Die Tagespresse von Dr. Arthur Obst, Vorsitzender des Journalisten- und Schriftsteller-Vereins

Unter den deutschen Städten, die im Beginn des 17. Jahrhunderts sich gedruckter Zeitungen rühmen durften, war Hamburg eine der ersten. Im Jahre 1616 ging nach Hagedorns Forschungen Johann Meyer, ein Fracht- und Güterbestätter zu Hamburg, der durch seinen Beruf mit den Handelshäusern in ständiger Beziehung stand, dazu über, die in den Geschäftsbriefen der Kaufleute enthaltenen Mitteilungen über politische und militärische Ereignisse sowie über sonstige Vorkommnisse anstatt wie bisher handschriftlich, durch den Druck zu vervielfältigen. (Die ältesten Berliner Blätter, die uns erhalten sind, stammen erst aus dem Jahre 1617.) Ein hamburgischer Bürgermeister Vinzenz Moller war es, der schützend dem jungen Unternehmen zur Seite stand und es nicht nur gegen unlautere Konkurrenz in der eigenen Stadt, sondern auch gegen den Gräflich Taxisschen Postmeister Hans Jakob Kleinhans in Wandsbek, der ebenfalls eine Zeitung drucken ließ und in Hamburg verkaufte, zu verteidigen wusste. So bestanden seit 1630 in Hamburg schon zwei Zeitungen: Johann Meyers "Wöchentliche Zeitung" und Kleinhans ,,Ordentliche Postzeitung". Es ist durch Nachrichten belegt, dass diese Hamburgischen Zeitungen nicht nur in der Umgegend weit verbreitet waren, sondern auch eifrig nachgedruckt wurden, gaben doch die Zeiten des dreißigjährigen Krieges reichen Stoff für die Zeitungen und flössen doch in Hamburg, das durch seine starken Mauern von den Gräueln des Krieges verschont blieb, die Nachrichten aus aller Herren Länder reichlich zusammen. Als erste Hamburgische Zeitung im modernen Sinne erschien der seit dem 16. Dezember 1673 von Thomas von Wiering herausgegebene Relationscourier, der zuletzt im Besitz von Arnold Schuback befindlich sich bis in die Napoleonische Zeit hielt und erst durch das Erscheinungsverbot der französischen Fremdherrschaft einging. Mehrere kleinere Blätter, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auftauchten, konnten sich nur kurze Zeit halten.

Man wird nicht fehl gehen, wenn man ihren Untergang mit darauf zurückführt, dass inzwischen das Hamburger zeitungslesende Publikum ein Organ erhalten hatte, das sogar die berühmte und einflussreiche Oberpostamtszeitung in Frankfurt a. M. überflügelte und deshalb so bedeutungsvoll wurde, weil es sich, wie Ludwig Salomon, der Geschichtsschreiber des Deutschen Zeitungswesens es einmal ausdrückt ,,unbefangen dem großen politischen Gärungsprozesse gegenüberstellte und die historischen Vorgänge nach ihrer wirklichen Bedeutung hin abzuschätzen verstand" . . Es war der Hamburgische Unparteiische Korrespondent. Sonderbarer Weise erschien dieses Blatt zuerst nicht in Hamburg, sondern in dem benachbarten holsteinischen Dorfe Schiffbeck. Der dortige Buchdrucker Hermann Heinrich Holle gab wahrscheinlich schon von 1710 an ein Blatt unter dem Namen Schiffbecker Posthorn heraus, das so gefiel, dass er es schon bald erweitern konnte; es erschien vom 22. Juli 1712 ab unter dem Titel ,, Aviso oder Holsteinische unparteiische Correspondente" zweimal wöchentlich. Schon damals war die Zeitung auch an der Börse in Hamburg zu haben. Aus unbekannten Gründen stellte Holle das Erscheinen seines Blattes von 1714 bis 1721 ein, es erschien dann aber unter dem Titel ,,Staats- und gelehrte Zeitung des Holsteinischen unparteiischen Korrespondenten" etwas anspruchsvoller wieder und blieb bis auf den heutigen Tag unter wechselndem Titel und Besitzern bestehen. Zunächst übernahm Holles Schwiegersohn Grund die Zeitung und übersiedelte mit dem Verlag nach Hamburg, wo sie von 1731 weiter erschien, nachdem die Bezeichnung Holsteinischer durch Hamburger ersetzt worden war.


Zu den um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Hamburg bestehenden Zeitungen gesellten sich von 1766 an die Hamburger Neue Zeitung und die Hamburgischen Adress-Comptoir-Nachrichten, für die Johann Hoeck kaiserliche Privilegien erhalten hatte. Alle Zeitungen hatten sich hervorragende Schriftleiter und Mitarbeiter gesichert und besaßen Korrespondenten in allen Hauptstädten. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die Hamburgischen Zeitungen ,,die höchste Entwicklung im deutschen Zeitungswesen des 18. Jahrhunderts erreichten" und der Hamburgische Korrespondent zu einer Zeit (um 1800), wo die ,,Times" in 8.000 Exemplaren aufgelegt wurde, auf eine Auflage von 20 — 30.000 Stück geschätzt wurde. Diese Bedeutung ging soweit, dass in Warschau von 1788 ab mehrere Jahre hindurch eine französische Übersetzung des ganzen hamburgischen Korrespondenten als ,,Gazette de Hambourg" erschien und für die zahlreichen Emigranten in Hamburg eine besondere Übersetzung dieses Blattes unter demselben Titel gedruckt wurde. Noch ehe das 18. Jahrhundert zum Abschluss kam, wurde in Hamburg ein Blatt gegründet, das damals ein Konkurrenzunternehmen gegen die Wieringsche Zeitung angesehen wurde: die Wöchentlichen Gemeinnützigen Nachrichten von und für Hamburg (jetzt „Hamburger Nachrichten"). Vielleicht war diese am 29. Februar 1792 zuerst von Johann Heinrich Hermann aufgelegte und zunächst nur als Intelligenzblatt gedachte Zeitung als Fortsetzung des Privilegierten Hamburgischen Anzeigers des Ratsbuchdruckers König aus dem Jahre 1737 gedacht.

In dieses blühende, weit über die Grenzen der Stadt wohlbekannte Zeitungswesen fiel wie ein Frostschauer die Napoleonische Zeit. Am Beginn des Jahres 1812 hatte Hamburg nur noch zwei Zeitungen, von denen nur eine, der Korrespondent, politischen Charakters war. Alle andern waren unterdrückt. Nur langsam erholte sich das Buchdruckergewerbe wieder von den schweren Schlägen der Franzosenherrschaft. Die Zeit nach der Befreiung bis 1848 zeigt uns sein allmähliches Erstarken, und mit dem wachsenden politischen Interesse auch die Zunahme des Bestrebens, sich publizistisch zu betätigen. Der erste, der sich wieder an die Herausgabe eines Blattes heranwagte, war Friedrich Menck, der den Beobachter an der Alster, oder wie er sein Blatt bald nannte, den Hamburger Beobachter herausgab. Diesem Blatt fügte er 1823 das Archiv für Kunst und Wissenschaft und 1828 die Fremdenliste hinzu. Nachdem 1834 Beobachter und Archiv vereinigt waren, ging die Fremdenliste zunächst in den Beobachter und dann in die Morgenzeitung über, die 1852 Mencks ältestes Zeitungsunternehmen ablöste. Während die Hamburger Nachrichten seit 1814 wochentäglich erschienen, blieb der Korrespondent noch bis 1812 bei seinem viermal wöchentlichem Erscheinen stehen. Der Beobachter kam wöchentlich einmal, später zweimal heraus. Gerhard v. Hosstrups leisten der Börsenhalle, am 19. Juli 1805 gegründet, wurden von 1819 ab wöchentlich sechsmal aufgelegt, erhielten aber neben ihrer Wichtigkeit für den Handel ihre eigentliche Bedeutung erst, als die Adress-Comptoir-Nachrichten sich 1846 durch ihre Haltung in der Schleswig-Holsteinischen Frage die Entziehung des Debits in den Herzogtümern und dem Dänischen Reiche, ihrem Hauptabsatzgebiet, zugezogen hatten und daher ihr Erscheinen einstellen mussten.

Die verhältnismäßig milde Handhabung der Zensur in Hamburg, die sogar zur Folge hatte, dass Blätter wie der ,,Telegraph für Deutschland" von Frankfurt a. M. hierher verlegt wurden, ließ noch in der vormärzlichen Zeit eine Reihe von Blättern entstehen, von denen aber nur der 1824 gegründete Freischütz eine längere Lebensdauer hatte. Er erschien bis 1877 und ging dann ins Hamburger Fremdenblatt über. Kaum aber war die Presse von den lähmenden Banden der Zensur befreit, so sprossen die Zeitungen auch in Hamburg massenweise empor. Eine sehr große Beliebtheit errang die 1848 von J. F. Richter gegründete und Moritz Reichenbach äußerst geschickt redigierte Reform. Nicht ohne Verdienst um die freiheitlichere Ausgestaltung der hamburgischen Verfassung und des gesamten Lebens der Stadt vermochte die Zeitung sich in späteren Jahren doch nicht mehr zu halten, da die Nachfolger Richters die Zeichen der Zeit nicht mehr richtig zu deuten verstanden. Am 28. Februar 1892 stellte die Zeitung ihr Erscheinen ein. Um dieselbe Zeit ging ein anderes Blatt ein, das ein Vierteljahrhundert hindurch infolge seiner der Reform ähnlichen Aufmachung namentlich in den unteren Schichten des Volkes gern gelesen wurde: die Hamburg-Altonaer Tribüne. 1861 war sie von Sahlmann begründet, am 25. Dezember 1892 erschien ihre letzte Nummer.

Die Vorrechte der alten Blätter, von denen Korrespondent, Nachrichten und Börsenhalle weiter bestanden, waren durch die Aufhebung der Zensur 1848 und durch das Reichspressegesetz von 1874 geschwunden. Die Börsenhalle, die seit 1855 täglich in zwei Ausgaben erschien, war im Jahre 1868 mit dem Korrespondenten zusammen in den Besitz der neu gegründeten Aktiengesellschaft Neue Börsenhalle übergegangen. Seitdem hat der Verlag beider Blätter mehrfach gewechselt. Mitsamt dem seit 1884 übernommenen Handelsblatt ging er zunächst in den Besitz von August Scherl über, unter dessen Leitung das alte Hamburger Börsenblatt mit dem 31. Dezember 1902 im 98. Jahrgang zum letzten Male erschien. Mit dem 1. Januar 1903 wurde als Morgenausgabe die neue Hamburger Börsenhalle vorgelegt, die aber als selbständiges Blatt aufhörte, als der Korrespondent abermals den Besitz wechselte und in den Verlag von Ernst Hirt überging. Sie blieb aber Beiblatt des Hamburgischen Korrespondenten. Derselbe Zeitungsunternehmer gibt seit 1897 die Hamburger Neuesten Nachrichten heraus, die aus der seit 1891 erschienenen Hamburger Freien Presse und der 1893 begründeten Hamburger Zeitung, die verschmolzen wurden, hervorgegangen sind. Die Mittagsausgabe des Korrespondenten ist mehr und mehr zu einem selbständigen Organ, dem Mittagsblatt, geworden, das sich namentlich in neuester Zeit in Redaktion und Aufmachung wesentlich von dem altehrwürdigen Organ unterscheidet.

Im Gegensatz zum Korrespondenten, Hamburgs ältestem Blatt, das jetzt im 190. Jahrgang steht, sind die Hamburger Nachrichten ununterbrochen in einem und demselben Verlag, Hermanns Erben, erschienen. Eine hervorragende politische Bedeutung gewannen sie, als Dr. Emil Hartmeyer sen. dem Fürsten Bismarck nach seiner Entlassung „das weiße Papier seines Blattes zur Verfügung stellte" und fortan viele Leitartikel und sonstige Aufsätze der Nachrichten als Äußerungen des Altreichskanzlers galten. Auch nach dem Tode des Fürsten ist die Zeitung diesen Traditionen getreu geblieben. Wie der Korrespondent ist auch diese Zeitung zu dreimaligem Erscheinen übergegangen; nachdem man schon früher einmal eine Fünfuhr-Nachmittags-Ausgabe veranstaltet hatte, die aber bald wieder eingestellt wurde, erscheint seit dem 18. Februar 1919 nach dem Vorbilde der Berliner .,BZ am Mittag" eine „HN am Mittag", die ihr Hauptgewicht auf Sport und die Ereignisse des Tages legt, die sich bis zum Börsenbeginn zugetragen haben. Auch Illustrationen weist das Blatt auf.

Die größten Wandlungen unter den alten Hamburger Blättern hat die Hamburger Morgenzeitung, jetzt das Hamburger Fremdenblatt durchgemacht. Die ständig neben der Morgenzeitung erscheinende Fremdenliste, die seit 1862 als ,,Fremdenliste, Handels- und Coursblatt", der Morgenzeitung einen Untertitel verliehen hatte, wurde seit 1863 als Hamburger Fremdenblatt Haupttitel. Während bis dahin die Morgenzeitung morgens und abends herausgegeben war, erschien das Blatt vom 24. September 1864 nur des Abends und war bis zum Ausbruch des Weltkrieges seit dessen Beginn es sofort morgens in zweiter Ausgabe erschien, das tüpische Abendblatt Hamburgs. 1907 erwarb Albert Broschek den Hauptanteil und verwandelte das Unternehmen später in die Kommanditgesellschaft Albert Broschek & Co., in deren Verlag das Fremdenblatt, das sich durch die Einführung des Kupfertiefdruck-Verfahrens in den Rotationsdruck ein neues eigenartiges Gepräge verliehen hat, jetzt im 92. Jahrgang erscheint.

Mit dem Erwachen stärkeren politischen Lebens in Hamburg hat sich auch die Parteistellung der älteren Blätter Hamburgs ausgebildet. Während die Nachrichten in Bismarckschen Überlieferungen wandelnd den deutschnationalen Standpunkt vertreten, ohne indessen direktes Organ dieser Partei zu sein, gibt der Correspondent in seinen politischen Darlegungen die Auffassung der Deutschen Volkspartei wieder. Das Hamburger Fremdenblatt, an sich vollständig unabhängig, steht den Anschauungen der Deutschen Demokratischen Partei nahe. Der lebhafter sich betätigende politische Sinn und namentlich die Zunahme der Hamburger Bevölkerung seit dem Zollanschluss legte auch die Gründung neuer Zeitungen nahe. Insbesondere forderte das Anwachsen der Sozialdemokratie naturgemäß ein eigenes Organ für diese Partei: das Hamburger Echo wurde 1887 gegründet als Fortsetzung von drei infolge des Sozialistengesetzes verbotenen Blättern, unter denen namentlich die Bürgerzeitung besondere Erwähnung verdient. Der im Jahre darauf gegründete General-Anzeiger, machte insofern von Blättern gleichen Schlages und Ursprungs eine rühmliche Ausnahme, als er nicht parteilos blieb, sondern sich der fortschrittlichen Volkspartei, nach der Revolution der Deutschen Demokratischen Partei anschloss. Der gleichen politischen Farbe gehört die 1896 aus demselben Verlage hervorgegangene Neue Hamburger Zeitung an, jetzt im Verlage von Hendel & Co. Endlich ist aus der Vorkriegszeit noch das seit 1893 in der Hanseatischen Druck- und Verlagsanstalt erschienene Deutsche Blatt zu erwähnen, das die Ansichten der Deutschsozialen Reformpartei vertrat und später den Titel Deutschsoziale Blätter annahm. Nach dem Kriege ist das Organ nicht wieder erschienen.

Während des Krieges haben wie die gesamte deutsche Presse auch die Hamburger Zeitungen durch die Militärzensur unendlich viel zu leiden gehabt; es hat hier wie anderswo nicht an Zensurlücken, Androhung der Vorzensur und sogar an Erscheinungsverboten gefehlt. Als die Revolution den Krieg ablöste, konnte man dieselbe Beobachtung machen wie 1848: das Erscheinen von einer Menge von Zeitungen, denen von vornherein das Stigma der Eintagsfliege auf dem Titelblatt stand. Geblieben sind hiervon nur die Hamburgische Volkszeitung, das Organ der Unabhängigen Sozialistischen Partei Deutschlands, die Kommunistische Arbeiterzeitung und ihre Antipode, die Hamburger Warte.

Damit ist die Entwicklung auf dem Gebiet der hamburgischen Presse aber noch keineswegs abgeschlossen. Wie alles bei uns im Fluss ist, wie Parteien und wirtschaftliche Zusammenschlüsse überall neu erstehen, so kann auch jeder Augenblick neue Zeitungsgründungen hervorrufen. War aber angesichts des ungeheuren Kapitals, das zur Gründung und namentlich Durchführung einer allen modernen Ansprüchen gerecht werdenden Tageszeitung erforderlich ist, schon vor dem Kriege die Gründung eines Zeitungsunternehmens eine außerordentlich schwierige und mit ungeheuren Opfern und Aufwendungen verbundene Aufgabe, so gilt das heute angesichts der Knappheit und Teuerung des Papiers und aller andern zur Herstellung einer Zeitung erforderlichen Rohstoffe, der Erhöhung der Gehälter und Löhne, wie der Post-, Telegraphen- und Telefon-Gebühren in erhöhtem Maße. In der Zeit des Wiederaufbaues wird es daher in erster Linie Aufgabe der deutschen Presse sein, den hohen kulturellen und wirtschaftlichen Stand wieder zu erreichen, den sie, wie vor Beginn des napoleonischen Zeitalters, so auch vor Ausbruch des Weltkrieges besaß. Das wird eine schwere Arbeit sein, aber sie wird veredelt durch das Bewusstsein, saß jeder Fortschritt, der sich in der Presse widerspiegelt, gleichzeitig ein Gewinn an den Kulturgütern des Volkes ist.