Häuser und Gassen. Einige Halbgebesserte gingen beizu, fegten zusammen, was Übles auf den Gassen lag, und säuberten die Rinnsteine. Diese dem öffentlichen Wohl äußerst ersprießliche Strafmanier hatte dabei für die Gefangenen selbst den doppelten Nutzen, dass sie ihnen das rechtschaffene Arbeiten beibrachte, und in Betreff der Gesundheit sehr heilsam war.

Genannter Michel hat solchen Nutzen erfahren und in der Karre keine üble Carriere gemacht. Nachdem er seine Jahre ab- und sich dabei zum zuverlässigen Mann heraufgegearbeitet hatte, bekam er den kleinen Ruheposten eines Commandeurs bei diesen Gefangenen, die er fleißig zur Arbeit anspornen musste.


Dass diese feine Erfindung aber so bald wiederum abkam, das ging also zu. Im Jahre 1622 hatte eines städtischen Wildschützen oder Jägers Sohn so viel gesündigt, dass er nach Abstrafung am Pranger auf 10 Jahre zur Karre verurteilt wurde. Hier konnte er deren Heilsamkeit platterdings nicht begreifen, ergab sich vielmehr dem entschiedensten Lebensüberdruss. Um nur aus der Karre und von der Welt zu kommen, erstach er mit einem zufällig erhaltenen Messer zwar nicht sich selbst, wohl aber den ganz unschuldigen Büchsenträger bei der Surrende, Namens Paul Claen oder Claussen, wie Andre ihn nennen. Er erreichte damit seinen Zweck und kam aus Karre und Welt, am 16. März 1614, durch das Richtschwert des Frohns Valten Matz, der damit freilich kein Meisterstück machte, sondern so übel richtete, dass er sich nur mit Mühe vor dem Zorn des mitleidigen Volkes salviren konnte. Durch diesen Vorfall wurde man, zumal in den untern Ständen, ganz übel gesinnt gegen die Karrenstrafe, der man eine grausame Triebkraft zur Schwermut und ihren Übeln Folgen beimaß. Da nun auch 1620 das Zuchthaus erbauet war und solche Subjecte wohl aufnehmen konnte, so schaffte man das missliebig gewordene Besserungsmittel gänzlich ab.

Der erforderlichen Straßen-Reinigung u. w. d. a. widmete man weitere Fürsorge durch Gründung des Instituts der sogenannten Gassenkummerwagen, zu deren Kosten eine eigene Abgabe beliebt wurde: das etwas unfein klingende Dreckkarrengeld.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten