Fünfter Spaziergang in und um Altona

Es war an einem schönen Sommertage, als Freund S. schon um zwei Uhr zu mir kam, in der Absicht, mich zu einem Spaziergange einzuladen. Ich würde mich nicht so früh dazu entschlossen haben, wäre es nicht grade an einem Sonnabend gewesen, wo ich ohnedies gezwungen bin, mein Quartier zu verlassen, weil an diesem Tage die Mägde meiner Hauswirtin so sehr ihr Unwesen treiben, dass nur die äußerste Notwendigkeit mich vom Ausgehen zurückhalten könnte.

In Hamburg sowohl als in Altona herrscht fast in allen Bürgerhäusern die unglückliche Gewohnheit, täglich des Morgens Zimmer und Vorplatz, Treppen und Hausdiele, Küche und Keller zu scheuern, oder, wie es hier in der Landessprache genannt wird, aufzufeilen, in der Meinung, dem Wohlstande und der Reinlichkeit dadurch ein schuldiges Opfer zu bringen; aber unglücklich nenne ich diese niedersächsische Sitte, weil sie nicht bloß für Herrschaft und Gesinde, Kinder und Hausgenossen höchst lästig, sondern auch der Gesundheit äußerst nachteilig ist.


Ich erinnere mich, in dem Hause eines meiner Bekannten in Hamburg täglich des Morgens diesen Unfug mit angesehen zu haben, wie man aus einem Zimmer ins andre flüchten musste, sobald sich nur die weiblichen Dienstboten mit ihren Reinigungs-Instrumenten blicken ließen. Die Kinder hatten sämtlich rote und trübe Augen, waren auch außerdem immer kränklich, mit Husten und Schnupfen geplagt, und die Hausfrau selbst klagte immerwährend über Kopf- und Zahnschmerzen. Da man ihr außerdem das Prädikat einer vernünftigen Frau beilegen konnte, nahm ich mir die Freiheit, gelegentlich zu erinnern, dass die Kränklichkeit der Kinder eine notwendige Folge der täglichen Feuchtigkeit sein müsse, die im ganzen Hause herrsche, und Madam war auch so billig, mir Recht zu geben, doch mit dem Beisatze, indem sie die Achseln zuckte: „man kann ja doch nicht anders, das Haus muss doch rein gehalten werden.“

Zu meiner noch größeren Verwunderung war ich Zeuge, dass der Arzt, den man bald nachher einmal holen ließ, weil zwei dieser Kinder an Augenschmerzen heftig litten, dass dieser sehr vernünftige Arzt, ob er gleich ein Hamburger von Geburt war, dennoch wider diese eingebildete Reinlichkeit eiferte, die Kinder könnten bei der täglichen Feuchtigkeit und Zugluft, die im ganzen Hause herrsche, nie gesund werden. Dennoch unterließ man nicht, mit Reinigung des Hauses täglich fortzufahren, die Kinder wurden, so oft sich Krankheit zeigte, gut verpflegt, und dem Arzte und Apotheker ihre Neujahrs-Rechnungen richtig bezahlt; übrigens aber blieb Alles beim Alten.

So weit können tief eingewurzelte Vorurteile den Menschen bringen! — Auch in Altona geht es nicht besser. Die niedersächsische Reinigungssitte scheint auch hier zu verjährt zu sein, als dass Hoffnung wäre, sie jemals abgeschafft zu sehen. Unterdessen versieht es sich von selbst, dass das hier Gesagte nicht von allen gilt, und dass viele Hausfrauen wenigstens der Übertreibung entgegen arbeiten; aber Sonnabends die allgemeine Haus-Revolution zu hindern, sind sie nicht vermögend, ohne sich nicht dem Spott ihrer Dienstboten, und selbst dem Tadel ihrer Nachbarinnen Preis zu geben, die aus dem Reinigungsfeste, welches am Sonnabend gefeiert wird, auf die Ordnung schließen, welche in der Haushaltung herrscht.

Ich bin schon zu sehr mit dieser Sitte bekannt, um auch nur ein Wort darüber zu verlieren; aber ich leugne nicht, dass ich jeden Sonnabend für einen Schreckenstag ansehe, und willig mein Quartier räume, um den weiblichen Dienstboten, wenn ich sie mit dem fürchterlichen Apparat ihrer Reinigungsinstrumente ankommen sehe, schnell genug Platz zu machen.

So war es auch an gedachtem Sonnabend, wie mein Freund mich zu einem Spaziergange eingeladen hatte, welche Einladung ich um so williger annahm, da er mir vorschlug, Rainville zu besuchen, welchen Belustigungs-Ort der Altonaer und Hamburger ich bis jetzt nur dem Namen nach kannte.

Unter Weges waren wir Augenzeugen eines Vorfalls, der mich weniger als meinen Begleiter in Verwunderung setzte, weil ich ähnliche Auftritte schon öfterer in Altona gesehen hatte. Eben da wir in die Pallmaille getreten waren, sahen wir einen Menschen im blauen Rocke auf der Straße in der Stellung schleichen, als wenn er Jemand belauschen wollte.

Am Tage ist ein solches Benehmen auffallend, und daher fragte mich mein Freund, was dieses zu bedeuten habe? Ich war eben im Begriff, ihm eine Erklärung zu geben, als der Kerl mit größter Schnelligkeit den unter seinem Rocke verborgen gehaltenen Knüppel hervorlangte, und einem Hunde, der neben ihm vorbeiging, einen solchen Schlag zuteilte, dass dieser unter grässlichem Geschrei fortlaufen wollte, bis ein zweiter Schlag ihn tot zur Erde streite.

Wie ein Held vom Siegesplatze, ging dieser Mensch gravitätisch genug die Straße herunter, begleitet von der Straßenjugend und einigen Matrosen, die, so viel wir vernehmen konnten, dem Helden keine schmeichelnden Siegeslieder nachsangen, sondern ihn zu beschimpfen suchten, und dargegen er sich im Gehen nur schwach mit dem Grunde verteidigte, dass sein Amt es so mit sich bringe, und mehr dergleichen Entschuldigungen, die den Zuschauern nicht einleuchtend waren.

Jetzt erst erklärte ich meinem Begleiter, dass dieser Mensch des Scharfrichters Knecht gewesen war, und dass dergleichen Hundemord um deswillen verstattet würde, um herrenlose Hunde von der Straße zu entfernen, und die Gefahr, die jedem Fußgänger wegen toller Hunde drohe, in etwas zu vermindern.

Meinem Freunde schien ein solches Polizeigesetz nicht ganz zweckmäßig zu sein, und so sehr ich auch für die Altonaer Polizeiordnung eingenommen bin, so war ich jedoch nicht vermögend, die Einwürfe, die er machte, ganz zu heben.

Ich tadle keinesweges, ein selbst dem Anscheine nach zu strenges Mittel, um dem Herumlaufen der Hunde in volkreichen Städten Einhalt zu tun, da die Möglichkeit des allgemeinen Besten die Strenge eines Gesetzes rechtfertigt; aber könnte dieser Zweck nicht auch auf bessere Art erreicht werden? Wenn z. B, den Einwohnern bei einer namhaften Strafe untersagt würde, ihre Hunde auf der Straße herumlaufen zu lassen, und des Scharstrichters Knecht befehligt wäre, dergleichen Hunde mittelst einer Schlinge zu fangen, wie solches an andern Orten gebräuchlich ist, so könnte von jedem Einwohner die festgesetzte Strafe eingefordert werden, und im Fall sich der Herr des Hundes nicht melden sollte, bliebe es dem Hundefänger erlaubt, an solchen Hunden die Todesstrafe zu vollziehen, aber, wohl zu bemerken, in seinem eignen Hause, nicht auf öffentlicher Straße: Diese Exekution, so wie sie gegenwärtig geführt wird, ist empörend, besonders da die Erschlagenen bei Tag über auf der Straße liegen bleiben, und es ist ein ekelhafter Anblick, den die Polizei eher vermeiden als befördern sollte, eine oft nur halb erschlagene Kreatur röchelnd in ihrem Mute liegen, und unter grässlichen Verzuckungen stundenlang mit dem Tode ringen zu sehen.

Ich breche von dieser unangenehmen Materie ab, und führe meine Leser zu Rainville, diesen Lieblings-Ort hiesiger Damen und Herren, der unter allen öffentlichen Gärten dieser Gegend am fleißigsten besucht wird, wahrscheinlich, weil sich solcher durch äußeren Glanz sowohl als innern Gehalt besonders schön auszeichnet.

Ehemals führte er den Namen Köller Banners Hof, von seinem Besitzer, dem General Köller Banner, der aus der Dänischen Hof- und Revolutionsgeschichte von 1772 nicht unbekannt ist.

Schon damals war dieser Gatten gewöhnlich vermietet und zum öffentlichen Gebrauch bestimmt, auch wegen des am Abhange des Berges liegenden kleinen Gehölzes immer sehr beliebt; seitdem aber dieser Hof sich in den Händen eines Franzosen, Rainville, befindet, ist er ganz verändert und verschönert worden. Man ist der Natur durch die Kunst zu Hilfe gekommen, und die französische Industrie hat auf alles Rücksicht genommen, um einen öffentlichen Ort so glänzend als möglich zu machen.

Das Gebäude mit einer Kolonade nach der Elbseite, ist nach der Angabe des Prof. Hansen gebaut. Der große Salon ist eben so geräumig als schön dekoriert, und alle Anlagen zeugen von dem Geschmack ihres Besitzers.

An diesem Nachmittage zahlte ich einige dreißig Kutschen, welche nach und nach ankamen, eine Menge junger und alter Herren zu Pferde, und — ich glaube es nicht zu übertreiben, wenn ich die Zahl der Spaziergänger auf sechs bis siebenhundert bestimme. Für auswärtige Leser, denen eine solche Menge Gäste auffallend sein müssen, will ich bloß erinnern: dass nicht die schöne Aussicht und die guten Spaziergänge allein so viele Menschen herbei, locken, sondern, was diesem Orte den vornehmsten Beifall verschafft, ist ohnstreitig die Art der Bewirtung für unsre deutschen Leckermäuler, weil die französische Kochkunst alle Kräfte aufgeboten hat, Zunge und Gaumen vollkommen zu befriedigen.

Andre kommen hier in der Absicht, ihren Putz zu zeigen, und noch andre, besonders junge Damen und Herren, um zu sehen und sich sehen zu lassen. Kurz, der Bewegungsgründe, nach Rainville zu gehen oder zu fahren, sind so viele, dass der Eigentümer dieses Gartens an schönen Sommertagen nie der Gäste wegen sich in Verlegenheit befindet.

Den größten Teil davon machten Hamburger aus. Einige bestellten auf den andern Morgen um zehn Uhr ein Frühstück. Das fiel mir auf; ich fragte den Marqueur: muss man es hier den Tag vorher bestellen, wenn man frühstücken will? Er gab mir auf seine französische Manier zu verstehen, dass ich als Deutscher etwas zu platt gefragt hätte; denn er sagte, es sei ein Unterschied zwischen Frühstücken und Frühstücken.

Man erzahlte mir nachher, dass den Sonntag vorher ein Hamburger seinen Freunden ein Frühstück hier gegeben habe, welches er mit 120 Mk. bezahlen müssen. Jetzt erst verstand ich die Worte des französischen Aufwärters. Man darf sich aber, eines so teuren Frühstücks wegen, nicht abschrecken lassen, diesen Ort zu besuchen; denn es bleibt hier Jedem überlassen, nach seiner Willkür wenig oder viel zu verzehren, vielleicht auch gar nichts, denn viele Personen, schön geputzt, spazierten auf und nieder, ohne einen Schilling verzehrt zu haben.

Von hier gingen wir den Berg hinunter nach Slavenhof, wo jetzt ebenfalls eine französische Wirtschaft eingerichtet ist. Dieser Garten ist nicht groß, aber die Lage ist trefflich, sie kann der von Rainville an die Seite gesetzt werden, aber die Gebäude sind bei weitem nicht so brillant und daher wahrscheinlich trifft man auch hier weniger, Gesellschaft an. Der Garten ist jetzt zu einer englischen Anlage gebildet, und nur unten an der Elbe ist auf deutsche Art eine gewöhnliche Gartenanlage. Wir speisten hier zu Abend gut und billig, denn auch hier wird in einer guten französischen Küche für den deutschen Gaumen reichlich genug gesorgt. Ein Franzose machte über Tische die nicht unpassende Vergleichung zwischen Rainville und Slavenhof, und zwischen Hamburg und Altona.

Rainville, sagte er, kommt mir vor wie Hamburg; hier ist alles groß und rauschend, und der benachbarte Slavenhof scheint mir in Betracht des ersteren Orts viele Ähnlichkeit mit dem bescheidenen Altona zu haben; er ist kleiner, aber die Lage ist fast besser und nicht weniger bemerkungswert; nur Schade, dass er wegen Rainvilles zu naher Nachbarschaft nie nach Verdienst aufkommen wird.

Der Vergleich schien vielen Anwesenden nicht unpassend zu sein, und gab reichlichen Stoff zu Abendunterhaltungen, die mir den heutigen Spaziergang angenehm machten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg und Altona - Band 2 Heft 4