Hamburg. Handelsorgane. Öffentliche und Privatanstalten. Börse. — Banken. — Hafen. — Reederei. — Werften. — Schiffshandwerke. — Fleete. — Baggerwesen. — Seemannsschule. — Seemannshaus. — Shipchandler, Schiffsausrüster. — Große Salzereien. — Fabrikwesen.

Die Börse. Die Börse, den Mittelpunkt des ganzen Handelsmechanismus, betrachten wir billigerweise zuerst. Das Gebäude ist jederzeit ohne Weiteres zugänglich. Nach Beginn der eigentlichen Börsenstunden (von 1 bis halb 3 Uhr) wird von Börsenmännern wie von besuchenden Fremden 4 Schilling Eintritt bezahlt. Es ist spaßhaft anzusehen, wie Leute, deren Geschäfte sich auf Tausende belaufen, mit Beginn des Börsengeläutes ihre Schritte beschleunigen und oft in vollem Trabe ankommen, um noch vor der Zeit einzutreten, wo der Mann mit der Büchse an den Eingängen steht. Doch ist wohl hauptsächlich der kaufmännische Tick der Pünktlichkeit die Triebfeder der Beinmuskeln. Der Fremde muss dem Börsenbesuche eine volle Stunde widmen und namentlich so zeitig vor der Börsenstunde kommen, dass er die mächtigen Hallen vorher mit Muße durchwandern kann. Man geht hinein, fragt Niemand um Erlaubnis, behält den Hut in allen Räumen auf dem Kopfe, besieht und liest, was einem gefällt, und wird des Interessanten genug finden. In allen Vorhallen und auf den Treppen sind Plakate über Schiffsgelegenheiten und Verkäufe, Ankunft von Telegrammen, Schiffslisten, Auktionen angeheftet. Der Fußboden im Hauptsaal ist auf eigentümliche Weise getäfelt. Ebenmäßige Winkel und Abteilungen, auf dem dunkeln Boden durch weißeingelegte Streifen bezeichnet, könnten geschmacklos erscheinen, wären sie nicht praktisch und notwendig. Sie weisen den Handelshäusern ihre Plätze an. Ringsum ist die Haupthalle mit hellem Marmor eingefasst. Mit Bogengängen in die Seitenhallen wechseln Bogenpfeiler ab, mit Zahlen von 1 bis 24 versehen. Die von diesen in den Saal gezogenen Linien erleichtern das Auffinden der Standpunkte, auf denen die Vertreter der einzelnen Handelshäuser während der Börsenzeit verweilen und von den Maklern usw. aufgesucht werden.

Eine Winduhr zeigt genau die Schwankungen des Windes an, von denen manches Lieferungsgeschäft abhängt, dessen Objekte noch im Kanale schwimmen.


Breite Rampentreppen führen zur Börsenhalle, einem kaufmännischen, ungemein reich mit Zeitungen versehenen Clublokale hinauf, und zur Galerie, wo vor der Börsenzeit Vorversammlungen stattfinden und während derselben in der Regel die Zuschauer, Damen nicht ausgenommen, ihre Plätze zu bequemer Übersicht nehmen. Während des Läutens füllen sich die Räume, bis Mann an Mann flüsternd neben einander steht. Sie sprechen leise, und weit entfernt
oben eine Silbe verstehen zu können, klingt es doch herauf wie das Brüllen der Nordsee, wenn sie gegen die schleswigschen Inseln schlägt: ein unartikuliertes Brausen wie von einer Million Bienenschwärme.

Briefträger in den verschiedenen Farben ihrer Länder (siehe Postanstalten) bringen einige Abwechslung in die schwarze Masse, deren Eindruck auf den Beschauer sich kaum beschreiben lässt. Man weiß, was sie da unten tun, sie bieten an, lehnen ab, kaufen und verkaufen, hier und da kommt eine lebhafte Gebärde zum Vorschein, aber im Ganzen trägt die Versammlung den Schein kalter Ruhe und Geschäftssicherheit. Dass es sich jeden Augenblick um Hunderttausende handelt, dass von Hunderten dieser stillen Männer Geschäfte gemacht werden, an deren Gelingen oft Summen hängen, wie sie viele Staatsbeamte ihr ganzes Leben nicht zu sehen bekommen, dass sie Nachrichten vom Gewinn eines Kapitals, groß genug, zehn Pfarrer und eben so viele Schullehrer ihr Leben lang zu ernähren, hinnehmen, ohne eine Miene zu verziehen, dass sie Fehlschläge von gleicher Bedeutung ohne Augenzwickern notieren, davon ahnen wohl nur wenige der Zuschauer Etwas, die in das Gewühl hinabblicken. Neben diesen großen Kapitalen und Schiffsladungen von Waren, bedeutend genug, dass die vermittelnden Makler von ihren kleinen Prozenten oder Promillen Landhäuser und Equipagen anschaffen, werden aber auch die geringfügigsten Dinge an die Börse geschleppt. Man findet dort eben für Alles Käufer und bei den Maklern Nachweise über jeden erdenklichen Gegenstand. Beispielsweise führe ich nur an, wie der Schlag von Künstlern, in deren Adern etwas kaufmännisches Blut mit unterläuft, hier oft genug Käufer für ihre Seestücke u. dergl. finden. Aber das ist Nichts! es ist und bleibt ein Handelsartikel; wollen Sie eine Frau auch dahin zählen? Warum nicht, wird Mancher antworten, wenn sie Geld hat! Ich erzähle Ihnen darüber einige Tatsachen später bei Gelegenheit des Sittenkapitels.

Gegenüber der Börse befindet sich die Bank. Es ist eine Girobank. In ihren unterirdischen Gewölben liegen Silberbarren aufgestapelt, wie viel weiß Niemand, aber es ist ein ungeheures Kapital.

Bestohlen kann die Bank nicht werden, denn wie wären solche schwere Barren von Wachen und Hütern unbemerkt wegzuschleppen. Gegen Einbrüche bei feindlichen Invasionen oder Revolutionen sind die Schätze durch eine Vorrichtung gesichert, welche das Auffinden unmöglich macht: die Gewölbe können sofort tief unter Wasser gesetzt werden.

Es wird Leser geben, denen das Wesen einer solchen Anstalt unbekannt ist. Die Bank hält mit einer großen Menge von Kaufleuten ein Konto (im Adressbuche mit B. Cto. bezeichnet). Sie zahlten ein gewisses Kapital ein, über welches sie in der Art jeden Tag verfügen können, dass sie auf einen Streifen Papier den Betrag eines abgeschlossenen Kaufes der Bank zum Abschreiben geben; sie bezahlen mit einer Anweisung an die Bank, wo der Empfänger dieses Wertpapieres das Geld holt, oder den Wert seinem Konto zuschreiben lässt; natürlich eine ungeheure Erleichterung des Verkehrs. Die Summe des hin und her wogenden Geldes ist auch nicht annähernd anzugeben. Es kommen Fälle vor, dass ein einziges Haus an einem Tage Beträge von vielen Hunderttausenden umschreiben lässt.

Neben dieser großen Girobank bestehen seit einigen Jahren noch die Norddeutsche und die Vereinsbank, zwei Institute von unverbrüchlicher Solidität und ebenfalls enormen Umsätzen.
Begeben wir uns nun auf den Haupttummelplatz der Millionen, es ist der Hafen.

Derselbe zieht sich im weitern Sinne an der ganzen Wasserseite Hamburgs und St. Paulis hin, denn allenthalben wird gelandet, ausgeladen usw. Im engeren Sinne versteht man darunter den Niederhafen für Seeschiffe, den Oberhafen, den Binnenhafen, das neue Bassin beim Sandtore usw.
Der Niederhafen ist der bei weitem größte und wird vom Hauptarme der Norderelbe gebildet. Verschiedene Abteilungen desselben führen besondere Namen: Jonashafen, Hullhafen usw.

Es gibt zwei Punkte zu besonders bequemer Übersicht desselben: Der sogenannte Stintfang, eine mit Parkanlagen versehene Anhöhe, unmittelbar über dem Hafentore, und zweitens von Wiezels Hotel, sowie von den Terrassen vor demselben, geradeüber den Landungsbrücken der Dampfschiffe. Von diesem Standpunkte aus liegt rechts die Wasserstraße, welche wir im Dritten Kapitel im Geiste durchfuhren. Gegenüber in der Ferne strecken sich die Schiffswerften von Steinwärder, links auf der Anhöhe wird das Bild von dem neuerbauten Seemannshause abgegrenzt. (Siehe das Titelbild.) In der Mitte, hart an den Landungsplatz und das Hafentor gedrängt, ziehen sich die stolzen Reihen unzähliger Schiffe hin, und zwar weit, tief in den Hintergrund hinein. Welche Hoffnungen hängen an diesen Wimpeln! welche Sprachen alle werden in Worten und Gesängen auf jenen Planken laut! Die Gedanken verlieren sich hier in Betrachtungen eigener Art: die Kinderstube im fernen Westen Amerikas bekommt ihre Nürnberger Spielwaren über diesen Hafen; die englischen Schnitzer und Meisel für jene deutschen Arbeiter gehen wohl auch über hier nach dem Oberlande, wie die Farben, das Gummi u. dergl. mehr. Und der Kaffee der Arbeiterin im sächsischen Erzgebirge hat, falls er wirklich aus Bohnen gebraut wird, seinen Weg über diesen Riesenmechanismus genommen, — wo wollte man da aufhören zu vergleichen.

Nach den allgemeinen Eindrücken wird der Fremde Verlangen fühlen, die Einzelheiten kennen zu lernen. Liegen gerade Dampfer der Hamburg-amerikanischen Packet-Fahrt-Aktien-Gesellschaft vor Anker, so wird ein Besuch auf denselben von Interesse sein. Wan findet in der Regel beim Kapitän die zuvorkommendste Freundlichkeit und die Erlaubnis; zur Besichtigung. Man wird gut tun, denselben zu fragen, ob er erlaubt, dass seinen Leuten ein Trinkgeld gegeben werde und wem man es geben solle.

Ferner versäume Niemand eine Jolle (die Droschke auf dem Wasser) zu mieten (die Stunde 1 Mark, siehe Jollenführer-Taxe) und sich zwischen den Schiffen umherfahren zu lassen, auch in den Binnenhäfen. Man lernt Größe und Gestalt, sowie die Einzelheiten des Ein - und Ausladens der Schiffe besser kennen, sowie die mancherlei Maschinerien an Kränen, Winden, Brücken usw., welche allenthalben zu finden. Die Jollenführer sind in der Regel ganz unterrichtete Leute, und man wird von ihnen über Alles einigermaßen genügende Auskunft erhalten. Ihre
Bemühungen lohnt man in der Regel auch etwas höher, als es die Taxe vorschreibt.

Werften und Reederei. Wie aus den obigen statistischen Berichten hervorgeht, ist die Reederei von großer Bedeutung. Sloman und viele Andere zählen zu den ersten Schiffsreedern der Welt. Das Adressbuch führt deren 130 auf. Die Hamburg-amerikanische-Packet-Fahrt-Aktien-Gesellschaft rüstet die größten Schrauben-Dampfer und expediert am 1. und 15. jeden Monats.

An die dreißig andere Gesellschaften expedieren ununterbrochen ihre Dampfer nach England, Amerika, den nordischen Reichen, Holland, Frankreich usw. Die Schiffsgelegenheiten füllen täglich die Spalten der Zeitungen (siehe auch Fünfzehntes Kapitel). Minder bedeutend ist der Schiffsbau, und obgleich auch von respektablem Umfange, bleibt derselbe doch bis jetzt hinter Bremen zurück. Die meisten Schiffswerften sind am Grasbrook und Steinwärder; ebenfalls in Altona, in den Elb- und Hafenstraßen. Sie schmücken ihre Eingangspforten oft mit den possierlichsten Gestalten von Wassergöttern, alten Figuren, die am Bugspriet verbrauchter Schiffe ehedem geglänzt. Wer den Weg von den Binnenhäfen aus, an den Kajen und Vorsetzen (Uferstraßen) vorüber, dann den großen Hafen, die Wasserseite St. Paulis entlang, und schließlich durch die Elbstraßen Altonas wandert, wird Gelegenheit haben, eine Menge von Industriezweigen der Schifferei in vielsprachigen Firmen aufgeführt zu sehen, und manche der Schiffshandwerker in Ausübung ihres Berufs. Da sind Schiffszimmerleute, Segelmacher, Reepschläger (Seiler), Shipchandler (Verkäufer von allen möglichen Bedürfnissen der Schiffer), Schiffszwiebackbäcker u. A. m.
Bei näherem Betrachten findet man unter den ohnehin so verschieden benannten und gestalteten Schiffen auch noch schwimmende Werkstätten eigener Art.

Baggerwesen. Baggerschiffe, sind im Elbstrome und den Fleeten ohne Unterlass beschäftigt, des Fahrwassers Tiefe zu erhalten und der unaufhörlichen Versandung entgegen zu arbeiten. Unter Baggern versteht man das Herausheben von Sand und Schlamm aus der Tiefe. Es geschieht durch Dampfmaschinen, welche an großen Triebwerken befestigte Schaufelkübel aus der Tiefe ziehen und deren Inhalt auf dem Verdeck entladen. Die Prozedur kostet Tausende, und wie es scheint, von Jahr zu Jahr mehr. Andere Fahr zeuge, Wasserewer, von plumper Gestalt, geben sich durch ihre Inschriften, wie „Gereinigtes Wasser, Aqua purificada“, u. s. w. als Trinkwasserlieferanten für die Schiffe kund. An den Ufern sind Krane mannigfacher Konstruktion und Gestalt aufgestellt; kurz Eins greift ins Andere, um zusammen den interessanten Organismus des Hafen-Wesens zu bilden, an dem man sich kaum satt sehen kann.

Wenn die kleinen Fahrzeuge, Schuten u. dergl., mit Waren beladen sind, so fahren sie ins Innere der Stadt auf den Fleeten, jenen Kanälen, welche, eine Reihe von Wasserstraßen bildend, etwa alle 7 Stunden von der Flut gefüllt werden. Man blickt von den zahlreichen Brücken in diese Wassergassen, wo Speicher an Speicher ihre Luken öffnen und immerfort die Winden knarren. Malerisch und des Pinsels eines Canaletto würdig, wechseln die Farben des Himmels mit dem braunen Pfahlwerke übergebauter Häuser, und es öffnen sich Blicke von einem und demselben Standpunkte oft auf das Fleet und daneben auf eine dicht hinter den Uferbauten sich hinziehende düstere Straße voll von ameisenartigem Durcheinander. Doch kehren wir noch einmal zum Hafen zurück. Der Blick vom Standpunkte vor Wiezels Hotel ist ein sehr umfassender; auch rechts hinüber nach St. Pauli fällt das Auge auf interessante Gegenstände. Ein kolossales Gebäude für Dampf-Zuckerraffinerien und eine Reihe von Etablissements, aufs Innigste mit dem Seeverkehr zusammenhängend, dazwischen London-Tavern und die Austernhalle von Charles Neale. (Beides billige und vortreffliche Restaurationen im englischen Stile, Englisch Ale und Porter sowie Austern, dutzend - und hundertweise), und andere Wirtschaften. Nur wenige Schritte von Wiezels Hotel, auf derselben Anhöhe, befindet sich die „Elbhalle“, an einigen Nachmittagen in der Woche zahlreich besucht von „diesen Damen“, an denen Hamburg ungemein reich ist. Ebenfalls ganz nahe, von demselben Standpunkte aus links, erhebt sich das schon erwähnte neue Seemannshaus, ein seiner inneren Vollendung entgegengehendes Logier- und teilweise Krankenhaus für Seeleute. Mit grünen Bäumen umgeben und den Blick frei lassend auf die Bahn ihrer Tätigkeit, bietet es einen Ruheplatz für Seeleute, so zweckmäßig und wohltuend er nach dieser Seite hin nur gedacht werden kann.

Es lohnt auch dann noch die Besteigung des Stintfanges, der über dem Hafentor gelegenen dritten Höhe, wenn man den erstbeschriebenen Überblick gehabt hat, weil hier die Einzelheiten der Schiffe genau beobachtet werden können. Ein Wasserbecken daselbst dient der Stadtwasserkunst als Reservoir.

Da die Seemannsschule, verbunden mit der Sternwarte, vom Stintfang aus über den Wall, am Millerntor vorüber, in wenigen Minuten zu erreichen ist, so wird es zweckmäßig sein, diesen Instituten von hier aus einen Besuch abzustatten. Das Innere dürfte für die meisten Fremden ohne Interesse sein. Ein kleines steinernes, an der westlichen Seite in den Wallanlagen stehendes Denkmal ist dem Andenken eines Mannes gewidmet, der bei dem großen Brande in Erfüllung seines Berufes seinen Tod fand.

Einmal bei den Anstalten für den überseeischen Verkehr, sei hier in der Kürze des Auswanderungswesens gedacht. Obenan steht ein unentgeltliches Nachweise-Büro in allen desfallsiegen Angelegenheiten; jetzt noch im patriotischen Gebäude, soll es doch dem Vernehmen nach in die Hafengegend, nach den Vorsetzen, verlegt werden. Zahlreiche Logierhäuser in vielen Stadtgegenden bieten oft ein wehmütig interessantes Bild dar, noch gehoben durch die verschiedenartigen Trachten aus allen Teilen Deutschlands und weiter her.

Das Auswanderungswesen hat in Hamburg erst neuerdings mehr Bedeutung erhalten, nachdem Bremen längst höhere Ziffern aufzuweisen hatte. Es ist und bleibt aber ein Vorgang von zweifelhafter Erfreulichkeit, der trotz der ehrlichsten Handhabung doch der Übervorteilung leicht Tür und Tor offen lässt. Den Auswanderern kann deshalb nicht dringend genug geraten werden, die genannte offizielle unentgeltliche Anstalt zu benutzen; sie gibt richtige und sichere Wege an, sich auch jenseits des Meeres möglichst vor Betrug zu schützen.

Eng verwandt mit dem Handel sind die nicht unbedeutenden Fabriken Hamburgs. Einige derselben haben europäischen Ruf: Wamosys Lederfabrik, Lauensteins Wagenfabrik, Schmilinskys Maschinenbauerei und Meiers Stockfabrik gehören dahin. Besonders beachtenswert sind daneben die großen Salzereien (Koopmann, Kielerstraße) welche hauptsächlich für den Schiffsbedarf arbeiten. Das Schlachtwesen hat überhaupt in Hamburg größere Dimensionen als an den meisten übrigen kontinentalen Plätzen, bedingt durch den starken örtlichen Verbrauch, namentlich aber durch die Anforderungen des Exports.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg