Hamburgerinnen und Wienerinnen (1)

Aus: Zeitung für die elegante Welt. 36ter Jahrgang. 1836 (Karl Spazier)
Autor: Mundt, Theodor (1808-1861) deutscher Schriftsteller, Kritiker und Publizist, Erscheinungsjahr: 1836
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hamburg, Stadtbeschreibung, Hamburger, Hamburgerin, Wien, Wiener, Wienerin, Kulturbild, Sittenbild, Charakter, Stadtgeschichte
Eine wunderbar belebte, frische und fröhliche Ausschau, der in wenigen Städten Ähnliches sich darbietet, genießt man in Hamburg aus den Fenstern des Hotel Belvedere, besonders wenn man so glücklich ist, sein Zimmer nach der Alster hinaus einzunehmen. Das herrliche Treiben des Jungfernstiegs und der ihn fortsetzenden Esplanade, mit seiner unablässigen Menschenmenge, den glänzenden Pavillons und den neuen stattlichen Wohnhäusern, drückt immer eine regsame und lebenslustige Stimmung aus. Alle Vorübergehenden haben Eile, Jeder trägt eine flüssige Geschäftsmasse mit sich über die Straße, und doch sieht man nur selten missmutige Gesichter, überall vielmehr einen hellfarbigen Charakter vorherrschend. Ich stand mit meinem Reisegefährten, einem jungen Maler, lange vor diesem ergötzlichen Anblick, indem unsere Augen bald über die Baumreihen des Jungfernstiegs, bald über das blaue Alsterbassin, das sich in weitschimmernder Perspektive mit der großen Alster zusammenschließt, sich hintrugen. Ein erfrischender Morgenhauch kräuselte den Wasserspiegel, Schwäne saßen auf der schonen durchsichtigen Flut, Gondeln ruderten vorüber. Boote, mit Fremden und Einheimischen besetzt, legten an dem freundlichen, auf einer Schiffbrücke erbauten Badehause an.

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Eine festliche Reihe von Flaggenkähnen besetzte heut das Alsterbassin. Die schönen, buntgeschmückten Wimpel, dem Winde sich faltend und wieder entrollend, flatterten fröhlich, ein bedeutungsvolles Symbol, durch die Lüfte. Wenn solche Kähne auf der Alster stehen, erglänzen lebhafter die Augen jeder jungen Hamburgerin, die vorübergeht. Ihr Busen hebt sich seufzend, eine feine Röte lagert auf den Wangen, und wenn sie den Jungfernstieg zu Ende gelangt, blickt sie sich noch einmal mit einem Sehnsuchtsauge nach jenen Flaggen um, und wandelt dann sinnend und mit gesenktem Kopfe über den Gänsemarkt weiter. Sie blättert das Blatt des Lebens, auf dem das Zauberwort Braut steht, in Gedanken um. Denn diese wallenden Segeltücher auf dem Bassin verkünden, dass eine Braut, welche dem Hochzeitstage entgegenbangt, an der Alster oder in der Nachbarschaft wohnt. Es ist ein schöner Zug von den hamburgischen Schiffern, welche sich ein Geschäft daraus machen, mit diesen Festkähnen, zur Feier der Bräute Hamburgs, den Fluss zu belegen.

Mich und meinen Freund erinnerte dieses gemütliche Sinnbild an den eigentlichsten Zweck unserer Ankunft in Hamburg, die vor einigen Stunden erfolgt war. Wir waren zur Hochzeit geladen. Die holde Hamburgerin, der zu Ehren die bräutliche Flagge diesmal sich ausbreitete, war höchstwahrscheinlich ebendieselbe, die wir an der Hand unseres teuren und wunderlichen Freundes Constantin sollten zum Altare treten sehen. Der Maler fand diese Sitte schön und malerisch, dass er das Bassin mit den Flaggenkähnen in sein Skizzenbuch einzutragen begann. Er gedachte es zu einer phantastischen Skizze, eine Liebesflotte darstellend, auszuführen. In den Nachen, umgaukelt von Lebensgenien und Najaden, sollten die verschiedenen Typen von hamburgischer Frauenschönheit, die mein Freund vielfältig studiert hatte, in Gestalt der Schifferinnen anschaulich gemacht werden, die schönste sollte ein Konterfei der Braut sein; als ich, seinen Entwurf unterbrechend und belachend, ihn daran erinnerte, dass wir vor allen Dingen erst die an Liebenswürdigkeit und Talenten als unvergleichlich gerühmte Braut unseres Constantin kennen zu lernen hätten.
Wir machten uns auf den Weg, um den Freund wiederzusehen, den wir seit vielen Jahren entbehrt, mit dem wir früher, ein schönes jugendmutiges Dreiblatt, die wichtigsten und kecksten Berührungen des Lebens gemein gehabt. Constantin war ein so echt moderner, vielgestaltiger Mensch, dass nach den vielen Metamorphosen, durch die er gegangen, ich mir kaum noch vorstellen konnte, was an ihm übrig geblieben sein möchte, um ihn daran zu erkennen. Wir hatten den schönen Traum von der deutschen Literatur miteinander durchgeträumt. Wie alle jüngeren Talente von Bedeutung war er mit großen Hoffnungen von der Literatur ausgegangen, um sie in eine neue Verbindung mit dem Leben zu setzen. Sein hauptsächlichstes Talent aber bestand darin, schnell und auf einmal Dasjenige aufzugeben, was er als unnütz und erfolglos erkannt hatte. In Berlin musste ich ihm einmal zwei Strohhalme Hinhalten, einen längeren und einen kürzeren. Er wollte losen über die beste Art, von der deutschen Literatur loszukommen. Der eine Strohhalm bedeutete eine Heirat mit einem hübschen, braven und reichen Mädchen in einer kleinen Landstadt; durch diese ihm dargebotene Partie hätte er glücklich und sorgenfrei leben können, ohne ferner eine einzige Zeile für ein deutsches Journal zu schreiben. Der andere, kürzere Strohhalm bedeutete ein in Paris zu begründendes Journal, das französisch und deutsch erscheinen sollte, und womit er den letzten Versuch seines literarischen Wirkungseifers machen wollte. Constantin zog den kürzeren. Am andern Abend saß er auch schon auf der Post, hatte die Partie ausgeschlagen und teilte mir am Postwagen bereits eine Abschrift von dem Prospekt mit, mit dem er seine neue Unternehmung in Paris ankündigen wollte. Ich wartete lange Vergeblich auf einen Brief von ihm aus Frankreich, und erhielt ihn endlich aus Portugal. Durch die Schwierigkeiten, auf die er in Paris mit einem französisch-deutschen Journal gestoßen, war er abgeschreckt worden und hatte Kriegsdienste unter Dom Pedro genommen. Später focht er unter den Christinos gegen Don Carlos, sein Name wurde durch einen besonderen Umstand einige Male in den Zeitungen erwähnt. Dann bekam ich einen merkwürdigen Brief von ihm aus den Vereinigten Staaten, wo er eine deutsche Kolonie in Massachusetts hatte einrichten helfen. In der großartigen Melancholie einer wilden Felseneinsamkeit hatte er sich hier zu einem religiösen Stillleben gewandt, das eigentlich keine bestimmte Religion war, sondern ein allgemeiner Gottesfrieden für alle Qualen der modernen Existenz, wie er es nannte. Vier Monate darauf sandte er mir aus Schlesien eine von ihm verfasste Broschüre über den Runkelrübenanbau, die versiegelt aufgegeben wurde. Er schrieb mir, dass er durch mehrere landwirtschaftliche Spekulationen, die er mit einigen schlesischen Gutsbesitzern unternommen, auf dem Wege sei, ein reicher Mann zu werden; nur sein Herz werde täglich ärmer und bettele um sein liebes Brot. Man musste die wunderbare Beweglichkeit seines Charakters kennen, um zu begreifen, wie er diese schnellen Wendungen seiner Existenz auch nur äußerlich möglich machte. Von Schlesien begab er sich nach Hamburg, um eine Predigerstelle zu übernehmen, zu der ihm seine dortigen angesehenen Verwandten Aussichten eröffnet, denn Constantin hatte eigentlich Theologie studiert. Die erwachte Sehnsucht seines Gemüts nach einem solchen Berufe wusste er trefflich zu motivieren, er traute sich zu, eine Brust voll zerfleischender Skepsis mit einem aufgehenden Walten in der Gemeinde zusammentreffen zu lassen, so dass ihn die Hingebung an eine milde, geregelte Lebenspflicht von selbst in der Kraft und Wahrheit der Symbole erhielte. Sein letzter Brief aus Hamburg meldete jedoch, dass er, statt dieses Auskunftsmittels einer umhergreifenden Seele, ein großes Wollgeschäft übernommen, und im Kaufmannstande die größte Befriedigung und Beruhigung des Lebens zu finden anfange. Zugleich bat er mich und den Maler, zu seiner Hochzeit zu kommen. Denn in seinem Friedenshafen habe sich ihm auch ein schönes, einziges Heiligenbild, das ihn durch Liebe fromm erhalten werde, aufgestellt. Sein Fest sollte auch eine Wiedersehensfeier für das alte, so lange zersprengte Dreiblatt werden.

Ich war unter allen der einzige, der dieses endlich ausgefundene Lebensziel unseres Freundes für vollgültig anerkannte. Aus aller Überzeugung hatte ich seine Ansicht von dem Kaufmannstande verteidigt, und außer dem Wirkungskreise des Kaufmanns nur noch den des Arztes als eine erfolgreiche und wünschenswerte Tätigkeit in unserer Zeit gelten lassen. In der Tat führen sich auch alle unsere heutigen Richtungen am Ende auf den Kaufmann und den Arzt zurück. Die bewegenden Unternehmungen der Zeit sind kaufmännisch und ihre Zustände sind pathologisch. Der Geist zieht Handelsstraßen durch die Welt und geht mit Ideen hausieren. Die Produktion setzt sich in die Betriebsamkeit um. Auf der andern Seite schlägt dieser schnelle Vertrieb des Lebenskapitals wie ein heißer Fieberpuls gegen das Herz der Geschichte. Die Meinungen werden als Krankheiten behandelt, die Weltverbesserer, deren Zeitalter das jetzige ist, sind Ärzte, und die Ärzte werden die physischen Gesetze ihrer Heilkunst hergeben müssen zu einer mildern und richtigeren Behandlung der geistigen Richtungen.

Ich wünschte, es enthüllte Jemand die Poesie des Kaufmannstandes! Vielleicht tut es der Wollhändler Constantin. Dies heiße, rührige, weitausgreifende Treiben, in Arbeit und Genuss, in Geschäftigkeit und Behagen, in Berechnung und Erfolg, in Täuschung und Hoffnung, mit männlichem Mut die Mittel und Wege der Existenz erfassend, ist die echt menschliche und naturgemäßeste Grundlage für ein Dasein, das im Wissen und Schaffen sich nicht mehr zurechtfinden kann; es ist die lebendige Gegenwart, wo die Vergangenheit tot und die Zukunft ein seltsames Ideal.

Unser Freund, der Maler, wollte nichts davon wissen. Er war der jüngste, die Verzweiflung hatte sein blond-lockiges Haupt übergangen, und er hoffte, ein Schüler Schadows, eine neue Epoche für seine Kunst. Gutmütig, phantastisch, hingebend, launig, wie er war, mochte er nichts davon hören, dass das Leben auseinanderklaffe, und glaubte an kein Raisonnement, das ihn in seinem altdeutschen Frieden störte. Den Namen des Altdeutschen hatte ihm Constantin gegeben. Er wurde jetzt noch mit seiner hamburgischen Liebesflottille, die er auf der Alster geträumt, ein wenig geneckt, und dann zog ich ihn mit mir auf die Straße hinunter. —

Hamburg Brandstwiete 1775

Hamburg Brandstwiete 1775

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

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Bismarkdenkmal in hamburg um 1900

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Hamburger Börse

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