Commerz-Gebäude im alten Hamburg.

Wer sich noch in das alte Hamburg zu versetzen weiß, wie es vor dem großen Brande im Jahre 1842 war, der erinnert sich wohl noch des Commerz-Gebäudes, das neben der alten Börse stand. Es war ein viereckiges, nicht schönes, aber charakteristisches Gebäude, in holländischem Stil, in halber Tiefe über dem Wasser erbauet, vorne auf Säulen ruhend. Unten war die Rathswage; im ersten Stock die Zimmer für die Commerz-Deputation; auf diesen hatte man später, im Jahre 1767, nach Sonnin's Angabe, eine etwas höhere Etage von Holz errichtet, um für die Bibliothek Platz zu gewinnen; aber das alte Kupferdach, das sich mit einer großen Wölbung, in der Mitte über das Gebäude erhoben hatte, wieder darauf gesetzt. Oben darauf, in der Mitte der Wölbung stand „die Justitia,“ eine Figur mit verbundenen Augen, die in der einen Hand das Schwert hielt, mit der andern eine kupferne Wagschale trug. Es war am 31. December 1810, als plötzlich oben von diesem Gebäude ein gewaltiges, seltsames Getöse erscholl; ohne irgend eine besondere Veranlassung war die Wagschale der Hand der Göttin der Gerechtigkeit entfallen und mit furchtbarem Gepolter über das Kupferdach hinabgerollt; – am 1. Januar 1811 war Hamburg eine französische Stadt.

Am 20. December 1810 hatte der französische General-Consul Le Roy dem Senat eine Depesche des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, des Herzogs von Cadore, notistcirt, ihm den Entschluß des Kaisers bekannt zu machen, die Gebiete der Hansestädte, so wie einige Theile von Hannover, Westphalen und dem Großherzogthum Berg mit Frankreich zu bereinigen. „Da die Engländer ihre Absicht angekündigt haben, den Krieg zu verewigen, den sie mit allen Mächten des Festlandes führen, und keinen andern Handel gestatten, als unter englischer Flagge, so wird es für diese Mächte unvermeidlich, sich neue Wege zur Beförderung des Handels zu eröffnen. Es lassen sich leicht von der Ostsee bis zum Rhein Communicationen zu Wasseranlagen erstellen; aber um solche Unternehmungen anzufangen, müssen die Länder, durch welche die Canäle geführt werden sollen, Theile eines großen Reiches ausmachen. Dies ist einer der vornehmsten Beweggründe, um derentwillen der Kaiser die Vereinigung befohlen hat. Die Hansestädte werden die Vortheile zu schätzen wissen, welche für sie aus ihrer Verbindung mit dem großen Reiche hervorgehen; ihre Betriebsamkeit wird unermeßliche Hülfsquellen in dem innern Handel finden, dem sie sich mit völliger Sicherheit überlasten können.“


Dieser Beschluß des Kaisers, der auch abseiten des Ministers dem Syndicus Doormann zu Paris zugekommen war, kam dem Senat ganz unerwartet. Er berief sogleich die Bürgerschaft, ihr denselben mitzuteilen, und erhielt von derselbigen die Genehmigung des Antwortschreibens des Senats, in welchem er mit der respect-vollsten Ergebenheit der weitern Willensmeinung des Kaisers entgegenzusehen erklärt, zugleich aber die schmerzvollsten Empfindungen nicht unterdrückt, die jeder Bürger in dem Augenblick empfindet, der der Unabhängigkeit einer Constitution ein Ende macht, die er von seinen Vätern her zu schätzen und zu lieben gelernt hat und für deren Erhaltung er so große Opfer gebracht hat.

Was den Kaiser so plötzlich zu dem Entschluß gebracht hat, die Gränzen Frankreichs bis zur Ostsee auszudehnen, ist wohl schwer zu sagen; allein es ist ein Zusammentreten von Umständen zu beachten, das zeigt, wie der Herr unser Gott, die Fäden zart zu bereiten weiß, mit denen Er die Herzen der Könige lenkt. Kaiserlich französischer Generaldirector der Domainen in Hannover war im Jahre 1809 d'Aubignosc geworden. Seine Frau hatte in ihrem Hause zuweilen Thee–Soirêcs, bei denen sich ungeladen hannoversche, französische und fremde Notabilitäten einfanden. An einem solchen Abend im J. 1810, erschien ein hochgestellter Mann und erzählte, daß nun wirklich am 10. Mai der Traktat wegen Uebergabe Hannovers an den König von Westphalen ratificirt sei; auch, daß vom ganzen Lande nichts ausgenommen sei, als Lauenburg. D'Aubignosc hatte das kaum vernommen, als er auch in derselben Nacht noch nach Lauenburg eilte, um als kaiserlicher Intendant das Herzogtum gegen die Besitzergreifung des Königs von Westphalen zu schützen. Er war grade zur rechten Zeit gekommen, da schon westphälische Commissarien in Lauenburg waren. Jerome suchte d'Aubignosc zu gewinnen; aber dieser, der einmal von Jerome beleidigt war, hatte höhere Absichten, als dem König von Westphalen zu dienen. Er arbeitete einen Bericht aus, in dem er die Wichtigkeit Lauenburgs auseinandersetzte, das mit seinen Spitzen das Gebiet von Lübeck und von Hamburg berührt, und früher mit dem Lande Hadeln verbunden gewesen ist. Er zeigte, wie durch Lauenburg die Ostsee mit der Nordsee, und weiter Hamburg und Bremen verbunden und auf diese Weise eine Linie gebildet werden könne, um dem Schmuggelhandel zu wehren. Der Bericht, der meisterhaft geschrieben war, ging an seinen früheren Vorgesetzten, den damaligen Minister der Krondomainen Daru; und als nun der Minister der auswärtigen Angelegenheiten in der Sitzung des kaiserlichen Senats am 13. December die Einverleibung Hollands, die schon geschehen war, erörtert hatte, fuhr er fort. „Die Einverleibung der Hansestädte, Lauenburgs und der Küste zwischen der Elbe und Ems wird durch die Umstände geboten. Dieses Gebiet ist bereits unter Eure Majestät Oberherrschaft. Die unermeßlichen Magazine von Helgoland würden unaufhörlich drohen, sich aufs feste Land zu entleeren, wenn ein einziger Punkt an den Küsten der Nordsee, dem englischen Handel offen bliebe, und wenn ihnen nicht die Mündungen der Jahde, Weser und Elbe für immer verschlossen würden.“ – Es wurde beschlossen, die Hansestädte, das Lauenburgische und einen Theil von Westphalen mit dem französischen Reiche zu vereinigen und mit Inbegriff des Königreichs Holland in 10 Departements zu theilen; für die Departements der Ems–, der Weser– und Elb–Mündungen einen kaiserlichen Gerichtshof in Hamburg zu errichten; Hamburg, Bremen und Lübeck unter die guten Städte des Reichs zu rechnen, d. h. unter die, welche die Ehre genossen, daß ihre Maires bei der Eidesleistung und Thronbesteigung des Kaisers zugegen sein mußten. Am 18. December setzte der Kaiser eine Regierungscommission ein, die am 1. Januar 1811 in Kraft treten sollte.

Der hamburgische Senat hatte im ersten Augenblick sich noch der Hoffnung hingegeben, daß die Stadt in ihrer veränderten äußeren Stellung doch im Wesentlichen ihre innere Verfassung beibehalten würde; er hatte deshalb noch am 14. und 19. December die Bürgerschaft versammelt, und eine Deputation von 4 Mitgliedern aus jedem Kirchspiel wählen lassen, die mit dem Senate zusammen die Anordnungen beschließen könnten, welche bei der Regulirung der neuen Verhältnisse eine schleunige Ausführung oder geheime Berathung bedürfen würden. Allein auch diese Hoffnung war eitel.

Schon am 2. Januar kam der Staatsrate Graf von Chaban hier an, der zu der am 18. December ernannten Regierungscommission gehörte; mit ihm der zum General–Secretair der Commission bestimmte Staatsrath Petit de Beauverger und der Auditeur im Staatsrath David. Bald folgten ihm die übrigen; d'Aubignosc kam als Director der General–Polizei–Commission für die Departements der Ober–Ems, der Weser und Elbmündungen.

Der Graf Chaban, der zum Intendanten des Innern und der Finanzen erwägt war, war ein Mann von feiner Bildung und unbescholtenen Sitten; streng, wo er es sein mußte, aber nie hartherzig und schadenfroh; dagegen wohlwollend und nachgebend, er es ohne Verletzung seiner Pflicht sein durfte. Er galt im Volk für einen Heuchler; aber man weiß, was das zu bedeuten hat, er besuchte fleißig die Messe. Görres, der ihn früher als Präfect in Coblenz kennen gelernt hatte, schrieb an Perthes über ihn: „Er ist im Ganzen billig, gutmüthig, leichtgläubig, und hat sich niemals wissentlich schlecht gezeigt.“

Der Staatsrath Chevalier Faure war ausschließlich mit der Organisation der Gerichtshöfe und Tribunale beauftragt. Er war ein leidenschaftlicher Anhänger Napoleons und hielt den Scharfsinn, den der Kaiser bei der Erörterung der Civil– und Criminal–Gesetze bewiesen hatte, für viel ruhmwürdiger, als alle Lorbeeren, welche er sich im Kriege erworben. Doch erwarb Faure sich die Achtung aller derer, mit denen er zusammen arbeitete, durch seine Kenntnisse, wie dadurch, daß er der deutschen Wissenschaft ihr Recht widerfahren ließ.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg unter dem Drucke der Franzosen 1806 - 1814