Das Fachschulwesen von Schulrat Prof. Dr. K. Thomae

Das öffentliche Fachschulwesen für die männliche hamburgische Jugend ging aus den 1767 begründeten Unterrichtseinrichtungen der „Patriotischen Gesellschaft" hervor, die 1865 vom Staate als „Staatliche Gewerbeschule und Schule für Bauhandwerker" übernommen wurden. Das Fachschulwesen für die weibliche Jugend, soweit es nicht Erwerbszwecken dient, liegt auch heute noch größtenteils in den Händen von gemeinnützigen Vereinen.

Durch den Ausbau des deutschen Schulwesens zur Einheitsschule werden auch in Hamburg innere Beziehungen zwischen Berufsschulen und allgemeinbildenden Schulen hergestellt werden. Voraussichtlich wird Hamburg eine vierjährige Grundschule für die gesamte schulpflichtige Jugend erhalten, von der sich für die folgenden Altersstufen den verschiedenen Anlagen und Begabungen der Kinder sowie den Anforderungen des Wirtschaftslebens angepasste Äste abzweigen. Die große Masse der Kinder tritt in Unterrichtseinrichtungen von vier- bis fünfjähriger Dauer über, und zwar je nach ihrer mehr technisch-künstlerischen oder praktischen Begabung in besondere Züge, die sie unmittelbar in das Erwerbsleben oder entsprechende Berufsschulen entlassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass derartige Schulen auch die Aufgaben der heute im hamburgischen Staatsgebiet bestehenden staatlichen Realschulen und der, meist noch privaten, höheren Mädchenschulen übernehmen, also bis zur sogenannten ,,mittleren Reife" führen werden. Ein kleiner, besonders ausgelesener Teil der Kinder wird aus der Grundschule in Schulen mit acht- bis neunjährigen Kursen übergeführt, die in ihren verschiedenen Zweigen den bisherigen Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen sowie den Studienanstalten und Oberlyzeen für Mädchen entsprechen und voraussichtlich auch noch einen neuen Zweig, die deutsche Oberschule, entwickeln werden. Sie entlassen ihre Schüler zu den eine eingehendere wissenschaftliche Vorbildung erfordernden Berufen oder zur Hochschule, sie vermitteln die ,,obere Reife". Besondere Übergangseinrichtungen werden es ermöglichen, auch durch die nur die ,,mittlere Reife" vermittelnden Schulen in die Schulen für ,,obere Reife" zu gelangen.


Die allgemeinbildenden Schulen werden sich nicht damit begnügen, dem künftigen Berufe ihrer Schüler durch die verschiedene Gestaltung des auf die Grundschule folgenden Unterrichts Rechnung zu tragen, sondern werden die Schüler auch über die Bedeutung des Berufs und der Berufswahl aufklären und durch Einblicke in das Berufsleben ihre Neigungen auf bestimmte Berufe hinzulenken suchen. Schon jetzt legen sie es den Schülern ans Herz, vor der Entscheidung über die Berufswahl den Rat der dem Arbeitsamt angegliederten Zentrale für Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung einzuholen, der sie vorher die Ergebnisse ihrer im Laufe der Schulzeit angestellten Beobachtungen über die körperliche und geistige Beschaffenheit der Schüler zur Verfügung gestellt haben.

Im beruflichen Schulwesen lassen sich zwei große Gruppen unterscheiden: Schulen, die neben der Berufsausbildung in einer beschränkten Anzahl von Tagesstunden oder abends und am Sonntagvormittag besucht werden, und Schulen mit vollem Tagesunterricht, die eine berufliche Betätigung daneben nicht gestatten und diese daher entweder unterbrechen oder ihr vorausgehen. Zur ersten Gruppe gehören vor allem die Pflichtfortbildungsschulen. Nach dem Gesetz über die Fortbildungsschulpflicht vom Oktober 1919 müssen alle Jugendlichen beiderlei Geschlechts im hamburgischen Staatsgebiet nach Beendigung der Volksschulpflicht drei Jahre lang oder bis zum Ablauf einer länger dauernden Lehrzeit die beruflich gegliederte Fortbildungsschule in acht wöchentlichen, in der beruflichen Arbeitszeit liegenden Unterrichtsstunden besuchen, zu denen nach Beschaffung der nötigen Turnhallen noch zwei Stunden für Leibesübungen treten sollen. Die Lehrlinge des Handwerks und der Industrie genügen ihrer Fortbildungsschulpflicht in 3 Gewerbeschulen, von denen eine den weiblichen Handwerkslehrlingen vorbehalten ist. Die in der Entwicklung begriffenen Pflichtschulen für Lehrlinge in Handelsbetrieben und in den Büros der Behörden und Anwälte sind bei den Kaufmannsschulen untergebracht; die Allgemeinen Fortbildungsschulen für Knaben und Mädchen dienen dem Unterricht der sogenannten ungelernten Berufe.

Die Pflichtfortbildungsschulen sollen in erster Linie die Berufsausbildung unterstützen und sind daher bei den gelernten Berufen in zahlreiche Fachabteilungen für die einzelnen Zweige des Handwerks, der Industrie und des Handels gegliedert. Auch die Allgemeinen Fortbildungsschulen stellen nach Möglichkeit den Beruf der Schüler in den Mittelpunkt ihres Unterrichts, wobei für die Mädchen das Wirken der Frau in Haus und Familie als Beruf gilt. Unterrichtliche Belehrungen, Einrichtungen der Selbstverwaltung in der Schule und Veranstaltungen der Jugendpflege bereiten die Jugend auf das Leben und Wirken in der Gemeinschaft vor.

Der Unterricht in den Pflichtfortbildungsschulen ist unentgeltlich. Gegen ein mäßiges Schulgeld können Pflichtschüler auch am Unterricht in Fächern, die im Lehrplan der Pflichtschule fehlen, teilnehmen. Im allgemeinen aber ist der ausgedehnte wahlfreie, außerhalb der Arbeitszeit liegende Unterricht der Gewerbe- und Kaufmannsschulen für die Bedürfnisse der jungen Berufsangehörigen beiderlei Geschlechts eingerichtet, die nach beendeter Lehrzeit eine weitergehende theoretische Berufsausbildung suchen. Praktische Weiterbildung neben der Berufstätigkeit finden die Angehörigen der kunstgewerblichen Berufe in den abends und Sonntags geöffneten Werkstätten der Kunstgewerbeschule. Auch bei den Allgemeinen Fortbildungsschulen wird sich an den Pflichtunterricht wahlfreier Unterricht schließen, der schließlich in das Gebiet der Volkshochschule einmünden soll.

Berufliche Tagesschulen, die unmittelbar nach dem Verlassen der allgemeinbildenden Schulen besucht werden, kommen fast nur für Mädchen in Betracht. Die von den angehenden Kontoristinnen bei dem Eintritt in den Beruf bereits verlangten Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln: für aus der Volksschule abgehende Mädchen die Handelsschulen mit zweijährigem Kurs (von denen eine staatliche den Kaufmannsschulen angegliedert ist, eine private von dem Verein zur Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit an seiner Gewerbeschule für Mädchen unterhalten wird), für Absolventinnen höherer Mädchenschulen die ebenfalls an der Mädchengewerbeschule bestehende Höhere Handelsschule mit 1 1/2 jährigem Kurs.

Eine theoretische und praktische Vorbildung für die Führung des eigenen Haushalts sowohl wie für die hauswirtschaftliche Tätigkeit als Erwerbsberuf geben verschiedene Vereinsschulen.

Tagesabteilungen zur Ausbildung in den verschiedensten Zweigen der gewerblichen Frauenberufe werden in der Gewerbeschule für Mädchen betrieben, von denen die Abteilungen für Damen Schneiderei und für Wäscheanfertigung, die beide höhere Schulbildung verlangen, zur Gesellenprüfung führen. Weibliche Lehrlinge für Photographie und Bucheinband werden in der staatlichen Kunstgewerbeschule ausgebildet.

Die zahlreichen Fachklassen der staatlichen Kunstgewerbe schule, denen zumeist mit den neuesten Einrichtungen und Maschinen ausgestattete Werkstätten angegliedert sind, verlangen von ihren Besuchern im allgemeinen die bestandene Gesellenprüfung und führen sie in drei- bis vierjähriger Ausbildung zum selbständigen künstlerischen Schaffen.

Die staatliche Baugewerkschule gibt Maurern, Steinmetzen und Zimmerern die Ausbildung, die sowohl für die Ausübung der Tätigkeit als Techniker, Bauunternehmer oder Baugewerkmeister als auch für mittlere technische Beamte bei staatlichen und städtischen Behörden erforderlich ist. Die Schule besteht aus einer Hoch- und einer Tiefbauabteilung, deren jede fünf aufsteigende Halbjahresklassen besitzt. Die bestandene Abgangsprüfung verleiht die Rechte der Reifeschüler der preußischen Baugewerkschulen.

Die Technischen Staatslehranstalten bieten durch planmäßigen Vortragsunterricht, verbunden mit Konstruktions- und Laboratoriumsübungen, eine wissenschaftliche Ausbildung auf den Gebieten des Schiffsbaus, des Schiffsmaschinenbaus, der Elektrotechnik, des Maschinenbaus und des Schiffsmaschinenbetriebs. Sie umfassen danach fünf Abteilungen. Die Höheren Schulen für Schiffbau, Schiffsmaschinenbau, Elektrotechnik und Maschinenbau bilden in 5 aufsteigenden Halbjahreskursen künftige Konstruktions- und Betriebsingenieure für die Industrie sowie Leiter gewerblicher Anlagen und technischer Werke heran. Sie haben in ihren Grundzügen den Aufbau der verwandten preußischen Anstalten, und ihre Abgangsprüfungen sind in Preußen und im Reiche anerkannt. Die Schiffsingenieurschule bildet leitendes Personal für den Maschinenbetrieb der größeren und größten Seedampfer aus. Ihr Unterricht wird nach den vom Reiche erlassenen Ausbildungsvorschriften für Schiffsingenieure vom 7. Januar 1909 erteilt. An sie angegliedert sind Ausbildungskurse für Seemaschinisten.

Die Staatliche Seefahrtschule dient der theoretischen Ausbildung der Schiffsführer; der Unterricht bezieht sich auf die Navigationswissenschaft und die schiffsgeschäftlichen Fächer. Entsprechend den Bestimmungen der vom Reich erlassenen Prüfungsordnung bereiten die Steuermannskurse in 8 bis 9 Monaten auf die Prüfung zum Seesteuermann vor. Der Vorbereitung auf die Prüfung zum Seeschiffer auf großer Fahrt (Kapitän) dienen Schifferkurse von 5bis 6monatiger Dauer.

Der höheren Fortbildung aller Berufe der Technik, des Technisch-Wirtschaftlichen sowie der angewandten Künste dient das staatliche Technische Vorlesungswesen. Als Dozenten wirken vorzugsweise die Lehrer der Technischen Staatslehranstalten, der Baugewerkschule und der Kunstgewerbeschule, doch werden nach Möglichkeit und Bedürfnis auch erfahrene Vertreter der Praxis herangezogen. Es finden statt: Technische und gewerbliche Kurse für Fachleute aller Grade der Industrie und des Gewerbes, Kurse über Gebiete, von denen die Arbeiten des in der Industrie und im Gewerbe stehenden Fachmannes berührt werden, technische Kurse für Kaufleute, die in der Produktion oder im Export von technischen und gewerblichen Erzeugnissen tätig sind, und technische Kurse für Gebildete aller Stände. In Erfüllung der letztgenannten Aufgabe berührt sich das Technische Vorlesungswesen mit der Volkshochschule.