Die Wissenschaft von Prof. Dr. Georg Thilenius, Rektor der Universität, Direktor des Museums für Völkerkunde

Seit dem 31. März 1919 besitzt Hamburg eine Universität; Bibliotheken, Seminare, Institute, Museen und Krankenhäuser dienen dem akademischen Unterricht. Das ist weder alles zugleich, noch neu geschaffen worden, als ein Beschluss der Bürgerschaft die Hochschule ins Leben rief. Längst ehe die Handelsstadt auch zur Universitätsstadt wurde, besaß sie reiche und fleißige Stätten wissenschaftlicher Arbeit, und wenn die 22. Universität Deutschlands mit den älteren Schwestern alle wichtigen Züge der Organisation teilt und alle die Fächer, die für deutsche Universitäten wesentlich sind, so tritt sie in ihren Kreis doch mit festen Überlieferungen und bestimmten Zielen, die aus der Eigenart des Stadtstaates erwuchsen.

,,Damit die hiesigen Bürgerkinder nicht so früh auf Akademien geschickt, sondern allhier fleißig exerziert würden, teils auch, damit, wenn die studierenden Jünglinge nach Akademien kämen, dieselben sich nicht lange mit Philosophicis aufhalten" wurde 1613 das Hamburgische Akademische Gymnasium errichtet. Gründliche Vorbildung und doch Zeitersparnis sind die praktischen Gesichtspunkte des Gymnasiums, an dem 4 — 6 Professoren unterrichteten. Mit der Entwicklung des Unterrichtswesens wurden diese Ziele hinfällig, das Hamburgische Gymnasium wuchs nicht wie in anderen Städten zur Universität auf, sondern verdorrte und ward 1883 aufgehoben. Aber es ist doch nur eine Form, die hier aufgelöst wurde.


Unberührt blieb die Stadtbibliothek, die, im 17. Jahrhundert aus Kirchen- und Klosterbibliotheken entstanden, besonders reich an wissenschaftlichen Werken des 16. und 17. Jahrhunderts ist und, systematisch ausgebaut, heute mit 925 Inkunabeln, 9.100 Handschriften und rund 600.000 Bänden eine der größten Bibliotheken Deutschlands darstellt.

Auch die wissenschaftlichen Institute, die von den Professoren des Akademischen Gymnasiums zunächst für den Unterricht geschaffen, dann aber ihren eigenen wissenschaftlichen Arbeiten entsprechend gewachsen waren, blieben nicht nur erhalten, sondern vergrößerten und verzweigten sich.

Es ist kaum zu bezweifeln, dass das Aufblühen des Hamburger Handels mit seinen gewaltigen finanziellen Anforderungen manche Kreise den Verzicht Hamburgs auf wissenschaftliche Betätigung wünschen ließ; allenfalls wollte man die angewandte Wissenschaft gelten lassen. Dass auch sie nur lebensfähig bleibt, wenn ihr die wissenschaftliche Forschung zur Seite steht, übersah mancher. Dem Bürgermeister Gustav Heinrich Kirchenpauer, J. U. D., der um seiner naturwissenschaftlichen Arbeiten willen 1876 den Ehrendoktor der Philosophie von der Universität Kiel erhielt und seit 1869 Präses der Unterrichtsbehörde war, gebührt das Verdienst der pfleglichen Fortbildung der Institute durch den Staat.

Aus dem physikalischen Kabinett des Gymnasiums ging zunächst 1837 das Chemische Staatslaboratorium hervor; bei der Auflösung des Gymnasiums wurde das Kabinett selbst zum Physikalischen Staatslaboratorium entwickelt, beide Laboratorien erhielten 1898 ein gemeinsames großes Gebäude. Es ist bezeichnend, dass diese Institute nicht auf die Forschung beschränkt blieben; dem chemischen wurden gerichtliche, polizeiliche, später auch zolltechnische Untersuchungen zugewiesen, dem physikalischen die amtlichen Prüfungen physikalischer oder technischer Instrumente und Einrichtungen, vor allem der elektrischen Messgeräte. Da jedoch diese Aufgaben wiederum besondere Räume und Vorkehrungen erforderten, so hatte die Wissenschaft den Gewinn.

Günstigen Boden fanden von vornherein die Professoren der Naturlehre am Gymnasium, die Botaniker waren. Schon seit alten Zeiten ist ein dem Ratsapotheker unterstellter Garten zur Anzucht von Heilkräutern nachweisbar; im 18. Jahrhundert bestanden in Hamburg bereits Privatgärten, deren Besitzer mit Verständnis seltene Pflanzen zogen. Als Privatgarten eines Professors entstand auch 1822 der Botanische Garten, zwar auf Staatsgrund, aber aus laufenden privaten Beiträgen und durch den Verkauf von Pflanzen erhalten. Erst 1856 wurde er Staatsinstitut, und aus der Schenkung einer Sammlung an den Staat im Jahre 1879 entwickelte sich das botanische Museum. Beide Anstalten wuchsen rasch, aber wiederum waren es praktische Aufgaben, die sie über die rein wissenschaftlichen Arbeiten hinausführten: der botanische Garten hatte von Anfang an die für den Unterricht in den Schulen erforderlichen Pflanzen zu liefern und bedurfte dazu bald eines großen Geländes außerhalb der Stadt, während an das Museum ein botanisches Laboratorium für Warenkunde angeschlossen wurde, das 1891 eine Abteilung für Samenkontrolle, 1898 eine weitere für Pflanzenschutz erhielt. Wenig über ein Jahrzehnt später erstand in dem 9,4 ha großen botanischen Garten ein Neubau; er enthält das aus dem Botanischen Garten erwachsene Institut für allgemeine Botanik, das rein wissenschaftlichen Arbeiten dient, und das Institut für angewandte Botanik, das aus dem botanischen Museum und dem Laboratorium hervorging.

Das Akademische Gymnasium war während langer Zeit zwar die einzige staatliche Einrichtung für die Pflege der Wissenschaft in Hamburg, aber nicht die einzige überhaupt. Die Professoren blieben im Zusammenhang mit früheren Schülern ; unter den Akademikern, die in ihrer Vaterstadt wirkten, fanden sich in jedem Stande Männer, die neben ihrem Beruf ein wissenschaftliches Arbeitsgebiet mit Ernst und Sachkenntnis pflegten. Handel, Schifffahrt und Gewerbe erkennen Wert und Bedeutung wissenschaftlichen Lebens; Privatsammlungen von Büchern, kulturgeschichtlichen Denkmälern, naturwissenschaftlichen Gegenständen entstehen. Auch ein großes Institut verdankt sein Werden privater Initiative: Neben den Professoren des Gymnasiums, die astronomische Beobachtungen machten, besaßen schon im 18. Jahrhundert Privatleute kleine Sternwarten. Ein Oberspritzenmeister, der sich aus Liebhaberei mit der Anfertigung astronomischer Instrumente beschäftigte, erbat 1802 vom Staat einen Platz für ein Observatorium; zu gleicher Zeit hatte ein Lehrer der Navigationsschule eine Privatsternwarte errichtet. Sie erreichten den Bau einer staatlichen Sternwarte, die 1821 in Hamburg begründet, wissenschaftliche Aufgaben verfolgte und den Zeitdienst übernahm, 1909 mit ihrer großen Bibliothek und einer reichhaltigen Sammlung von Instrumenten nach Bergedorf in den Neubau verlegt wurde. Die umfangreiche Anlage ist mit ihren neuen Instrumenten eine der ersten Sternwarten Deutschlands. Ähnlich der Sternwarte entstand auch die Hauptstation für Erdbebenforschung am Physikalischen Staatslaboratorium.

Außer den Privatleuten, die ihre Muße gelehrten Beschäftigungen widmeten, waren die Berufsvereinigungen und wissenschaftlichen Vereine die Träger wissenschaftlicher Betätigung.

Neben der Stadtbibliothek steht als größte öffentliche Büchersammlung die Kommerzbibliothek, die, 1735 von der Kaufmannschaft begründet, von der Handelskammer verwaltet wird und vor allem Staats- und Handelswissenschaften, Schifffahrtskunde, neuere Geschichte, Geographie und Reisen pflegt.

Gemeinsam mit der bremischen veranlasste die hamburgische Handelskammer 1868 die Einrichtung eines nautisch-meteorologischen Instituts in Hamburg, der „Norddeutschen Seewarte", die von den beteiligten Kreisen unterhalten wurde; 1875 ging sie als ,,Deutsche Seewarte" auf das Reich über und wurde der kaiserlichen Admiralität unterstellt. Meteorologie, Hydrologie, Nautik sind die wichtigsten Gebiete ihres Wirkens, und wenn sie ursprünglich als Institut für angewandte Wissenschaft geplant war, so haben doch ihre Gelehrten auch die Forschung um der Forschung willen betrieben und damit die Seewarte den hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten gleichgestellt.

Aus privater Anregung entstand 1765 die „Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe (Patriotische Gesellschaft)", die 1868 bei der Gründung des Museums für Kunst und Gewerbe wesentlich mitwirkte und deren Bibliothek besonders Werke über technische Wissenschaften sammelt; 1816 entstand ein Ärztlicher Verein, der gleichfalls eine große Bibliothek besitzt ; unter den zahlreichen wissenschaftlichen Vereinen ist die Mathematische Gesellschaft schon 1890 begründet worden; einen wesentlich größeren Kreis umfasst die Geographische Gesellschaft, die eigene Forschungsexpeditionen aussendet, ebenso der Naturwissenschaftliche Verein und der Verein für hamburgische Geschichte, denen der Aufbau zweier Museen zu danken ist.

Bis in das 19. Jahrhundert hinein hatte der Staat durch Vermächtnisse und Geschenke neben Büchern, Instrumenten, Kunstgegenständen, Münzen usw., auch naturwissenschaftliche Sammlungen mancherlei Art erhalten, und alle diese verschiedenartigen Dinge verwahrte herkömmlich die Stadtbibliothek. 1837 entstand der Naturwissenschaftliche Verein, dessen Mitglieder eine Sammlung zusammenbrachten, deren Erhaltung und Verwertung die Kräfte des Vereins überstieg. Nach längeren vergeblichen Verhandlungen gelang es endlich 1843, diese Sammlungen mit denen des Staates zu verschmelzen und dem so begründeten staatlichen Naturhistorischen Museum eine eigene Verwaltung zu geben. Acht Bürger, die „Männer vom Fach" sein sollten, wurden zur Hälfte von der dem Akademischen Gymnasium vorgesetzten Behörde und von dem Naturwissenschaftlichen Verein gewählt; jedes Mitglied hatte ehrenamtlich die Fürsorge für eine bestimmte Abteilung des Museums zu übernehmen, für die freilich nur spärliche Mußestunden frei waren. Trotzdem wuchs das Museum rasch dank zahlreichen Schenkungen; 1882 erhielt es schließlich einen Fachmann als Direktor und 1883 ein eigenes Gebäude. Hier entwickelte es sich zum Zoologischen Museum, dem zweitgrößten Deutschlands. Sein Arbeitsgebiet ist vor allem die Tiergeographie, und nach seiner Lage in der größten See- und Handelsstadt Deutschlands wird besonders die Tierwelt des Meeres gesammelt, die auch auf eigenen Sammelreisen studiert wurde. 1910 erhielt es eine fischereibiologische Abteilung mit der Aufgabe, die Biologie der Nutzfische und ihre Fischerei zu erforschen. Die mineralogisch geologische Abteilung des Museums wurde 1907 zum mineralogisch geologischen Institut umgestaltet und einem eigenen Direktor unterstellt, das in seiner geologischen Abteilung reiche Bestände aus Südafrika, Südamerika, Ostasien besitzt, auf Grund des großen Bohrarchivs über den Untergrund Hamburgs und seiner Umgebung Auskunft erteilt, auch alle Tief seeproben der deutschen Vermessungsschiffe verwahrt.

Aus dem Naturhistorischen Museum ging auch ein kulturgeschichtliches Museum hervor. 1850 ist eine ethnographische Sammlung im Entstehen, sie befindet sich eine Weile in der Obhut der Stadtbibliothek, wird darauf dem Naturwissenschaftlichen
Verein übergeben, der sie wesentlich fördert, und verwandelt sich weiter in das ,,Kulturhistorische Museum", das schließlich zum Museum für Völkerkunde wurde. Die Verwaltung führten Liebhaber, später eine Kommission, „als deren Vollzugsorgan der Vorsteher des Museums fungiert". Mit den naturwissenschaftlichen Sammlungen kamen auch diese in das Naturhistorische Museum, freilich als Fremdkörper. Sie wuchsen langsam, und erst 1904 brachte die Berufung eines Direktors, die Bewilligung eines Neubaues und großer laufender Mittel die Organisation des Betriebs und die rasche Entwicklung der Bestände, die sich im Laufe eines Jahrzehnts verfünffachten. Sie umfassen Denkmäler primitiver Völker einschließlich der primitiven Schichten der Europäer und sind auf eine Studien- und eine Schausammlung verteilt, welch' letztere als erste in Deutschland eine Allgemeine Abteilung enthält.

Wenige Jahre nach dem Naturwissenschaftlichen Verein überwies auch der altangesehene Verein für hamburgische Geschichte seine Sammlungen dem Staat. Ihre wissenschaftliche Stellung war nicht von wechselnden Anschauungen abhängig wie die der völkerkundlichen, und gerade sie waren den Bürgern wert, deren Heimat die Hansestadt ist. Das ursprünglich ,, Sammlung hamburgischer Altertümer" genannte Museum für hamburgische Geschichte kam als letztes der Museen 1908 unter fachmännische Leitung und bezog 1920 den eigenen Neubau, in dem die kulturgeschichtliche Entwicklung Hamburgs dargestellt wird unter der Gruppierung: Topographie, Haus-, Staats- und Gemeinde-, Kriegs-, kirchliche Altertümer, während die volkskundliche Abteilung sich über das niederelbische Gebiet im Kulturbereich Hamburgs erstreckt.

Dass naturwissenschaftliche Anstalten aus kleinen Anfängen entstehen, dass verschiedenartige Sammlungen zunächst in einer Bibliothek zusammenfließen, dann sich differenzieren und zu selbständigen Instituten heranwachsen, endlich eigene den besonderen Bedürfnissen angepasste Gebäude erhalten, ist eine Entwicklung, die sich vielfach wiederholt. Nicht gewöhnlich aber ist die starke und nachhaltige Beteiligung des Bürgertums an der Entstehung und dem Ausbau; sie beruht in gleichem Maße auf seiner Bildung wie auf dem Gemeinsinn, der auch die Ergebnisse der außerberuflichen Arbeit der Vaterstadt zum gemeinen Nutzen zuwendet. Mit diesem Gemeinsinn der Gelehrten und Liebhaber konnte auch der Staat rechnen, wenn er bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus nur zögernd die wissenschaftlichen Bestrebungen förderte. Der Stadtstaat hatte um seine Selbständigkeit nach außen zu ringen, die Franzosenzeit, Handelskrisen, später die großen finanziellen Anforderungen, die Handel und Schifffahrt stellen mussten — alles das sind Gründe genug, um zu erklären, dass der Staat die Wissenschaften nicht in dem Maße berücksichtigen konnte, wie es ihre Vertreter wünschten. Beide Teile wussten auch, dass die Übernahme einer Anstalt oder Sammlung durch den Staat gewiss deren größte Sicherung bedeutete, aber auch der Ausgangspunkt für eine rasche Entwicklung werden konnte, die in ihren Folgen nicht zu übersehen war. So schuf man Zwischenformen; Hergabe von Grund und Boden oder Räumen, auch laufende Beiträge auf Seiten des Staates, nebenamtliche und ehrenamtliche Tätigkeit auf der anderen Seite. Solche Halbheiten können eine Weile erträglich sein, jede wissenschaftliche Anstalt aber wird erst zur Blüte gelangen, wenn ihr ein Fachmann seine ganze Kraft widmet, der bei freiester Bewegung die volle Verantwortung für alle seine Maßnahmen hat, aber auch gestützt auf staatliche Mittel weitausblickende Pläne durch längere Zeit verwirklichen kann. Diese notwendige Verwaltungsform wurde denn auch allmählich für alle Institute erreicht. Der Weg dahin führte über Verwaltungskommissionen, in denen der nebenamtliche Zweiter, später der Direktor Sitz und Stimme hatte; schließlich wurden die Verwaltungskommissionen aufgegeben oder für einzelne Museen praktisch in Beiräte umgewandelt, die den Direktor mit den seinem Fache nahestehenden Bürgern und mit Behörden in Verbindung hielten und erst dadurch von vollem Werte für die Anstalt wurden. Den Vorsitz in solchen Kommissionen führte der Präses der Behörde, die sämtliche Anstalten umfasste. Einst stand das Akademische Gymnasium unter dem Scholarchat, später wurden die Institute der Oberschulbehörde unterstellt, die aber eine eigene Sektion für die wissenschaftlichen Anstalten bilden musste, da die untereinander völlig verschiedenartigen Institute ihrem Wesen nach mit den Schulen überhaupt nichts zu tun hatten.

Die Wissenschaftlichen Anstalten spiegeln natürlich in ihrem Wachstum den wirtschaftlichen Aufschwung Hamburgs wider. Als der Staat die von Vereinen oder Privaten geschaffenen Einrichtungen übernahm, bedachte er sie und die älteren Institute mit immer steigenden Mitteln, so dass sie mit diesen und den von jeher gespendeten privaten Zuwendungen auch etwa früher Versäumtes ausgleichen und mit ihren Sammlungen, Bibliotheken und Arbeitsmitteln den Umfang und Wert erreichen konnten, der sie heute auszeichnet. Von 1883 an entstanden die großen Neubauten, denen schon Erweiterungen folgen mussten. Denn die steigende Beteiligung Hamburgs am Welthandel brachte den Instituten neue und größere praktische Aufgaben, vor allem aber ausgedehnte Forschungsgebiete und leichten Zugang zu den ausländischen Quellen von Sammlungen jeder Art. Nur eine wachsende Zahl von Mitarbeitern vermochte die Aufgaben zu bewältigen; was die Institute an wissenschaftlichen oder praktischen Ergebnissen leisteten, berichtet das seit 1884 erscheinende Jahrbuch der Wissenschaftlichen Anstalten mit seinen zahlreichen Beiheften, zeigen aber auch die langen Reihen der Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften, an denen die Gelehrten der Institute mitarbeiten.

War das Akademische Gymnasium eine wichtige Stütze der wissenschaftlichen Forschung, so lange es bestand, so hat es auch eine Hinrichtung geschaffen, die seine Auflösung überdauerte und sogar erst nach ihr die höchste Entwicklung erreichte. Die Vorlesungen des Gymnasiums waren ausschließlich den eingeschriebenen Hörern zugänglich. Seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts hielten aber alle Professoren, dem Beispiele des Mathematikers folgend, auch öffentliche Vorlesungen, und dies fand solchen Anklang, dass die Gesetzgebung es später festlegte. 1837 machte sie den Professoren ,,die Verbreitung wissenschaftlicher, sowohl eine allgemeine Bildung befördernder, als in das praktische Leben eingreifender Kenntnisse im Allgemeinen" zur Pflicht. So wurden Gebiete der Theologie, der klassischen Philologie, der Geschichte, der Mathematik, der Naturwissenschaften den nichtakademisch Gebildeten zugänglich gemacht, und dabei sollten auch die praktischen Bedürfnisse von Handel, Schifffahrt, Künsten und Gewerbe besonders berücksichtigt werden. Früh schon hielten auch Gelehrte, die weder dem Akademischen Gymnasium noch den Wissenschaftlichen Anstalten angehörten, Vorlesungen über ihre Fächer. 1854 ward wiederum eine aus der Erfahrung erwachsene Sonderung gesetzlich festgelegt: neben den öffentlichen Vorlesungen gibt es nun auch Fortbildungskurse für Lehrer, Kaufleute und andere Berufe. Als das Gymnasium aufgehoben wurde, ging die Verpflichtung öffentliche Vorlesungen zu halten auf die Direktoren und Assistenten der Wissenschaftlichen Anstalten über, und für Vorlesungen anderer Gelehrter wurden besondere Mittel bewilligt. Die Neuordnung des Allgemeinen Vorlesungswesens durch die Vorlesungs-Kommission der Behörde im Jahre 1895 ergab dann den systematischen Ausbau. Neben Hamburger Gelehrten wurden auswärtige aufgefordert, außer Professoren sprachen Lehrer der allgemeinen und Fachschulen, Pastoren, Privatgelehrte, Arzte, Verwaltungsbeamte, Richter, Offiziere, Architekten, Ingenieure, Künstler und Angehörige anderer Berufe. Besondere Sorgfalt wurde auf die gleichmäßige Berücksichtigung aller Fächer gelegt, so dass vor allem jedes Hauptfach innerhalb von 4 Jahren vollständig behandelt wurde; an die Vorlesungen schlössen sich Übungen, und neben den durch ein Semester durchgeführten Kursen wurden kürzere Vortragsreihen und Einzelvorträge eingerichtet. Die Übernahme des Vorlesungswesens durch den Staat schon vor Jahrzehnten bedeutete, dass es einem Bedürfnis entsprach. Jahr für Jahr wuchs der Kreis der Männer und Frauen, die mit Lebhaftigkeit und Ausdauer an den Kursen teilnahmen. Sie gehören überwiegend den Berufen an, die eine Hochschul- oder doch Fachbildung voraussetzen, aber auch andere fehlen nicht, und die Zahl der Teilnehmer übersteigt bei weitem die Zahl der Studenten der größten deutschen Universität. Begreiflich, da man 1899 erwog, ob man nicht diese fest gegründete Einrichtung ihrem Wesen entsprechend Volksuniversität oder Hochschule nennen sollte. Nach der technischen Seite tritt das Vorlesungswesen der Technischen Staatslehranstalten ergänzend ein, welche sine höhere Schule für Schiffbau, Schiffsmaschinenbau, Maschinenbau, Elektrotechnik, Schiffsmaschinenbetrieb umfassen. Eine Erweiterung ergab sich ferner daraus, dass die Hauptpastoren im Auftrage der Theologischen Prüfungskommission Vorlesungen für Kandidaten der Theologie, die Ärzte und wissenschaftlichen Mitarbeiter der staatlichen medizinischen Anstalten auf Veranlassung der Medizinal-Behörden Übungen und Vorlesungen für Ärzte einrichteten.

Diese medizinischen Anstalten haben sich vor allem in den letzten 30 Jahren besonders kräftig entwickelt. Dem Wachstum der Bevölkerung und den Fortschritten der Wissenschaft entsprach seit langem der Ausbau der staatlichen und privaten Krankenhäuser, neben denen der rege Wohltätigkeitssinn eine ganze Reihe von Heimen, Pflege- und Heilstätten schuf; der Hafenstadt eigentümlich ist das 1863 erbaute Seemannskrankenhaus. Von Bedeutung wurden die Erfahrungen des Jahres 1892, die zu wesentlichen Erweiterungen, vor allem auch zur Errichtung des Hygienischen Instituts führten. Stehen auch seine sanitären Aufgaben im Vordergrunde, die bakteriologische, chemische, sero-biologische, Nahrungsmittel- und andere Untersuchungen umfassen, so ist das Institut doch eine Heimstätte wissenschaftlicher Forschung und eine Lehranstalt mit den entsprechenden Einrichtungen. Auch die staatlichen Krankenhäuser erhielten Unterrichtsräume, besonders das Allgemeine Krankenhaus in Eppendorf dank den seit 1897 gehaltenen Fortbildungskursen für Ärzte. In neuester Zeit kam hier ein großes Institutsgebäude für Pathologie, Serologie, Physiologie und Chemie hinzu, sowie mehrere aus privaten Mitteln errichtete Forschungsinstitute. Aus dem Seemannskrankenhaus wuchs endlich 1900 das Institut für Schiffsund Tropenkrankheiten heraus, dessen 1914 bezogener gewaltiger Neubau neben einem für Laien bestimmten tropenhygienischen Museum und Räumen für den hafenärztlichen Dienst zahlreiche, mit allen Hilfsmitteln der Forschung eingerichtete Laboratorien, wissenschaftliche Sammlungen und Unterrichtsräume, endlich eine Krankenabteilung enthält.

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts verfügte Hamburg, abgesehen von seinen großen der Wissenschaft und der Praxis dienenden medizinischen Anstalten, über zwei alte und umfangreiche öffentliche Bibliotheken, neben einer ganzen Anzahl von Vereinsbibliotheken, 9 naturwissenschaftliche Institute und Museen, 2 kulturgeschichtliche Museen, dazu das Museum für Kunst und Gewerbe und die Kunsthalle. Und alle diese Einrichtungen standen nicht abseits als stille Arbeitsstätten der Wissenschaft. Fast um jede Anstalt bildete sich ein Kreis von Bürgern, deren Neigungen sie zu diesem oder jenem Fach führten; die Museen berieten die Sammler auf verwandten Gebieten, in den wissenschaftlichen und Fachvereinen waren die Gelehrten der Anstalten miteinander und mit einer großen Zahl von Interessenten aus allen Kreisen verknüpft. Eine Besonderheit aber ist es, dass jedes Institut, dessen Gebiet überhaupt Beziehungen zu praktischen Fragen hat, auch in großem Umfange dauernd einen bestimmten praktischen Wirkungskreis besitzt, der es mit Handel und Gewerbe verbindet. Die angewandte Wissenschaft ist die Brücke, welche auch die forschende Wissenschaft weit über die Akademiker, Autodidakten und Liebhaber hinaus in das Bürgertum trug; es wurde mit ihren Ergebnissen durch das eigenartige allgemeine Vorlesungswesen bekannt und in dauernder Verbindung gehalten.

Zwei verschiedene Aufgaben wurden in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts besonders deutlich. Wenn eine Reihe von Wissenschaften mit ihren Problemen überhaupt nicht auf Europa beschränkt ist, so wurden gerade die entsprechenden hamburgischen Institute schon allein durch ihre örtliche Bindung auf das Meer und die überseeischen Gebiete hingewiesen. Diese Institute stellten sich ihre eigenen Probleme und mussten darum auch selbst die Forschungsreisen unternehmen, später die Ergebnisse veröffentlichen. Dabei handelt es sich um den häufig wiederkehrenden Bedarf erheblicher Mittel, wie sie im Haushaltsplan einer Handelsstadt nur in günstigen Zeiten einmal erscheinen können. Auf der andern Seite hatte das Vorlesungswesen, das jährlich 200 Vorlesungen für rund 15 bis 16.000 Hörer veranstaltete, die Fortbildungskurse für Hörer mit Berufsbildung besonders stark entwickelt. Aus der Intensivierung der Lehrtätigkeit entstand von selbst das Bedürfnis nach ständigen hauptamtlichen Dozenten statt der wechselnden und immer nur auf Tage oder Wochen von auswärts berufenen. Den Aufgaben nach konnte es sich nur um Universitätsdozenten handeln, die wiederum gleich den Instituten Forschungsmittel brauchten. So ergab sich eine Gruppe von wissenschaftlichen Aufgaben, für die kein geeignetes Organ bestand. Wieder waren es Hamburger Bürger im Inlande und im Auslande, welche die Fragen lösten und große private Mittel zu der 1907 begründeten Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung vereinigten, deren Kuratorium sich aus Vertretern der verschiedensten Berufe zusammensetzt. Das erste große Unternehmen der Stiftung war eine 1908 — 1910 ausgeführte Forschungsreise nach Deutsch-Neu-Guinea, und diese Expedition war die erste, die nur ethnographische Ziele verfolgte, auf eigenem Schiff mit einem Stab von Gelehrten zwei Jahre lang in den Tropen arbeitete. Kurz darauf unterstützte die Stiftung eine große Zentral-Afrikanische Expedition, die überwiegend zoologische Ergebnisse heimbrachte; kleinere Studienreisen z. B. nach West- und Ostafrika, Spanien, Ägypten, Marokko, Mazedonien, dem Baltikum folgten in späteren Jahren. Neben den Veröffentlichungen über die Expeditionen sorgte die Stiftung weiter für die Herausgabe einer Reihe von wissenschaftlichen Werken, so die des Münchener Talmud Codex, ostasiatischer Inschriften, der Tagebücher Emin Paschas, und förderte mehrere von hamburgischen Gelehrten herausgegebene wissenschaftliche Zeitschriften wie „Islam", „Vox", ,, Zeitschrift für Eingeborenensprachen": auch eine hamburgische Biographie wird von der Stiftung vorbereitet; medizinische Forschungsinstitute wurden unterstützt und Mittel für bestimmte Forschungen bereitgestellt; endlich errichtete die Stiftung neben der vom Akademischen Gymnasium her bestehenden eine zweite Professur für Geschichte und ermöglichte die Berufung weiterer Professoren, zunächst des Vorlesungswesens.

Es waren große Mittel, die um diese Zeit der Wissenschaft vom Staat, von der Stiftung, von Vereinen, und Privaten zur Verfügung gestellt wurden, und sie wusste sie zu nutzen. Der Geist, in dem sie gegeben wurden, erinnert an die Stimmung, die vor Jahrzehnten einmal in Hamburg bestand. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erkennt der Verfasser einer anonymen Broschüre, dass ,,auch die erfolgreichste geschäftliche Tätigkeit doch nur Wert hat, wenn ihre oberste Spitze in Geist ausläuft". Man will auch nicht ,,Kärrner und Handlanger deutscher Kultur sein", sondern die wissenschaftlichen Quellen Hamburgs und die Werte, die es nach Deutschland schafft, in Hamburg selbst in Geist umsetzen. Man forderte die Ergänzung der Forschung durch die Lehre, also die Universität. Auch ihr Aufbau wird damals schon klar vorgezeichnet: Die Universität soll dem deutschen Typus folgen, aber ein der Eigenart Hamburgs entsprechendes Gepräge erhalten. Diese Gedanken verschwanden bald aus der Öffentlichkeit, denn die Zeit hatte andere Aufgaben, aber sie blieben doch lebendig. Sie stehen vom Ende des Jahrhunderts ab wieder dauernd zur Erörterung, und die äußeren Umstände waren ihnen günstiger, denn Handel und Wandel blühten. An der Spitze der Unterrichtsbehörde stand seit 1904 Bürgermeister Dr. Werner von Melle, der schon in der Kommission für die Neuordnung des Vorlesungswesens den Vorsitz führte, den Wissenschaftlichen Anstalten jede Förderung gewährte, die Wissenschaftliche Stiftung begründete, und nun die reichen und fruchtbaren wissenschaftlichen Einrichtungen Hamburgs dem Zusammenschluss zu einem festen und einheitlichen Organismus entgegenführte.

An sich war die Universität jetzt zum großen Teil eine Frage des Entschlusses, zu einem andern eine Frage der Mittel und noch dazu nicht einmal besonders großer, da schon eine ganze Reihe von Instituten vorhanden war, deren Umfang sogar weit über das an Universitäten Notwendige hinausging. Aber noch ließ sich der Ausdruck für die mit Recht einst geforderte Eigenart nicht finden, obgleich schon 1845 erkannt worden war, dass sie z. B. in der Pflege der neueren Sprachen, der Beziehungen zu überseeischen Gebieten, der intensiven Praxis auf dem Gebiete des Handels- und Seerechts, des Assekuranzwesens bestehen müsste.

Auf dem Wege zu dieser Universität lag nun das Hamburgische Kolonialinstitut. Das Reichskolonialamt wünschte zweierlei zu verwirklichen: die wissenschaftliche Vorbildung der Kolonialbeamten und zwar gemeinsam mit Privatpersonen, die in die Kolonien zugehen beabsichtigten, ferner die Schaffung einer Zentralstelle, in der sich alle wissenschaftlichen und wirtschaftlichen kolonialen Bestrebungen konzentrieren könnten. Wohl konnte das wissenschaftliche Ziel wenngleich mit erheblichen Aufwendungen auch im Binnenlande erreicht werden, aber nur in Hamburg war zugleich mit überseeisch gerichteten Instituten und Vorlesungen der Hintergrund des großen Handels und Verkehrs gegeben, der den Auszubildenden eindringlich die Bedeutung überseeischer Betätigung vor Augen führt. Auf Grund der Vereinbarung vom 21. Januar 1908 mit dem Reichskolonialamt, der bald auch das Reichsmarineamt beitrat, wurde nach einstimmigem Beschluss von Senat , und Bürgerschaft das Hamburgische Kolonialinstitut durch Gesetz vom 6. April 1908 errichtet. Auch die Raumfrage wurde in glücklichster Weise gelöst, die für das Allgemeine Vorlesungswesen längst zu Unzuträglichkeiten geführt hatte und nun für das neue Kolonialinstitut mit seinem Bedarf an Hörsälen und Seminaren besonders wichtig war: ein Hamburger Bürger und Mitglied des Kuratoriums der Wissenschaftlichen Stiftung schenkte dem Staate das stattliche und zweckmäßige Vorlesungsgebäude, das 1911 bezogen wurde. Die Organisation des Kolonialinstituts schloss sich an die einer Universität an, insofern es dem Senat unmittelbar unterstellt wurde; aber dem in dessen Namen die Aufsicht führenden Senatskommissar waren zur Verbindung mit Reichskolonialamt und Reichsmarineamt Kommissare beigegeben, und die dauernde Verknüpfung mit dem Handel stellte ein von der Handelskammer erwählter kaufmännischer Beirat her.

Von großer Bedeutung wurde von vornherein die Zentralstelle des Kolonialinstituts, die den Verkehr mit Handelskammern, Vereinen gewerblicher Unternehmer, kolonialen Erwerbsgesellschaften, Missionen, Banken, Firmen usw. herstellte, Auskünfte erteilte, Informationsmaterial sammelte und Materialien für Dozenten und Institute beschaffte. Alle Angelegenheiten des Unterrichts jedoch ordnete der aus den Professoren bestehende Professorenrat selbständig. Ihm gehörten zunächst die Direktoren der Sternwarte, des Naturhistorischen Museums, der Botanischem Staatsinstitute, des Mineralogisch-geologischen Instituts, des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten, des Museums für Völkerkunde, die Professoren für Geschichte und der kürzlich berufene Professor für Nationalökonomie ferner die aus Anlass der Errichtung des Kolonialinstituts berufenen Professoren für öffentliches Recht, für Geographie und für Geschichte und Kultur des Orients an. Am Unterricht beteiligten sich weiterhin die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Institute; Verwaltungsbeamte, Richter, Missionare, Praktiker hielten Vorträge oder Semestervorlesungen; technische Hilfsfächer und Fertigkeiten, deren der Europäer zumal in tropischen und subtropischen Ländern bedarf, wurden gelehrt. Für die Veröffentlichung von Forschungen trat zu dem ,,Jahrbuch der Wissenschaftlichen Anstalten" die Reihe der ,, Abhandlungen des Kolonialinstituts". In den folgenden Jahren ging das Kolonialinstitut eigene Wege. Dass man keine eigene Kolonial-Wissenschaft begründen kann, wie man wohl im Binnenlande meinte, war ebenso klar, wie die Unmöglichkeit, mit der Forschung oder der Lehre gerade dort Halt zu machen, wo die Arbeit der Diplomaten den Grenzstrich gezogen hatte. Und wenn deutsche Kolonien in Afrika und der Südsee lagen, so besaßen Hamburger Firmen ihre Handelsniederlassungen, Pflanzungen und andere Unternehmungen doch nicht nur dort, und große Hamburger Reedereien hatten zwar im afrikanischen Verkehr ausschlaggebenden Anteil, aber sie verknüpften auch die Levante, Amerika, Asien, Australien unmittelbar mit dem Heimathafen. Das Kolonialinstitut, das nicht einfach nützliche Kenntnisse schulmäßig vermitteln, sondern der Wissenschaft dienen sollte, folgte dem Hamburger Handel und Verkehr. In rascher Folge werden neue Professuren geschaffen für afrikanische Sprachen, für Geschichte und Kultur Russlands, für Sprache und Kultur Chinas, für Sprache und Kultur Japans, für Kultur und Geschichte Indiens und mit voller Absicht sind in den Benennungen der Professuren Sprache und Kultur, Kultur und Geschichte genannt.

Alle diese Professoren lasen auch im Allgemeinen Vorlesungswesen, für das andererseits eine Professur für deutsche Sprachwissenschaft, die besonders das Niederdeutsche pflegen sollte, errichtet wurde, endlich, dem besonderen Wunsche der Kaufmannschaft entsprechend, eine Professur für Versicherungs-Wissenschaft. Und alle diese Professuren wurden mit Seminaren ausgestattet, die Professur für Philosophie auch mit einem psychologischen Laboratorium, während für das Studium von Eingeborenensprachen das Phonetische Laboratorium entstand, das größte in Europa. An das Seminar für romanische Sprachen und Kultur lehnt sich das private Ibero-amerikanische Institut, das die wichtige Verbindung mit Spanien, Portugal und Latein-Amerika pflegt. Als äußeres Zeichen des regen wissenschaftlichen Lebens am Kolonialinstitut erscheinen Zeitschriften für Wissensgebiete, die nun in Hamburg besonders gepflegt werden, während die Zentralstelle, deren rasch wachsendes Arbeitsgebiet bald die Anstellung von zahlreichen wissenschaftlichen und technischen Hilfsarbeitern erforderte, die Zeitschrift ,,Wirtschaftsdienst" herausgab.

Das Kolonialinstitut war bei seiner Begründung schon allein durch den Umfang der wissenschaftlichen Institute und die ersten Professuren weit über den Rahmen der deutschen Kolonien hinausgewachsen. Es verbreiterte sein Arbeitsgebiet praktisch auf alle Länder, die mit Hamburg in kulturellen Beziehungen standen, aber es blieb eine Fachhochschule mit deren Mängeln. Die Innern Bedürfnisse des Kolonialinstituts forderten die Abrundung zur allgemeinen Hochschule. Auf der andern Seite verlangte auch das unwirtschaftliche Nebeneinander des Allgemeinen Vorlesungswesens und des Kolonialinstituts die Verschmelzung. Beiden Forderungen konnte nur die Umwandlung in eine Universität genügen. Aber zunächst überwogen die Bedenken. Es waren dieselben Einwände und Befürchtungen, die seit einem Jahrhundert in jeder Großstadt und jeder Handelsstadt, die eine Universität erhalten sollte, auftauchten, leidenschaftlich verfochten, aber vergessen wurden, sobald sie sie hatten. Durch Jahre zogen sich die Verhandlungen; der Versuch, irgendein, das Vorlesungswesen und das Kolonialinstitut aufnehmendes Gebilde zu finden, endete aus inneren Gründen bei der Universität. Noch ehe sie beschlossen war, richteten die Professoren aus eigenem Entschluss und unterstützt von der Wissenschaftlichen Stiftung Universitätskurse ein für die vielen aus dem Felde und der Etappe zurückströmenden Abiturienten und Studenten, die ihre Studien beginnen oder vollenden wollten. Dieses Notsemester zeigte, was Hamburg schon besaß. Die medizinischen Fächer konnten mit Ausnahme der Anatomie den vollen Unterricht beginnen, den philosophischen fehlten vor allem die Fächer der klassischen Philologie, den naturwissenschaftlichen die Mathematik; nur die juristischen bedurften weitgehender Ergänzung. Professoren der Nachbaruniversitäten und Hamburger Akademiker halfen den Unterricht vervollständigen. Das Universitätsgesetz schuf dann den Organismus und stellte die Mittel bereit, um vier Fakultäten auf den durchschnittlichen Stand der deutschen Universitäten zu bringen; die Professoren der Volkswirtschaftslehre bildeten mit denen der Rechtswissenschaft die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät, die in neuester Zeit noch durch eine Professur für Ausländisches Recht erweitert wurde; der medizinischen Fakultät gehören Ärzte fast aller staatlichen Krankenhäuser an; die philosophische Fakultät, welche vielfach die historisch-philologischen und die naturwissenschaftlichen umfasst, wurde nicht in dieser Gestalt errichtet, sondern nur aus den ersteren gebildet, während die letzteren mit der Mathematik die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät ergaben. Den neuen Lehrstühlen entsprechend wurden endlich teils neue Seminare geschaffen teils vorhandene erweitert; die Institute, Laboratorien und Museen traten in die Universität ein. Sie führt auch das wichtige Vorlesungswesen weiter und übernimmt aus ihm die wertvollen Vorträge und kurzen Vorlesungen von Akademikern und Praktikern über Gebiete, die nicht in den Fakultäten vertreten sind. Das Kolonialinstitut, dessen Namen längst nicht mehr den Tatsachen entsprach, ist als solches verschwunden, aber die Gedanken, die seine Begründung leiteten, bestehen fort.

Die Zentralstelle des Kolonialinstituts hatte sich nach zehnjähriger Tätigkeit zum ,,Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv" entwickelt, das die Gesamtheit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung aller Länder verfolgte. Zu dem Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft in Kiel, dem Ibero-amerikanischen Institut, dem Reichswanderungsamt, der Außenhandelsstelle des Auswärtigen Amts wurden enge Beziehungen hergestellt, und das Material, das in je einem Archiv über die Länder, die Privatwirtschaft, Marktberichte, Produkte, Personen, Presse. Weltkrieg untergebracht ist, stellt heute die vielseitigste und größte Sammlung ihrer Art dar. Dieser Bedeutung entsprechend trat das Welt-Wirtschafts-Archiv in die Reihe der hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten, die mit der Universität verbunden sind.

Die Lehrtätigkeit des Kolonialinstituts übernahm die Universität mit erweiterten Zielen: wenn allen Deutschen, die ins Ausland gehen, in Hamburg das wissenschaftliche Rüstzeug geboten wird, dessen sie für eine erfolgreiche Betätigung bedürfen, so muss auch der in der Heimat verbleibende Deutsche die Möglichkeit haben, sich ernsthafte Kenntnisse über das Ausland zu erwerben, die er dann weitertragen kann in Schule und Volk. Der Universitätssenat hat darum aus allen Dozenten, die fachliche Beziehungen zum Auslande haben, einen Ausschuss für Auslandsstudien gebildet. Er teilt sich, den Kulturgebieten entsprechend, in je eine germanische, anglo-amerikanische, romano-amerikanische, asiatische, afrikanische, indo-ozeanische Gruppe. Jede von ihnen erhält einen Beirat aus Kaufleuten und Angehörigen anderer praktischer Berufe, stellt ihren Lehrplan auf und sorgt für die Beschaffung von Unterrichtsmitteln. So übernimmt der Ausschuss für Auslandsstudien die bewährte Überlieferung des Kolonialinstituts; er betont die Eigenart der hamburgischen Universität, die eben in den Auslandsfächern wesentlich über jede andere deutsche Universität hinausgeht.

Die neue deutsche Universität wird damit der wichtigste Sammelpunkt wissenschaftlichen Lebens in Hamburg werden und will an ihrem Teil dazu beitragen, die durch den Krieg zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen und zu festigen, die von der größten Hafenstadt Deutschlands hinüberführen zum Auslande und vor allem zu den Landsleuten in Übersee.