Diebsgeschichten (1662-1679)

Der alte Schuhflicker Johann Kuhlmann, der hier vor 200 Jahren lebte, war, von Außen betrachtet, ein erschrecklich häßlicher Kerl, ohne Nase und ohne Ohren, mit wild über's Gesicht hängenden langen Haaren. In seiner Bude sah's eben so finster aus, und nirgendwo in und um ihn war „eine Falle um einen Sonnenstrahl zu fangen.“ Weil nun damals das Ohrenabschneiden eine nicht seltene Strafe war, so kam man auf die Vermutung, dass Johann Kuhlmann jenen Mangel auch wohl irgend einem nachrichterlichen Messer verdanke wegen begangener Missetat. Deshalb befragte ihn der Gerichtsherr, wo er Nasen und Ohren gelassen habe? Worauf er antwortete: die seien ihm durch Zufall schon vor langen Jahren abhanden gekommen, er habe nämlich in seiner Jugend, als Troßbube bei den Soldaten, immer im Stalle schlafen müssen, und da seien ihm einst in der Nacht von den hungernden Rossen Nase und Ohren abgefressen worden. Mit diesem Bescheid musste man sich freilich begnügen, behielt ihn aber doch stets im Auge. — Nun geschah's einige Jahre hernach, dass ein Buchladen in des Schuhflickers Nachbarschaft bestohlen wurde, und dass, da Verdacht gegen ihn obwaltete, seine Bude visitiert wurde, wo man denn eine Menge gelehrter Bücher fand, die der dumme Kerl genommen hatte, weniger zur Selbstbelehrung als zur Verwertung bei Käsehändlern. Also wurden denn seine vielfachen hier wie auswärts begangenen Missetaten offengedeckt, so dass er selbst einsah, es gehe ihm an den Hals. Als man ihm nun, zu mehrerer Reinlichkeit, die langen wüsten Haare abschnitt, entdeckte man den Grund seiner Frisur: ein großes Brandmal auf der Stirn kam zum Vorschein. Hierüber befragt, sagte er: leider sei er auch ein gottloser Mörder, und kein gewöhnlicher, denn er habe daheim Vater und Mutter todt geschlagen, was man ihm aber nicht beweisen gekonnt und deshalb sich nur mit Brandmarken, Nase- und Ohren-Abschneiden begnügt habe. Seine Unmenschlichkeit entdeckte sich aber bei der Nachforschung als eine Lüge, seine Mutter lebte noch und der Vater war längst natürlich verstorben. Nach der Ursache solcher befremdlichen Lüge befragt, sagte der verwetterte Kerl: er wolle es nur gestehen, er wisse ja, dass er wegen seiner Missetaten doch sterben müsse. Nun möchte er lieber gerädert als gehangen werden, denn er sei von Natur entsetzlich kitzlich am Halse und könne es gar nicht leiden, wenn man ihn dort anfasse; um sich nun nicht so lange zu quälen am Galgen, wünsche, er eine andre Todesart, und deshalb habe er den Elternmord erfunden. Dennoch wurde sein Wunsch nicht erfüllt, er kam den 28. April 1662 an den Galgen, wo er bereits als Fünfter hing, worauf bald noch zwei Diebe hinzukamen, so dass damals durch ein richtiges Galgenvoll, sieben Personen, die Trefflichkeit Hamburburgischer Justizpflege beurkundet wurde.

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Zu derselben Zeit bekamen manche Leute in der Stadt, auch viele in den Vorstädten und auf einsam gelegenen Höfen draußen, nächtlicherweile gar unheimlichen Besuch. Es erschienen zur Mitternachtsstunde Geister und Gespenster, und wenn sie verschwanden, dann fehlte allemal viel wertvolle Habe. Der Tod, der Teufel und ein Engel gingen um. Im Schlafgemach erschien plötzlich eine Gestalt mit Stundenglas und Sense, furchtbar anzuschauen, die redete den entsetzten Erwachenden an: „ich bin der Tod, ausgesandt um dich heimzuholen von der Erde, bete ein Vaterunser, dann gnade dir Gott, du musst mit.“ Während der arme Sterbliche Angstschweiß schwitzte, und nicht wusste, was tun, denn die Zunge klebte ihm am Gaumen und die Stimme versagte zum Schreien und Hilferufen, dann trat eine zweite noch schrecklichere Gestalt herein, angetan akkurat wie der leibhaftige Teufel, schauerlich murmelnd: „da du doch jetzt sterben musst, so bin ich hier, deine sündige Seele alsogleich in die Hölle zu bringen,“ — worauf gemeiniglich die arme Seele im Bette unter die Federdecke kroch, um sich gegen Tod und Teufel nach Straußenart zu verbergen. — In so peinlicher Lage, mehr todt als lebendig, vernahm er dann zu seinem Troste eine dritte sehr milde Stimme, und wenn er herauslugte aus seinem Deckbett, so stand ein schöner weißer Engel da, der sprach: „fürchte dich nicht, ich bin vom Himmel gesandt, dich diesmal noch von Tod und Teufel zu erretten, bleib' ruhig liegen, nur lass dein sterblich Auge nicht sehen, wohin ich mit diesen Feinden der Menschheit jetzt ziehe!“ Dann verschwanden alle drei. Der arme Geängstete, halb Entgeisterte (und oft war's gar ein von Natur schon zaghaftes Frauenzimmer) blieb gern noch etwas still im Bette liegen, sich zu erholen von der grausamen Alteration, die ihm bleischwer in allen Gliedern lag. Er betupfte sich überall, ob ihm wirklich kein Schade geschehen sei in der verhängnisvollen Katastrophe, und wenn er sich heil und ganz befand, so sann er darüber nach, ob er nicht etwa geträumt habe und der ganze Spuk lediglich ein Alpdruck sei, in Folge gestrigen Nachtessens. Und wenn er, einmal ins Zweifeln gekommen, dennoch aufstand, um vorsichtig nachzusehen wo die drei Geister geblieben, dann fand er die Bescheerung: es fehlten die besten Sachen, Silberzeug, Uhr, Kleinodien, die Lade im Wohngemach war erbrochen, Geld und Geldeswert dahin!

Es dauerte lange bis man diesem Kleeblatt auf die Spur kam. Die Bestohlenen schämten sich meistens ihrer Gespensterfurcht, und gaben nur an beraubt zu sein, ohne Bezeichnung der dabei gespielten Komödie, welche demnach ein Geheimnis blieb. Endlich kam's doch aus, und nun musste man erstaunen über die Menge sonst ganz herzhafter Menschen, die sich von vermeintlichen Geistern hatten also ausplündern lassen. Nun vigilirte man scharf, und ertappte richtig drei Kerls, wie sie eben mit Bündeln belastet, aus einem Gartenhause schlichen, im Begriff, ihre Masken abzulegen; zwei entkamen, einer wurde verhaftet. Es waren drei verbündete Bösewichter, die ihre Rollen trefflich eingelernt hatten. Während Bruder Tod zuerst den harmlosen Schläfer erschreckte und seine Aufmerksamkeit mit dem vorgespiegelten Jenseits fesselte, räumten die beiden andern draußen auf; dann unterstützte Bruder Teufel den Tod beim Einschüchtern des Beraubten, während Bruder Engel die Beute in Bündel packte, wenn er fertig war hereintrat und die Komödie zu Ende spielte, wie oben erzählt.

Sinnreich war diese Manier, und spaßhaft muss sie auch gewesen sein, da jeder der Bcstohlenen hinterher das Verlachtwerden so gefürchtet hat. Der Gerichtsherr zeigte aber wenig Geschmack an diesem gottlosen Humor, als er den verhafteten Spitzbuben (es war der Engel) vor sich harte. Dieser hieß Hermann Kuhlmann, ein Danziger, unter dessen weitläuftiger gelber Paruque man auch die Ehrenauszeichnung gänzlichen Ohrenmangels endeckte, wie bei seinem obgedachten Namensvetter, zu dessen erhabenem Schwebepunkte man ihn demnächst am 16. Juni 1662 befördert hat.

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Weniger sinnreich, aber auch nicht ohne Humor, betrug sich 17 Jahre später eine Bande von 24 jungen Schelmen, die sich zum feinen Diebstahl mittelst Einschleichens verschworen hatten, ihre Beute gemeinsam teilten und ein ganz schwelgerisches Leben davon führten. Da ihrer grade so viele waren als große Blätter im deutschen Kartenspiel, so nannten sie sich nach denselben und ihren Bund die Kartenzunft. Aber das Spiel wurde bald unkomplet, als man zwei davon ergriff. Spaden-Bauern und Klever-Eschen, oder wie sie mit bürgerlichem Namen hießen, Hans Münstermann, 17 Jahr alt, und Harm Dose, 22 Jahr alt. Beide hatten von Kindesbeinen an gestohlen, und waren schon dreimal deswegen bestraft, deshalb ging's ihnen jetzt an den Hals. Spaden-Bauer war klein von Statur. Er hatte sich kurz vor seiner Verhaftung, als Vierländerknabe verkleidet, in das Haus des hier wohnenden Fürsten von Mecklenburg geschlichen, woselbst ihn der riesengroße Kammermohr Sr. Hoheit beim Mausen ertappte. Der Mohr hatte Mitleid mit dem flehenden Jungen und verschonte ihn mit der Ablieferung an die Wache, doch gab er ihm einen Denkzettel mit, der Art, wie man einem ungezogenen Knäbchen die Rute applicirt: nach Entfernung der dabei überflüssigen Kleidung über's Knie gelegt und drauf los gedroschen. Solche Züchtigung aber war Spaden-Bauern so kränkend gewesen, dass er spornstreichs, ohne seines unvollständigen Anzugs zu gedenken, davon lief, zum Ärgernis der redlichen Bürger, die ihm begegneten. Bald hernach wurde er bei einem neuen Diebstahl mit Klever-Eschen verhaftet, und beiden, ihrer Unverbesserlichkeit wegen, der Galgen zugesprochen. Bei der Exekution, am 25. August 1679, waren sie vor Graus und Entsetzen ganz stumpfsinnig und schon halbtodt. Die Herren Pastoren Elmenhorst und Langhans gingen mit ihnen und taten ihr Allerbestes mit Singen und Beten, es verfing aber wenig. — Im September ertappte man noch einige Schelme von der Kartenzunft, die kamen aber milder davon, mit Rutenstrich und Spinnhaus.

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Ein eigentümlicher Dieb war Jürgen Niebur, genannt der Leiterträger, ein ganz einfältig dummer Kerl in jeder andren Hinsicht, aber gewandt und klug in seinem Handwerk, dem Stehlen, und klettern konnte er wie ein Kattekerken oder Eichkätzchen. Er schlich sich nie in die Häuser, er brach und stieg nur ein, — nie von vorn, immer von der Hinterseite der Häuser, von den Kanälen aus. Dazu bediente er sich einer derjenigen Feuerleitern, die an öffentlichen Orten, z. B. beim Kornhause, zu hängen pflegten. Mir solcher Leiter klomm er 4 – 5 Stockwerke hoch. Wenn sie nicht reichte, so stellte er sich auf eine Fensterbrüstung und legte sie höher hinauf. Gewöhnlich aber traf er's genau, denn er pflegte vorher mit den Augen die Höhe zu messen zu dem Fenster, wo er einsteigen wollte, und darnach sich eine Leiter zu besorgen. Ertappt wurde er im Januar 1662 auf der Laube eines Hauses am Dovenfleth, die er vom Eise des Kanals aus bestiegen hatte. Nun war einige Minuten vorher der Frau des Hauses nicht ganz wohl geworden, so dass sie, um frische Luft zu schöpfen, auf die Laube gegangen war. Als sie den Leitermann unter sich rascheln hörte, schlich sie geschwind nach vorn auf die Straße und holte die Räthelwacht, die den sauberen Patron in Empfang nahm. Er bekannte sich zu 36 gefährlichen Einbrüchen.

Bevor er gerichtet wurde gab sich Herr Pastor Fürsen alle ersinnliche Mühe mit der Bekehrung dieses einfältigen Menschen, der so verwahrloset war, dass er nicht einmal das Vaterunser wusste, geschweige die zehn Gebote und den Glauben. Er blieb auch bei aller Lehre völlig stumpfsinnig und gleichgültig, nichts machte Eindruck auf ihn, weder die Todeserwartung, noch die ihm doch recht heiß geschilderte Hölle, — also, dass der gute Herr Fürsen sich der Tränen des Mitleids nicht erwehren konnte, worüber der Malefizkerl ganz verwundert war.

Als er unterm Galgen stand und die Kette ihm schon umgelegt war, sprach Herr Pastor Fürsen noch einmal: Nun Jürgen, glaubt ihr noch festiglich, was ich euch glauben gelehrt, und tröstet ihr euch dessen jetzt an eures Lebens Ende? — Nein, antwortete der Kerl, davon wüsste er kein Wort mehr. Worauf der pflichtgetreue Herr Fürsen noch einmal ihm alles Wort für Wort vorgesprochen, ihm vorgebetet, und ihn absolvirt, — dann aber dem Scharfrichter Ismael Asthusen befohlen hat, nun möglichst schnell ihn abzutun, damit er stürbe, bevor er seinen Trost wieder vergessen habe. Und Meister Ismael sputete sich, der arme Sünder war auch sofort stockstill und steif, und hat weder Hand noch Fuß geregt, — es war, als wenn man einen Holzblock richtete.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten