Das Wirtschaftsleben in der Vergangenheit von Dr. Ernst Baasch, Direktor der Kommerzbibliothek a. D.

Von frühesten Zeiten an ist Hamburg auf Handel und Schifffahrt begründet gewesen. Und wenn es nicht die Lage am breiten schiffbaren Strom, die Nähe des Meeres erklärlich machte, so sprechen die wichtigen Freibriefe, die in den Jahren 1189 und 1190 der Stadt von Kaiser Friedrich I. und dem Landesherrn, dem Grafen Adolf III. verliehen wurden, es noch deutlicher aus; sie reden von Seeschifffahrt, Fischerei, Handel mit Holz und Asche, von Geldwechsel; sie enthalten Bestimmungen über unrichtige Maße für Bier, Brot, Fleisch; sie erwähnen Ein- und Ausfuhrzölle; kurz, sie berühren lauter Merkmale, Gegenstände und Mittel des Verkehrs und Wirtschaftslebens.

In tatsächlicher Ausführung dieser geschriebenen Satzungen sehen wir, wie Hamburg sich mit den Nachbarstädten, für die auch Handel und Schifffahrt die wichtigsten Erwerbszweige sind, zusammenschließt, wie es vorzüglich mit Lübeck in engere Verbindung tritt, für den sicheren Verkehr zwischen beiden Städten, d. h. zwischen West- und Ostsee, gemeinsame Maßnahmen trifft, wie es bald an den Schritten teilnimmt, die zur Bildung der Hanse führen, und in diesem Bund schnell eine bedeutsame Stellung gewinnt. Auch in diesem Teile ihrer Wirksamkeit zeigt die Stadt, dass sie sich bewusst ist, für ihren Handel, ihre Schifffahrt, die Sicherung der Verkehrswege, die Schaffung geordneter Münzverhältnisse eine wirtschaftspolitische Tat zu vollziehen.


Im Laufe des 13. Jahrhunderts dehnt sich die Handelstätigkeit Hamburgs umfassend aus: Elbabwärts bis zur See und nach Ost-und Westfriesland, den Niederlanden, Brabant und Flandern, nach England und Irland. Elbaufwärts nach Magdeburg, dann nach Lüneburg, Bardowiek und Braunschweig, ostwärts nach Mecklenburg, nordwärts nach Schleswig. Der Schwerpunkt seines Handels lag wohl schon damals in den Niederlanden und Flandern. Die hauptsächlichsten Handelsartikel waren Holz, Getreide, Asche, Tuch, Bier als Ausfuhrartikel, während Butter, Pferde, Tuche eingeführt wurden.

Aber nicht nur in diesen äußeren Merkmalen des Handelsverkehrs, wie die Quellen ihn überliefern, tritt uns der merkantile Charakter der Stadt entgegen. Fast noch deutlicher spricht die Tatsache, dass Hamburg schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein geschriebenes „Schiff recht" besaß, für den maritim-merkantilen Charakter der Stadt und ihrer Bevölkerung. Dass man das Bedürfnis empfunden hat, für die ja auch anderweitig beglaubigten Schifffahrtsbeziehungen Hamburgs eine rechtliche Grundlage zu schaffen, ist für die Richtung, die den Interessen der Stadt gewiesen wurde, bezeichnend.

Hamburg war aber nicht allein der Vermittler zwischen Osten und Westen, Durchgangsplatz für die beiderseitigen Waren; es lieh nicht nur den Ostseeplätzen, vorzüglich Lübeck, seine Schiffe für den Verkehr auf der Westsee. Hamburg besaß auch eine selbständige Handelsstellung. Diese verdankte es hauptsächlich einem von ihm erzeugten Produkt: Landwirtschaftliche Erzeugnisse konnte die Stadt auf ihrem schmalen Gebiet nicht hervorbringen; wohl aber entwickelte sich schon früh in ihren Mauern eine Industrie die für lange Zeit der Stadtbevölkerung eine einträgliche Beschäftigung, ihrer Schifffahrt eine reiche Betätigung geboten, endlich den Namen Hamburgs über weite Strecken Nordeuropas bekannt gemacht hat. Das war das Bier.

Für etwa 150 Jahre steht seit dem 14. Jahrhundert das Brauwesen an der Spitze des Wirtschaftslebens Hamburgs. Zunächst nur ein Gewerbe für den eigenen Bedarf und den der nahen Umgebung entwickelte sich die Hamburger Bierbrauerei bald zu einem schwunghaften Exportgewerbe, das, wie schon von den Zeitgenossen erkannt wurde, Hamburg reich gemacht hat. Begünstigt durch die maritime Lage der Stadt fand dies Bier seine besten Abnehmer im Westen, namentlich in den Niederlanden. Seit dem 14. Jahrhundert war das Hamburger Bier das beliebteste Exportbier an der Nordsee; es verdrängte das Bremer Bier und fasste festen Fuß in Holland. Nach Amsterdam, nach Staveren, nach Brügge und Sluys führten die Hamburger Bierschiffe, die in der Regel gemeinsam fuhren, das nach Technik und Geschmack hochstehende Getränk. Im Jahre 1416 schreiben die Älterleute des deutschen Kaufmanns zu Brügge nach Hamburg, ,,dass wir mit keinen Kaufleuten aus irgend einer Hansestadt so viel wegen ihrer Kaufmannschaft zu tun haben als wir mit euren Leuten um eures Biers willen zu tun haben". Man begreift darnach, dass Hamburg das ,,Brauhaus der Hanse" genannt wurde. Nie wieder bis heute hat Hamburg einen Massenartikel eigenen Erzeugnisses gehabt, der so seinen Seehandel nährte wie das Seebier des Mittelalters.

Über diese Bedeutung für den Gesamthandel der Stadt war man sich in Hamburg nicht im Unklaren. Die Gesetzgebung der Stadt hat sich im 14. und 15. Jahrhundert mit keinem Gegenstande so oft und so eingehend beschäftigt wie mit dem Bier; nicht allein die Qualität unterlag sorgfältiger Aufsicht, die ganze ältere Stapelpolitik des Rats war hauptsächlich bestimmt durch das Interesse der Brauerei; die regelmäßige Zufuhr ihres wichtigsten Rohstoffes, der Gerste, zu sichern, war ein Hauptziel der Wirtschaftspolitik. Als mit dem 16. Jahrhundert die Hamburger Brauerei infolge der Verbote des Auslandes und der heimischen Konkurrenz schnell zurückging, hat dieser Niedergang freilich keinen großen Einfluss auf das Hamburger Wirtschaftsleben gehabt, da nun infolge des Wachstums der Stadt der innere Verbrauch zunahm und überdies andere, wichtige Faktoren in Wirksamkeit traten, die Hamburg den Verlust der vorzüglich auf das Bier gegründeten Blüte verschmerzen ließen.

Neben dem Brauwesen entstanden im Mittelalter auch andere Gewerbe, die das Hamburger Wirtschaftsleben günstig beeinflussten. Es entwickelte sich ein reiches gewerbliches Leben, das, auf zünftlerischer Grundlage ruhend, sich über alle Gebiete damaliger handwerklicher Produktion erstreckte. Vorzüglich ist das Bereiten von Tuch zu nennen; das Böttchergewerbe blühte in Zusammenhang mit der Brauerei, die Reepschlägerei in Folge der Seeschifffahrt.

Bei aller Bedeutung seiner Gewerbebetriebe trug Hamburg doch im wesentlichen den Charakter einer Handelsstadt an sich. Das Bierausfuhrgeschäft wurde kaufmännisch betrieben. Und zu dem Bier gesellten sich andere Waren, die im Groß- und Kleinhandel vertrieben wurden; als Ausfuhrartikel namentlich Leinwand, Eisen, Honig, Fleisch, Butter, als Einfuhrartikel Tuche. Letztgenannter wichtiger Artikel, aus den Niederlanden und England bezogen, ward in das ausgedehnte wirtschaftliche Hinterland Hamburgs weiter vertrieben.

So ist die Politik Hamburgs auf das Wirtschaftsleben gerichtet; wenn es die Seeräuber ausrottete, die Verbindung zwischen dem Meere und der Stadt durch Leuchtfeuer, Baken und Tonnen sicherte, sich an der Elbmündung dauernd festsetzte, den kleinen, aber wirtschaftlich wichtigen Alsterfluss erwarb und die Landstraßen in der Umgegend befriedete, überall war das Ziel eine Befestigung der Handelsstellung Hamburgs; in allen solchen Maßnahmen wirkt schon in dieser Frühzeit ein zweckbewusster Kaufmannsgeist, der alle ihm zu Gebote stehenden Machtmittel seinem Interesse dienstbar macht.

Dieser Kaufmannsgeist gibt sich wie daheim so auch im Auslande, an der Peripherie hansischer Wirksamkeit, kund. Früh schon zog der Hamburger Kaufmann hinaus in die hansischen Kontore, nach Utrecht, Brügge, London; das alte Stadtrecht von 1270 lässt deutlich erkennen, dass die Tatsache der langen Abwesenheit von der Vaterstadt als eine Lebensgewohnheit der Bürger galt. Durch diese Auslandstätigkeit förderte der Hamburger Kaufmann das heimische Wirtschaftsleben mindestens in gleichem Maße wie durch den Aufenthalt daheim.

In Hamburg selbst sondert sich während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Kaufmannsstand schärfer ab von den übrigen Ständen. Er stand zeitweilig in lebhaftem Gegensatz zu den Zünften und brachte z. B. im Jahre 1375 einen großen Aufstand der Zunft zum scheitern. Nicht zunftmäßig organisiert, schloss er sich je nach der Handelsrichtung in kirchlichen Brüderschaften zusammen, deren wichtigste die Flandern-, England- und Schonenfahrer waren; sie bildeten am Ende des 14. Jahrhunderts den ,,meenen Kopman" und traten nun als Vertreter der Kaufmannschaft auf. Dass der Handel über See die Vorbedingung der Zugehörigkeit zu dieser Kaufmannschaft war, ergibt sich aus dem auf jene drei Gesellschaften zurückgehenden Ursprung. Im Jahre 1517 wählte der ,,meene Kopman" einen Kaufmannsrat, der sich „Ein Ehrbarer Kaufmann" nannte; damit war eine vorläufig noch ziemlich lose, immerhin aber die Kaufmannschaft von Fall zu Fall vertretende Organisation des wichtigsten Teiles des Hamburger Wirtschaftslebens geschaffen.

Im einzelnen vollzog sich der Handel in den Formen des mittelalterlichen Stadtwesens. Der Gästehandel war verboten; der Fremde, der Waren in die Stadt brachte, durfte sie nur an Bürger verkaufen; der Kleinhandel war den Fremden untersagt. Ausgenommen waren die Jahrmärkte, deren Hamburg im 14. Jahrhundert drei besaß, von denen einer ein Pferdemarkt war; im Jahre 1471 kamen noch vier Pferdemärkte hinzu, ein Zeichen von der großen Bedeutung Hamburgs für das Wirtschaftsleben der umliegenden ländlichen Gebiete.

Von Grund aus wandelten sich die Hamburger Wirtschaftszustände im 16. Jahrhundert. Der Niedergang der Brauerei, der zeitlich mit dem der Hanse zusammenfällt, ist als ein Symbol für den letzteren anzusehen. Wie jede Stadt, des Solidargefühls bloß, nun ihr Bier rücksichtslos auf den Markt warf, ohne die Folgen dieser inneren Konkurrenz für die Stellung der Hanse an den fremden Plätzen zu berücksichtigen, wo das Bier den Städten ein allgemeines Übergewicht verschafft hatte, so ging auch das hansische Gemeinschaftsgefühl im Großen immer mehr in die Brüche, obwohl die erstarkenden Kräfte der nordischen Mächte einen engeren Zusammenschluss der deutschen, am Seehandel beteiligten Städte notwendiger denn je erscheinen ließen.

Hamburg aber sicherte sich in richtiger Erkenntnis der Sachlage aus diesem Verfall überaus wichtige Erwerbungen wirtschaftlicher Art. Als im Laufe des 16. Jahrhunderts der Schwerpunkt des deutschen Wirtschaftslebens von Oberdeutschland, von Augsburg, Ulm, Konstanz, Nürnberg nach Norddeutschland, nach Hamburg und Leipzig, vom Bodensee an die Elbe und in die sächsische Ebene verlegt wurde, als andererseits die Bedeutung der Ostsee für den Welthandel zurücktrat und die Westsee dem mächtig erweiterten Handelsblick bisher ungeahnte, lockende Aussichten darbot, sah sich Hamburg vor Aufgaben gestellt, die es ihm unmöglich machten, alten verwitterten Verträgen, durch die Verhältnisse überwundenen Anschauungen treu zu bleiben. Auch im Wirtschaftsleben der Völker gibt es Augenblicke, in denen das Festhalten an alten, noch so heiligen Verpflichtungen, die Treue für Bundesgenossen zurücktreten muss hinter der harten Notwendigkeit wirtschaftlicher Selbsterhaltung. So nahm Hamburg entgegen den hansischen Satzungen die Fremden auf, zuerst die Engländer, dann die Niederländer und die portugiesischen Juden und stellte sie, namentlich die beiden erstgenannten, den Bürgern nicht nur im wesentlichen gleich, sondern verlieh sogar den Engländern gewisse Bevorzugungen.

Das Wirtschaftsleben eines Gemeinwesens ist in hohem Grade abhängig von der Energie seiner Bevölkerung; in zweiter Linie wirken Umstände wirtschaftsgeographischer Art, unter denen jene arbeitet. Dass aber jene Energie aufgefrischt wird durch den Zuzug intellektuell hochstehender Fremder, diese Erfahrung bewährte sich auch in Hamburg. So war die unmittelbare Folge der Fremden-Einwanderung eine Zunahme des Verkehrs mit England, namentlich aber mit Spanien und Portugal. In letzterer Beziehung trat Hamburg einen gewichtigen Teil der Erbschaft des in Folge der Sperre der Schelde aus dem großen Handelsverkehr ausscheidenden Antwerpen an. Schon vor der Aufnahme der Niederländer und Portugiesen hatte Hamburg in unmittelbarem Geschäftsverkehr mit der pyrenäischen Halbinsel gestanden; er nahm jetzt einen lebhaften Aufschwung; ihm besonders verdankte Hamburg seine hervorragende Stellung im Kolonialwarenhandel. Im Zusammenhang mit der Verbindung mit Portugal steht es, wenn Hamburg um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert mehrfach direkte Fahrten nach Brasilien unternommen hat.

Nicht nur seinem Handel und seiner Schifffahrt, auch seinem Gewerbe kam diese Lösung von den wirtschaftlichen Fesseln, die die Zugehörigkeit zur Hanse auferlegte, zu Gute. Bereits 1530 war die englische Tuchfärberei in Hamburg eingeführt; am Ende des Jahrhunderts nahm dies Gewerbe, vorzüglich infolge der Einwanderung der Niederländer, bedeutend zu. Andere Gewerbe folgten dem von der Zuwanderung ausgehenden Antriebe, so die Industrie der Sayen- und Baumseidenmacher.

Überhaupt wurden diese Einwanderungen für das Hamburger Wirtschaftsleben zu einer reichen Quelle der Befruchtung; sie verliehen dem Unternehmungsgeist der Hamburger, der vielfach noch in den Anschauungen mittelalterlicher Handelsführung steckte, frischen Anreiz, schufen eine rationelle Handelstechnik und machten die Denkart der Bevölkerung empfänglicher für die Erfordernisse der Zeit. Noch weit später machen sich diese fremden Einflüsse im Hamburger Wirtschaftsleben bemerkbar; die äußere, auf religiösen und nationalen Motiven beruhende Scheidung der Fremden von den Einheimischen lässt jene Einwirkungen um so schärfer hervortreten.

Unter den Schöpfungen, die wesentlich dem Einfluss der Fremden zuzuschreiben sind, ist die im Jahre 1619 erfolgte Errichtung der Bank zu nennen; das Motiv ihrer Begründung lag in dem Bedürfnis der Befestigung des Münzwesens; sie war in ihrer ersten Organisation nichts als eine Wechselbank, durch, die man sich gegen die Verschlechterung der Münze schützte. Trotz der ihr von Beginn anhaftenden Schwächen hat für zweieinhalb Jahrhundert die Bank dem Wirtschaftsleben der Stadt als finanzielles Rückgrat gedient.

Eine selbständige Hamburger Schöpfung, die zugleich eine bedeutsame Neuerung für den kommerziellen Gesamtcharakter der Stadt darstellte, war die Errichtung einer Börse in den Jahren 1558 — 1560. Unter den Börsen auf deutschem Boden war sie eine der ältesten; mit ihr ist die Handelsgeschichte Hamburgs eng verbunden. Durch diese Gründung wurde kundgetan, dass die Kaufleute nicht mehr in erster Linie sich als England-, Flandern-, Schonenfahrer fühlten, sondern dass das Sonderinteresse der einzelnen Handelsrichtung zurücktrat vor dem gemeinsamen geschäftlichen Interesse aller Kaufleute. Die Börse war der öffentliche Ausdruck des Entstehens und Wirkens einer allgemeinen Kaufmannschaft. In diesem Gebäude arbeiteten die Kaufleute ein jeder nach Maßgabe seiner Verhältnisse und besonderen Interessen, alle aber gemeinsam zum Besten des gesamten Wirtschaftslebens und für das Gedeihen von Handel und Schifffahrt der Vaterstadt. Es war der Beginn einer kaufmännischen Gemeinwirtschaft ohne den Zwang einer körperschaftlichen Organisation.

Auch darf die Errichtung der Börse als ein Symptom für die nun eintretende schärfere Trennung des Großhandels vom Kleinhandel, die bisher noch in engerer Verbindung gestanden, betrachtet werden. Diese Entwicklung wurde befördert durch die Zunahme der Beziehungen zu den westeuropäischen Handelsgebieten und die davon herrührende Vermehrung des Bezuges wertvoller Waren, die große Kapitalien erforderte. Der Großkaufmann sah nun vom Kleinhandel mehr und mehr ab. Ganz vollzog sich diese Trennung erst in den folgenden Jahrhunderten, und für einige Artikel, so Wein, Tee, hat eine Personal-Union von Klein- und Großhandel vielfach noch bis in die Gegenwart bestanden.

Zwar langsam, aber unaufhaltsam wurde nun Hamburg infolge der großen Veränderungen und Verschiebungen innerhalb der Weltwirtschaft, die das 16. Jahrhundert herbeiführte, aus den Geleisen mittelalterlicher Stadtwirtschaft hinausgedrängt. Oft gegen den Willen starker Teile des Bürgertums, nicht selten unter dem Widerstände des Rats, manchmal sogar der Kaufleute, wurde ein Stück der alten Wirtschaftspolitik nach dem andern zu Grabe getragen. Bis zuletzt suchte man aus ihr Gewinn zu ziehen; die wirtschaftliche Stellung, die Hamburg heute an der Elbe einnimmt, an dem Arme des Stroms, der ursprünglich der minderbedeutende war, den aber die Stadt durch ihr geschicktes Vorgehen zu dem Hauptstrom zu machen verstand, hat Hamburg nur erringen können durch die rücksichtslose Behauptung seines Stapelrechts. Auf diesen und anderen Ansprüchen und Rechten stadtwirtschaftlichen Charakters hat es seine wirtschaftliche Präponderanz vor den aufstrebenden, von fürstlicher Macht unterstützten benachbarten Elbstädten zu begründen gewusst.

Innerhalb des engeren Wirtschaftsgebietes gelang es nun Harn, bürg, seine Konkurrenten zu verdrängen. Früher hatten Magdeburg, Lüneburg, Stade, Buxtehude noch eigenen Seehandel getrieben; das hörte jetzt auf; durch seine Stapelpolitik, den Vertrag mit Magdeburg von 1538, sein zielbewusstes rücksichtsloses Vorgehen gegen alle Mitbewerber in der Nachbarschaft vereinigte Hamburg den Seehandel des Elbgebiets in seinen Mauern, fesselte es ihn au seine Schiffe. Damit schuf es das Emporium, das für größere, weltwirtschaftliche Aufgaben Macht besaß, beugte es der Zersplitterung der Kräfte durch kleine, rührige, aber kapitalschwache Gemeinwesen vor.

Energisch bekämpfte ferner Hamburg die im 17. Jahrhundert sich häufenden Versuche, die mühsam errungene wirtschaftliche Stellung an der Elbe zu erschüttern, sei es durch Anlegung neuer Zölle, wie es der Glückstädter war, sei es durch die Errichtung junger städtischer Gemeinwesen, Harburg, Altona, Glückstadt. Die erbitterten Kämpfe mit den benachbarten Landesherren, die in diplomatischen Verhandlungen, Prozessen, Gewalttätigkeiten ihren Ausdruck fanden, führte Hamburg für die Geschlossenheit und Größe seines städtischen Wirtschaftskörpers. Es ist fraglich, ob der deutschen Gemeinwirtschaft damit gedient gewesen wäre, wenn in den Zeiten politischer Zersplitterung auch die wirtschaftlichen Kräfte an diesem Brennpunkt der Berührung des deutschen Handelslebens mit dem Auslande zerstreut und verzettelt worden wären über eine Reihe kleinerer Plätze. Der Hamburger Kaufmann des 17. und 18. Jahrhunderts war gewiss kein Patriot im idealen Sinne; er trieb seinen Handel wie und mit wem er konnte und ließ sich nur von Geschäftsrücksichten leiten; aber er vertrat mit dem harten Egoismus seines Standes ein großes Handelszentrum und damit einen Einheitsgedanken. Auf diesem wirtschaftlichen Gebiete war er ein Bahnbrecher.

Infolge der bewussten Engherzigkeit der von ihm beobachteten Wirtschaftspolitik hat Hamburg ohne Zweifel auch den Nachbarn manches wertvolle wirtschaftliche Gut überlassen müssen; es ist das Schicksal einer jeden schroff durchgeführten Wirtschaftspolitik, dass sie ihrem Träger neben dem Gewinn, den sie einbringt, auch Opfer auferlegt. So wanderten manche einträgliche Erwerbszweige nach Altona und Harburg; die Grönlandfahrt wurde z. T. nach Glückstadt und Altona getrieben, weil Hamburg die Reederei der Juden nicht zuließ. Aber dank seiner traditionellen Handelsstellung und Kapitalmacht, seiner vertraglichen und persönlichen Verbindungen mit dem Binnenlande, vorzüglich mit dem gleichfalls dem starren Stapelprinzip huldigenden Magdeburg, dank seiner klugen Elbpolitik, die vom Mittelalter bis zur Neuzeit, insbesondere vom 16. bis 18. Jahrhundert darauf gerichtet war, alle für die Schifffahrt wichtigen Punkte in der Umgebung unter seinen politischen oder wirtschaftlichen Einfluss zu bringen, hat es trotz und vielleicht wegen seines scheinbar kurzsichtigen Festhaltens an alten Rechten sich behauptet und nur überaus vorsichtig ein Ventil nach dem andern geöffnet, um dem Wirtschaftsleben mehr Bewegungsfreiheit zu gewähren.

So konnte sich im 17. und 18. Jahrhundert trotz des noch bestehenden Verbotes des Gästehandels und des Widerstrebens eines Teils der Bürgerschaft eine starke Spedition und ein umfangreicher Kommissionshandel entwickeln. Das Waren Ein- und Ausfuhrgeschäft nahm einen lebhaften Aufschwung. Im 17. Jahrhundert trieb Hamburg einen ausgedehnten Handel mit Schiffbau- und Kriegsmaterialien; für Kupfer war es Stapelplatz; wichtig war sein Wein- und Heringshandel, der Handel mit ausländischen Farbhölzern und andern Farbwaren, wie Waid, Potasche. In Gewürzen nahm sein Handel bedeutend zu, namentlich in Pfeffer und Ingwer. Für Salz war es wichtiges Emporium; es versorgte das Binnenland mit französischem und portugiesischem Salz und führte deutsches Salz aus. Umfangreich war sein Handel mit nordischen Produkten, Tran, Teer, Wachs, sodann mit Holz, Fellen und Häuten. Im Handel mit Juchten machte es Amsterdam erfolgreich Konkurrenz. Hand in Hand mit dem zunehmenden Warenhandel ging ein blühendes Wechselgeschäft, das meist in den Händen der Juden lag; Hamburg entwickelte sich zu einem der wichtigsten Wechselplätze Nord-Europas.

Der Wettbewerb der unter freierem wirtschaftlichen Regiment stehenden Nachbarstädte führte dann im Beginn des 18. Jahrhunderts dahin, dass die zollfreie Durchfuhr unter gewissen Kautelen in der Form eines beschränkten ,,Porto franco" gesichert wurde. Nun ward auch die Zollordnung einer für die Bedächtigkeit der Zeit und den konservativen Sinn der Hamburger gründlichen Reform unterzogen, eine Reihe wichtiger Waren (Getreide, Leinwand, Garn, Blech, Kupfer, Weine usw.) vom Zoll befreit oder stark herabgesetzt. Das förderte das Wirtschaftsleben der Stadt in hohem Grade, hat ihren Hafen- und Handelsverkehr vermehrt und stärkte vorzüglich ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Holländern, die schon jetzt in mehr als einem Handelszweig von Hamburg überflügelt wurden.

Wichtige Handelsartikel schuf auch die heimische Industrie, deren Beziehungen zum Handel enger wurden. Die Raffinerie des Zuckers, Ende des 16. Jahrhunderts von den Niederländern eingeführt, entwickelte sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zu einer ausgedehnten Industrie, die, wie einst die Brauerei, dem Wirtschaftsleben der Stadt eine besondere Farbe und wesentlichen Ansporn verlieh. Am Ende des 18. Jahrhunderts besaß Hamburg etwa 300 Zuckersiedereien, die meist für den Export arbeiteten. Von andern Artikeln der einheimischen Industrie, die im 18. Jahrhundert für den Handel Bedeutung hatten, sind zu nennen: die Kattundruckereien, Samt- und Strumpffabriken, Färbereien usw. Den Hauptanteil am Handel trugen doch die Erzeugnisse des Binnen- und Auslandes. Für die unter dem Schutze der merkantilistischen Politik wachsende binnenländische Industrie eines bedeutenden Teiles Norddeutschlands, Böhmens, der kaiserlichen Erbländer, Polens wurde Hamburg der natürliche Ausfuhrplatz, während es anderseits diese Gebiete mit den Produkten des europäischen und überseeischen Auslandes, soweit dies als Bezugsquelle in Betracht kam, versorgte. So ging ein großer Teil der schlesischen und westfälischen Leinwand über Hamburg ins Ausland, während Kolonialwaren den Weg ins Binnenland mehr und mehr über Hamburg nahmen.

Diese Entwicklung wurde gefördert durch die Erschließung der Elbe und der märkischen Wasserstraßen für den durchgehenden Verkehr mit Hamburg. Im 16. Jahrhundert erreichte es den freien Wasserverkehr mit Magdeburg; während des 30jährigen Krieges entstand der durchgehende Verkehr oberhalb Magdeburgs; seit 1669 war in Folge des Baues des ,,neuen Grabens", der die Oder mit der Spree verband, der unmittelbare Verkehr zwischen Hamburg und Breslau hergestellt. Für Hamburg war dieser Binnenschifffahrtsverkehr um so bedeutsamer, als der Landfrachtverkehr unter zahlreichen Zwangseinrichtungen, schlechtem Zustande der Straßen und Mängeln des Fuhrwesens litt. Der zunehmende Wettbewerb beider Transportwege ist ihrer Verbesserung und damit dem Handel zu Gute gekommen.

Nicht mit Unrecht hat man Hamburg unter den wenigen selbständigen Wirtschaftskörpern genannt, die im 17. und 18. Jahrhundert das deutsche Wirtschaftsleben aufrecht gehalten haben. Während der Stürme des 30 jährigen Krieges, in der schweren Depression, die er hinterließ, den andauernden Kriegen, in die Deutschland verwickelt wurde, versteht es Hamburg nicht nur die eigene Position zu behaupten, sondern es gelingt ihm, seinen Handel und seine Schifffahrt auszudehnen, mächtigen Mitbewerbern, wie Amsterdam, Raum abzugewinnen, ein Stück des Warenhandels nach dem andern an sich zu ziehen. Das ist zum Teil die Folge seiner Neutralitätspolitik, auf Grund welcher Hamburg vorzüglich den in zahllose Kriege verwickelten Holländern als gefährlicher Konkurrent entgegentrat; zum andern Teil aber ein Ergebnis weitschauender Privatinitiative. Diese verstand es vortrefflich, dem eignen Interesse gleichzeitig mit dem der Vaterstadt zu dienen, und wurde dabei unterstützt durch die Niederlassungen der Hamburger Kaufleute an wichtigen Plätzen des Auslandes, namentlich in Lissabon, Cadiz, Malaga, Livorno, Archangelsk. Der Hamburger Kaufmann schritt dem Handel entgegen, suchte ihn in seinen Quellen auf, lernte das Geschäft und seine Waren am Orte des Ursprungs kennen und sicherte sich und der Heimatstadt die nahe Verbindung mit dem auswärtigen Erzeuger und Kunden. In diesen Niederlassungen beruht von der Hansezeit bis heute, durch 7 Jahrhunderte hindurch, vielleicht die dauerhafteste Grundlage des Seehandels der Stadt.

So schritt Hamburg, sobald sich nach dem siegreichen Freiheitskampf der nordamerikanischen Staaten die Aussicht zur unmittelbaren Handelsanknüpfung mit jenen Gebieten bot, dazu, sich auf dem neuen Boden eine Erweiterung seines Wirtschaftsbereiches zu schaffen; es knüpfte sofort Verbindungen daselbst an und bereitete, obwohl jene zunächst wenig gewinnreich waren, die späteren enger zu gestaltenden Beziehungen vor. Bemerkenswert ist bei diesen ersten Anknüpfungen die Unternehmungslust, die sich selbst durch die völlige Unbekanntschaft mit dem betretenen Boden nicht abhalten ließ, dem heimischen Wirtschaftsleben frische Antriebe zuzuführen; und staunenswert der Eifer, mit dem man die mühsam erworbenen Kapitalien in neuen zweifelhaften Aufgaben aufs Spiel setzte. Vom satten Rentner hatte der Hamburger Kaufmann nichts.

Freilich wurde nun das mächtig erstarkte Handelsleben der Stadt auch Belastungen und Proben unterworfen, die schwächeren Wirtschaftskörpern erspart zu werden pflegen. Kredit- und Geldkrisen brachen über den europäischen Handelsstand herein, und wiederholt, namentlich 1763 und 1799, wurde Hamburg stark in Mitleidenschaft gezogen. Aber die Stadt, die am Ende des Jahrhunderts eine infolge der politischen Ereignisse ungeheure Handelsblüte erlebte, schlug diese Angriffe auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, trotz großer Verluste im Einzelnen, siegreich ab; und am Beginn des 19. Jahrhunderts sehen wir sie in gesunder Wirtschaftsverfassung und im Besitze einer mächtigen Handelsstellung. Was an Auswüchsen und Schäden sich in ihr offenbarte, waren natürliche Erscheinungen an einem mitten im Sturm des großen Geschäftslebens stehenden Wirtschaftskörper. Wir rechnen dahin die Zunahme der Fallissemente, ferner eine starke Wechselreiterei, ein beängstigendes Anwachsen der Spekulation in Waren.

Von dieser Höhe der Entwicklung, die Hamburg zu einer wahren See- und Handelsmacht erhoben hatte, brachte die nächste Zeit einen tiefen Sturz. Nach der Kontinentalsperre und der französischen Besetzung, die in Hamburg 7 1/2 Jahre dauerte, einen völligen Ruin des Wirtschaftslebens herbeiführte und den alten und neuen Reichtum der Stadt vernichtete, erholten sich aber die wichtigsten Stützen ihres Erwerbslebens, Handel, Schifffahrt und Gewerbe, schnell wieder. Von neuem tritt die unermüdliche Lebenskraft der Elbstadt zu Tage. Zwar litt die Bevölkerung noch lange unter starkem Steuerdruck, da es nötig war, die Schäden der vergangenen schweren Zeit zu heilen, aufgehäufte Schulden abzutragen, und überdies zahlreiche Bedürfnisse des öffentlichen Lebens große Aufwendungen erforderten. Aber der Druck war erträglich, und die erwerbenden Berufe widmeten sich in tatkräftiger fleißiger Arbeit dem Neuaufbau des städtischen Gemeinwesens und der seinen Bestand vornehmlich stützenden Erwerbszweige. So blühten diese in der langen Friedenszeit rasch wieder auf.

Dazu trug an erster Stelle die günstige natürliche Lage der Stadt bei; schnell lenkten die Gewässer des Verkehrs wieder in das seit Jahren öde und leer liegende Bette zurück. Überaus wichtige, für das Wirtschaftsleben der Völker hoch bedeutsame Ereignisse, wie der Abfall der süd- und mittelamerikanischen Kolonien Spaniens, kamen hinzu; nun konnten auch die deutschen Seestädte regelmäßigen Anteil nehmen an dem Verkehr mit jenen Ländern, der ihnen bisher nur gelegentlich und vorübergehend , off en gestanden hatte. Zwar blieben bei diesen Unternehmungen in wirtschaftlich unentwickelte Gebiete Rückschläge und schwere Verluste nicht aus, unter denen der Hamburger Geldmarkt gelitten hat. Mit der Zeit setzten sich aber die deutschen Seestädte hier fest. Durch diesen Verkehr, zu dem bald noch der mit Ostasien, Ostindien und Australien kam, wurde Hamburg dauernd zu einem der Hauptplätze für den Handel mit Kolonialprodukten, ein Ereignis, das dem Warenmarkte der Stadt eine völlig andere Struktur verlieh. Den alten Artikeln des Hamburger Marktes gesellten sich nun hinzu: Kaffee, Tee, Reis, Baumwolle, Tabak, Indigo, überseeische Nutzhölzer; diese Waren fanden sich ja auch früher schon hier, aber erst jetzt wurden sie Stapelartikel erster Klasse und auch nicht mehr nur durch Vermittlung der alten Kolonialländer, früher Portugal, dann Holland und Frankreich, bezogen; sondern jetzt entwickelte sich Hamburg mehr und mehr zu einem selbständigen Markte für diese Waren. Später kamen Petroleum, überseeische Wolle u. a. m. hinzu. Es ist eines der bedeutsamsten Merkmale der hamburgischen Kaufmannspolitik des 19. Jahrhunderts, dass sich Hamburg in zwar langsamem, aber andauerndem Fortschritt immer mehr unabhängig von den Märkten des Auslandes zu machen sucht und dadurch dem konsumierenden Hinterlande billigere und bequemere Bezugsmöglichkeiten schafft. Unter den Märkten, mit denen Hamburg konkurriert, kamen jetzt vorzüglich London und Liverpool, ferner Le Havre, Rotterdam und Amsterdam in Betracht. So ist das 19. Jahrhundert die Periode, in der Hamburgs Wirtschaftsleben den erfolgreichen Wettbewerb mit den größten Handelsemporien Europas aufnahm. Gegen die wachsende Konkurrenz der andern deutschen Häfen aber bewahrte es den ihm seit langem zugefallenen ersten Rang. Insbesondere schlug es alle Versuche ab, die den Oderkurs vor dem Elbkurs begünstigen und Stettin zu einem nennenswerten Nebenbuhler im internationalen Handel machen wollten.

Zunächst war der hamburgische Handel, wie seit dem 18. Jahrhundert, überwiegend Zwischenhandel; er vermittelte dem deutschen Binnenlande und einem großen Teil Nord- und Osteuropas den Bezug ausländischer Waren und vertrieb in Gegenleistung die Produkte dieser Gebiete. Mit der wachsenden Industrie des deutschen Binnenlandes, die nicht weniger tatkräftig als der Handel bestrebt war, sich vom Auslande unabhängig zu machen, nahm die deutsche Ausfuhr über Hamburg zu. Obwohl die Stadt wie ihre hansischen Schwesterstädte, sich dem Anschluss an die deutsche Zolleinigung in zähem Widerstände und mit der Abneigung des inmitten der internationalen Handelsbewegung stehenden Weltbürgers gegen das Zollzwangssystem der ,,Süßwasserpolitiker" widersetzte und trotz aller lockenden und drohenden Werbungen sich der wirtschaftlichen Einheit des großen Vaterlandes nicht anschloss, entwickelte sich die Stadt doch zu dem wichtigsten Ausfalltor der Erzeugnisse deutschen Gewerbe- und Bodenfleißes. So wurde Hamburg für deutsche Leinen-, Baumwollen-, Woll- und Seidenwaren, für Manufakturwaren, Glas, Butter, Zink, inländisches Nutzholz der natürliche Ausfuhrhafen. Im Handel mit Manufakturwaren nach Skandinavien nahm es eine führende Rolle ein. Wie früher, war der Hamburger auch jetzt ein fleißiger Besucher der großen Messen; ein bedeutender Teil dieses Handels geschah auf eigene Hamburger Rechnung. Einen mächtigen Aufschwung nahm in der Mitte des Jahrhunderts der Getreidehandel, dem die kornreichen Gebiete der Nachbarschaft die Ware lieferten; es war dies meist Ausfuhrhandel nach England und im wesentlichen Hamburger Eigengeschäft.

Zur Aufrechterhaltung des wachsenden Handels bedurfte es, wie begreiflich, steter Sorgfalt und menschlicher Pflege. Kein noch so günstig gelegener Handelsplatz gedeiht auf die Dauer, wenn man ihn nur sich selbst überlässt. Alter Überlieferung getreu versäumte Hamburg nicht, mit staatlichen und privaten Mitteln die Einrichtungen zu schaffen, die für die Behauptung seiner wirtschaftlichen Zentralstellung erforderlich waren.

Unter den staatlichen Mitteln sind an erster Stelle die zahlreichen Handels- und Schifffahrtsverträge zu nennen, die Hamburg mit europäischen Staaten schloss. Was in dieser Beziehung geschehen konnte und musste, ist sicherlich geschehen; diese Verträge bildeten das völkerrechtliche Gerüst für das Hamburger Handelsleben; sie räumten viele Hindernisse weg und ebneten dem wagenden Kaufmann die Wege. Überschätzen darf man diese Verträge nicht; da sie meist mit Staaten von großem Landbesitz und starker Produktion abgeschlossen sind, fehlte es naturgemäß dem kleinen Stadtstaat an Gegenleistungen. Den Hauptnutzen hat die Schifffahrt aus ihnen gezogen. So blühte die Reederei, seit langem ein Schmerzenskind Hamburgs, in erfreulichem Maße auf, nachdem dem Unwesen der Barbaresken ein Ende bereitet war und der Abbau, später die Aufhebung der englischen Schifffahrtsgesetze den Schiffen anderer Nationen ein breites Feld der Tätigkeit eröffnete. Hamburgs Schiffe nutzten die neue Konjunktur eifrig aus. Es entstand eine Hamburger Großreederei; zunächst auf den schon im 18. Jahrhundert geschaffenen Grundlagen als Privatunternehmungen Einzelner; später vielfach in der Form von Aktiengesellschaften. Im Jahre 1847 wurde die erste Aktienreederei, die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt, gegründet. Mit dieser Schifffahrt, einer von Jahr zu Jahr wachsenden Flotte von Seeschiffen umspannte nach und nach Hamburg den Erdball, mit seinen regelmäßigen Linien und mit der allgemeinen Frachtfahrt überall hintragend deutschen Namen, deutschen Gewerbefleiß, deutsche Handelstüchtigkeit.

Der Übergang von der Segelschifffahrt zur Dampfschifffahrt, der sich seit den 1840er Jahren langsam, aber unaufhaltsam vollzog, beeinflusste auch das Wirtschaftsleben der Stadt durch die Zunahme des Schiffbaus, die Steigerung der Kohlenzufuhr, das Anwachsen der Passagierfahrten, die Vergrößerung der über Hamburg geleiteten Auswanderung.

Nun befreite sich auch Hamburg von den Überresten des Zwanges, der noch auf dem eigenen Wirtschaftsleben ruhte. Hatte es im 17. Jahrhundert allmählich den Markt-, Straßen- und Stapelzwang preisgeben müssen, so verschwand jetzt der Zunftzwang und der Fremdenzwang; Gewerbe und Handel wurden für Jedermann frei; jeder Handwerker konnte nach Belieben produzieren, und kein fremder Kaufmann bedurfte mehr der Vermittlung eines Hamburger Bürgers, um hier Handel zu treiben. Alle diese Zwangsinstitutionen und Beschränkungen hatten im Rahmen der Stadt- und Territorialwirtschaft ihre Aufgabe erfüllt; sie hatten als Dämme gegen die Überschwemmung der Märkte mit ausländischer Ware gedient, dem Bürger die Wohltat einer bescheidenen, aber gesicherten Existenz gewährt. Jetzt, im Zeitalter der Weltwirtschaft, des gegenseitigen unbegrenzten internationalen Wettbewerbes waren solche Beschränkungen nicht mehr haltbar; man bedurfte eines neuen Bodens für den wirtschaftlichen Kampf, bedurfte erweiterter Konkurrenzmöglichkeit, einer durch kleine Hindernisse und Schikanen nicht beengten, jedermann zugänglichen Arena.

Aus demselben Grunde verfiel nun auch das Zollwesen, soweit es den Handel belastete, langsamer Auflösung, d. h. die Handelsbewegung wurde von Zöllen möglichst befreit, ein nahezu zollfreier Handel hergestellt. Das war nur möglich bei der allgemeinen Blüte des Handels der Stadt; durch direkte Steuern und indirekte Abgaben anderer Art wurde das reichlich wieder eingebracht, was dem Fiskus an der Einnahme des Zolls entging. Es war eine von fiskalischen Gesichtspunkten möglichst abstandnehmende Handelspolitik, die sich einem kleinen, ausschließlich vom Handel lebenden Staatswesen schon deshalb empfahl, weil nur auf diese Weise der mächtigen Konkurrenz ausländischer Häfen, hinter denen die finanzielle Macht großer Staaten stand, begegnet werden konnte.

Große Sorgfalt wurde der Reform der Handelstechnik gewidmet. Die vielfach bis ins Mittelalter zurückreichenden Formen, unter denen die Handelsabschlüsse und Preis-Notierungen erfolgten, bedrohten das Wirtschaftsleben mit Erstarrung, erfüllten die mit dem Hamburger Handel in Berührung kommenden Ausländer mit Misstrauen. Hier wurde in langer Arbeit gründlich aufgeräumt und an der Stelle veralteter, unverständlicher Gebräuche ein modernes System von Usancen errichtet, die den Anforderungen des neuzeitlichen Verkehrs angepasst waren. Diese Gesundung der Handelstechnik hat das Geschäftsleben mehr gefördert als manche zufällige, von außen herantretende Einflüsse vorübergehender Art.

Glückliche Zeiten des mäßig, aber stetig wachsenden Verkehrs in Handel und Schifffahrt, im Waren- und Geldumsatz waren es, diese Jahre von 1840 bis 1870. Die wirtschaftlichen Rückschläge, die auch in dieser Periode nicht ausblieben und in dem Brand von 1842, den Krisen von 1848 und 1857 ihren wichtigsten Ausdruck fanden, wurden bald überwunden. Fort und fort besserte man an den Einrichtungen für Handel und Verkehr, baute neue Häfen, errichtete neue Speicher, räumte die Elbe auf und schuf eine tiefere Fahrrinne zur Verbindung der Stadt mit dem Weltmeer. Auf dem Elbstrom, der Lebensader des Wirtschaftslebens, wurde der Übergang von den frei im Strom befindlichen Liegeplätzen der Seeschiffe zu der Herstellung von mit massiven Kaimauern eingefriedigten Häfen nach langen, schwierigen Verhandlungen durchgeführt; Eisenbahnanschlüsse und Speicherbauten am tiefen Wasser in unmittelbarer Verbindung mit den Seeschiffen knüpften sich an. Die Häfen wurden durch diese bedeutsamen Neuerungen, die einen schnellen Umschlag zwischen See- und Landtransport sicherten, zu dem praktisch wichtigsten Werkzeug auf dem Gebiet des Hamburger Wirtschaftsleben.

Dem neuesten Verkehrsmittel, der Eisenbahn, wurden seit den 1830er Jahren zuerst nur Projekte, dann ernsthafte Arbeiten gewidmet; in der Berlin-Hamburger Bahn, die Ende 1846 eröffnet wurde, erhielt Hamburg die erste, sein Wirtschaftsleben erheblich fördernde Eisenbahnverbindung mit dem Innern. Noch förderlicher wäre es dem Handel der Stadt gewesen, wenn die übrigen Verbindungen, so nach Hannover, Lübeck, Bremen, nicht erst viel später — und auch dann nur mit z. T. lästigen Umwegen — zu Stande gekommen wären.

Auch der Verkehr auf der Elbe aufwärts nach Berlin, Magdeburg, Böhmen blühte auf. Die Befreiung der Flussläufe von rechtlichen und materiellen Verkehrshindernissen, wie sie der Wiener Kongress ausgesprochen, innerhalb des Elbegebiets praktisch zur Durchführung zu bringen, hat Hamburg mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sich eifrig bemüht. Wie es im 16. Jahrhundert ein Vorkämpfer für die freie Elbfahrt wenigstens bis Magdeburg gewesen, so stand es im 19. Jahrhundert an der Spitze derer, die in der völligen Befreiung dieses Stromes von allen Abgaben ein erstrebenswertes Ziel erblickten. Auf mehr als einer Tagung der Elbschifffahrtskommission haben die Vertreter Hamburgs nicht nur im selbsteigenen Interesse ihrer Stadt, sondern im allgemeinen deutschen Verkehrs-Interesse die Grundsätze freier Flussschifffahrt vertreten. Hamburg sah sich um so mehr in die Notwendigkeit versetzt, den Flussverkehr für die Bedürfnisse seines Wirtschaftslebens zu pflegen, als seine Eisenbahnverbindungen in Folge der Kurzsichtigkeit und des mangelnden Entgegenkommens seiner Nachbarn, namentlich Dänemarks und Hannovers, recht vieles zu wünschen übrig ließen. Erst im Jahre 1870 wurden alle Elbzölle aufgehoben.

Selbst der Zugang von und zur See war durch einen Zoll behindert, den Zoll zu Brunshausen. Er hat den Seeverkehr Hamburgs schwer geschädigt, sowohl durch seine Existenz selbst wie durch die vielen mit ihm verknüpften Belästigungen. Erst im Jahre 1861 wurde er beseitigt durch Ablösung, an der auch Hamburg sich beteiligte.

Nicht weniger wichtig waren Hamburgs Bemühungen um das Geldwesen. Die alte Hamburger Bank, die bald nach ihrer Errichtung neben einer Wechsel- auch eine Lehnbank geworden war, hatte im Jahre 1774 durch die Einführung einer festen Bankvaluta auf Feinsilber eine erhebliche Stärkung ihres Bestandes erfahren; sie hat in den Krisenjahren am Ende des Jahrhunderts sich bewährt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts aber zeigte sich, dass mit der Zunahme des Edelmetalls durch die Goldentdeckungen, der Umwälzung des Kreditwesens durch die Vermehrung der Wechselkredite sich ein Banksystem nicht mehr halten ließ, das lediglich eine Handelswährung, noch dazu nur auf Silber, begründete und das in einem vortrefflichen Girozahlungsinstitut den Hauptinhalt seines Wesens sah. Ein modernes Kreditinstitut war die Girobank nicht, wenn sie auch in schwierigen Zeiten auf unverderbliche Waren Vorschüsse leisten durfte. Daher machte sich der Mangel an Bankinstituten, die unabhängig von der auf Reinsilber begründeten Banco-Valuta dem Kaufmann umfassenden Kredit gewährten, dem Hamburger Wirtschaftsmarkt überaus fühlbar. So entstanden im Jahre 1856 zwei auf Aktien gegründete Banken. Dadurch waren nicht nur der Börse wichtige Kredit-Zentren geschaffen, sondern namentlich auch für den Überseehandel der Stadt wertvolle, unentbehrliche finanzielle Stützpunkte errichtet.

Auch die Banco-Währung, die im Grunde gar keine Währung, sondern eine Ware, ein bestimmtes Quantum Feinsilber war, hatte ihre Aufgabe erfüllt; sie war reif, einer zeitgemäßeren, dem allgemeinen Handelsbrauch Rechnung tragenden Hinrichtung Platz zu machen. Die Krisis von 1857 legte die Unzulänglichkeit der Banco-Währung klar an den Tag; und seitdem war ihr Ende nicht mehr aufzuhalten. Nach der Errichtung einer Reichswährung fiel dies ehrwürdige Institut, das durch 250 Jahre der Stolz und die Stütze des Hamburger Kaufmannslebens gewesen war.

Beherrscht wurde das Wirtschaftsleben Hamburgs im 19. Jahrhundert mehr denn je vom Handelsinteresse. Der früher gelegentlich laut werdende Gedanke, es könnten hier noch andere Bestrebungen wirtschaftlicher Art, so die zünftlerisch-gewerblichen, letzten Endes maßgebend für die Gestaltung der Dinge sein, ein Gedanke, der in der veralteten, auf Erbgesessenheit sich gründenden bürgerlichen Verfassung einen Nährboden fand, trat nun völlig in den Hintergrund vor der Wirklichkeit der Tatsachen; alle solche Bestrebungen wurden dem einen großen merkantilen Bedürfnis unterworfen, fügten sich ihm. Eine Zersplitterung der Kräfte duldete der im steten schweren Konkurrenzkampf befindliche, dauernd um die Existenz ringende Wirtschaftskörper nicht. Ihm die so notwendigen Säfte zu entziehen, um sie minder bedeutsamen Erwerbszweigen oder kostspieligen Liebhabereien zuzuführen, wäre nicht nur eine Versündigung an der einheitlichen Struktur dieser Kauf mannsweit gewesen, sondern auch ein die Leistungsfähigkeit gefährdendes Experiment. Die Einsicht der maßgebenden Persönlichkeiten und der nüchterne, auf das Erreichbare gerichtete Sinn der Bevölkerung bewahrte Hamburg vor Seitensprüngen, die seine merkantile Zentralstellung und den Kern seines Wirtschaftslebens in Frage zu stellen geeignet waren. In richtiger Erkenntnis von dem natürlichen Übergewicht des Handels und der Schifffahrt schloss sich der nächstwichtigste Erwerbsstand, das Gewerbe, den Bedürfnissen jener eng an; beide verknüpfte ein durch die Verhältnisse vorgeschriebener unauflöslicher Bund. Die Hamburger Zuckerfabrikation freilich, die im 18. Jahrhundert dem Ausfuhrhandel eine breite Grundlage verliehen, verfiel unter der fremden Konkurrenz und dem Wettbewerb des Runkelrübenzuckers; dagegen traten andere allmählich zur Großindustrie heranwachsende Gewerbe-Zweige in enge Dienstbarkeit zum Handel, so die Möbelfabrikation, die Tabakindustrie, die Exportschlachtereien, die Herstellung von Mehl und Keks, die chemische Industrie; auch die Brauerei nahm erneut Anteil an der Ausfuhr; endlich sei die Schiffbauindustrie genannt, die, von den Banden der Zunft erlöst, frischen Aufschwung nahm. Und wenn auch nicht immer schweigend, so fügte sich doch im allgemeinen der Gewerbestand der seinem Interesse nicht entsprechenden ablehnenden Haltung der Kaufmannschaft gegenüber dem Anschluss an den Zollverein.

Ihren Mittelpunkt fand die enge Vereinigung von Handel, Schifffahrt und Industrie in der Börse. Seitdem die erste Börse errichtet war, hatte sich nicht nur in den hierzu geschaffenen Baulichkeiten eine den veränderten Zahlenverhältnissen entsprechende Vergrößerung vollzogen, auch innerlich war die Börse des 19. Jahrhunderts völlig dem Börsen-Kindesalter 300 Jahre zuvor entwachsen. Die seitdem eingetretene Erweiterung der Handelsbeziehungen, ihre Ausdehnung über den Erdball, der Zuzug fremder Kaufleute, die Ausbildung der Handelstechnik, die Vermehrung der Hilfsbetriebe des Handels, die vorzüglich im Maklerwesen zum Ausdruck kam, die feine Gliederung und Differenzierung im Warengeschäft — kurz die weit durchgeführte Arbeitsteilung in persönlicher wie sachlicher Hinsicht hatte das Börsengeschäft mächtig beeinflusst. Und die Umwälzung der Verkehrsverhältnisse, Eisenbahn, Telegraph, überseeischer Kabel, wandelte das Börsengeschäft von Grund aus. Was einst beiläufig geschah, vollzog sich jetzt in selbständigen Abteilungen der Börse, so das Assekuranzgeschäft, das seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sich vorzüglich in dem Gebiete der Seeversicherung vom Auslande mehr und mehr unabhängig gemacht hatte und im 19. in allen seinen Zweigen zu hoher Blüte emporstieg. Der Fondshandel, lange Zeit von der Hamburger Börse vernachlässigt, weil den Anschauungen ihrer Handelswelt fremd, entwickelte sich nach den Befreiungskriegen schnell zu einem selbständigen Geschäft; es entstand hier unter dem Zwang der Finanzbedürfnisse der Staaten ein internationaler Markt für öffentliche Kreditkapitalien; österreichische, russische, preußische, insbesondere aber nordische Werte fanden auf dem Hamburger Geldmarkt Übernahme. Auch dem Verkehr mit Eisenbahnaktien brachte die Hamburger Fondsbörse bald lebhaftes Interesse entgegen; und im Laufe des Jahrhunderts wurde sie auf allen Zweigen der Betätigung nach Wien, Berlin und Frankfurt a. M. die viertwichtigste Deutschlands.

Trotz dieser Wandlungen und Erweiterungen war in den Grundzügen der Hamburger Börse wenig verändert. Nach wie vor war sie das Symbol des festgeschlossenen, einheitlichen Wirtschaftskörpers, den Hamburg darstellte. Geblieben war das Bedürfnis nach gemeinsamer Arbeit in gemeinsamem Bau, geblieben der zentralistische Gedanke einer auf gegenseitiger Unterstützung beruhenden, zwanglosen Berufs- und Arbeitsgenossenschaft. Unzweifelhaft hat die Verwirklichung dieser Idee in den täglichen Börsenzusammenkünften das Hamburger Wirtschaftsleben gefördert, gegen Erschütterungen gestärkt, ein Solidaritätsgefühl großgezogen, das eine starke Widerstandskraft des Einzelnen gegen Schicksalsschläge zur Folge gehabt hat.