Die rauchenden Kirchen

Von der Furchtbarkeit und Wut des Feuers wird man sich einen Begriff machen können, wenn man bedenkt, dass bereits ein Monat verflossen ist, ohne dass man sagen konnte, die Flammen seien gelöscht. Es brennt fortwährend, und wird noch lange brennen; denn die verschiedenen Lager combustibler Materien verbreiten Abends zwischen den nackten, zerrissenen Mauern so helle, und gelbe Glut, dass man wohl sieht, die einzelnen Herde haben noch Nahrung in Menge. Wie grauenerregend aber auch ein Gang durch diese rauchenden großen Trümmer ist, nichts gleicht an Schauder und Grausen dem Innern der beiden Hauptkirchen; und in einsamer Nacht, allein Schildwache zu stehen in der Nähe dieser Riesenwerke, könnte einen unerschrockenen Krieger zaghaft machen. Wie in den Häusern, so ist man in den beiden Kirchen jetzt beschäftigt, die verschiedenen Metalle zusammenzusuchen und das Brauchbare aus dem Schutte auszuwühlen. Maurer und Zimmerleute arbeiten fleißig, und mittelst eines polizeilichen Erlaubnisscheins kann der Fremde sich den Genuss verschaffen, eine Stunde in diesen Ruinentempeln zu verweilen.

Die Nicolaikirche ist diejenige, welche für den Künstler am vorteilhaftesten zerstört ist. Der viereckige massive Stumpf ist ausgehöhlt und der Wind heult in der Höhe über den offenen Rand des innern, stehengebliebenen Aufsatzes, um den herum die Galerie führt, welche teilweise noch erhalten ist. Sie besteht aus mächtigen, gehauenen Steinen, die ein schönes durchbrochenes Geländer bildeten, das den ersten Sturz des Turmes auszuhalten hatte. Über den Rand dieser mächtigen Balustrade wälzten sich die herunterrollenden Kupferplatten, und da, wo die einzelnen Steine noch stehen, sieht man die rötliche Belegung des Turmes in Fetzen herunterhängen. Auf dieser Galerie sah man noch einzelne Menschen, während der Turm in lichter Lohe brannte. Hier versammelten sich die aufgescheuchten Bewohner des hohen Baues, die verschiedenen nistenden Vögel, unter denen man vor Allen einen großen Habicht bemerkte, der durch die ganze Schreckensnacht in immer größeren Kreisen die immer hellere Glut umschwärmte und endlich seinen Tod in den Flammen gesunden haben soll. Sein beständiges Umherflattern erregte die Aufmerksamkeit aller Zuschauer und ihm dichtete man sogleich die nächste Ursache des Brandes an: sein Nest sollte den ersten Funken aufgefangen und Anlass zum folgenden Turm-Sturze gewesen sein. Auf dieser Galerie wünschte man stehen zu können, und wirklich, wäre es nicht so höllenheiß gewesen, von dort aus hätte man über die Größe und Macht des rasenden Elements die Gefahr und den Jammer vergessen können. In jedem Winkel dieser Galerie recken noch jetzt, wie die gräulichen Getiere der Offenbarung, die großen kupfernen Turmrinnen ihre geöffneten Drachenköpfe in die Luft. Einer von ihnen hat den zackigen Nacken ein wenig gebeugt; man sieht von unten tief in seinen geöffneten Schlund; die andren drei scheinen wütend und höhnend über die klagenden Menschen hinzugrinsen. Aus ihren Nachen floss wirklich in jenen verhängnisvollen Stunden ein wahrer Höllenbrei von Kohlen und geschmolzenem Metall. An ein Hinaufsteigen ist natürlich nicht zu denken; aber der Erste, der diese Galerie wieder betritt, wird sich von Grauen und Schwindel ergriffen fühlen und nichts haben, an dem er sich halten könnte. Die Sonne aufgehen sehen von dort, müsste ein andrer furchtbar schöner Augenblick sein.


Ich habe als Kind auf dieser Galerie gespielt; Mittags schlich ich aus dem Hause meiner Verwandten und harrte, bis gegen ein Uhr der Glöckner kam, der mich freundlich mitgehen ließ und mich sorgsam wieder herunterbrachte, wenn er seinen Choral ausgespielt hatte. Mir summten dann die Ohren so gewaltig, dass ich nichts hören konnte, und der Weg nach Hause brachte mich dann erst wieder zu mir selbst.

Als ich nach vielen Jahren Hamburg wiedersah, mietete ich ein Zimmer mit der unbeschränkten Aussicht auf den Nicolaiturm, dessen schöne Formen sich in den Wassern des Kanals abspiegelten, über die sich ein Balkon vor meinem Zimmer erstreckte. Mit dem Geläut stand ich auf, mein Mittagsmahl genoss ich während des Chorals. Ich wusste immer wie viel Uhr wir hatten, und längst lehrte mich die Fahne die verschiedenen Winde beobachten. Auch das Wetter zeigte mir der Turm an, ein Riesenbarometer. Neigte sich’s bei trübem Himmel zur Heiterkeit, so klang das Geläut so hell und metallen, dass man hätte glauben können, der Glöckner spielte seine Klaviatur härter als sonst. Am schönsten aber kam mir immer Abends der Turm vor, wenn der Türmer blies und die schwarzen Umrisse sich auf dem dunkeln Himmel abzeichneten. Tausend Gedanken knüpften sich täglich an diesen alten, ehrwürdigen Bau, und der tiefe Schmerz, den seine Freunde empfanden, als Fahrlässigkeit der Menschen und Unerbittlichkeit des Elements seinen Untergang bereitet hatten, lässt sich nicht beschreiben. Und wenn tausend Habichte ihre Nester im Turm gehabt hätten, tausend Menschen konnten ihn retten, und Die ringen nun die Hände, dass sie's nicht getan. Sie haben sich ein Schauspiel bereitet, das sie nimmer wieder sehen werden. Und jetzt, wenn man in die Höhlung des schwarzen Turmes hinaufblickt, wie grausig rieselt's hernieder über den innern Rand da oben. Alle Böden, alles Sparrenwerk, alle die mächtigen, kunstvoll zusammengezimmerten Balken und Ständer, das ganze innere Mark und Gerippe, wo ist es geblieben? Kein menschlich Auge hat gesehen, wie es ächzend herabkrachte, wie es kämpfte und brach, kein Ohr hat diesem Donner in der Nähe zugehorcht. Die Flamme trieb Alle hinweg, sie stieg wie ein gräulich, scheußlich Gespenst Trepp auf, Trepp ab und suchte in allen Winkeln ihre Beute, und am Ende loderte es von unten frei auf, und kochte und sprühte wie in der Hölle. Einzelne, dicke, eiserne Sparren spreizen sich aus der Brandmauer im Innern des Turmes hervor; sie sind gebogen von den stürzenden Glocken und Balken, die, von der wütenden Glut gepeitscht, jäh niederwuchteten und die eichenen Bohlen durchbrachen. Alles ist schwarz und schauerlich anzusehen, wenn man, auf dem verschlackten Schutthaufen unten stehend, den Kopf in den Nacken biegt und hinaufschaut. Die Glut hat nicht Raum gehabt in diesem riesigen Schornstein; die Esse war zu flüssig und voller Brand, ihre Lobe wälzte sich durch die Kirchenpforten, durch die zerschmetterten Kuppeln, durch die Kirchenfenster in das Schiff der Kirche. Hier fraß sie die Decke des Altars, die Reihen der hölzerne n Stühle und Bänke, die Stufen zum Taufbecken, die Schränke der Sakristei; hier hatte sie ein weites Feld. Gräulich muss die Szene gewesen sein, die die Flamme hier aufgeführt, unersättlich die Wut, mit der sie verheert. Alles in Schmelz und Glut, alles in Brand; nichts ihr heilig, nichts unerreichbar. Über die Tasten der Orgel hinweg, wie über das Glockenspiel, die Marbecks wie das Heiligenbild, das Räucherbecken wie den Kronleuchter, Alles, Alles hinweg. Rein ab, bis auf den Boden, und unter den Boden; das ist das Grässlichste von Allem. Beide Kirchen speien ihre Gräber aus. Wenn man hineinschreitet, wird die größte Vorsicht erforderlich, von oben droht das hängende Gemäuer und von unten klaffen die hohlen Gräber. Das ganze Schiff ist unterminiert mit ausgemauerten Grabstätten, die von den stürzenden Steinen und Ständern aufgerissen wurden. Man denke sich dies neue Schauspiel; am Tage des jüngsten Gerichts kann es nicht wilder hergehen sollen, als in der Stunde, in welcher den Gräbern das Siegel entrissen wurde. Das Auge starrt auf die eingeäscherten Knochen; hie und da hat sich die Flamme vom Grabesdunst ersticken lassen. Die Särge sind wohlerhalten, aber durchbrochen; darinnen sieht man die Totenköpfe und Gerippe, angetan mit gelber, glänzender Seide, einige kahl, andere mit langen, schönen Haaren. Steingerölle und geschleuderte Ständer haben ihre Ruhe mit krachendem Getöse unterbrochen, ihre gefallenen Hände auseinandergerissen, ihr Totenhemde versengt. Wie tief sie auch liegen mochten, dieser furchtbare Totengräber fand sie heraus. Man fand in jener Nacht auf einem der Märkte eine Frau, die vom Schreck und Entsetzen tot erstarrt auf der Erde saß; vielleicht hatte sie einen Blick in diesen Gräuel getan, dessen bloße Vorstellung hinreichend war, das Haar zu Berge zu sträuben. Tatsache ist, dass viele fausses couches in den Tagen der Angst stattgefunden haben; die armen Wöchnerinnen lagen teilweise unter Gottes freiem Himmel in Wind und Wetter. Im Allgemeinen darf man sagen, Alle, die an dieser Schreckenszeit Teil hatten, sind um Jahre älter geworden.

Aus: Die Grenzboten: Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, Band 2. 1842

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg nach dem Brande