Der Bescheidene

Der Bescheidene

(Melodie aus: Berlin arm und reich)


Der Fortschritt tritt jetzt endlich auf,
Beschleunigt alles Guten Lauf,
Und wenn's mal nicht ganz vorwärts geht,
Er durch ein Hemmniß stille steht,
Noch Dinge duldet, welche man
Zu abgethanen rechnen kann,
Geschieht's was nicht zu leiden ist,
Weil er noch zu bescheiden ist.

Herr Louis sitzet auf dem Thron
Als Herrscher der grande nation,
Man sieht ihn aus der Ferne doch
Herschielen gar zu gerne noch
Aus uns'res deutschen Landes Gau'n; —
Warum es ewig bleibt beim Schau'n?
Weil Deutschland hübsch zu meiden ist,
Und weil er zu bescheiden ist.

Wo Alles rüstig vorwärts geht,
Auch Hamburg nimmer stille steht,
Der Freiheit ros'ger Sonnenblick
Verkündet auch bei uns das Glück.
Warum man hier und da nun doch
So manches Zöpflein duldet noch,
Wo stets der Zopf zu meiden ist?
Weil er schon sehr bescheiden ist.

Die kleinen Staaten Deutschlands sind
An allem Schuld, mein liebes Kind. —
Ach nein, sieh Lippe-Detmold an,
's ist zwanzig Meilen groß, da kann,
Wo zwanzig Meilen die Lippe fein,
Wohl etwas groß das Maul auch sein;
Auch hat es zehn Mann steh'ndes Heer —
Doch sonst ist es bescheiden sehr.

Der Sultan hat in der Türkei
Der Weiber erst neunhundertdrei,
Und das ist für 'nen Türkenkönig,
Wie mich bedünkt, noch äußerst wenig.
In Deutschland haben wir genug,
Wenn uns die Lieb' zu Einer trug,
Uns g'nügt schon ein solch süßes Kind,
Weil wir darin bescheiden sind.

Herr Rothschild ist ein reicher Mann,
Dem Keiner sich vergleichen kann,
Er ist auch ganz zufrieden, doch
Hat einen einz'gen Wunsch er noch,
Zehn Schilling fehl'n ihm noch, 's ist toll,
Dann wären tausend Millionen voll —
Zehn Schilling jetzt sein Leiden ist,
Weil Rothschild sehr bescheiden ist.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburger Leierkasten