Das Gespenst auf dem Hopfenmarkt in Hamburg

Das Unwesen, welches im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts ein Gespenst in dem Hause des Herrn von der Becken auf dem Hopfenmarkt hier in Hamburg treibt, gehört so sehr zu der Geschichte der Aufklärung unserer Zeit, dass dieser rätselhafte Geist selbst es sehr übel nehmen dürfte, wenn seiner nicht im Journal: Hamburg und Altona gedacht würde, und es mit Geistern zu verderben, ist von jeher nicht ratsam gewesen, besonders, wenn sie weiblichen Geschlechts sind. Wer hätte es bei dem blendenden Lichte, welches die durch und durch erleuchteten Aufklärer des eben abgelaufenen achtzehnten Jahrhunderts angesteckt und wahrlich nicht unter den Scheffel gesetzt haben, wohl vermuten sollen, dass die Gespenster, welche doch der Regel nach sehr lichtscheu sind, sich noch erkühnen dürften. Alt und Jung, Vornehme und Geringe, Weise und Toren tagelang bei der Nase herumzuführen, wie es bei vorliegender Geschichte so offenbar der Fall ist? Was haben uns nun die vortrefflichen Henningschen Werke von Träumen, Ahndungen und Geistern, Reinhards fortgesetzte Haubersche Zauberbibliothek, Wieglebs und Hallers natürliche Magie, Wageners Gespenster etc. und die unzähligen Ausschreiber dieser Männer geholfen, da die Gespenster noch immer keck genug sind, selbst in volkreichen Städten diesen Herren und der Vernunft zum Trotz ihr Wesen zu treiben, und Weiber und Kinder aller Art zu necken! Der Glaube an Geister, Kobolde, Hexen und Traumdeuter scheint bei den Menschen eben so eingewurzelt und so unvertilgbar zu sein, wie die Erbsünde. Da alle moralischen Kuren bis jetzt noch ganz und gar nicht angeschlagen zu haben scheinen; so bleibt uns, meiner Meinung nach, nichts anders übrig, als eine medizinische zu versuchen, und ich unterstehe mich, dazu die hoch- aber noch bei weitem nicht genug gepriesene Einimpfung der Kuhblattern zu empfehlen. Diese unschätzbare Erfindung der neuesten Zeit, welche noch dazu in England gemacht ist, (obgleich erleuchtete Ärzte behaupten wollen, dass man in den Schriftstellern des Altertums bereits Spuren davon träfe) wird sicher noch als ein allgemeines Vorbauungsmittel wider alle physische Übel und Krankheiten angewandt werden, wie denn der Doktor Struve in Görlitz (nach dem diesjährigen Korrespondenten, Nr. 184.) bereits auf die Entdeckung gekommen ist, dass die Kuhpocken ein Milderungsmittel des Scharlachfiebers sind. Hat man nun die physischen Übel und Krankheiten erst gehoben; so gibt es sich zuverlässig mit dem größten Teile der moralischen Übel und Krankheiten von selbst. Da dies denn doch aber immer noch ein langer Weg ist und bleibt, auf welchem man nur mit vieler Mühe zu dem erwünschten Ziele gelangen kann, und man besonders in Kuren die Kürze liebt: so rate ich, mit der Einimpfung der Kuhpocken unmittelbar gegen den Aberglauben zu wirken, und diese Blattern besonders denjenigen Personen augenblicklich zu geben, welche obenbenanntes Gespenst auf dem Hopfenmarkte sehen können.

Es ist bekannt, dass die Gespenster und Nachtgeister von sehr verschiedener Art und Natur sind. Dies Gespenst quaestionis hat nun das Eigentümliche und Besondre, dass es auch außer der gewöhnlichen Gespensterstunde seinen Umgang hält, und nur von sehr wenigen Personen, mehrenteils weiblichen Geschlechts, gesehen werden kann. Selbst die angeborne Seherkraft der Sonntagskinder geht hier verloren, wiewohl glaubwürdige Personen versichern wollen, dass es zwei oder drei dieser hellsehenden Sonntagskinder gelungen sei, die posteriora des Gespenstes zu entdecken. Ich soll meinen Lesern die Geschichte dieses sonderbaren Gespenstes erzählen? Verzeihen Sie mir! noch bin ich es nicht im Stande. Die Erzählungen davon sind zu mannigfaltig und zu widersprechend, als dass ich schon ein Ganzes daraus zusammen setzen könnte, und das Glück, selbst Augenzeuge zu sein, habe ich noch nicht erhalten können. Es würde mir in der Tat auch nichts geholfen haben, weil das Gespenst die sonderbare Tücke hat, sich nur von wenigen Personen sehen zu lassen, sich auf eine geschickte und geistige Weise auch dem Gefühle und Geruche entziehen kann, und ich auch ohnedem nicht das Glück habe, ein Sonntagskind zu sein. Alles, was ich von der Sache erfahren habe, ist, dass dies launige Gespenst schon seit langer Zeit sein Wesen in dem Hause des Herrn von der Becken getrieben haben soll, und dass dies erst am vergangenen Freitage ruchbar und eine Neuigkeit der Stadt geworden ist; dass sich viele Menschen des Abends vor diesem Hause versammeln, und von der darin sich befindlichen Wache oft mit harten Kopfstößen auseinander getrieben werden. Ferner, dass eine Demoiselle und das Mädchen im Hause den Geist sehen können, seinen Aufendhalt, seine Stellung, seine Kleidung und seine Gaukeleien den Anwesenden beschreiben, und dass verschiedene herzhafte Männer nach der Anweisung dieser Frauenzimmer sich, wiewohl angeblich, bemühet haben, das Gespenst zu erhaschen. Sobald ich eine dokumentierte genauere Geschichtserzählung davon erhalten habe, will ich sie meinen Lesern nicht vorenthalten; sie wird uns sicher irgend eine Selbsttäuschung oder seine Betrügerei enthüllen. Denn, dass hier Selbsttäuschung oder Betrügerei ihr Spiel haben, daran wird wohl Keiner zweifeln.


Von der einen Seite betrachtet, scheint es in unsern Zeiten, in welchen der Glaube überhaupt und der Glaube an Geister insbesondere merklich abgenommen hat, eine große Keckheit und Verwegenheit zu sein, eine Gespensterrolle zu spielen, weil die Gefahr entdeckt und bestraft zu werden jetzt größer ist als je. Kehrt man aber die Seite um, so findet man auch unleugbar, dass: man jetzt weit mehrere Hilfsmittel hat, eine solche Betrügerei, besonders vor Unwissenden und Abergläubischen, durchzuführen, als ehemals. Die unzähligen und häufig gelesenen wahren oder erdichteten Erzählungen von Geistererscheinungen, Zaubereien, Kobolden etc., selbst die Auseinandersetzung und Entwickelung derselben, geben schon Hilfsmittel genug an die Hand, die Leichtgläubigkeit der Menschen zu täuschen. Hallers natürliche Magie und andere ähnliche Schriften enthalten einen unerschöpflichen Schatz von Kunststücken und Taschenspielereien, welche, von einem geschickten Meister gemacht, die Menschen, unter welchen noch immer die Gebildeten und Verständigen die geringste Anzahl ausmachen, in Erstaunen und Verwirrung setzen. Einige Instrumente, deren man sich zu diesen magischen Experimenten bedient, sind in einem so hohen Grade der Vollkommenheit verfertigt, dass es schwer fällt, sie als Ursachen von Wirkungen anzusehen, welche unsere Sinne betrügen; und wenn es dem geschickten Enslen jemals eingefallen wäre, eine Gespensterrolle zu übernehmen, so würde man ihn schwerlich entdeckt haben. Auch ist die Empfänglichkeit der Ungebildeten und Halbgebildeten für dergleichen Gaukelspiele jetzt vielleicht größer als je, weil fast alle unsere Romane und Modeschriften darauf hinzwecken, die Köpfe zu verwirren und der lebhaften unregelmäßigen Phantasie alle mögliche Nahrung zugeben.

Auch scheint in der menschlichen Natur ein Etwas zu liegen, welches für die Geister spricht, und mancher philosophische, ungläubige und rüstige Bekämpfer des Aberglaubens würde für eine einzige völlig dokumentierte Geistererscheinung seine ganze hohe metaphysische Weisheit und seinen unerschütterlichen Heroismus hingeben.

Doch ich muss nur für diesmal schließen, um mich nicht selbst in den Verdacht zu bringen, als ob mir noch irgend Etwas von dem alten Sauerteige anklebe, und die Kuhpocken-Impfung auch bei mir nötig machte. Der Himmel erhält uns alle gesunde Sinne und gesunden Menschenverstand.
Theophilanthropos.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg und Altona - Band 2 Heft 4