Die letzte Justiz auf dem Grasbrook (1624)

Bekanntlich wurden nach altem Gebrauch vormals die Seeräuber, welche in Hamburgs Gewalt fielen, auf dem Grasbrook unweit der Elbe, angesichts des Elements, auf dem sie gefrevelt, enthauptet, und ihre Köpfe auf Pfähle längs des Stromes gesteckt. Solche Handhabung der Gerechtigkeit (wie auch wohl das derselben dienende Blutgerüste) nannte man die Justiz auf dem Grasbrook. Seit Störtebekers und seiner Gesellen Hinrichtung (1401), mögen in 423 Jahren wohl über 600 Seeräuber auf dieser Stelle den Lohn ihrer Taten empfangen haben. Genau zu ermitteln ist der Platz nicht. Vielleicht gehen jetzt die Fluten der Elbe darüber, deren hier fließender Arm seinen Lauf etwas verändert zu haben scheint.

Im November 1624 kam der Hamburger Schiffer, Tiedeke Schaper aus der See in den Hafen. Er hatte unterwegs bei Neuwerk ein Gefecht mit einem Seeräuberschiff siegreich bestanden, von dessen Besatzung er vier verwegene Kerls gefangen aufbrachte. Dieselben wurden nun hier als überwiesene und geständige Seeräuber verurteilt. Der erste derselben war ein Türk; der zweite ein dunkelgelber Mohr, vermuthlich ein Barbareske; der dritte ein türkischer Renegat, Franzose von Geburt; der vierte ein Engelsmann, von dem es sich offenbarte, dass er nur als Sklave des Türken gezwungenermaßen den Piraten gedient hatte, weshalb er auch pardonniert und nach England heimgeschickt wurde, worüber er sehr froh war.


Während die drei Seeräuber vor der Exekution in der Frohnerei saßen, gaben sich die Herren Pastoren viele Mühe mit der Bekehrung dieser Ungläubigen. Der Türk sowohl als der Mohr nahmen willig Lehre an, und taten, wie die Chronik erzählt „ein gar herrliches Bekenntnis.“ Wenn die Hoffnung auf eine desfallsige irdische Begnadigung solche Gemüts-Bekehrung bewirkte, so wurde sie getäuscht, denn letztere bezweckte nur ihr Seelenheil in der Ewigkeit. Die Justiz auf dem Grasbrook ließ deshalb ihre Opfer nicht los. Der Renegat dagegen war ein eingeteufelter Kerl, wie man denn überhaupt von einem Menschen, der wegen irdischen Gewinnstes das Christentum abgeschworen und verflucht hat, und zu dessen erbittertsten Feinden übergetreten ist, nichts Gutes mehr erwarten kann. Alle Versuche, diesen Renegaten zum christlichen Glauben zurückzubringen, oder nur einige Reue in seinem verstockten Gemüte zu erwecken, waren fruchtlos. Am 13. Dezember wurden dann die beiden Bekehrten, der Türke und der Mohr in stattlicher Geleitschaft zum Elbstrande hinausgeführt, der Renegat aber auf einer Schleife dahin gebracht, worauf alle drei enthauptet und ihre Köpfe auf Pfähle gesteckt wurden.

Dies ist die allerletzte Justiz gewesen die auf dem Grasbrook gehalten worden ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten